Volker Henriette S. bringt ein wenig Licht ins Dunkle der stattfindenden Verhandlungen um TTIP und macht auf Konsequenzen aufmerksam, die bei einem Inkrafttreten des Handelsabkommens folgen werden.
TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership) wird als das größte Handelsabkommen des 21. Jahrhunderts bezeichnet, wobei das Jahrhundert erst recht jung ist. Aber warum auch nicht. Die Akteure, die hier seit Juli 2013 verhandeln, sind große Wirtschaftsblöcke – die EU und die USA. Das kommunizierte Ziel ist: Es sollen Handelshemmnisse abgebaut werden. Die neoliberale Ideologie, nach der Krise von 2008 totgeglaubt oder zumindest schwer angeschlagen, fordert durch ihre Fürsprecher wieder einmal Freihandel. Es soll eine TAFTA (Transatlantic Free Trade Area) nur schneller und erfolgreicher etabliert werden. Die Verhandlungen um das TTIP umgibt ein Nimbus des Geheimnisvollen.
Was das Abkommen in der Konsequenz hieße, weiß noch niemand so genau. Es wird denn auch geheim verhandelt. Die ARD Doku „Der große Deal“ vermutet unter anderem ein Konferenzzentrum im Stadtteil Ixelles von Brüssel. Klar ist, wenn man den Propagandist_innen des TTIP Glauben schenken kann, dass es, wie man beim Stichwort Freihandel denken könnte, weniger um Zölle geht. Es geht um ein erhofftes Wirtschaftswachstum durch Handel und Investitionen und in der Folge natürlich um neue Jobs. Karel de Gucht (der EU-Handelskommissar) lässt in einer Studie 0,05 % Wirtschaftswachstum prognostizieren. Die Zahl ist nicht berauschend und in der genannten Doku klang es so, als ob de Gucht das Nennen der Zahl für ein Missverständnis hält.
Vielleicht geht es aber auch nicht vorrangig um einen gesellschaftlichen Reichtum als ganzes, sondern um große Kapitalfraktionen. Die beim TTIP schon jetzt involvierten Industrien jedenfalls, ließen gegenüber Medienvertretern verlauten, dass sie sich ernst genommen und gut repräsentiert fühlten. 600 Berater_innen von Großkonzernen haben privilegierten Zugang zu den Dokumenten und zu den Entscheidungsträger_innen. Möglichen Kritiker_innen dürfte das nicht so gehen. Um die unautorisierte Weitergabe von Originaldokumenten der Verhandlungen zu erschweren, werden in die Texte absichtliche Rechtschreibfehler eingebaut, um Lecks bei den Informationen sichtbar zu machen.
Die Kritiker_innen wissen also nicht ganz genau, was sie kritisieren. Man kann aber bei Abkommen, die ähnliche Ziele hatten, die Folgen betrachten und man kann sich bei den Akteur_innen des Protestes gegen das Abkommen informieren. Als ein Vorläufer der TTIP kann das MAI (Multilaterales Investitionsabkommen) betrachtet werden. Beim MAI, das vor rund 16 Jahren geschlossen werden sollte, wollten die Großunternehmen ihre Macht schon über das bekannte Maß ausbauen. Damals scheiterte das Projekt an den Parlamenten – vor allem dieser der Entwicklungsländer – aber außerdem, weil sich die „Zivilgesellschaft“ auch mit linken Akteuren gegen diesen ungeheuren Ausbau von Privilegien auf Konzernseite regte.
Schon am 1.1.1994 trat die NAFTA (nordamerikanisches Freihandelsabkommen) in Kraft. Das erklärte Ziel war freier Verkehr von Waren und Dienstleistungen. Die NAFTA setzt alle (agrarischen Produzenten) in unmittelbare Konkurrenz. So treten Kleinbauern aus Mexiko und Bauern, die industrielle Landwirtschaft in den USA betreiben (mit ihren Monokulturen, Pestiziden, Hybridsorten), gegeneinander an. Die Folge ist, dass die Kleinbauern Mexikos zu Tode konkurriert werden, weil der Preis für Mais um 60% abgestürzt ist. Eine Nahrungsmittelsicherheit gibt es dort nicht mehr. Vor der NAFTA konnte Mexiko seinen Nahrungsmittelbedarf noch selbst decken. Heute importiert es dreißig Prozent seines Maisbedarfes. Zwanzig Millionen Mexikaner_innen gelten als unterernährt.
