* So lautete die Aufschrift eines selbstironisches Plakats bei einer einer Hausbesetzung am 1. und 2. Juli in Jena, die Jens Störfried im Folgenden illustriert und interpretiert.
Mein Artikel in der letzten Lirabelle endete mit den Worten, das Intervention im Sinne eines kollektiven und widersprüchlichen Bewusstseinsbildungsprozess organisiert werden soll. Seit dem Erscheinen jenes Artikels, aber auch nach der letzten Besetzung ein halbes Jahr zuvor, am 6. Dezember 2013, haben sich die Prozesse weiterentwickelt und mündeten eben in jenem zweiten Versuch am ersten Juli. Inwiefern diese Aktion als gelungen betrachtet werden kann oder nicht, was ihre Erfolge waren und wo sie hinter ihren Ansprüchen zurück blieb, ob der organisatorische Aufwand in angemessenem Verhältnis zu den Zielen stand, und ob es ihr gelang auf der vorherigen Besetzung aufzubauen und diese weiterzuentwickeln – all dies sind Fragen, die es zu diskutieren gilt. Es sind Fragen, die nun diskutiert werden können und zwar nicht im abstrakten luftleeren theoretischen Raum, sondern anhand geschaffener Tatsachen, welche nicht damit vergehen, dass die Besetzer_innen nach 23 Stunden – diesmal zumindest juristisch korrekt – von Schlägern in Uniform geräumt wurden.
Zuvor jedoch will ich einen theoretischen Sprung zurück machen und stellvertretend an den Artikel von Simon Rubaschow in der letzten Lirabelle anknüpfen. Darin arbeitet sich der Autor an der Bedeutung von Wut, Angst und Traurigkeit ab, wobei er in einer berechtigten Kritik an L&M aus der vorletzten Ausgabe, welche einen Vorrang der Praxis behaupten, den letzteren Begriff hinzufügt und umschreibt. Gegen eine „wütende Abschaffung“ und eine „ängstliche Abwehr“ will er stattdessen eine Idee von stets unvollständiger (in seiner Argumentation aber leider auch unklarer) „Aufhebung“ als Ziel linksradikalen politischen Handelns entwickeln.
Rubaschows Argumentation ist stichhaltig und dennoch eine Reduktion menschlicher Empfindung und Wahrnehmung, da sie positive Antriebe für politische Bewusstseinsbildung und Handeln nicht einbezieht. Die genannten „negativen“ Gefühle mögen starke Antriebe darstellen, weswegen es auch seltsam und falsch wäre, wenn sie zur Begründung für linksradikale Politik fehlen würden. Sie als alleinige oder zumindest absolut vorrangige Ausgangspunkte unserer de facto allseitig beschädigten Leben zu behaupten, führt logischerweise zur Konsequenz „revolutionäre Praxis als Trauerarbeit“ zu begreifen. In Zeiten der Zuspitzung kapitalistischer Verhältnisse, des Konkurrenzkampfes in allen Lebensbereichen und der kompensierenden Wohlfühlpropaganda der Herrschenden, ist das negative Denken unbestritten enorm wichtig. Gerade Linke und vor allem Linke in der BRD müssen es beibehalten. Die Reduktion des Denkens, Empfindens und Wahrnehmens hat bei vielen jedoch fragwürdige Ausmaße angenommen, weswegen „politische Praxis als Trauerarbeit“ meiner Ansicht nach eine reaktive Antwort darstellt.
Leben ist jedoch vielfältiger und potenziell eine eigensinnige Bewegung ins Unbekannte. Ich unterstelle, dass jede_r von uns auch schon echte Freude (in diesen und gerade auch gegen diese Verhältnisse!) empfunden hat. Dabei geht es nicht darum, sich mit diesen Gefühlen über das beschädigte Leben hinwegtäuschen zu wollen. Wenngleich unsere Existenz durch den Zustand der Welt grausam beschnitten wird, bedeutet dies nicht, dass wir unsere Handlungsunfähigkeit fetischisieren müssen. Denn der Genuß (an) der Welt, an dem, wie sie auch ist und sein könnte, ist ein nicht zu verleugnender Antrieb linksradikalen politischen Handelns (Vielleicht aber nicht des „revolutionären“).
