Emanzipation im Neumond? Drei Perspektiven auf Hexen und Hexentum

Hexen sind Pop und cool, und häufig genug auf Bezugspunkt feministischer Identität. Grund genug für die Redaktion der Rost und Motten sich in einem Gastbeitrag aus feministischer und kommunistischer Perspektive mit der Bezugnahme auf Hexerei auseinanderzusetzen. Dabei blicken verschiedene Mitglieder der Redaktion auf Hexerei als irrationalen Rückschritt und Entsolidarisierung mit den Opfern der Hexenverfolgung, als Fokuspunkt um das Verdrängte zu seinem Recht und seiner revolutionären Kraft kommen zu lassen und als Form der Emanzipation von bloß instrumenteller Vernunft.

We are the daughters of the witches that you couldn’t burn (von ⚷)
Auf Instagram wird aktuell unter dem hashtag #WirsindWICCA mobilisiert, zu zeigen „wie echte Schwesternschaft aussieht“. Gesäumt von Spinnen-, Kristallkugel- und Fledermaus-Emojis prangt darüber in großen Lettern der Slogan We are the daughters of the witches that you couldn’t burn. Was hier als Werbespruch für eine neue Netflix-Produktion dient, ist eine Parole, die ursprünglich aus dem lateinamerikanischen Feminismus stammt (dort: „Somos las nietas de las brujas que no pudieron quemar“ – „Wir sind die Enkelinnen…“). Was ich damit anfangen kann, ist: Ihr habt nicht alle erwischt und wir sind der lebende Beweis, dass das, was da ausgelöscht werden sollte, noch da ist. Denn für mich ist eben das, was die Hexenverfolgung zu vernichten versuchte das Weibliche, das der Entfaltung instrumenteller Vernunft entgegenstand, jahrhundertealtes Frauenwissen, die Macht reproduktiver Selbstbestimmung.
Womit ich weniger anfangen kann, ist ein neuer (Pop-)Feminismus, der weg von der Figur der Hexe, die für etwas steht, magische und spirituelle Praktiken wiederaufleben lässt. Das socialmediawirksame Verräuchern von Kräutern lasse ich als Privatmarotte durchgehen, das öffentliche Verfluchen von Trump empfinde ich als rein lächerlich und wo es in handfeste Esoterik und Naturheilkunde umkippt, wird es falsch und gefährlich.
Dass ich als Mensch in dieser Gesellschaft Spiritualität zugunsten männlicher Rationalität ablehne, ist Ausdruck eines Falschen und Resultat von westlicher Aufklärung, die auf jener Verfolgung und Ermordung von ‚Hexen‘ basiert. Dass ich als Kommunistin und Feministin gegen esoterische Ideologien bin, wird nicht davon abgelöst sein, ist aber meine materialistische Überzeugung, die es nicht zulässt, an magische Kräfte und übernatürliche Phänomene zu glauben.
Mit den Opfern und gegen die Täter zu stehen, ist ein richtiger Grundsatz. Ob es das Verfolgte schon immer zu verteidigen gilt, ist schon eine andere Frage. Wobei es natürlich gilt, in diesem Fall das Weibliche gegen das hegemonial-männliche hochzuhalten.
In meinem Verständnis gab und gibt es keine Hexen, so wenig wie es Hexerei gibt, einzig Frauen, die als solche beschuldigt und undenkbar grausam verfolgt und hingerichtet wurden. Mir widerstrebt es daher, die unrechte Anklage ihrer Peiniger zu akzeptieren und anzunehmen. (So sprechen wir doch auch nie von Asozialen, die von den Nationalsozialisten getötet wurden.) Deutlich sinnvoller erscheint mir die Strategie, die Opfer der Hexenverfolgung als emanzipierte, gelehrte, fortschrittliche und selbstbestimmte – oder in jedem Fall ‚unpassende‘ – Frauen zu benennen und sich damit zu solidarisieren (und auch zu identifizieren).
Wenn Fälle aktueller Pogrome gegen Frauen, die als Hexen beschuldigt werden, als antiaufklärerisch verurteilt werden (als haben diese ‚unzivilisierten Völker‘ noch nicht erkannt, dass es ja gar keine Hexen gibt), scheint vergessen zu werden, wie synonym man Hexenverfolgung und Aufklärung setzen kann. Dass wir ‚dank der Aufklärung‘ dazu befähigt sind, uns von jeglichem Aberglauben zu befreien, sollte wir ‚wider die Aufklärung‘, die aus Aberglaube tötet, anbringen.

