Lisa und Frank schauen sich nach den jüngsten Wahlerfolgen der AfD deren Entstehungshintergründe, Personal und Positionen genauer an.
„In irgendeine Ecke stellt man uns ja immer. In der hier waren wir noch nie“. Mit diesen Worten ging die Partei Alternative für Deutschland (AfD) kurz vor der Europawahl auf Stimmenfang – und zwar ausgerechnet in der Berlin-Ausgabe der einstmals als linkes Projekt gestarteten Tageszeitung „taz“. In der Leser*innenschaft wie der Redaktion entbrannte daraufhin ein heftiger Streit über diese Anzeige. Während die einen auf die finanzielle Abhängigkeit der „taz“ von Anzeigen verwiesen („Wir sind eben käuflich“), übten die anderen scharfe Kritik und bezeichneten die AfD als „konservatives Elitenprojekt“, das eine ganz „spezifische, neuere Form von ‚Menschenfeindlichkeit’“ an den Tag lege.1 Der Streit innerhalb der taz-Redaktion ist dabei kein Einzelfall und findet sich auch in anderen politischen Zusammenhängen, wie die in der CDU begonnene Auseinandersetzung um die AfD belegt. Während die Ministerpräsidentin des Saarlandes Annegret Kramp-Karrenbauer die AfD „hart an der Grenze zur Verfassungsfeindlichkeit“ sieht, warb die CDU-Rechtsauslegerin Erika Steinbach in einem Interview für eine Öffnung der CDU hin zur AfD mit den Worten: „Die AfD ist nach meinen Beobachtungen eine rechtsstaatliche, demokratische Gruppierung und damit ebenso unser Konkurrent wie unser möglicher Partner“.
Warum ist es offensichtlich so schwierig, die AfD klar einzuordnen?
Viele politische Einschätzungen der AfD reduzieren die Betrachtung auf die Frage, ob die AfD „rechtsextrem“ bzw. „rechtspopulistisch“ ist und ob und wie viele Nazis bzw. Menschen mit neonazistischer Vergangenheit sich in ihren Reihen tummeln. Der folgende Artikel möchte die bisherigen Perspektiven auf die AfD ergänzen und erweitern. Neben einem kurzen Blick auf die Gründungsgeschichte sollen beispielhaft die Positionen zu den Themen „Bürgerbeteiligung“ und „Zuwanderung“ skizziert werden. Im Anschluss werden einige Funktionsmechanismen der Partei vorgestellt, um am Ende eine Antwort auf die Frage zu geben, welche Konsequenzen eine linke Politik daraus für die Auseinandersetzung um und mit der AfD ziehen kann.
Die AfD als „konservatives Elitenprojekt“
Es lohnt sich, sich zunächst einige Meilensteine der Gründungsgeschichte der Partei anzusehen, denn die selbsternannte Alternative ist keineswegs so neu, wie suggeriert wird. Als die AfD im Februar 2013 ins Leben gerufen wurde, war sie kein basisdemokratisches Projekt. Ganz im Gegenteil, sie wurde von oben installiert durch konservative Eliten, die über Jahre hinweg bewusst auf die Etablierung einer solchen Partei hingearbeitet hatten und die bis heute die Führungsriege der AfD stellen.2 Führende Politiker*innen der AfD, wie Konrad Adam, Alexander Gauland, Hans-Olaf Henkel oder Beatrix von Storch, waren schon lange vor 2013 in verschiedenen Initiativen und Netzwerken aktiv. Im „BürgerKonvent“ beispielsweise, der seit 2003 mittels Kampagnenarbeit mehr Druck auf die Politik ausübte, um strikt marktorientierte, wirtschaftsliberale Positionen durchzusetzen. Oder in der Ende 2006 gegründeten Zivilen Koalition e.V., die durch verschiedene Projekte wie „Initiative Familienschutz“ oder das „Freie-Welt-Netzwerk“ erzkonservative Geschlechter- und Familienpolitik vertritt. Auch der inoffizielle Parteichef Bernd Lucke war schon vor Jahren umtriebig und forderte 2005 – also nach dem beschlossenen Einschnitt in die Sozialsysteme durch die sog. Hartz-Gesetze – im Hamburger Appell „eine niedrigere Entlohnung, der ohnehin schon Geringverdienenden“, um eine „Verbesserung der Arbeitsmarktlage“ zu ermöglichen.
