Ein Plädoyer für‘s Rauchen

Nicht selten müssen sich Raucher für ihr Laster rechtfertigen. Rauchen sei schließlich gesundheitsgefährdend und irrational. Doch genau darin liegt ein widerständiges Moment, meint Dori. Die Autorin raucht gerne, viel, gerne viel und (nicht nur) überall da, wo es noch erlaubt ist.

Als der Tabak in Europa Verbreitung fand, sprach man ihm eine heilende Wirkung zu. Durch seine als Nervengift lähmende, also die Muskelspannung verringernde Wirkung unter gewohnter Kombination mit Kaffee, der das Konzentrationsvermögen erhöht, ist rauchen außerdem bis heute mit Müßiggang und Denken assoziiert. Mit zunehmender Verbreitung aber gab es eine Wandlung im Bewertungsmuster. Schon Frühzeitig wird öffentlich vor den Folgen des Konsums als der Trunksucht ähnlich gewarnt, bereits Anfang des 18. Jahrhunderts gab es erste Tabak-Prohibitionen. Mit der medizinischen Erforschung von Tabakkonsum stieg auch der Versuch, über seine gesundheitsgefährdende Wirkung aufzuklären und schon seit längerem kann man Tabak hierzulande nicht mehr ohne überdimensionierte Warnhinweise kaufen. Seit Juni dieses Jahres gesellen sich zu den Warnhinweisen Bilder von durch Tabakkonsum erkrankten Organen, Körperteilen oder Menschen, die wohl den Verkauf von Tabaktaschen exponentiell steigen lassen werden.
Doch nicht nur mit Warnhinweisen wartet das Gesundheitswesen auf. Das Rauchen selber wurde weitestgehend aus dem öffentlichen Bereich verbannt. Zwischen den 1980er und 2000ern führten die meisten Behörden und Unternehmen zunehmend Rauchverbote in ihren Gebäuden ein, nunmehr herrscht absolutes Rauchverbot in allen öffentlichen Gebäuden. In Filmen oder anderen TV- und Kinoproduktionen sieht man nur noch selten jemanden Rauchen. War früher eine Talkshow ohne ketterauchende Gäste kaum vorstellbar, begegnet man dem Raucher heute nur noch da, wo sein Rauchen direkt, meist negativ, thematisiert wird oder die unsympathische Darstellung seines Charakters unterstrichen werden soll. Auch der Konsum selber unterliegt einer stetigen Veränderung in seiner Verbreitung und der Art, wie konsumiert wird. All das ist nicht hinreichend erklärt mit einer fortschreitenden medizinischen Erforschung der Folgen von Tabakkonsum. Schließlich findet die kulturgeschichtliche Entwicklung des Tabakkonsums, wie die des Konsums anderer Genussmittel auch, in einem gesellschaftlichen Kontext statt, sodass eine Veränderung nur unter Betrachtung dieses erklärbar werden kann.

