Schilderpolitik

Karl Meyerbeer über das Verhältnis von Moral und Politik

Liebe Leute, sexistisches, rassistisches, homophobes, transphobes, antisemitisches, ableistisches, nationalistisches, etc. Verhalten ist hier nicht erwünscht. Wenn Ihr solches Verhalten mitbekommt oder selbst betroffen seid, wendet euch an die Menschen im veto. Wir unterstützen euch!

Dieses Schild hängt im veto, ich habe es selbst mit diskutiert und aufgehangen. Ich finde, es gibt gute Gründe, darauf zu insistieren, dass Menschen sich nicht scheiße verhalten. Aber irgendwie kommt mir das Schild doch verkehrt vor und ich möchte begründen wieso.

Gesellschaftliche Verhältnisse

Ich gehe mal davon aus, dass Rassismus, Sexismus und die anderen Ismen gesellschaftliche Verhältnisse sind. Die im Schild angesprochenen Verhaltensweisen sind eingebunden in handfeste soziale Strukturen. Sie darauf zu reduzieren, dass Menschen sich anständig verhalten, ist dagegen nur begrenzt wirksam. Sich darauf zu konzentrieren, bei Einzelnen pädagogisch zu wirken oder sie auszuschließen, wenn die Belehrung nicht greift, hat nur eine sehr begrenzte Reichweite. Schon die Formulierung macht deutlich, wie wenig diese Praxis gesellschaftliche Strukturen angreifen kann. „Verhalten“ soll draußen bleiben, und vielleicht haben wir beim Formulieren geahnt, dass rechtliche Strukturen, Eigentumsverhältnisse, Diskurse und verinnerlichte Deutungsmuster nicht vor der Ladentüre aufhören.

Die Stärke an unserem Schild ist, dass die normale Ausschluss-Logik herumgedreht wird: In jeder beliebigen Kneipe setzen Macker und Sexisten die Standards und wenn Dir das nicht passt, musst Du zu Hause bleiben. Wenigstens das soll im veto herumgedreht werden. Im schlechtesten Falle hat diese Praxis aber die Logik, die Verantwortung für das Weltböse den Einzelnen aufzubür- den – nicht mehr das Patriarchat, der Abtreibungsparagraph §218 und die sexistische Strukturierung des Arbeitsmarkts sind das Problem, sondern der Macker. Die politische Perspektive, die sich daraus ergibt, ist eine individuelle: Gelöst werden Probleme nicht durch ein kollektives Aufbegehren, sondern durch Reflexion und individuelle Verhaltensänderung. Und die schafft ein hyperreflektiertes Ich-Ideal mit der selbst auferlegten Verpflichtung, an jeder Stelle voll bewusst jede Reproduktion – alles, was die Verhältnisse abbildet – unterlässt und damit im schlechtesten Falle die Einzelnen entmächtigt – denn jede geschlechtliche Deformation aus Denken, Fühlen und Handeln auszuschließen, bedeutet oft so was ähnliches, wie den Kopf auf den Rücken zu drehen.

Die „Herrschaft des Fühlens“

In Teilen der Radikalen Linken – ganz ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass es auch das Gegenteil gibt – ist diese Konzentration auf die Einzelpersonen eingebettet in ein Klima, das ich polemisch als „Herrschaft des Fühlens“ bezeichnen möchte. Teilweise hat man den Eindruck, dass zur Beurteilung eines Konfliktes die Frage, wie sich Menschen dabei fühlen, die entscheidende Kategorie ist. Als Hinweis auf einen grundsätzlich zugewandten und empathischen Umgang miteinander ist das Fühlen ja eine feine Sache, wenn es jedoch zum Kern der Weltsicht wird, verstellt es die Sicht darauf, dass es durchaus eine Menge Leute gibt, die sich mit dem letzten Scheiß gut fühlen. Außerdem machen es viele durchaus sinnvolle und gute Dinge nötig, dass man sich auch mal schlecht fühlt – z.B. den Liebsten nicht mit der eigenen Eifer- sucht auf die Nerven zu gehen oder sich als Mann doch mal um den Haushalt zu kümmern. Gerade weil die Verhältnisse nichts Äußerliches sind, zu denen wir uns frei und unbeschwert ins Verhältnis setzen können – mit anderen Worten, weil das in den Fokus genommene Verhalten keine individuelle Entscheidung ist, sondern allzu oft ein gesellschaftlich präformiertes Skript, das abgespult wird – sind die Verhältnisse in uns drin: Es ist klar, dass es Männern leicht fällt, das große Wort zu führen, dass Frauen eher nett und lieb sind und sich kümmern, dass Bürgerkindern die Bildung in den Schoß fällt etc. etc. Demzufolge ist es klar, dass man sich nicht gut damit fühlt, gegen diese verinnerlichten, eingeschriebenen Geschichten vorzugehen. Wenn „sich schlecht fühlen mit etwas“ bedeutet, dass man dieses etwas unterlässt, droht ganz schnell die Gefahr, sich in der eigenen gesellschaftlichen Natur einzurichten statt dagegen aufzubegehren. Das soll nicht heißen, dass es nicht wichtig und richtig wäre im Kleinen anzufangen, sich selbst zu thematisieren, pädagogisch und karitativ tätig zu sein, kein Arschloch zu sein – es reicht nur nicht.

Moral als ethische Grundierung

Wir brauchen Moral als Grundlegung von gesellschaftlicher Praxis, denn wenn es nicht darum geht, dass es den Menschen gut geht, worum dann? Moral und Verhaltensregeln können auch eine gute Strategie sein, um an bestimmten Punkten Verhaltens- und Einstellungsänderungen zu erreichen. Letztlich erlaubt es das Insistieren darauf, dass das „Wie fühle ich mich“ wichtig ist, eigene Räume erträglicher zu gestalten und dem falschen Ganzen wenigstens dann und wann mal ein paar nette Stunden abzuringen. Wo Moral, Fühlen und das Kleine zur zentralen Perspektive werden, ist das kleinbürgerlicher Scheiß: „Es muss jeder bei sich selber anfangen“, ja, danke, Sozialkundelehrer. Stattdessen geht es darum, mit den vielen Ebenen von Gesellschaft umzugehen. Es gibt riesige und abstrakte gesellschaftliche Strukturen, kleine verletzliche Menschlein und dazwischen jede Menge Diskurse und Institutionen. Damit überhaupt eine Chance für Veränderung da ist, müssen wir auf jeder Ebene angreifen: nett sein und hassen, uns umeinander kümmern und gemeinsam kämpfen. Und wenn sich jemand mit diesem Text nicht gut fühlt, wünsche ich mir, dass das der Anfang und nicht das Ende der Auseinandersetzung ist.

Eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem selben Problem bietet der Text „Stolz und Vorurteil“ von Ayşe K. Arslanoğlu in der Out of the Box 2 (2012)

Dieser Beitrag wurde in Allgemein, Kritik veröffentlicht und getaggt , , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Sowohl Kommentare als auch Trackbacks sind geschlossen.