We are the weirdos, mister (von ☿)
Im zeitgenössischen Bild der Hexe hat sich vor allem die Verfolgungsgeschichte mit ihren Bildern und Vorwürfen abgelagert. Nur mit mühsamer Quellenarbeit, wie sie etwa Carlo Ginzburg versuchte, lassen sich überhaupt Spekulationen über die Praxis historischer ‚Hexen‘, also von Eingeweihten vorchristlicher, vermutlich (post-)schamanistischer Religionen wagen, die – unter ganz anderen Bedingungen des menschlichen Lebens und seiner Reproduktion entstanden – für uns heute kaum mehr als historisches Interesse haben können.
Die Vorwürfe der Hexenverfolgung dagegen, aus denen das zeitgenössische Bild der Hexe abgeleitet ist, sind uns näher, selbst ein Produkt des neuzeitlichen Geistes, der seine neue Wissenschaftlichkeit in der systematischen Verfolgung und der Folter als Experimentalsetting erprobte. Zweifelsohne bestehen sie weitgehend aus Projektionen auf die ‚Hexe‘, aus unterdrückten Anteilen dieses neuzeitlichen Geistes, die den eigenen Opfern zum Vorwurf gemacht wurden. Der Vorwurf an die Verfolgten, zumeist Frauen, ihrerseits Opfer ‚verhext‘ zu haben, zeugt beredt davon: Ein Mann konnte seinen Ehebruch damit rechtfertigen, mit einem Liebeszauber ‚verhext‘ zu werden, anstatt das Ausleben oder auch nur die Existenz seiner gesellschaftlich unlegitimen sexuellen Bedürfnisse einzugestehen. Auch das Bild des Hexensabbats trägt deutliche Zeichen der Projektion: Hexen sammeln sich des Nachts auf ihrem Kultplatz, um dort ausgelassene Feste zu feiern, zu trinken und zu tanzen, und ihre von sozialen Normen befreite Sexualität auszuleben.
Dementsprechend ist es auch kein Zufall, dass das Idealbild der Hexe eine Frau war: Die Projektion der verdrängten Anteile der eigenen Bedürfnisse, insbesondere der sexuellen Bedürfnisse, auf das Objekt der Begierde festigte gleichzeitig das Bild einer selbstbeherrschten Männlichkeit und konnte als Instrument der Unterdrückung einer selbstständigen weiblichen Sexualität und einem Aufbegehren gegenüber dem Patriarchat dienen. Die Idee, im Zentrum des Hexensabbats stünden sexuelle Praktiken mit dem leibhaftigen Teufel ist entsprechend auch bloß die sekundäre Einhegung der Projektion: Wirklich sexuell selbstständige Frauen waren dann doch zu bedrohlich, um ihr Bild auch nur als Anklage zu verwenden.
Sich auf diese Teile, etwa die Teufelsbuhlschaft oder das Kindsopfer, positiv zu beziehen, wäre eine Reproduktion der Gewalt, da sie die Gegenbilder sind, die einen positiven Bezug auf Geburtenkontrolle und eine Sexualität jenseits der patriarchalen Herrschaft verunmöglichen sollten. Die Faszination, dass das Bild der Hexe auch und gerade heute weckt, beruht nicht auf diesen repressiven Einschlüssen, sondern auf dem von ihnen bekämpften, dem Anspruch, gegen die patriarchale Gesellschaft über den eigenen Körper verfügen zu können. Sie beruht darauf, dass in der Projektion auch heute noch ungehöriges und zu befreiendes ausgedrückt ist. Die Vorzeichen der Projektion sind zu verkehren, um es vom Verächtlich-Gemachten zur Vorwegnahme der Befreiung zu wenden, aber als solche fungieren die genießenden, ihre eigenen leiblichen Bedürfnisse verfolgenden und sich nicht gesellschaftlich repressiven Normen unterwerfenden Hexen als bildliche Vorwegnahme der Revolutionärinnen, derer es heute verlangt.