Dieser Genuß ist die echte Freude, welche nicht Bespaßung und netten Zeitvertreib meint und nicht die weltflüchtigen Eskapaden um wieder funktionsfähig zu werden, sondern jene Lust der Zerstörung, welche zugleich eine schaffende Lust ist, wie Bakunin schreibt.1 Eine Portion Zerstörungs-Wut steckt notwendigerweise in dieser pointierten Aussage. Entscheidend aber ist, dass sich darin die Erfahrung ausdrückt, dass Menschen gemeinsam in dieser Welt die Verhältnisse gestalten in denen sie leben. Und dass sie in diese intervenieren können. Dass dies nicht einfach gemacht werden kann, widersprüchlich und stets unzulänglich ist, stimmt. Es bedeutet aber nicht auf eigenständiges aktives Handeln als ein Agieren im Unbekannten zu verzichten. In dieser Hinsicht könnte Rubaschow missverstanden werden, wobei ich mich auf seinen Artikel nur als Beispiel beziehe.
Die schöpferische Lust oder Freude entsteht und findet ihren Kanalisierung im Spiel. Wenn es ein radikales Spiel ist, dann verfremdet es Dinge und stellt sie auf den Kopf, es überschreitet das (unsinnige) Gesetz, wirft die Sachen lustig durcheinander, ordnet sie neu an und schafft darum Neues aus dem Alten heraus – für einen Moment; als Situation im Hier und Jetzt, darum aber potenziell auch dauerhaft.
Mit dieser bestimmten Art von Freude als Antrieb linksradikalen Handelns kann der Raum der Möglichkeiten und Grenzen ausgelotet und sichtbar gemacht werden. Sich euphorisch in die Illusion der eigenen Macht zu steigern, die nie wirklich und nur ganz bedingt zu erstreben ist – darin liegt die Gefahr der Freude, auch wenn es bei ihr nicht um ein Abfeiern der eigenen Aktivitäten geht. Aufzeigen aber kann sie, das und wie wir tätig werden können in diesen und gegen diese Verhältnisse, wie wir bei unseren Auseinandersetzungen menschlich bleiben und wofür es sich zu kämpfen lohnt. In dieser Hinsicht muss sie das berechtigte und wichtige Denken und Empfinden der Negativität ergänzen und entsteht übrigens ganz aus der Negation der Verhältnissen heraus und nicht aus einem Arrangement mit ihnen oder utopischer Tagträumerei. Auf diese Weise gelingt auch eine Erweiterung der Kritik an Gesellschaft sowie einer (selbst)mitleidigen radikalen Linken.2 Mit dieser Perspektive will ich nun die Hausbesetzung betrachten.
Am Nachmittag des 1. Juli versammelte sich eine Gruppe von circa 50 Personen und wanderte in aller Ruhe zum Haus Carl-Zeiss-Straße 11 direkt hinter dem Unicampus. Nachdem einige Dinge in das Haus gegeben und Möbel auf die Straße gestellt wurden, wurde die Eingangstür des Gebäudes geöffnet, während sich die Besetzer_innen in die oberen Etagen zurückzogen. Mehrere Menschen machten sich daran, dass Haus sowohl außen als auch innen einzurichten und zu verzieren. Der Aufenthalt wurde für Unterstützer_innen durch die Anmeldung einer Kundgebung ermöglicht, welche sich durch das Aussprechen einer Duldung durch die Uniklinik als Eigentümer bis 9 Uhr des nächsten Tages, direkt vor dem Haus befand. Aus diesem Grund konnte auch die Straße auf kreative Weise zeitweise vergemeinschaftet werden und ein Art Straßenfest begann. Nebenbei organisierten sich die Menschen in einem Delegierten-Plenum und verteilten die Erklärung3 der Besetzer_innen sowie weitere Texte in der Stadt. Da den Tag über bereits verschiedene kleinere unangemeldete Aktionen unter dem Label „Recht auf Stadt“ gelaufen waren, waren die Bürger_innen teilweise auch für die Besetzung sensibilisiert. Schon am Abend erschienen Journalisten der lokalen Medien, weswegen die Besetzung am nächsten Tag immerhin in einen gelungenen Bericht des MDR4 gebracht wurde. Weiterhin sind die beiden Videos der Filmpiraten sehenswert5.
