Hoffen auf das Endspiel

Am 24. Januar 2015 versammelten sich in Erfurt rund 600 Menschen um gegen eine vermeintliche ‚Amerikanisierung‘ Europas zu demonstrieren. Sie nennen sich PEGADA, Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes, und ihre Veranstaltung heißt ‚ENDGAME‘, Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas. Ob sie sich nun ‚patriotisch‘ oder ‚engagiert‘ nennen, ob ‚Europäer‘ oder ‚Demokraten‘, es läuft auf ein und dasselbe hinaus: Es bleibt ein Mob aus Menschen, die sich jenseits jeglicher Faktenlagen bewegen und sich in ihrem eigenen irrationalen Horizont, in ihrer Paranoia gegenseitig bestätigen. Es ist ihnen gelungen, unterschiedliche esoterische Sekten, Verschwörer und Antisemiten aller Couleur an diesem Samstag im Januar zu vereinigen. Fabians Blick auf diese Veranstaltung und ihre Organisatoren macht deutlich, warum dies mittels ENDGAME gelingen konnte.

Letztes Jahr gingen in verschiedenen Städten Deutschlands mehrere hundert Menschen auf die Straße, um sich zu ‚Montagsmahnwachen‘ zu treffen. Der gemeinsame Nenner sollte dabei die vermeintliche Forderung nach ‚Frieden auf der Welt‘ sein. Genauer gesagt ging es bei den Montagsdemonstrationen darum, dass die Schuld am kriegerischen Konflikt zwischen der Ukraine und Russland bei der westlichen Welt, konkret bei den USA und einigen europäischen Länder läge. Neben diesem konkreten Ereignis, welches besonders in der Anfangszeit für Mahnwachler große Bedeutung hatte, mischten sich in den Brei der Querfront außerdem Theorien über das Übel der Welt geführt durch amerikanische Hand. Was auf den ersten Blick noch nach einer recht einheitlichen Bewegung aussah, entpuppte sich bei genauerem Hinsehen als eine Zusammensetzung von unterschiedlichsten Strömungen aus unterschiedlichsten Lagern, was zum späteren Zeitpunkt zu Zerwürfnissen und schließlich zu Spaltungen führte.1 Offen agierende Neonazigruppen, wie sie z.B. am 26. Mai 2014 an der Erfurter Montagsdemonstration teilnahmen, Teile von esoterischen Gruppierungen bis hin zu Verschwörungstheoretikern aller Couleur, traf man auf den Veranstaltungen an.

Trotz des hohen Zulaufes aus verschiedenen Gruppierungen entwickelte sich
keine – wie von den Organisatoren erhoffte – Massenbewegung als neue Friedensbewegung, wie es vor mehr als zehn Jahren anlässlich des Irak-Kriegs der Fall war. Damals protestierten Regierung, Opposition, linke Parteien, Gewerkschaften und Organisationen bis hin zu Neonazis einträchtig miteinander gegen den Krieg im Irak. 2014 kamen zeitweise einige tausend Menschen in Städten wie Berlin oder Hamburg zu den Montagsdemonstrationen, wie dies zum sogenannten Friedenswinter mit ca. 3500 Menschen in Berlin der Fall war. Jedoch konnte nie ein Erfolg auf breiter gesellschaftlicher Ebene erreicht werden. Die Hoffnung und der Wunsch, man könne wieder Teil eines so großen Kollektivs sein, welches sich gegen einen gemeinsamen Feind und für das vermeintlich Gute zusammenfindet, wurden im Laufe der Zeit enttäuscht.

