Plädoyer gegen das Rauchen in linken Räumen

Ein Beitrag von K. Eine nervige Realität ist das Rauchen in linken Räumen, deshalb hier eine Antwort auf den Artikel in der vorletzten Lirabelle (#13) „Ein Plädoyer für‘s Rauchen“ (sic!) von D. Selbige_r versteht es ausgezeichnet, eine Diskursverschiebung vorzunehmen, indem sie_r fünf Seiten über Rauchen schreibt ohne diese Problematik auch nur zu streifen. Das soll nun nachgeholt werden.*

Das Problem ist einfach und schon tausendfach beschrieben: Auf vielen Partys, Konzerten, Plenas in linken Räumen rauchen Menschen rücksichtslos und beeinträchtigen damit andere Anwesende* oder schließen sie komplett von diesen Partys, Konzerten, Plenas aus. Die Lösung, dass alle partizipieren können ist einfach: Nicht zu Rauchen, 5 Minuten rauszugehen und dort zu rauchen oder in extra eingerichteten Raucher*innen-Räumen.
Politische Gründe dafür, mit dem Rauchen zu beginnen, gibt es jedoch nicht. Versuchen wir mal auf die angeführten Argumente von D. einzugehen: Das erste ist, dass Rauchen schon jahrhundertelange Tradition habe und daher zu erhalten sei. Jedoch bloß weil etwas alt ist, ist es nicht per se etwas Positives. Antisemitismus etwa hat auch eine jahrhundertelange Tradition und ist dennoch nicht begrüßenswert.

Rauchen: Herrschaftsaffirmativ oder -destabilisierend?

Dann wird die Behauptung hinzugefügt, dass Rauchen doch gegen den Geschmack der Herrschaft verstieße und dies positiv konnotiert. Aber auch hier gilt: Bloß weil etwas gegen den Geschmack der Herrschenden verstößt, ist dies nicht automatisch etwas Positives. Die NPD gefällt niemanden von SPD bis AfD und ist dennoch nichts Positives. Die deutsche Wirtschaft (TM) ist besorgt über Pegida und rassistische Brandanschläge, doch auch die „besorgten Bürger“ sind nichts Emanzipatorisches.
Historisch betrachtet ergibt sich zudem ein differenzierteres Bild. Während sich in der NS-Zeit der Erfurter Polizeipräsident an alle „Volksgenossen“ wandte, auf der Straße rauchende Frauen zur Rede zu stellen und an ihre Pflichten als deutsche Frau und Mutter zu erinnern sowie der früher kettenrauchende „Führer“ sich nun in dieser Funktion strikt gegen das Rauchen aussprach, wurde dies andererseits von führenden Nazis begrüßt. Langels fragt zutreffend: „Warum sollte sich das Volk in Verzicht üben, während der Raucher Joseph Goebbels, der Morphinist Hermann Göring und der ‚Reichstrunkenbold‘ Robert Ley ihren allgemein bekannten Lastern frönten?“1 Mithin sorgte der Reichspropagandaminister als Gauleiter von Berlin mit Sonderzuteilungen und Produktionssteigerungen dafür, dass Warteschlangen an Tabakgeschäften wegkamen. Diese hielt er für Brutzellen der Meckerei, was zeigt, dass kritisches Denken auch möglich ist, ohne sich dafür zu sedieren. Hinzu kommt, dass die Tabakkonzerne allesamt systemtreue Anhänger der Nazi-Bewegung waren und diese sich nicht die reichlich sprudelnden Tabaksteuern entgehen lassen wollte – allein im Fiskaljahr 1937/38 eine Milliarde Reichsmark.2
Auch heute noch nimmt das „geläuterte“ Deutschland 14 Milliarden Euro Tabaksteuer jährlich ein, um damit direkt die Bundeswehr oder die abstruse Exzeption für energieintensive Firmen bei der Ökosteuer zu finanzieren. Hier nützt also das Rauchen dem kapitalistischen, bürgerlichen Staat. Da es die Lebenserwartung eines Menschen um 10 Jahre verkürzt, spart der Staat Milliarden in der Renten- und Pflegeversicherung.

„Jemandes Freiheit endet dort, wo die Freiheit eines Anderen beginnt.“ (Harriet Taylor Mill)

Dennoch soll gar nicht bestritten werden, dass das Rauchen gleichzeitig auch den Interessen des Staates zuwider läuft: Zu Lebzeiten der Raucher*innen sind deren Gesundheitskosten signifikant höher und ihre Arbeitskraft fällt öfter aus. Tatsächlich wird von Krankenkassen und Gesundheitspolitiker*innen eine Biopolitik betrieben, die versucht Menschen vom Rauchen abzubringen oder zu verhindern, dass sie überhaupt erst anfangen, um die Bevölkerung in eine sich selbst disziplinierende Produktionsmaschine (Focault) zu transformieren.
Was hat das jetzt mit Rauchen in linken Räumen zu tun? Nichts. Nichtrauchende Menschen haben hier nichts dagegen, wenn die Raucher*innen draußen vor der Tür rauchen – die Verfechter*innen der beschriebenen Biopolitik schon. Ziel des Staates – da hat D. recht – sind sich selbst optimierende Arbeitskraftbehälter – Ziel von Menschen, die in linken Räumen vom Rauchen negativ betroffen sind, jedoch nicht.

