Das goldene Audiokabel

Wahrscheinlich die harmloseste Spielart des Aluhuts ist die Audioesoterik. Vertreten wird sie fast ausschließlich von Männern zwischen 30 und 50, die ¾ ihres Einkommens in Plattenspieler, Röhrenverstärker und vorheizbare Netzteile investieren. Oft sitzen sie zusammen und unterhalten sich darüber, wie unglaublich ihre 20.000-€-Anlage klingt. Sie sind überzeugt, dass nur goldene Kabel Musik angemessen zum Verstärker leiten können, und das auch nur, wenn sie ordentlich eingespielt sind, also eine Weile benutzt wurden. Musikdateien dürfen nur verlustfrei abgespeichert werden, denn Formate wie das komprimierte MP3 verursachen Ohrenkrebs. Die Ränder ihrer CDs werden vor dem Hören angeschlifffen, um den Laser zu fokussieren und auf einen Granitstein gelegt, um störende Energieschwingungen zu erden. Vom Standpunkt der Physik kann man sich keinen größeren Unfug vorstellen, aber es geht schließlich um Ästhetik und Glauben. Das Zusammenleben mit Audioesoterikern ist nicht immer einfach, weil das größte Zimmer der Wohnung für den Musikgenuss optimiert werden muss. Boxen und Musiksessel stehen am optimalen Platz, auch wenn dafür der Esstisch in eine Ecke verbannt und die Wände mit Akustik-Schaumstofff verkleidet werden müssen. Musikalisch ist der Audioesoteriker oft erstaunlich anspruchslos. In seiner Plattensammlung finden sich Meisterwerke der Langeweile wie Dire Straits »Love over Gold« oder neu abgemischte Aufnahmen von 10.000x gehörten Klassikern wie dem weißen Album der Beatles oder Keith Jarrets „The Köln Concert“. Wichtig ist vor allem, dass die Tonträger so aufgenommen sind, dass sie die Leistung der Anlage zum Ausdruck bringen. Dann sitzt der Audioesoteriker mit glänzenden Augen da und freut sich, das Husten in der Live-Aufnahme zu hören, dass bei einer schlechteren Anlage einfach in der Musik untergehen würde.
Die Kosten der Audioesoterik können beträchtlich sein, unter 1000,00€ ist allenfalls ein Kopfhörer zu haben. Nach oben hin sind die Möglichkeiten unbegrenzt, sodass »die Kette« – der Weg vom Tonträger bis zum Ohr – immer weiter optimiert werden kann.
Hat man Audioesoteriker im Bekanntenkreis, bieten sich hier Möglichkeiten, denn oft wird der heiße Scheiß vom vorigen Jahr günstig weiterverkauft. Politisch gesehen ist die Audioesoterik abgesehen von einem leichten Hang zum Elitären unproblematisch. Natürlich hat die Szene Feinde – kein Aluhut kommt ganz ohne Gegner aus –, aber es ist höchst unwahrscheinlich, dass die in Foren diskutierte Tontechniker-Verschwörung (eine Machtelite in Tonstudios sorgt dafür, dass Musik schlecht abgemischt wird) in absehbarer Zeit zu Pogromen führen wird. Zusammenfassend handelt es sich beim Audio-Aluhut also eher über eine liebenswerte Schrulle als um eine gefährliche Ideologie, auch zeigt die Szene keinerlei missionarischen Eifer. Wer die Möglichkeit hat, sich das ganze anzuhören, sollte unbedingt zusagen – vielleicht mit dem diskreten Hinweis, dass es nicht gerade Dire Straits sein muss.


„Was mich vor allem reizt, ist, dass Vinyl so teuer und unpraktisch ist.“

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