Was die Montagsdemonstranten neben der Angst um einen Krieg in der Ukraine eint, ist eine undurchsichtige Frustration gegenüber den herrschenden Verhältnissen. Dazu kommen Ängste vor dem sozialen Abstieg und Zweifel an der eigenen Beständigkeit im Konkurrenzkampf um Jobs, Kitaplätze oder schlicht um das eigene Überleben. Während in aktuellen rassistischen Bewegungen wie z.B. PEGIDA ebenfalls eine solche Frustration sowie soziale Abstiegsängste und Konkurrenzkampf eine Rolle spielen, geht es den Montagsdemonstrationen nicht in erster Linie um das Treten auf den Nächstschwächeren oder die vermeintliche Bedrohung durch massenhaft einwandernde Flüchtlinge. Der Fokus liegt vielmehr auf der Revolte gegen eine herrschende Elite, welche über dem kleinen Bürger vermeintlich die Zügel hält und diesen ausbeutet. Dabei wird der Kapitalismus nicht als Verwertungslogik betrachtet, wobei der Einfluss auf das eigene Tun und Handeln auch durch eben diesen bestimmt wird, sondern vielmehr als ein fremdgesteuertes undurchsichtiges Kalkül von ‚denen da oben‘ erklärt. Ob sie nun der Familie Rothschild, ‚USrael‘, den Bankern oder schlichtweg den Juden die Schuld dafür geben, ist von Montagsdemonstrant zu Montagsdemonstrant verschieden, der gemeinsame Nenner bleibt. Die Schuldfrage, die bei den Montagsmahnwachen eine elementare Rolle spielt, ist geklärt, wenn es wie bei der Montagsmahnwache am 21. April 2014 in Berlin von Jürgen Elsässer heißt: „Das Verbrechen hat Anschrift und Telefonnummer. Und man kann doch durchaus auch einige Namen nennen. Wer gehört denn zu dieser Finanzoligarchie? Die Herren Rockefeller, Rothschild, Soros, Chodorkowski, das englische und das saudische Königshaus. Und warum soll es Antisemitismus sein, wenn man darüber spricht, wie diese winzig kleine Schicht von Geldaristokraten die Federal Reserve benutzen, um die ganze Welt ins Chaos zu stürzen?“.2 An dieser Stelle wird deutlich, inwiefern die sogenannte ‚Finanzoligarchie‘, als Verbund von wenigen reichen Familien, die ‚Federal Reserve‘ (US-Notenbank) nutzen würde, um Chaos zu verbreiten. Dieses ‚Chaos‘ wird dann schnell auf Ereignisse wie z.B. den Konflikt in der Ukraine oder auch den Konflikt zwischen Israel und seinen Nachbarn übertragen, hinter denen lediglich eine Elite stehe, die aus Profitinteressen oder allgemeiner Bosheit diese Konflikte beginnen und fördern würde. Elsässer, einer der führenden Köpfe hinter den Montagsmahnwachen, trat im vergangenen Jahr auf der Erfurter Montagsmahnwache auf. Der Anmelder dieser Veranstaltungen ist aktuell im Vorbereitungskreis bei PEGADA und ENDGAME aktiv. Eine ausführlichere Betrachtung der Montagsmahnwache ist in Ausgabe 7 mit dem Titel „Immer wieder Montags: Für Frieden ohne Freiheit“ von Ox Y. Moron zu finden. Gerade nach dem sich im Laufe des Jahres 2014 die ausführliche Berichterstattung und die mediale Aufmerksamkeit über die Montagsmahnwachen erschöpft hatte, da sich niemand mehr so richtig dafür interessieren wollte, fielen auch die Teilnehmerzahlen oder stagnierten zumindest. Nun mussten neue Wege gefunden werden. Für Konstantin Stößel und das Orga-Umfeld aus Erfurt kam somit der Hype um ‚PEGIDA‘ und ähnliche Ableger der rassistischen Bewegung gelegen. Nicht weil Stößel in der ‚Islamisierung des Abendlandes‘ ein Problem sähe, oder in einer vermeintlichen Überfremdung Deutschlands, sondern vielmehr in den „Machenschaften der Politamerikaner, der transatlantischen Kriegstreiber und Besatzer Deutschlands“. Mit der Namensgebung ‚Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes‘ sprang man zumindest in dieser Hinsicht auf den ‚PEGIDA‘-Zug auf und machte sich deren Popularität zunutze.

Inhaltliche Eckpfeiler des Endspiels

Wie schon bei den Montagsdemonstrationen setzten die Organisatoren auf eine Querfront aus allen politischen Lagern. Man wolle nicht ‚rechts‘ oder ‚links‘ sein, sondern habe das gemeinsame Ziel gegen die Herrschenden aufzubegehren und sich „gegen Folter, Drohnenmorde, Totalüberwachung, US-Vorherrschaft und US-Propaganda“ zur Wehr zu setzen. Wie schon ein knappes Jahr zuvor betonen die Organisatoren wieder, dass es ihnen um die Demokratie gänge und es sich bei den Teilnehmern der Veranstaltung eben um ‚Engagierte Demokraten‘ handeln würde. Bereits in einem Interview mit Radio Frei im Frühling 2014 betonte Stößel seine Hoffnung auf ein ‚Wachrütteln‘ sowie darauf, dass die Menschen die Geschehnisse im Land wieder in die eigenen Hände nehmen würden. Bereits an diesem Punkt versuchten Stößel und der Mitorganisator der Montagsmahnwachen, Richard Habermann, ihre Ansichten als berechtigte Kritik an der ‚Federal Reserve‘ und den Handlungen von Familien wie Rothschild zu erklären. Jedoch handelt es sich, im Gegensatz zu den Behauptungen von Stößel und Habermann nicht um eine Form der Kritik, sondern vielmehr um die Bedienung antiamerikanischer und antisemitischer Ressentiments. Am Tag der ‚ENDGAME‘-Demonstration wurde eindrucksvoll bewiesen, warum es sich eben nicht um Kritik am Kapitalismus handelt.

