In Suhl errichtete eine NS-verharmlosende Einheitsfront von der CDU bis zur Linkspartei ein Denkmal für NS-Aktivisten und ein ehemals alternatives Zentrum schafft sich ab. Ox Y. Moron berichtet von zwei Entwicklungen in der Thüringer Kleinstadt, die auf den ersten Blick miteinander gar nichts zu tun haben mögen.
Einzigartig in Deutschland: Erinnerungsstätte für NSDAP-Aktivisten
Am 26. Mai 2016 beschloss der Suhler Stadtrat fast mit Einstimmigkeit, bei nur drei Enthaltungen aus der Linksfraktion (die Linkspartei verfügt über zwölf Mandate, die SPD sechs), auf dem Suhler Hauptfriedhof einen Gedenkstein für die Inhaftierten des sowjetischen Speziallager II in Buchenwald zwischen 1945 und 1950 mit der Inschrift „Die Stadt Suhl gedenkt der Bürger ihrer Stadt, die im sowjetischen Speziallager Nr. 2 in Buchenwald und in anderen Lagern der Alliierten unschuldig gelitten haben oder zu Tode gekommen sind“ einzurichten. Die Initiative, die Suhls Oberbürgermeister Jens Triebel (parteilos) als in Deutschland einzigartig feierte, stieß nicht nur auf Kritik bei der lokalen Antifa und dem Thüringer Verband der Verfolgten des Naziregimes – nebenbei bemerkt die einzigen lokalen Akteure, die protestierten –, sondern löste auch bei der Gedenkstätte Buchenwald Entsetzen aus. Der Leiter der Gedenkstätte Volkhard Knigge sprach gegenüber der Suhler Lokalzeitung von Geschichtsklitterung, wenn man die Inhaftierten als „Unschuldige“ freispreche und intervenierte gegen den Vergleich westlicher Kriegsgefangenenlager mit dem sowjetischen Speziallager II. Die Stadt gab sich nach der Kritik aus Buchenwald zunächst reumütig und gesprächsbereit. Einige Monate später war klar: alles Makulatur. Der Stein für die „Unschuldigen“ wurde im beschlossenen Wortlaut produziert und gesetzt, direkt neben der Gedenktafel für „die Opfer von Vertreibung und Flucht“.
Abgesehen von der grundsätzlichen Frage, wie nach dem staatlich-gelenkten, systematischen Massenmord an Millionen Menschen, gedeckt durch eine bis zum letzten Blutstropfen für den Führer brennende Volksgemeinschaft, irgendwer aus diesem Mordkollektiv als „unschuldig“ bezeichnet werden könnte, schauen wir uns im Konkreten an, was es mit dem Speziallager II in Buchenwald wirklich auf sich hatte und was an der durchschaubaren Verharmlosung der dort Inhaftierten sowie der Klassifizierung als „Sowjet-KZ“ (Freies Wort vom 15. September 2016) wirklich dran ist.
Das Speziallager II in Buchenwald
Das Gelände des KZ Buchenwald wurde von den amerikanischen Alliierten, die Buchenwald im Nachgang eines Häftlingsaufstandes am 11. April 1945 befreiten, im Zuge ihres Abzuges aus Thüringen, das dem sowjetischen Machtbereich im Austausch für Berlin zuschlagen wurde, ab August 1945 an die sowjetischen Besatzungstruppen übergeben. Die sowjetische Militäradministration errichtete mit dem Speziallager II auf dem Gelände des ehemaligen KZ Buchenwald ein Gefangenenlager für politische Gefangene. Die hier Inhaftierten waren zum überwiegenden Teil – Knigge spricht von 80 Prozent – in das NS-System verstrickt. Aus Suhl waren hier NSDAP-Ortsgruppenleiter, -Zellenleiter und -Blockleiter, bekannte NS-Aktivisten aus SS und Gestapo und ehemaliges Personal der NS-Arbeits- und Vernichtungslager inhaftiert. All das sind die „Unschuldigen“, denen die Stadt Suhl nun höchstoffiziell auf ihrem Hauptfriedhof gedenkt. Außerdem – auch das gehört zur Wahrheit dazu – inhaftierte die sowjetische Militäradministration im Speziallager II später auch Gegner des im Entstehen begriffenen SED-Regimes, die mit den Faschisten nichts zu schaffen hatten bzw. selber Gegner des Faschismus waren sowie Menschen, die man der Kollaboration mit den Westalliierten beschuldigte. Sie waren im Speziallager II aber in deutlicher Minderheit. Nur ein Bruchteil der Insassen saß also „unschuldig“ ein.
