Die ex-linken Gast-Rechten aus Arnstadt

Als im Juni 2015 die CDU in Eisenach gemeinsam mit der NPD – und auf deren Antrag – für die Abwahl der linken Bürgermeisterin stimmte, war der mediale Aufschrei angesichts der Zusammenarbeit von „Demokraten“ mit Faschisten groß. Was in Arnstadt seit dem Jahr 2012 passiert, ist vielfach dramatischer und findet ohne jegliche überregional-öffentliche Wahrnehmung statt. Aus Arnstadt berichtet Nikolai Bucharin.

In den vergangenen Jahren war Arnstadt immer wieder Aufmarschort sowie organisatorisches Drehkreuz von Neonazis. Die Kleinstadt, einige Kilometer südlich der Landeshauptstadt Erfurt, wurde von 1994 bis 2012 von Hans-Christian Köllmer, einem lupenreinen Protofaschisten, regiert und in ihr hat sich eine Öffentlichkeit breit gemacht, die frei ist von humanistischer oder emanzipatorischer Bildung und fortschrittlichem Denken. In diesem Klima der Dummheit, heimatduseliger Enge und der Aufklärungsfeindschaft hatte die örtliche Linkspartei lange Zeit ihren Platz in der Gegenöffentlichkeit, im Widerstand gegen die Seilschaften der Protofaschisten mit den Kader- und Stiefelnazis auf der Straße. Die Linkspartei organisierte Aufklärung gegen die Machenschaften von Hans-Christian Köllmer, seiner Wählergemeinschaft „Pro Arnstadt“, deren Sprachrohr, dem „Arnstädter Stadtecho“ sowie gegen andere Menschenfeinde auch über den Stadtrat hinaus. Erinnert sei an den Widerstand der Linkspartei gegen das antikommunistische Denkmal in der Rosenstraße oder an die Öffentlichkeitsarbeit zur Aufklärung über die ungezählten rassistischen, antisemitischen und allgemein-menschenfeindlichen Ausfälle des Arnstädter Bürgermeisters. Die Arnstädter Linkspartei, das kann man in aller Kürze sagen, stand nicht nur auf der Seite der Antifa. Sie war selber Antifa. Freilich eine andere Antifa als die linksradikal-antideutschen Antifa-Gruppen aus Arnstadt und Südthüringen, aber ein verlässlicher Partner und immer straight gegen die (proto-)faschistischen Exzesse des lokalen Menschenfeindemilieus.

Seit einigen Jahren hat sich das grundlegend geändert. Datieren lässt sich dieser Wandel ausgerechnet mit einem Ereignis, das eigentlich durch alle linken Parteien und Gruppen hindurch als Signal des Wandels im positiven Sinne gedeutet wurde: Der Verbannung der Protofaschisten aus dem Arnstädter Rathaus. Zur Bürgermeisterwahl 2012 schied der Amtsinhaber Köllmer altersbedingt aus dem Amt. Sein designierter Nachfolger, der Pro Arnstadt-Fraktionschef im Stadtrat Georg Bräutigam, verfehlte um 12 Stimmen die Stichwahl. In dieser Stichwahl unterlag der Kandidat der CDU – wohlgemerkt in einer Stadt, die seit der Wiedervereinigung immer rechts gewählt hat – dem linksliberalen Bewerber Alexander Dill, der nun seit 2012 amtiert. Die Wahl Dills ist der Wendepunkt einer konsequenten antifaschistischen Ausrichtung der Arnstädter Linkspartei und Ausgangspunkt ihrer Selbstaufgabe in einem rot-braunen Querfrontsumpf. Doch der Reihe nach. Klären wir zunächst Grundsätzliches.

Wer sind die Protofaschisten aus Arnstadt?