Die Euro-Krise und die darauffolgenden Entscheidungen zur Eurorettung brachten die bereits existierenden Gruppen und Initiativen zusammen. In der Führungsriege der AfD tummelt sich somit de facto ein Teil der deutschen konservativen (Wirtschafts-) Elite, die nicht erst seit 2013 einiges daran setzt, eine eigene Lobby für ihre Interessen zu finden.
„Kuck mal, wer das spricht!“ oder „Du kommst hier nicht rein“
In auffallendem Widerspruch zur geschilderten Gründungsgeschichte der AfD steht es, wenn die AfD ihre „Bürgerinitiativen“3 und zivilgesellschaftlichen Netzwerke als bottom-up-Politikformen inszeniert und sich nach außen als Partei verkauft, die für mehr „direkte Demokratie“, mehr „Bürgerbeteiligung“ und den „wahren Bürgerwillen“ eintritt. Denn sieht man sich genauer an, wen die Partei eigentlich mit „dem Bürger“ meint, so wird klar, dass die AfD kein inklusives, sondern in einem höchsten Maße exklusives Projekt ist. Beispielsweise vertrat AfD-Sprecher Konrad Adam eine selektive Vorstellung von Demokratie, als er am 16.10.2006 in der Tageszeitung DIE WELT die Frage stellte „Wer soll wählen?“ und darin die Idee einer Einschränkung des Wahlrechts für Arbeitslose befürwortete. Die AfD möchte keineswegs mehr Beteiligung von allen Menschen in der Gesellschaft. Im Gegenteil, es sollen die ausgeschlossen werden, die im Zweifelsfall nicht den Interessen der gesellschaftlich Privilegierten nutzen.
Auch der Diskurs um Integrations- und Zuwanderungspolitik ist einerseits stark geprägt durch die Warnung vor dem Missbrauch von Sozialleistungen und andererseits der Verhinderung von Straftaten durch „Ausländer“. Erwünscht sind lediglich qualifizierte und „integrationswillige“ Zuwanderer*innen, die nach Kriterien des Nützlichkeits- und Leistungsdenken bewertet werden sollen.
Trotz markiger Wahlslogans, die denen der NPD zum Verwechseln ähneln („Wir sind nicht das Weltsozialamt“) vermeidet die AfD-Führung in der Öffentlichkeit allzu populistische Aussagen und radikale Positionen. Der Unterschied in dem Ton der Führungsriege und den Landesverbänden bzw. der einfachen AfD-Mitglieder zeigte sich auch am 10. Mai 2014, als Bernd Lucke auf dem Erfurter Anger zu Gast war. Während Björn Höcke, Listenplatz 1 für die Thüringer Landtagswahlen, bei der Eröffnung der Veranstaltung Gegendemonstrant*innen als „Chaoten“ bezeichnete, wortreich Thilo Sarrazin huldigte und viel vom „Volk“ schwafelte, machte Bernd Lucke einen wesentlich gemäßigteren Aufschlag.
Soziale Netze statt Sozialstaat
Viele offen polemische, kulturalisierende und rassistische Äußerungen werden von Einzelpersonen oder in AfD-nahen Initiativen und sozialen Netzwerken getätigt, so dass sich die Partei im Konfliktfall leichter davon distanzieren kann. Ein Beispiel für die Rolle von sozialen Netzen ist die „Patriotische Plattform“, deren User sich selbst als „Mitglieder und Freunde der AfD“ bezeichnen, in ihrer Gründungserklärung jedoch deutlich machen, nicht im Namen der Partei zu sprechen. Auf dieser Plattform liest man viel volkstümelndes und nationalistisches Gedankengut, beispielsweise, wenn vor der „Herausbildung einer multikulturellen Gesellschaft auf deutschem Boden“ gewarnt wird. Hier liest man Aussagen, die Bernd Lucke selbst nicht in den Mund nehmen würde. Doch auch ihm dürfte klar sein, dass sie genau den Humus bilden, auf dem die jüngsten Wahlerfolge der AfD gewachsen sind.