Wie es bei eben solchen Ressentiments der Fall ist, sind dem, der sie vertritt, Fakten lediglich dann nützlich, sobald sie es bestätigen. Wenn die Fakten z.B. bei einer kritischen Betrachtung nicht mehr zur Bestätigung der eigenen Aussage beitragen, werden diese eben für gegenstandslos oder nichtig erklärt. Somit lassen sich durchaus mit einer kruden Zusammenstellung von Fakten und durch Umdeutungen Bilder von Feinden konstruieren, welche sich einer kritischen Betrachtung entziehen. Dadurch werden Entwicklungen, die sich auf der ganzen Welt abspielen und durch die herrschenden Verhältnisse bedingt sind, lediglich in den USA und/ oder in Bezug auf die USA betrachtet. Gerade das Land, welches für viele als eine Art ‚Ursprung‘ des Kapitalismus gilt, soll eben auch an dessen Entwicklung Schuld sein. Dass es sich bei Armut, Ausbeutung und Unterdrückung um kein amerikanisches Phänomen, sondern um logische Konsequenzen kapitalistischer Verhältnisse handelt, wird freilich nicht bedacht.

Dan Diner beschreibt den Antiamerikanismus in seinem Buch ‚Feindbild Amerika. Über die Beständigkeit eines Ressentiments‘ als „ideologisch befrachteter Rationalisierungsversuch, die unübersichtlich gewordenen Lebenswirklichkeiten und Lebenswelten durch projektive Schuldzuweisung an den definitiv Anderen erträglicher zu machen.“ Dadurch werden die gesellschaftlichen Phänomene, denen man ausgesetzt ist, von der Gesellschaft abgespalten und auf die USA projiziert. Durch den Antiamerikanismus an sich wird der Kapitalismus keiner Kritik
unterzogen, sondern vielmehr einzelne spezifische Inhalte und Phänomene innerhalb des Kapitalismus herausgegriffen, ohne diese in einen Kontext mit den herrschenden Verhältnissen zu bringen. Deshalb wäre es falsch davon zu reden, dass es sich bei Antiamerikanismus um einen falschen Ansatz der Kapitalismuskritik handle oder um eine verkürzte Kapitalismuskritik. Es ist schlicht weg gar keine Kritik am Kapitalismus.

Dass nun am 24. Januar immer wieder T-Shirts und Plakate mit antizionistischen Aufrufen oder Äußerungen zu sehen waren, zeigt, dass es den Teilnehmenden nicht nur um ihre Ressentiments gegen die USA ging.3 Das Verhältnis von Antiamerikanismus und Antisemitismus ist äquivalent. Die USA spielen strukturell eine ähnliche Rolle für den Antiamerikanismus, wie die Juden für den Antisemitismus. Auch hier werden Entwicklungen und Formen des Kapitalismus einer bestimmten Gruppe zugeschrieben und ihnen die Schuld daran gegeben. Im Großteil der Fälle lassen sich beide Ressentiments sehr gut kombinieren. Sei es, dass Israel der Vorposten für den amerikanischen Imperialismus im Nahen Osten sei, oder die Juden in der amerikanischen Regierung oder bei den Banken das Sagen hätten. Oftmals werden den USA, denen bestimmte Wesenszüge wie z.B. Arroganz oder Verlogenheit von ihren Gegnern nachgesagt werden, Nazivergleiche auferlegt. Wie es z.B. bei dem bekannten Bildvergleich von Hitler und Bush mit der Unterschrift „Same shit different asshole“ der Fall ist. Ebenso wie Israel, dem der Vorwurf der Arroganz gemacht wird, sein Volk als auserwählt zu begreifen, werden den USA im Vergleich zum Nationalsozialismus Völkermord und ähnliche Gräueltaten mit NS-Bezug vorgeworfen. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Äußerungen des amtierenden Vize-Kanzler der SPD Sigmar Gabriel, der nach seinem Besuch in Israel Anfang 2013 den Gaza-Streifen als Lager im Sinne eines Konzentrationslagers bezeichnete. Nicht umsonst bezeichneten die ENDGAME-Anhänger sich selbst als die „wahren Antifaschisten“ – was auch immer das sein soll und diffamierten ihre USA-Fahnen tragenden Gegner als „Faschisten“.4 Dass man nun gerade bei dieser Projektion auf die USA und den Staat Israel abzielt, ist ein Resultat des Sammelsuriums von Ressentiments gegen einen wichtigen Akteur der Befreiung Europas vom Nationalsozialismus, sowie gegen den Schutzraum der Juden.