Im Jahr 1994 gründete der von seiner Partei zurückgestellte und in seinem Narzissmus gekränkte Antikommunist Hans-Christian Köllmer mit der freien Wählergemeinschaft „Pro Arnstadt“ eine Rechtsabspaltung der CDU, die auch heute, nach der Regentschaft Köllmers, noch die größte Fraktion im Arnstädter Stadtrat stellt. In jenem Jahr 1994 eroberte der genannte Köllmer in einer Stichwahl gegen den CDU-Bewerber das Amt des Arnstädter Bürgermeisters, das er bis zum Jahr 2012 verteidigen konnte. In dieser Zeit entwickelte sich Arnstadt zur Hochburg des Protofaschismus in Thüringen. Nirgendwo sonst im Bundesland ist heute die AfD so stark wie im nördlichen Ilm-Kreis, wo sie die besten Wahlergebnisse landesweit einfährt und nahezu jeden Landesparteitag ausrichtet. Sie ist hier deswegen eine Macht, weil „Pro Arnstadt“ und ihr Bürgermeister Jahrzehnte der Vorarbeit leisteten. Köllmer galt als Freund des Österreichischen Rechtsaußen Jörg Haider. Aus Köllmers Amtszeit resultieren enge Verbindungen, auch in Form einer aktiven Städtepartnerschaft, von Pro Arnstadt zur FPÖ und nach Kärnten. Und last but not least entwickelte sich im Schatten dieses Milieus ein Zeitungsprojekt, das bundesweit seinesgleichen sucht, ein monatlich kostenlos in alle Haushalte geliefertes Hetzblatt der Neuen Rechten: das Arnstädter Stadtecho. Maßgeblich verantwortlich für dieses Organ des Arnstädter Protofaschismus sind zwei Männer, die sogar den rechten Ex-Bürgermeister noch in den Schatten stellen: Stadtecho-Gründer Hans-Joachim König und der aktuelle Chefredakteur und Pro Arnstadt-Fraktionsvize im Stadtrat Stefan Buchtzik. Beide geben ein durch und durch geschichtsrevisionistisches, rassistisches und antisemitisches Monatsblatt heraus, das die lokale Unternehmerschaft wissentlich1 durch ihre Anzeigen finanziert. In diesem Blatt wird die deutsche Kriegsschuld relativiert, eine jüdische Weltverschwörung herbei halluziniert, über „alliierte Kriegsverbrechen“ in Dresden schwadroniert, die nationalsozialistische Rassenlehre mit pseudowissenschaftlichen Studien über vermeintliche jüdische Gene tradiert, es werden die Zusammenkünfte von Holocaustleugnern beworben, und ganz allgemein Gegenaufklärung im großen Stil und unter dem Deckmantel einer unverfänglichen „Stadt- und Heimatzeitschrift“ (Selbstbezeichnung) betrieben. Wer für diese Behauptungen Belege braucht, findet sie in Massen auf der Homepage und den Veröffentlichungen der Antifa aus Arnstadt und jener Linkspartei aus alten Tagen.2 Dass sich die Zusammenarbeit mit Antisemiten und Rassisten verbietet, war daher auch das Selbstverständnis der lokalen Linkspartei. Bis zum Jahr 2012.

Rein in die rot-braune Querfront: Die Anti-Dill-Kampagne

Im Jahr 2012 gewann der parteilose, durch ein linksliberales Milieu unterstützte Alexander Dill die Wahl zum Arnstädter Bürgermeister. Er löste den Nazifreund Hans-Christian Köllmer im Arnstädter Rathaus ab. Damit war die offensichtliche Kumpanei der Arnstädter Stadtführung mit organisierten Neonazis zu Ende. Von nun an stand der Bürgermeister, statt als stiller Unterstützer hinter den Faschisten, auf der anderen Seite der Hamburger Gitter. Im Stadtrat dagegen machte Dill, glaubt man den Schilderungen der Linkspartei, keine gute Figur. Die Partei und ihr voran der Fraktionschef Frank Kuschel, der auch um das Jahr 2012 herum Steffen Dittes ablöste, wirft Dill vor, selbstherrlich zu regieren, sich der Zusammenarbeit mit dem Stadtrat zu entziehen, unwirtschaftlich und undemokratisch zu agieren und die soziale und kulturelle Struktur der Stadt zu zerstören. Die SPD und die Bürgermeisterfraktion „Bürger Projekt Arnstadt“ sehen das ganz anders und verstehen den Aufstand der Linken und vor allem die Zusammenarbeit mit „Pro Arnstadt“ nicht. Jene Linkspartei schmiedete nämlich unter der Führung Kuschels ab 2013/14 ein Bündnis der anderen Art, mit Konservativen und Protofaschisten. Dieses Bündnis organisierte gegen Dill, was die Linke, trotz des jahrelangen Widerstandes gegen Köllmer, bisher nie vermochte: eine riesige Kampagne für die Abwahl des Bürgermeisters mit ungezählten Veranstaltungen, einer eigenen Zeitschrift und einem Kampagnenblog. Die Berührungsängste gegen die Protofaschisten von „Pro Arnstadt“ schmolzen vollständig dahin. Am 19. Januar 2016 bewarb das Dreierbündnis von Linke, „Pro Arnstadt“ und CDU eine Bürgerversammlung auf der, wie auf dem Plakat beworben, neben anderen Stadträten auch Stefan Buchtzik, Chefredakteur des völkischen Monatsblattes, als Mitinitiator zu Wort kam und sich auf einer Art Podium neben Jens Petermann, Stadtratsmitglied und ehemaliger Bundestagsabgeordneter der Linkspartei, platzierte. Bedarf es weiterer Belege für die rot-braune Querfront? Im Herbst 2015 führte dieses Bündnis dann letztendlich ein Abwahlverfahren gegen den Bürgermeister herbei, welches zwar eine Mehrheit in der Stadt fand aber am nötigen Quorum bzw. der fehlenden Wahlbeteiligung scheiterte. Gegen dieses Bündnis und seine Machenschaften protestierte neben der Bürgermeisterfraktion einzig noch die Arnstädter SPD.