„Die Ideologie der Anti-Ideologen“4
Der Begriff der „Ideologie“ wird gerne von der AfD aufgegriffen, um eine angebliche Einschränkung der Meinungsfreiheit und der öffentlichen Debatte durch „political correctness“ zu beklagen und dem Rest der Gesellschaft ein „gleichgeschaltetes“, intolerantes Meinungsklima vorzuwerfen. Sie selbst inszeniert sich in der Position der „Nicht-Ideologen“, die politisch unvoreingenommen und durch die sachorientierte Erkenntnis die Interessen einer „schweigenden Mehrheit“ vertrete. Bezeichnenderweise gab sich die Jugendorganisation der Partei „Junge Alternative“ (JA) den Slogan „Verstand statt Ideologie“. Ideologien, so machte die Junge Alternative bald mit ersten medienwirksamen Aktionen klar, sind für sie beispielsweise der Feminismus und Gender-Mainstreaming mit dem ständigen Streben nach Gleichstellung. Diese, so die JA, sei längst erreicht, weshalb sämtliche Maßnahmen zur Gleichstellung von Frauen auf EU-Ebene einzustellen seien. Auch der Thüringer Landesverband der AfD bezeichnet die „Gender-Ideologie“ als „eine gefährliche, latent totalitäre Anmaßung“. Zentraler Gegenbegriff zur unterstellten „Ideologie“ der „Altparteien“ ist der inflationär gebrauchte Begriff des „gesunden Menschenverstands“.
Bei näherer Betrachtung dieser „Nicht-Ideologie“ entpuppt sie sich als eine Art „Anti-Ideologie“. Bereits der Philosoph Louis Althusser stellte fest: „Es ist eine der Wirkungen der Ideologie, dass durch die Ideologie der ideologische Charakter der Ideologie geleugnet wird.“ Ähnlich wie bei einer Verschwörungstheorie kann jeder Kritik an der AfD mit dem Hinweis, sie würde von einem ideologischen Standpunkt geäußert werden, der Wind aus den Segeln genommen werden.
Das Bürgertum verroht
Wie andere rechtsradikale und rechtspopulistische Parteien in Europa greift die AfD mit ihren Argumentationsmustern die Sorgen der Mittelschicht auf, die in Krisenzeiten die Angst um ihren Besitz und den sozialen Abstieg packt. Dass dies funktioniert, sieht man auch an dem breiten Erfolg rechter Parteien wie des Front National in Frankreich und der FPÖ in Österreich bei den Wahlen zum Europäischen Parlament Ende Mai diesen Jahres. Der Sozialpsychologe Wilhelm Heitmeyer konstatierte 2010 im Rahmen der Studie „Deutsche Zustände“ eine „Verrohung des Bürgertums“ und eine zunehmende „Ideologie der Ungleichwertigkeit“. Hohe Einkommensgruppen würden zunehmend schwachen Gruppen die Unterstützung entziehen; eine Endsolidarisierung, die sich vor allem auch gegenüber den als „fremd“ wahrgenommenen Menschen äußere.5
Mit ihrer Betonung der Kategorie der „Nützlichkeit“ von Menschen und der Zurückdrängung des gesellschaftlichen Gleichheitsanspruchs trifft die AfD vor allem bei weißen Männern mit eher überdurchschnittlichem sozialen Status und Einkommen auf Resonanz, so beschreibt zumindest das Sozial- und Meinungsforschungsinstitut forsa den klassischen AfD-Wähler. Es sind Menschen, die sich „zwischen unten und oben zerrieben“6 sehen und sich trotz ihrer objektiven Privilegien massiv benachteiligt fühlen. Wie stark diese Ängste in der Gesellschaft verankert sind, zeigte bereits der Erfolg von Sarrazins Machwerk „Deutschland schafft sich ab“. Die Leser*innen des Buches sind Umfragen zufolge zum Großteil männlich, im mittleren Alter bis alt und erfolgreich im Berufsleben. Nahezu deckungsgleich mit der Anhängerschaft der AfD. Für den drohenden Verlust der Privilegien bietet die AfD viel Projektionsfläche an sowie die Rückkehr zu einem nationalem Protektionismus, die Festigung einer bürgerlichen Leistungselite und die Restauration überkommener Familien- und Geschlechterrollen.