Das Speziallager war auch kein Arbeits- oder Vernichtungslager, das die Sowjets einfach weiterführten, wie die Suhler Lokalzeitung Freies Wort mit der vielsagenden Bezeichnung „Sowjet-KZ“ suggerierte. Vielmehr bestimmte den Häftlingsalltag die Abwesenheit jedweder Beschäftigung, das Warten auf Strafprozesse und die Isolation von der Außenwelt. 7.000 der 28.000 dort Inhaftierten, darunter auch acht Personen aus Suhl, starben durch unzureichende Ernährung und Folgeerkrankungen. Einige wurden auch in sowjetische Gulags verbracht.
Die von Revisionisten wie der Lokalzeitung „Freies Wort“ bemühte und im Suhler Denkmal nahegelegte Schlussfolgerung, dass es sich hier angesichts der Totenzahlen um ein Vernichtungslager unter sowjetischer Aufsicht gehandelt habe, ist von der Forschung längst widerlegt worden. Das Massensterben im Speziallager II ist nicht durch eine gezielte Lagerpolitik – wie sie etwa die Deutschen betrieben – herbeigeführt worden, sondern im Zuge der Gesamtsituation billigend in Kauf genommen worden. Die Kürzung der Nahrungsrationen Ende 1946 beispielsweise, die eine Vielzahl von Toten forderte, ist auf die schwere Versorgungskrise im selben Zeitraum in der UdSSR und der sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zurückzuführen. Die Nahrungsrationen der Gefangenen entsprachen den niedrigsten Vergabenormen an die Bevölkerung in der SBZ.1 Die nicht inhaftierte Bevölkerung – das sei angemerkt – konnte sich zusätzlich durch Subsistenzwirtschaft über Wasser halten, was den Inhaftierten nicht möglich war.
Auch zu gezielten Tötungen durch die Wachtruppen kam es im Lager nur in Ausnahmefällen, etwa bei Fluchtversuchen. Unter der Ägide der SS waren solche gezielten Tötungen nicht die Ausnahme, sondern Alltag. Im Jahr 1950 schloss das Lager. Die Häftlinge wurden in andere Haftanstalten verlegt oder freigelassen. In den Haftlagern der Westalliierten – ebenso Gegenstand der Gedenktafel – gab es nicht annähernd derartig humanitäre Krisen wie in Buchenwald, weshalb die Todesquoten nur einen Bruchteil betrugen2 und sich das Interesse hinter dem Suhler Denkmal nur noch deutlicher entlarvt: die späte Abrechnung mit den Siegern, denen man nicht verziehen hat, dass sie die Deutschen und ihre „Hilfsvölker“ einst stoppten.
Erinnerungskultur made in Suhl
Die Verharmlosung von NS-Verbrechern in Suhl hat Tradition. So zeigen etwa die städtischen Gedenkriten zum 8. Mai deutlich die schäbige Erinnerungskultur der Stadt. Beim von der Stadt organisierten Rundgang auf dem Hauptfriedhof3 wird an unterschiedlichsten Stationen Halt gemacht: dem Denkmal für die ermordeten Widerstandskämpfer und Juden genauso wie am Denkmal für die sogenannten „Vertriebenen“ und im Kampf gegen die Zivilisation gefallenen Wehrmachtssoldaten, die vermeintlich „sinnlos bombardierten“ (O-Ton) Bombentoten und neuerdings dann auch den Mördern, die im Speziallager II inhaftiert waren. In der Suhler Gedenkkultur haben alle ihren Platz: die Gemeuchelten, die Vergasten, die Erschossenen, die zu Tode Gefolterten, die durch Arbeit Vernichteten und eben ihre Mörder. Im konkreten Suhler Fall werden also jene, die für die faschistische Ordnung in den Städten und Gemeinden zuständig waren – Block-, Zellen- und Ortsgruppenleiter der NSDAP –, die die Suhler Juden und Antifaschisten denunzierten und in den Tod schickten, in den selben Gedenkzirkus einbegriffen wie ihre Opfer.