Kulturgeschichtliche Entwicklung

Tabak wurde in der Mitte des 17. Jahrhunderts von Amerika nach Europa eingeführt und war zuerst unter Bezeichnungen wie „Sauferei des Nebels“, „Rauchtrinken“ oder „Tabaktrinken“ geläufig. Das verweist auf zweierlei: Zum einen auf eine Wirkung, die viel mit dem Alkoholtrinken gemein hat; außerdem auf eine bisher unbekannte Form des Konsums, das Inhalieren, das mit schon bekannten Kosumtionsformen zu fassen versucht wurde, eben mithilfe des Trinkens. Die Verbreitung des Tabakkonsums entspricht dabei nicht der, wie sie andere Genussmittel als sinkendes Kulturgut meist durchlaufen haben, bei denen also der Konsum anfangs vorwiegend auf die städtische Oberschicht beschränkt blieb und sich erst sukzessive auch auf andere Bevölkerungsgruppen ausgebreitet hat. War zu Beginn des 18. Jahrhunderts das Pfeiferauchen noch am geläufigsten, fand durch die Entwicklung verschiedener Rauchtechniken ein Differenzierung unter Herausbildung von Distinktionsmustern statt. Das Rauchen erfuhr dadurch, und wesentlich wohl auch der geringen Kosten wegen, eine im Vergleich zu anderen Genussmitteln schnelle, schichtübergreifende Verbreitung.
Im 18. Jahrhundert verbreitete sich in den oberen Schichten das Tabakschnupfen und erfreute sich bis ins 19. Jahrhundert hinein großer Beliebtheit. Im 19. Jahrhundert wurde die ebenfalls der Distinktion dienliche Zigarre zum allgemein bevorzugten Rauchgerät. Wobei allgemein hier am meisten verbreitet heißt, denn anhand der Zigarre kann eine demografische und soziale Segregation sichtbar gemacht werden, wurde sie vorwiegend von bürgerlichen, in der Stadt wohnhaften Männern konsumiert. Diese Entwicklung steht in Zusammenhang damit, dass Rauchen auf der Straße zunehmend als unschicklich galt oder gar verboten war. Dadurch wurde das Rauchen in Privaträume verschoben. Diese Privaträume waren jene Raucherzimmer, in die sich die städtisch-bürgerlichen Männer zurückzogen, um gemeinsam nach dem Essen Zigarre zu rauchen und die die Bezeichnung Smoking geprägt haben. Das nämlich sind ursprünglich jene Jacken, die Mann sich zum Rauchen überzog und wieder ablegte, sobald das Raucherzimmer verlassen wurde, um den mittlerweile als unangenehm empfundenen Geruch nicht mit „herauszutragen“. Diese bürgerlich-männliche Konnotation haftet der Zigarre bis heute an.

„Nun dürfen Sie rauchen.“1

War also das Rauchen etwas, wenn auch in seinen verschiedenen Konsumformen durch schichtspezifische Ausbreitung geprägt, das in allen Bevölkerungsschichten Verbreitung fand, blieb es bis Ende des 19. Jahrhundert eine vorwiegend männliche Angelegenheit.2 Pfeifen, Zigarren und Zigaretten waren so in ihrem phallischen Charakter Symbole von Männlichkeit und, da das Rauchen verknüpft war mit Denkarbeit einerseits und dem abendlichen Zusammensein in der Kneipe andererseits, Ausdruck patriarchaler Verhältnisse.
Das Rauchen von Frauen in der Öffentlichkeit war lange Zeit verpönt. Trafen sich die Männer in Caféhäusern um rauchend über die Welt zu sinnieren, war der Zutritt für Frauen zu jenen rufschädigend. Frauen, die in der Öffentlichkeit rauchten, taten dies im Bewusstsein um die rufschädigende Wirkung und als Ausdruck des Versuchs der Emanzipation von patriarchalen Verhältnissen, als Protest gegen den Ausschluss aus der Öffentlichkeit; sie wurden entsprechend als „Emanzen“ wahrgenommen. Das Rauchen von Frauen galt also als sittenwidrig und wurde mit sexueller Freizügigkeit gleichgesetzt. Die wohl bekannteste Frau dieser Zeit, die in der Öffentlichkeit, gar in Filmen rauchte, war Marlene Dietrich. Sie steht symbolisch dafür, dass das vorher noch pejorativ mit sexueller Freizügigkeit assoziierte Rauchen von Frauen zum Inbegriff von verführerischer Weiblichkeit wurde. War die rauchende Frau auf der Kinoleinwand zur Entstehung des Tonfilm noch als „Femme fatale“ inszeniert, folgte mit der Eroberung der Öffentlichkeit prompt die Zurücknahme ins Private. Nicht nur galt es nicht mehr als Ausdruck der Rebellion, wenn eine Frau in der Öffentlichkeit rauchte, zunehmend setzte sich in den 1940er Jahren das Bild der rauchenden, sauberen Hausfrau durch, mit der die Zigarettenindustrie gerne warb, weil mit ihr eine neue Zielgruppe entstand.
Es hat so zwar der Erfolg, dass in der Öffentlichkeit zigarettenrauchende Frauen sozial akzeptiert sind, den subversiven Gehalt von rauchenden Frauen eingebüßt, trotzdem besitzt Rauchen auch darüber hinaus einen rebellischen Symbol-Charakter. Denn noch bevor das Rauchen von Frauen in der Öffentlichkeit als ungehörig gelten konnte, wurde vielerorts ein Rauchverbot an öffentlichen Plätzen verhängt. Da wo es nicht durch Brandschutz zu rechtfertigen war, wie z.B. in aus Holzhäusern bestehenden Städten, wurde dies als Einschränkung und politische Unterdrückung erfahren.3 Tradiert hat sich so das Rauchen als Zeichen von Aufmüpfigkeit, was auch heute noch Gültigkeit besitzt, wie jeder weiß, der einmal versucht hat, während einer polizeilichen Maßnahme zu rauchen.