Nach der Wahl ist vor der Wahl
Um beide soziale Enden der oberen und unteren Mittelschicht zusammen zu binden, muss die AfD jenen ideologischen Spagat vollziehen, den ihre Einordnung so schwierig macht. Diese Widersprüchlichkeit zeigt sich nicht zuletzt in der Analyse des Wahlklientels. So erhielt die AfD bei der Bundestagswahl im September 2013 die meisten Stimmen von ehemaligen FDP-Wähler*innen, an zweiter Stelle standen jedoch die Wanderungen von vormaligen Wähler*innen der Partei DIE LINKE. Nach neusten Meinungsumfragen bekommt die AfD zudem durch ihren Erfolg bei der Europawahl gehörigen Auftrieb auch von sozial unteren Schichten und ehemaligen Nichtwähler*innen, der ihr Anfang Juni 2014 Umfragewerte von bundesweit 8% verschafft.7
In Thüringen scheint ihr der ideologische Spagat bisher besonders gut zu gelingen. Denn trotz monatelanger Querelen im Landesverband, dem Austritt eines ganzen Kreisverbandes, Rücktritte und öffentlicher gegenseitiger Beschimpfungen erhielt die AfD in Thüringen am 25.05.2014 bei der Europawahl 7,4% der Stimmen. In Gera wurde die Partei mit 11,2% sogar zweistellig. Kommunal trat die Partei nur in Erfurt und dem Weimarer Land an, was noch einmal die Schwäche der Partei an der Basis verdeutlicht. Dennoch erreichte sie hier 4,5% und 4,6% und ist damit mit zwei Personen im Erfurter Stadtrat vertreten. Insgesamt zeigen die Ergebnisse der jüngsten Wahlen, dass es in Thüringen ein Wähler*innenklientel für die Positionen der AfD gibt, das auch bei der Landtagswahl im September einen Einzug in den Landtag möglich macht.
Unabhängig von der Frage, ob das Bündnis aus marktradikalen Wirtschaftsliberalen und ressentimentgeladenen Rechtspopulist*innen auf Dauer Bestand haben wird8, ist im Herbst mit einem Wahlkampf seitens der AfD zur rechnen, der Ängste vor Zuwanderung schürt und wohlstandschauvinistische Positionen befördert, der ultrakonservative Familien- und Geschlechterbilder propagiert und eine weitere Entsolidarisierung der Gesellschaft vorantreibt. Dies sollte aus linker Perspektive nicht unwidersprochen bleiben. Rassistische und ressentimentgeladene Positionen und Personen innerhalb der Partei müssen deutlich benannt werden. Aber die Kritik an der AfD sollte dabei nicht stehenbleiben, sondern ebenso beharrlich über ihre ideologischen Hintergründe und ihre Vorstellungen einer anderen Gesellschaft aufklären. Und nicht zuletzt sollte der Blick auch auf die Reaktionen der anderen Parteien auf die AfD und ihre Positionen im Wahlkampf erweitert werden, denn menschenverachtende Einstellungen haben nicht zwangsläufig ein AfD-Parteibuch.
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1
http://blogs.taz.de/hausblog/2014/05/20/zur-afd-ein-debattenbeitrag-aus-dem-berlin-teil/
2
Zur Geschichte der AfD und ihrer Vorgängerinstitutionen sehr detailliert: Kemper, Andreas (2013): Rechte Euro-Rebellion. AfD und Zivile Koalition e.V. Lesenswert auch der Blog: http://andreaskemper.wordpress.com/
3
Im Folgenden sind Schlagwörter und Formulierungen der AfD durch Anführungszeichen kenntlich gemacht.
4
Vgl. Bebnowski, D.: AfD: Die Ideologie der Anti-Ideologen. Abgerufen unter: http://www.publikative.org/2013/04/14/afd-ideologie-der-anti-ideologen/
5
Auf taz.de: Neue Heitmeyer-Studie. Das Bürgertum verroht. Abgerufen unter: http://www.taz.de/!62265/
6
Auf euractiv.de: Wer hat die Alternative für Deutschland gewählt?. Abgerufen unter: http://www.euractiv.de/wahlen-und-macht/artikel/wer-hat-die-alternative-fuer-deutschland-gewaehlt-008043
7
Auf welt.de: Umfrage: Jeder dritte Deutsche will die AfD im Bundestag. Abgerufen unter: http://www.welt.de/politik/deutschland/article128706682/Jeder-dritte-Deutsche-will-die-AfD-im-Bundestag.html
8
Wie die aktuellen Flügelkämpfe ausgehen werden, ist derzeit ungewiss. In einem ZEIT-Artikel vom 27.05. wurde der baden-württembergische AfD-Funktionär Marcus Mattheis mit den Worten zitiert: „Über kurz oder lang wird der Austritt für viele liberale AfD-ler unumgänglich sein“.