So können sich große Kapitale durch transnationale Vertragswerke neue Märkte oder Alleinstellungsmerkmale über Märkte sichern. Zusammen mit einem angestrebten Handelsabkommen im pazifischen Raum (TPP) werden die Regeln des Marktes fest gezurrt und eben nicht freier. Schwächere Ökonomien laufen Gefahr zermalmt zu werden.
Genannt wird das in den TTIP-Verhandlungen dann „Nichtdiskriminierung von Firmen“. Beim TTIP wird z.B. über die unterschiedlichen Zulassungsmodi von Stoffen in Produkten verhandelt. Diese sind nämlich in den Staaten recht unterschiedlich. In den USA werden zum Beispiel Chemikalien viel schneller erlaubt als in Europa. Laut dem TTIP sollen nun die unterschiedlichen Zulassungsverfahren gegenseitig anerkannt werden.
Eine Folge der Partnerschaft, die als besonders gravierend betrachtet wird, wäre, dass Strafzahlungen und Entschädigungen vor einem Schiedsgericht geltend gemacht werden können, wenn Investitionsbedingungen von Staaten den Investoren oder Großunternehmen nicht gewinnträchtig genug sind. Geplant sind diese überstaatlichen, unabhängigen Investor-Staat-Streitschlichtungsverfahren, wenn sich Bedingungen zu Ungunsten der Konzerne verändern würden. Der politische Spielraum schwindet auf ein Minimum. Die Kette von Entscheidungsträger_innen von nationalen Regierungen bis zur Kommunalpolitik müssen sich dem Regelwerk des TTIP bei Unterzeichnung unterwerfen. Konzerne bekommen so einen gleichrangigen Status zum Gemeinwesen, sitzen aber vor den Schiedsgerichten am längeren Hebel. Staatliche Normen und Standards würden zu einem Investitionshindernis. Neben der oben angesprochen Produktsicherheit, beträfe das auch den Umwelt-, Gesundheits-, Verbraucher- und Arbeitsschutz. Diese lang erkämpften Errungenschaften könnten mit einer Strafzahlungsandrohung beiseite gewischt werden. Sektoren, die z.B. wie in Frankreich, unter großem Einfluss des Staates stehen, würden dem privatem Sektor der europäischen und amerikanischen Kapitale geöffnet. Wettbewerbsverzerrung und damit nicht erlaubt also strafwürdig wären Subventionen und Steuererleichterungen. Beispielsweise neuer Sozialwohnungsbau oder aktualisierte Buchpreisbindung könnten den jeweiligen Staat Millionen an Strafe kosten. Öffentliche Daseinsfürsorge müsste sich dem Wettbewerb und damit der Privatwirtschaft unterordnen. Durch die Vertragswerke des TTIP käme es zu einer Herrschaft der mächtigsten Kapitalgruppen im Atlantischen Raum, weil diese die besten Anfangsbedingungen hätten.
Andere Staaten müssten sich quasi im Zugzwang im Wettbewerb um Investitionen oder beim Handel mit EU oder USA dem Regelwerk anschließen. Das Regelwerk der TTIP könnte nur noch bei Zustimmung aller Vertragsparteien verändert werden und wird damit geradezu zementiert. In der Le Monde vom November 2013 wurde das „Staatsstreich in Zeitlupe“ genannt.
Erinnert sei hier an die Worte von Max Reimann zur Ablehnung des Grundgesetzes der BRD durch die KPD 1949. Der umstrittene Bundestagsabgeordnete äußerte: „Wir unterschreiben nicht. Es wird jedoch der Tag kommen, da wir Kommunisten dieses Grundgesetz gegen die verteidigen werden, die es angenommen haben!“ Ähnlich kann es heute Linksradikalen gehen, die ganz bestimmt nicht durch Glauben an die Staatlichkeit glänzen sollten. Wir befinden uns aber in einer Situation in der das Gemeinwesen, dass staatlich organisiert ist, mit all seinen Irrungen und Wirrungen pulverisiert zur werden droht. An seine Stelle treten Konzerne mit nichts als Gewinnerwartung.