Do no harm, take no shit (von ♄)
Sollten die Menschen, die zum Anfang der Neuzeit unter dem Vorzeichen der Hexerei verbrannt worden sind, sich als Hexe*r verstanden haben, sie hätten vermutlich trotzdem wenig mit den meisten heutigen ‚Hexe*rn‘ zu tun – die oft irgendwo zwischen differenz-feministschem Ökoempowerment und dem identitären Festhalten an den eigenen Tarotkarten und Kristallen gegen die unwirtlichen Objektivierungen des Kapitalismus, des Patriarchats und der Kirche herumeiern und viel zu schnell in Verschwörungstheorien und Modernefeindlichkeit abdriften. Warum also sich überhaupt positiv auf Hexerei beziehen?
Die Re-Invention hexischer Tradition und Geschichte kann durchaus mehr sein als nur eine regressive Bewegung gegen die komplexe Moderne: Sie kann eine eigenen Sprache und Erzählung von dem Potential erschließen, das in Rausch und Traum manchmal zur Ahnung wird und das es als scheinbar Verlorenes zu suchen lohnt. Nicht gegen die Moderne, sondern als Möglichkeit in ihr und über sie hinaus.
Die Erfahrung ein Teil von Natur, von ihr abhängig und geprägt zu sein (nicht zuletzt einen eigenen Körper und Bedürfnisse zu haben und zu sein) ist für das moderne Subjekt etwas, das es durch Disziplinierung abzuspalten gelernt hat. Hexerei als progressiver Ansatz versucht eine sinnvolle Bearbeitung dieser Erfahrung, versucht in einen dialogischen Austausch mit der Natur-Welt zu treten, anstatt sie zu bezwingen – und dadurch Handlungsfähigkeit zu erlangen.
Wer Magie als Macht versteht, die ihn, Harry-Potter-gleich, zur*zum Welt-Beherrscher*in macht, versucht sich bloß als bürgerliche Subjekts zu verwirklichen; wer von Welt, eigener Geschlechterrolle, Tarot und Kristallen nur nimmt, was ihre Regeln ihm*ihr lassen, findet nicht sein*ihr Schicksal, sondern wirft sich auf Selbstoptimierung und weltbezogene Passivität zurück: Es gibt keinen Unterschied zwischen dem, was man sich selbst und dem, was die Karten einem wünschen können.
In der Erzählung von Hexer*n kann es aber auch um die gehen, die sich zugleich durch Lebens- und Naturbedingungen präg- und heilbar, also mit ihrer Umwelt verbunden verstehen, und den Verzicht auf diese Erfahrung als Verlust begreifen. Progressive Hexerei könnte ein Widerstand mit der Natur und zugleich gegen den Tod sein. Hexerei heißt dann: Lebensbedingungen, Geschichte, Natur zu verstehen, anzuerkennen und sich zugleich aktiv zu ihnen verhalten (die ‚Magie‘, die eigenen Bedürfnisse zu kennen und zu befriedigen).
Der*die Hexe*r sammelt dann den Schatz aus Wissen und Praxen, die er*sie selbst im Sinne der eigenen Lebensrealität nutzen lernen muss: das ‚Alter‘ des Wissens kann traditionalistisch gedeutet werden, sein verschüttetsein erfordert aber, es ähnlich einem Märchen zu erzählen, zu ergänzen und zu teilen – und ist damit notwendig deutungsoffen. Motive müssen angepasst, übersetzt und verstanden werden, sie sind zeitlich und kulturell gebunden, zugleich ist die Naturverbundenheit prinzipiell materialistisch: die Wirkung von Kräutern ist konstant, der Jahreskreis an die Erdbewegung gebunden. Das daran orientierte Ritual wird so zur Praxis, die sowohl die objektive Welt (gesellschaftlich wie natürlich), als auch die eigenständige Abstandnahme zu ihr reflektiert. Die Kontemplation des Wiederkehrenden ist für Hexerei ebenso wichtig wie der Wandel und die Möglichkeit ‚mit ihm zu arbeiten‘. Die Welt ist dabei nicht klar abgegrenzt (weder männlich und weiblich noch Mensch und Natur) und hat zugleich wirklich Wirkung, bleibt real und voller Widerstände. Hexerei ist immer ein Aushandlungsprozess mit den Dingen und Menschen selbst, keine höhere Macht die jenseits von ihnen steht – und Hexe*r sind Individuen, die sich ihrer Beziehung wie ihrem Unterschied zu anderen*m bewusst sind.

Rost und Motten zehren vom Bestehenden und leisten vielleicht ihren Beitrag, dass es vergeht.


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