Konsequent: Sahra Wagenknecht kommt nach Arnstadt

Das neue Bündnis mit dem AfD-Vorläufer „Pro Arnstadt“ hätte durch keine Maßnahme stärker unterstrichen werden können als durch die Einladung der „heiligen Johanna der neuen deutschen Nationalbewegung“1, Sahra Wagenknecht. Wagenknecht sprach am 28. September 2016 auf Einladung des Stadtverbands der Linkspartei dort, wo auch die AfD, das Arnstädter Stadtecho und der Bund der Vertriebenen (BdV) tagen, im Kloßhaus „Goldene Henne“ auf dem Arnstädter Riedplatz. In der Vergangenheit machte die Nationalbolschewistin Wagenknecht vor allem dadurch Schlagzeilen, dass sie als Fraktionschefin der Linken im deutschen Bundestag in flüchtlingspolitischen Fragen der AfD den Rang ablief und der eh schon gebeutelten Flüchtlingssolidarität in Deutschland einen Tiefschlag nach dem anderen versetzte. Unvergessen ist ihr einträchtiges, Gemeinsamkeiten signalisierendes Interview mit der AfD-Chefin Frauke Petry am 2. Oktober 2016 in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung und ihre Äußerung, Flüchtlinge, die in Deutschland straffällig würden, hätten ihr „Gastrecht“ verwirkt. Das Menschenrecht auf Asyl, in Deutschland verankert im bis zur Unkenntlichkeit ausgehöhlten Grundrecht auf Asyl (Art. 16a), zu einem „Gastrecht“ zu degradieren, das man durch Ladendiebstahl verwirken sollte; auf solche widerlich-rassistischen Dummdreistigkeiten kam man bisher nur im Umfeld von AfD, Pegida und Konsorten. In einem Kommentar aus dem Spiegel, an dessen Titelgebung sich mein Text bediente, sprach man folgerichtig von der Gast-Rechten Wagenknecht. Dass es sich bei Wagenknecht allerdings lediglich um eine Gast-Rechte handelt, dieser Aussage widerspreche ich. In Arnstadt sprach die Frau über „Reichtum ohne Gier“. Hier wären wir bei einem weiteren Einschlag Wagenknecht‘scher Rechtslastigkeit. Die Frau, die viele als ganz linke Linke, als Kritikerin des Kapitalismus missverstehen, gehört zu jenen, die am Kapitalismus die Gier der Kapitalisten, das Gewinnstreben und die vermeintliche Amoralität der Bänker und Spekulanten kritisiert, statt den Kapitalismus wie Marx als ein System zu kritisieren bei dem die Personen lediglich „Personifikationen ökonomischer Kategorien“ sind – was Marx, das Elend der Deutschlinken antizipierend, weitsichtig im Vorwort zum ersten Band des Kapitals festhielt. Marx kritisiert nicht die Akteure der Kapitalfraktion für angebliches Fehlverhalten und fordert Besserung, sondern er analysiert eine kapitalistische Handlungsrationalität, der die Akteure folgen, die Logik der Verwertung über die die Einzelnen nichts vermögen. Wer nun für die Negativfolgen kapitalistischer Verwertung (Krisen) einzelne Akteure verantwortlich macht, bedient sich einer strukturell antisemitischen Argumentation, die in den Juden die Verantwortlichen für die Verheerungen kapitalistischer Verwertung ausmacht und in letzter Konsequenz zu exekutieren sucht. Die Wagenknecht-Linke und die AfD teilen also mehr als grundlegende Auffassungen in den Abgründen flüchtlingspolitischer Menschenfeindschaft, sie teilen eine Weltanschauung, die auf die Krise des Kapitals mit rassistischer und antisemitischer Mobilmachung reagiert statt mit Aufklärung und Solidarität.