Nach dem Spiel ist vor dem Spiel – das Endgame ist nicht zu Ende

Im Nachgang von PEGADA gab es viele Diskussionen. Neben dem üblichen Imageschaden für die Stadt Erfurt und das betroffene Aufheulen der Lokalpolitik versuchten zumindest einige bürgerliche Medien PEGADA aufzugreifen und zu thematisieren. Das ging an vielen Stelle an einer inhaltlichen Auseinandersetzung und Kritik der auf die Straße getragenen Hetze vorbei, jedoch wurde zumindest kritisch über teilnehmende Nazihooligans berichtet. Zwar geschah es nicht unerwartet, dass sich Nazis an der Veranstaltung beteiligten, jedoch dürfte es dem Mobilisierungspotenzial für Fortsetzungen von PEGADA, wie am 21. Februar in Halle, geschadet haben.

Dennoch hat die radikale Linke in Erfurt einen wichtigen Punkt der Auseinandersetzung verpasst. Statt sich im Vorfeld mit den antisemitischen und antiamerikanischen Ressentiments kritisch auseinanderzusetzen, blieben die Reaktionen eher verhalten. Reaktionen erfolgten im Nachgang: Beispielsweise verlor die Antifaschistische Aktion Erfurt (AAEF) in ihrer Auswertung, die sich ebenso las wie ein Artikel in der Thüringer Allgemeine, kein Wort über die Fahnen von islamischen Republiken, die Plakate mit Vernichtungsfantasien gegen Israel oder irgendwelche Verschwörungstheorien. Die Gruppe schrieb: „Der Gegenprotest wurde von diversen Antifa-Gruppen, der Linken, SPD und Grünen sowie deren Jugendverbänden, Kirchverbänden, der jüdischen Gemeinde Erfurt und diversen Hochschulgruppen organisiert, bzw. unterstützt. Dieses breite Bündnis schaffte es, die ursprüngliche Nazi-Route zu blockieren.“ Man stellte sich per se auf dieselbe ‚gemeinsam gegen die da drüben‘-Seite mit Parteien und Verbänden, die sonst ebenso wenig müde sind gegen Israel und die USA zu wettern. Auch am Tag selbst fand keinerlei Auseinandersetzung oder gar ein kritischer Beitrag gegenüber den Äußerungen von ‚ENDGAME‘ statt. Der Aufruf der AAEF zu Gegenaktivitäten glänzte nicht gerade mit inhaltlicher Auseinandersetzung, sondern vielmehr durch Fakten über die potenzielle Beteiligung von Neonazis, was wohl ebenfalls auf ein breiteres Bündnis für diesen Tag setzen sollte. Dem stand man auch im Nachhinein in nichts nach. Gerade an diesem Punkt, wo man zumindest die linksradikale Szene zu einer Auseinandersetzung mit Antiamerikanismus und Antizionismus bewegen hätte können, wurde dies aufgrund von Bündnispolitik übergangen.

Dennoch ist es ja noch nicht zu spät diese Auseinandersetzungen, zumindest im Nachgang zu führen. Für den weiteren Umgang mit solchen Aufmärschen sollte sich die radikale Linke in Erfurt und Thüringen generell fragen, inwieweit nicht zuerst eine inhaltliche Auseinandersetzung über den Gegenstand der Kritik geführt werden muss, um daraus die nötigen Konsequenzen zur Bekämpfung solcher Aufmärsche zu ziehen.


1
So z.B. bei der Erfurter Montagsdemonstration im vergangenen Jahr geschehen, als sich die dort ansässige Mahnwache weiter nach rechts verschob: http://oxymoron.blogsport.de/2014/05/20/putsch-und-rechtsruck-bei-erfurter-montagsdemo/

2
http://www.hagalil.com/archiv/2014/07/02/montagsmahnwachen/

3
Zum Beispiel: „Free Gaza! Stop killing Children!“ T-Shirt bei PEGADA, welche das bereits im Mittelalter und bis heute vorherrschende antisemitische Ressentiment bedient, die Juden (in diesem Fall Israel) seien Kindermörder. Im Mittelalter bezogen sich diese antijüdischen Äußerungen meist auf die Ritualmord-Legende, dass Juden Kinder töten um z.B. ihr Blut bei Ritualen zu trinken.

4
Hier zu empfehlen ein Bericht des Antifa Jugendbündnis Saalfeld, welches sich damit auseinandersetzt und unter anderem den Beitrag in der ‚Roten Fahne‘ zu Erfurt kritisch betrachtet. http://ajubs.blogsport.de/2015/02/07/antiimperialismus-und-die-rote-fahne/

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