Eine rauchen wir noch…?

Neben Aufmüpfigkeit wird Rauchen auch in Zusammenhang gedacht mit geistiger Tätigkeit. Während der oft gemeinsam mit dem Tabak konsumierte Kaffee das Konzentrationsvermögen steigert, wirkt das Rauchen auf den Rest des Körpers beruhigend4, womit dies die besten Voraussetzung für im Sitzen verrichtete Kopfarbeit bietet. Das Rauchen selber wiederum unterbricht den bewegungsarmen Denkprozess durch Tätigkeit und bietet somit Kompensation, kann also als Ersatzhandlung betrachtet werden, wie es auch das Drehen oder Stopfen darstellt, welches einen Teil des Produktionsprozesses durchführbar macht, der bei fertig gekauften Zigaretten verloren gegangen ist. Während das Stopfen einer Pfeife eine ganze Weile Zeit erfordert, hat sich mit der Neuentwicklung von Konsumarten der Vorbereitungsprozess bishin zum einfachen Aus-der-Schachtel-nehmen immer weiter verkürzt. Selbes trifft auf den Akt des Rauchens zu. Während man an einer Pfeife oder einer Zigarre getrost einen ganzen Abend lang rauchen kann, ist eine Zigarette binnen nicht einmal zehn Minuten aufgeraucht. Damit bleibt die Funktion des Rauchens zwar erhalten, hat sich in seiner Form aber stark gewandelt. Durch industrielle Produktion können in kurzer Zeit immer mehr Zigaretten hergestellt werden, die dann auch schneller verbraucht werden. Der Tabakkonsum erfährt so äquivalent zu der Entwicklung der Moderne eine Beschleunigung.
Die neuste Wandlung in der Konsumform erfuhr der Tabak jüngst durch die Entwicklung und mittlerweilen Etabliertheit der E-Zigarette. Dabei hat diese mit dem Rauchen oft nur noch das Inhalieren gemein, denn auch das Nikotin ist teils daraus verschwunden. Mittels E-Zigarette lässt sich das Rauchen besser noch in den neoliberalen Alltag integrieren und wurde gleichsam gesundheitlich entschärft. Die ursprünglich selbstzerstörerische Komponente des gesundheitsgefährdenden Rauchens geht dabei weitestgehend verloren und steht somit nicht mehr im krassen Widerspruch zum Credo der Selbstoptimierung und Zurichtung des eigenen Körpers zur Erhaltung der Ware Arbeitskraft. Diese Selbstoptimierung macht sich ebenso geltend in gutem Zeitmanagement, wo für ein kurzes Durchatmen, ein Innehalten zwischen all dem Machen keine Zeit mehr ist. Konsumiert wird so kurz zwischendurch oder nebenbei, nicht mehr im Caféhaus oder – aktuell treffender – gemeinsam vor der Tür.
Besser noch ist nur das Nichtrauchen, weiß der sich oft alternativ dünkende, selbstoptimierte Gesundheitsfanatiker zu berichten, der die herrschende Ideologie so unkritisch internalisiert hat, dass er sie anderen nahelegt, wo es nur geht.