Das konkrete Erinnern ist einer abstrakten Mahnung vor „dem Krieg“ gewichen, in der auch jede konkrete Verantwortung untergeht. So verwandeln die Verantwortlichen der Stadt Suhl Geschichte in Geschichtsverlust, geben das konkrete Verbrechen, seine Ursachen, Verantwortlichkeiten und seine fortbestehenden Möglichkeitsbedingungen dem Vergessen preis und machen die Warnung Adornos wahr: „Die Ermordeten sollen noch um das einzige betrogen werden, was unsere Ohnmacht ihnen schenken kann, das Gedächtnis.“
„Schwamm drüber“, denkt sich die Suhler Einheitsfront gegen die Reste von Vernunft und politischem Anstand. Und für solche Unverschämtheiten bedarf es keiner Neonazis. Sie sind nicht von Tommy Frenck, Patrick Schröder oder der AfD inspiriert, sondern von Linkspartei, SPD und all den anderen Stadtratsparteien.
Die Rechtsalternativen aus Suhl
Apropos Vernunft und politischer Anstand von Leuten, die sich gerne als Antifaschisten labeln. Missstände in diesem Bereich gibt es nicht nur auf Friedhöfen der „Seniorenstadt Suhl“ (MDR Aktuell), auch im erweiterten Jugendbereich der Stadt werden die Gräben zwischen Menschenfeinden und ihren Gegnern von vermeintlichen Linken zugeschüttet. Das Grüne Haus in Suhl war viele Jahre das einzige linke (Jugend-)Zentrum in Thüringen südlich des Rennsteigs und hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: von der Besetzung, zur Legalisierung durch die Stadt, zum städtischen Jugendclub bis zur Selbstverwaltung über einen Verein. In den letzten Jahren gab es nicht nur finanzielle Probleme, das Haus stand auch immer wieder im Verruf sich gegenüber rechtsoffenen Milieus (Grauzone) geöffnet zu haben.4 Gegen diese Öffnung und den entsprechenden Ruf engagierten sich im Haus ab dem Jahr 2015 bis Ende 2016 verschiedene antifaschistische Projekte aus der Stadt und der Region. Sie sorgten damit nicht nur für die finanzielle Konsolidierung, sondern auch für eine mehr oder weniger strikte antifaschistische Politik an der Clubtür. Das missfiel einem Teil des alteingesessenen Punk- und Oi-Milieus so stark, dass es immer wieder zu Reibereien kamen, die letztlich zum Ausstieg der progressiven Kräften aus dem Projekt führten.
Wenn in Leipzig-Connewitz, Dresden-Neustadt oder in irgendwelchen Punk- und linke Szeneläden in Berlin oder anderen größeren deutschen Städten mit entsprechender Szene, Leute in genannte Projekte gehen, von denen allseits bekannt ist, dass sie mit Nazis saufen und demonstrieren oder Shirts von irgendwelchen rechtsoffenen Bands zeigen, geht’s mit Arschtritt vor die Tür. Im bis dahin einzigen Punkschuppen in der größten Stadt Südthüringens bedurfte der Rausschmiss rechtsoffener Milieus in den vergangenen Jahren nicht selten zäher Diskussionen zwischen Antifas und der Hauscrew, die die Nazifreunde aus unterschiedlichen Gründen auch toleriert hätte und schon toleriert hat. Einer der beliebtesten lautete immer: Das ist der Freund/die Freundin von dem oder der (gestandener Gast des Hauses), für den könne man bürgen. Zu Recht hat die Antifa darauf bestanden, dass Rassisten und andere Arschlöcher vor die Tür gesetzt werden. Das ganze ging auch knappe zwei Jahre mehr oder weniger gut, bis sich im Herbst 2016 im Grünen Haus wieder die alten Verhältnisse, die der Location in der Vergangenheit den Ruf eines Grauzone-Schuppens einbrachten, durchsetzten. Auf einer Mitgliederversammlung am 11. November 2016 führten die antifaschistischen Initiativen und Projekte im Grünen Haus auf der Mitgliederversammlung eine Abstimmung über den Umgang mit rechtsoffenen Milieus herbei und unterlagen. Von nun an war es per Mitgliederentscheid amtlich: Das Grüne Haus Suhl revidiert einen älteren Beschluss und gewährt nun mit Rückendeckung der Vereinsmehrheit rechtsoffenen Milieus Einlass. Die bis dahin im Haus aktiven antifaschistischen Gruppen und Projekte erklärten daraufhin, sich aus dem Grünen Haus zurückzuziehen. In einer Erklärung vom 23. Dezember 2016, unterschrieben von der Antifa Suhl/Zella-Mehlis, der KüfA Suhl, LFWP Suhl (Konzertgruppe), Thüringenpunk, dem southside kollektiv und Einzelpersonen, heißt es:
„Eine weitere Zusammenarbeit unter diesen Umständen mit dem Verein ist für uns nicht tragbar. Nicht nur die Grauzone ist das Problem. Immer wieder werden Vereinsmitglieder mit stadtbekannten Neonazis im Stadtzentrum angetroffen. Es kam zu verbalen Auseinandersetzungen mit teils sexistischen Äußerungen bei Mitgliederversammlungen und Konzerten. […] Unter den aktuellen Gegebenheiten sehen wir derzeit keine Basis mehr für eine gemeinsame Arbeit. […] Unsere Konsequenz ist es, dass wir im Haus keine Möglichkeit sehen, gewisse Standards im Umgang mit Grauzone und Neonazis oder gar eine emanzipatorische Politik durchzusetzen. Die anfängliche Hoffnung, nachhaltig etwas im Grünen Haus Suhl verändern zu können, betrachten wir nach den eineinhalb Jahren als gescheitert. […] Wir sind raus.“5
Der Versuch, das Grüne Haus in Suhl als ein antifaschistisches (Jugend-)Zentrum zu erhalten, darf damit als gescheitert angesehen werden.6 Auf diese Weise vollzogen die rechtsalternativen Altpunker aus Suhl im erweiterten Jugendbereich das, was die Stadt post mortem mit den Suhler Altlasten aus dem Speziallager II machte: die Rehabilitierung von Faschisten.