Das muss man doch noch mal rauchen dürfen!?

Das andere Argument im Lirabelle-Text soll sein, dass Rauchen positiv sei, weil es verbunden mit Kaffee die „besten Voraussetzungen für im Sitzen verrichtete Kopfarbeit“ biete und gleichzeitig ein subversiver Bruch mit „sich selbst optimierenden Arbeitskraftbehältern“ sei. Das ist schon ein Widerspruch in sich – geht es nun darum die besten Voraussetzungen für das Arbeiten zu schaffen oder nicht? Oder will D. hier Akademiker*innen aus der Masse der sich selbst optimierenden Arbeitskraftbehälter ausnehmen? Kneipen werden als emanzipatorische Denkorte konstruiert und wieder einmal drei Viertel der Analyse unter den Tisch fallen gelassen, man sucht sich Stammtischparolen gemäß dem Ausschnitt der Wirklichkeit, der zurecht geformt, den eigenen Interessen zupass kommt. Zum Beispiel wird außer Acht gelassen, wer überhaupt Zugang zu Kneipen und Cafés hat und wer aufgrund klassistischer und rassistischer Diskriminierung nicht. Apropos Stammtischparolen – mit der Rauchpropaganda macht man sich auch gut mit der „liberalen Bürgerrechtspartei“ AfD gemein, bejammert diese doch auch „staatliche Aufseher oder Tugendwächter“ über das Rauchen und deklamiert: „Die Bürger bzw. Verbraucher können selber entscheiden, ob sie ein solches Lokal bzw. ein solches Volksfest besuchen wollen oder nicht.“ Dass dies sowohl im bürgerlichen als auch in linken Räumen einen massiven Ausschluss von Leuten bedeutet, denen es nicht gefällt oder die den Qualm nicht ertragen, verschweigen beide. Von Asthmatiker*innen, Allergiker*innen und Kindern gar nicht erst zu reden. Dass diese dann von dem Spaß oder der Beteiligung an Entscheidungen ausgeschlossen sind, kümmert die egoistischen Raucher*innen selbstredend nicht, geht es doch um Macht, darum sich einen Raum anzueignen. Wie verlockend, bei all der Ohnmacht in anderen Bereichen des Lebens.
Eine vermeintliche Ausnahme von der Rücksichtslosigkeit ist regelmäßig zu beobachten, wenn sich für die Raucher die Gelegenheit bietet, ihrem Paternalismus zu frönen: Wenn eine vermeintlich oder tatsächlich schwangere Person den Raum betritt, machen sie eilfertig ihre Zigarette aus oder verlassen den Raum, nicht ohne alle Anwesenden aufmerksamkeitsheischend darauf hinzuweisen, wie verantwortungsvoll sie gerade handelten.
Und wir wären nicht in Deutschland, wenn im Lirabelle-Artikel nicht noch eine Sortierung in gute und schlechte Raucher*innen vorgenommen würde. Wie kann man nur eine nikotinfreie E-Zigarette rauchen! Gut sind nur selbstgedrehte Zigaretten und – um sich vom billigen Pöbel abzuheben – Pfeifen, wie etwa bei den Falken zu sehen. Der eine „einwandfreie nationalsozialistische Haltung“4 innehabende Oberleutnant der Wehrmacht und spätere Bundeskanzler Helmut Schmidt dient da selbstredend als das politische Idol für die weichgespülten Juso-Pendants. Der seine jüdische Abstammung verleugnende rücksichtslose Überallqualmer Schmidt zeigte aber nichts anderes als die Vermachtung auch dieses Lebensaspektes.
Genau deshalb darfst du als „Zecke“ oftmals in einer Polizeikontrolle nicht rauchen – nicht weil du Raucher*in bist – sondern weil du „Zecke“ bist. (Ähnlich ist es mit Alkohol, während dieser bei linken Demos regelmäßig verboten ist, rennt bei der AfD-Demo jeder zweite damit rum.) Und weil sich Raucher*innen erpressbar machen, ist regelmäßig das erste, was ein Polizeikommissar bei einem Verhör anbietet: eine Zigarette. Dieses Spiel gilt es zu durchbrechen.