Der Schwerpunkt der Aktion lag eher auf einer grundsätzlichen Kritik an Eigentumsverhältnissen und gesellschaftlichen Zuständen (die Besetzer_innen solidarisierten sich zum Beispiel immer wieder mit den Geflüchteten in der Kreuzberger Schule), als darauf, das Haus konkret zu bekommen. Dies führte zu Missverständnissen mit einigen Sympathisant_innen und den Eigentümern, auch wenn das Anliegen klar in der Erklärung formuliert war. In einem Plenum am nächsten Vormittag wurden viele Stimmen laut, die Verhandlungsmöglichkeiten ausloten wollten. Dass das Gespräch mit der Vertreterin des Uniklinikums Seidel-Kwen eine Farce war und sich viele Unterstützer_innen von falschen Versprechungen haben irritieren und spalten lassen wurde deutlich, als unmittelbar nach ihrem Auftreten die Anzeige auf Hausfriedensbruch gestellt wurde und die Polizei die Räumung einleitete.
Während die Unterstützer_innen teilweise brutal von den Beamten herumgeschleudert und aus ihrer Blockade vor der Haustür gerissen wurden und einige Anzeigen auf Widerstand gegen die Staatsgewalt bekamen, hatte in der Tat noch die Möglichkeit zu Gesprächen per Telefon bestanden. So forderten die Besetzer_innen eben gerade aufgrund der starken Solidarität der Unterstützer_innen eine weitere Duldung um einen basisdemokratischen Entscheidungsfindungsprozess mit allen Interessierten zuwege zu bringen. Die Eigentümer-Vertretung antwortete darauf nicht.
Eine Situation akuter Räumungsdrohung ist sicherlich nicht geeignet, irgendwelche geforderten Nutzungskonzepte auszuarbeiten und die Besetzer_innen selbst fühlten sich nicht in der Position ein fertiges Konzept vorzulegen. Dennoch war es gut, dass vor dem Haus tatsächlich ein zaghafter Meinungsbildungsprozess begann, auch wenn er unter diesen Umständen nicht mehr als ein Anstoß sein konnte. Insofern die Besetzer_innen es an diesem Zeitpunkt in Jena für unrealistisch hielten, einen neuen linken Raum zu erkämpfen, kann die Besetzung dennoch als ein Beitrag für langfristige Prozesse angesehen werden, in welchen sich Menschen mit der Thematik beschäftigen um eventuell auf diese oder eine andere Weise zu einem derartigen Projekt zu kommen. Dass es dafür einen deutlichen Bedarf gibt, hat die Anzahl der Unterstützer_innen gezeigt, wenngleich viele Leute auch einfach durch die zentrale Lage des Objektes vor Ort waren, die immerhin aber einen Schutz der Öffentlichkeit schufen.
Ob sich nun Menschen zusammenfinden, die Zeit und Energie in die politische Erkämpfung eines linken Raumes stecken wird sich zeigen und kann nicht von einer Gruppe verlangt werden, die sich dazu zusammenfand, diese konkrete Aktion zu organisieren. Was von ihr verlangt werden kann, ist, eben diese Aktion gut zu organisieren damit langfristig die Kräfteverhältnisse vor Ort in eine emanzipatorische Richtung verschoben werden können. In dieser Hinsicht lassen sich meiner Ansicht nach auch Fortschritte zur letzten Besetzung sehen, welche allerdings unter weithin anderen Bedingungen stattgefunden hatte. Das Ziel der Politisierung von Menschen in Jena wurde erreicht, wenngleich sich diese Dimension keineswegs messen lässt und wesentlich abstrakter ist, als beispielsweise die Gewinnung eines konkreten Raumes.