In der Vergangenheit schrieb und las ich in verschiedenen Antifa-Publikationen von der Geschichte der „roten Stadt im grünen Wald“, von der ruhmreichen Niederschlagung des faschistischen Kapp-Putsches 1920 durch bewaffnete Arbeiterkampfverbände in Suhl und Umgebung und vom Widerstandskampf kleiner Gruppen gegen den Nationalsozialismus, die eine Tradition antifaschistischer Kämpfe im Angesicht des Grauens begründete. Doch 72 Jahre nach der Ermordung der Suhler Antifaschisten aus der Friedberg-Widerstandsgruppe im Lichthof des Landgerichtsgefängnisses Weimar am 5. Januar 1945 ist diese Tradition ausgelöscht. Die Mitglieder der Linkspartei, die sich bei passenden Gelegenheiten die nominelle Nachfolge des antifaschistischen Widerstandes auf die Fahnen schreiben, haben ein Denkmal für die Ehrung der Mörder eingerichtet und die früher Linksalternativen aus dem Grünen Haus haben sich für faschistische Besucher und gegen eine klare Linie im Kampf gegen Faschismus entschieden. Damit bleibt es an der Antifa, dem VVN-BdA und einigen wenigen anderen zumindest dazu beizutragen, diese Geschichte nicht dem Vergessen preiszugeben und sie nicht durch jene, die die Gräben zuschütten, begradigen zu lassen.
1
Zum aktuellen Forschungsstand: http://totenbuch-speziallager.buchenwald.de/information/causes
2
Todesquoten von Kriegsgefangenen aus SS und Wehrmacht in den Haftlagern der Alliierten: UdSSR – 34,7%, Jugoslawien – ca. 30%, Frankreich – 2,6%, USA – 0,2%, Großbritannien 0,03%. Zum Vergleich: Die Todesquote von gefangen genommenen Soldaten der Roten Armee durch Wehrmacht und SS lag weit über 60%, die Todesquote von Soldaten der Westalliierten in deutscher Gefangenschaft lag bei 3,5%. Was mit gefangen genommenen Partisanen und Résistance-Kämpfern in Jugoslawien, Italien und Frankreich passierte, setze ich als bekannt voraus.
3
Nachzulesen in der Alerta Südthüringen #5 vom Spätsommer 2015: http://www.autistici.org/agst/alerta/05-vom-tag-der-befreiung.html
4
Einen kurzen Überblick über die Problemlage und den Umgang mit einem faschistischen Konzertbesucher schildert eine Stellungnahme der Antifa Suhl/Zella-Mehlis aus dem Jahr 2015. Die lokale Antifa war damals noch guter Hoffnung, diese Missstände nachhaltig abstellen zu können. Vgl. http://www.afaction.info/index.php?menu=news&aid=763
5
Ganze Erklärung online: http://agst.afaction.info/index.php?menu=news&aid=882
6
An anderer Stelle geht der Aufbau eines antifaschistischen Zentrums in Suhl allerdings weiter. Wer diesen Aufbau durch die im Grünen Haus unterlegenen Antifaschisten unterstützen möchte, findet hier Möglichkeiten: www.ak40.blogsport.de