Angepasste, handzahme Idioten

Bei all dem Wandel, den der soziokulturelle Sinngehalt des Tabakkonsums vermittels gesellschaftspolitischer Veränderungen also erfahren hat, sind es weniger die Konnotationen, die sich verändert haben, als vielmehr deren Bewertung. Der Konsum unterlag im Zuge der Einbettung in den Alltag einer schnellen Verbreitung, während durch eine Umwertung vom Genuss- zum Suchtmittel der Prozess der Veralltäglichung wieder rückläufig wurde. Zeitweise konnte man sich mit Selbstverständlichkeit aller Orten „eine anstecken“. Heutzutage bedarf es der Durchsetzung des Rauchverbots in öffentlichen Gebäuden keiner Rauchmelder o.ä. Schließlich lauert hinter jeder Ecke jemand, der stets bereit, mit moralisch erhobenen Finger darauf aufmerksam zu machen, dass man gegen ein Verbot verstoße, in dem Moment schon, in dem man nur anfängt, sich eine Zigarette zu drehen oder das Feuerzeug aus der Tasche zu kramen.
Vielleicht durch, sicher aber parallel mit der Verbannung des Rauchens wurde auch das Denken aus öffentlichen Räumen verdrängt – bestes Beispiel hierfür sind die Universitäten. Die Gesellschaft der sich gesund ernährenden, sporttreibenden Nichtraucher ist schließlich eine von an die neoliberalen Anforderungen des Marktes angepassten, sich selbst-optimierenden Arbeitskraftbehälter, denen die verbliebene Freizeit dazu dienlich ist, sich möglichst effektiv zu reproduzieren. So stellt es denn auch gar keinen Widerspruch dar, dass in Kneipen und Cafés das Rauchverbot auf Widerstand stieß und versucht wird, es zu umgehen, während die Durchsetzung in Diskotheken von deren Besuchern oftmals selbst besorgt wird. Waren die Ersteren seit jeher ein Reservat des Denkens und des Müßiggangs, ist es dort erfolgreich verdrängt wurden, wo man sich hin begibt, um vor seinen eigenen Gedanken zu fliehen, sich irgend zu beschäftigen, um nicht mit sich selbst, mit anderen oder dem Zustand der Welt sich auseinandersetzen zu müssen.
Da in den Räumlichkeiten, in denen ich den Text aktuell verfasse, striktes Rauchverbot herrscht, muss ein wohlüberlegter Schlusssatz zugunsten einer Zigarettenpause leider entfallen; denn: Eine rauchen wir noch – oder zwei!


1
Dieser Satz brachte Marlene Dietrich in Verlegenheit, die während eines offiziellen Empfangs in London das gesamte Essen über rauchte und so darauf aufmerksam gemacht wurde, dass es unsittlich sei, schon während des Essens zu Rauchen. Vgl.: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-44436989.html.

2
Eine Ausnahme dazu bildet hier, ähnlich wie bei der Herausbildung der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung im Zuge der Trennung von Privatheit und Öffentlichkeit, der ärmste Teil der Bevölkerung, bei dem Rauchen dazu diente, das Hungergefühl zu unterdrücken und so bei Frauen und Männern gleichermaßen praktiziert wurde. In beiden Fällen also war es die Last der Sachzwänge, die die Durchsetzung geschlechtsspezifischer Segregation zumindest verlangsamte.

3
Eine der Forderungen des Vormärz zum Beispiel war die Aufhebung des in Preußen vergleichsweise zu anderen Europäischen Ländern recht spät, nämlich bis 1848 noch geltenden Rauchverbots.

4
Jeder, der ein- oder mehrmals mit dem Rauchen aufgehört hat, weiß deswegen auch von einem ungewohnten Bewegungsdrang zu berichten, der in Zusammenhang damit auftritt.

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