Zugabe: Kleiner Exkurs zu den Produktionsbedingungen

Versuchen viele Linke noch bis in den letzten Winkel ihr Leben BioFairRevolutionär-Trade zu gestalten, legen ihr Geld bei der Ethikbank an, trinken zapatistischen Kaffee, boykottieren Amazon und trinken kein Rüstungsbier von Dr. Oetker, scheint das beim Rauchen plötzlich nicht mehr zu gelten. Hier wird jede Scheu beiseite gelegt um den eigenen Rausch zu frönen. Dabei wird die Ausbeutung der Armen verdrängt.
Wie funktioniert diese? In Ländern wie Kenia, Brasilien oder Bangladesch diktieren die Rohtabakfirmen mittellosen Bäuer*innen einen Kreditvertrag mit vielen AGBs und Fußnoten. Diese bekommen Land und Gerätschaften, mit denen sie den Tabak produzieren. Zur Ernte kommt die Firma und sagt: „Och, der Tabak hat aber eine schlechte Qualität – da kann ich nicht so viel für bezahlen.“ und denkt: ‚Gut, dass ich außerdem mit den anderen Rohtabakfirmen Preisabsprachen getroffen habe.‘ Folge: Die Rückzahlung der Kreditverträge wird verunmöglicht, die Kinder können nicht lernen oder spielen, weil sie auf dem Feld mitarbeiten müssen und alle werden krank durch den permanenten Kontakt mit Pestiziden! Da man Tabak nicht essen kann, breitet sich Hunger aus. Flächen, auf denen Mais oder Zuckerrohr angebaut werden könnten, gehen verloren und Regenwälder werden gerodet.5
Nun könnte mensch ja sagen, es wäre besser, wenn Fairtrade-Tabak geraucht würde.
Das ist leider auch ambivalent: Zum einen wäre dies wirklich eine konkrete Verbesserung der Lebensbedingungen der Betroffenen, zum anderen nur eine Verkretschmannisierung der Gesellschaft, also eine Verfestigung der kapitalistischen Strukturen, so wie es schon Bismarck mit seinen Sozialreformen intendiert hat. Tatsächlich ist im Status quo fair produzierter Tabak nur eine Ausnahme, weil Raucher*innen gar nicht so weit denken, sondern vor allem eines wollen – ungestört rauchen – weshalb sie beispielsweise auch die Warnungen auf ihren Packungen zukleben. Zudem wird das offizielle Fairtrade-Label nicht vergeben, weil die Umweltbilanz des Rauchens so verheerend ist, angefangen von gerodeten Regenwäldern vor der Produktion bis hin zu verseuchten Weltmeeren nach dem Konsum und andererseits sollen bessere Produktionsbedingungen wohl lediglich bei der Marke Yuma (leider inzwischen insolvent) und nur eventuell einer Produktlinie der Marke American Spirit vorliegen. Apropos: das Logo von letzterer kennen ja auch viele und sonst ist Kolonialismus in der linken Szene nicht so gern gesehen; hier scheint es nur regelmäßig niemensch zu stören, wenn Leute in so genannten Freiräumen dieses auf den Tisch knallen um sich eine zu drehen. Hier kommen sie auch nicht auf die Idee, das Bild abzukleben. Wieso Kolonialismus? Weil eine weiße Firma mit dem Bild eines Native Americans für angeblich „natürlichen“ Tabakgenuss wirbt und damit ziemlich erfolgreich Profit macht. Dabei wird bewusst eine falsche Tradition impliziert; tatsächlich haben die Native Americans nicht Kette geraucht, sondern meist nur in einem heiligen Ritual und das, was gemeinhin als „Tabak“ übersetzt wird, war sehr oft eine Mischung aus Sweetgrass, Salbei, roter Weidenrinde und Echter Bärentraube.6
So, angewidert wende ich mich von dem Thema ab.
Rauchen ohne Ausbeutung ist erst wieder im Kommunismus möglich, selbstredend ohne dass Andere wider Willen vollgequarzt werden.


Lesetipp: http://rauchsport.blogsport.de

* Teile des Teasers waren beleidigend und unsachlich, darum hat die Redaktion den Teaser geändert.

1
http://www.deutschlandfunk.de/drittes-reich-ambivalentes-verhaeltnis-gegenueber-tabak-und.1310.de.html?dram:article_id=340955 vom 28.12.2015

2
http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-8654000.html vom 10.02.1997

3
z.B. AfD-Stadtverband Düsseldorf, https://afddueren.wordpress.com/2014/01/02/1183/

4
Beurteilung seines Wehrmachtsvorgesetzten, https://de.wikipedia.org/wiki/Helmut_Schmidt

5
Siehe unfairtobacco.org, every tobacco is unfair tobacco, dt. + engl.

6
Siehe Maureen Trudelle Schwarz, Fighting Colonialism with Hegemonic Culture, S. 73ff.

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