Die Kommunikation vor Ort hätte besser funktionieren sollen wie auch die Öffentlichkeitsarbeit. Eventuell hätten noch mehr Leute im Vorfeld der Aktion konkrete Aufgaben übernehmen müssen und davon abgesehen, fühlte sich bedauerlicherweise niemand dazu inspiriert autonom andere Aktionen in der Stadt durchzuführen. Die Gradwanderung zwischen Vorgeben bestimmter Inhalte und Formen und der Motivation zum spontanen Agieren hinzukommender Menschen konnte insgesamt allerdings schon wesentlich besser vollzogen werden – nicht zu letzt, weil einige der Unterstützer_innen sehr aktiv waren und selbst Verantwortung übernahmen. Ganz entscheidend im Unterschied zur letzten Besetzung war, dass schon in den frühen Morgenstunden wieder Menschen zum Haus gekommen waren um die Stellung zu halten. Ohne sie wäre dieser Akt nicht möglich gewesen, auch wenn wie vermutet er mit der Abführung der Besetzer_innen endete.
Was von der Besetzung außer den Anzeigen und einem mittlerweile bunten Haus bleibt, darüber will ich an dieser Stelle bewusst nicht spekulieren. Auf jeden Fall können von dieser Aktion Erfahrungen für die nächsten Schritte mitgenommen werden mit der Hoffnung, Menschen inspiriert und politisiert zu haben. Verschiedene Ansichten gibt es darüber, ob es sich bei der Besetzung letztendlich um ein symbolisches Stück mit 200 uniformierten Gastschauspielern oder um eine Form konkreter Politik handelte. Ein Meinungsbildungsprozess sollte weitergehen, in dem Leute darüber nachdenken, ob sie ein konkretes Gebäude wollen, wie sie dort rankommen, wer dafür Zeit und Kraft investieren will und unter welchen Bedingungen es verwaltet werden soll. Weiterhin stellt sich auch die Frage, ob Hausbesetzungen in dieser Form überhaupt noch Aktualität beanspruchen und wie sie mit anderen Kämpfen verknüpft werden können. Wenn diese Aktion allerdings auch als Akt der Solidaritätsbekundung mit den Geflüchteten in der Gerhard-Hauptmann-Schule gelesen wird, kann beides inhaltlich als gelungen angesehen werden.
Die Frage soll offen bleiben: Was bringt eine/ was brachte diese Hausbesetzung? Provokant möchte ich aber auch die Gegenfrage in den Raum werfen: Was bringt die nächste Demo, der hundertste Vortrag, der weitere linke Meinungs-, Identitäts- und Gruppenbildungsprozess? Wenn sich mehr Menschen durch die Hausbesetzung vom 1. und 2. Juli diese Fragen selbstkritisch, aber auch selbstbewusst stellen, hat sie wiederum eines ihrer Anliegen erreichen können. Wenn mehr Menschen zumindest eine Zeit lang die freudige Erfahrung der Gestaltung ihrer Stadt machen konnten, wäre dies die Ausgangslage für alles weitere, was möglich werden könnte.
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1
Vgl. Michael Bakunin, Die Reaktion in Deutschland, in: Schneider, Lambert/ Bachem, Peter (Hrsg.), Bakunin, Michail, Philosophie der Tat, Köln 1968, S. 96.
2
Die Kritik richtet sich nicht gegen (Selbst)Mitleid an sich, sondern gegen jene Form, welche lediglich eigenes Leid auf andere projiziert und damit paternalistisch Objekte der Leidenschaft für die eigene Identifikation produziert (= fetischisierte Beziehung). Mitleid kann gerade eine Eigenschaft sein, die Menschen als soziale Wesen auszeichnet, insofern es auf Empathie beruht. Dies tut es aber nur, wenn es auch das Mitfreuen kennt (möglicherweise auch in seiner Abwesenheit).