Appeasement mit dem „Arnstädter Stadtecho“

Schon im Wahlkampf 2012 machte der damalige Bürgermeisterkandidat Alexander Dill unmissverständlich klar, dass er mit Publikationen wie dem völkischen „Arnstädter Stadtecho“ nichts zu schaffen haben will. An der Stelle, wo ein Interview mit dem Bürgermeisterkandidat vorgesehen war, fanden sich im Hetzblatt weiße Seiten – übrigens auch da, wo die Interviews mit den Kandidaten von Linkspartei und SPD stehen sollten. Im Jahr 2012 war man sich links der CDU einig, dass dieses Hetzblatt weg muss. Schon im Vorfeld gab es einen von der Antifa und einen vom Bündnis gegen Rechts organisierten Boykottaufruf gegen das Stadtecho. Beide wurden an die Finanziers, dutzende Arnstädter Gewerbetreibende, verschickt. Und tatsächlich stand das Stadtecho in den folgenden Monaten und Jahren vor großen Problemen, die darin gipfelten, dass Anfang des Jahres 2015 die flächendeckende Verteilung durch den Allgemeinen Anzeiger und dessen Verteilersystem gekündigt wurde. Das Stadtecho stand vor dem Aus. Die Möglichkeit nachzutreten und dem Hetzblatt jetzt weitere Finanziers abspenstig zu machen, ließ man seitens der Linkspartei ungenutzt. Ganz im Gegenteil. Die Zeichen stehen auf Appeasement. In der Ausgabe vom September 2016 holte Frank Kuschel nach, was für ihn als Bürgermeisterkandidat von 2012 nicht denkbar war. Er gab dem Stadtecho ein Interview. Seine Stadtratskollegin und Genossin Judith Rüber ließ in selbiger Ausgabe eine persönliche Erklärung gegen die Politik Alexander Dills abdrucken. Warum geht heute, was 2012 nicht ging? An der Läuterung der Protofaschisten des Stadtechos liegt es sicher nicht, die betreiben heute die selbe Blattpolitik wie früher bzw. gelingt es den Machern hier und da noch eins drauf zu setzen. Vielmehr scheinen die Gründe in der Zusammensetzung der Arnstädter Linken zu liegen. Im Bürgermeisterwahlkampf 2012 waren zwei Linke für die Partei aktiv, die es heute in andere Gemeinden verschlagen hat und die die heutige Politik des Stadtverbands, so schätze ich, mit Krämpfen zur Kenntnis nehmen müssen: Sabine Berninger und Steffen Dittes. Nachdem beide den Stadtrat bzw. den Stadtverband verließen, begann die Zusammenarbeit mit den Protofaschisten, insbesondere die mit dem völkischen Monatsblatt und seinen Herausgebern – ein Affront gegen frühere Einsichten und die letzte Gewissheit darüber, dass aus dem Tauwetter, das 2012 seinen Anfang nahm und das in der Anti-Dill-Kampagne in einem Sommer rot-brauner Kumpanei mündete, eine feste Zusammenarbeit von Linken und Protofaschisten wurde. Ein Fall für die Arnstädter Antifa von der man in Sachen Kritik dieser rot-braunen Querfront in den vergangenen Monaten zu wenig mitbekam.


1
Wer nach zwei Boykottaufrufen mit Aufklärung über die Machenschaften und Inhalte des Stadtechos die Menschenfeinde immer noch durch bezahlte Inserate unterstützt, unterstützt sie wissentlich.

2
Vgl. www.agst.afaction.info (Einfach in die Suchleiste „Stadtecho“ eingeben)

3
Vgl. Rainer Trampert: Sahra Wagenknecht und die völkische Selektion. In: Konkret, September 2016. http://bit.ly/2bxs2me

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