Hartmut Balzke – Opfer rechter Gewalt

Wenn überhaupt darüber gesprochen wurde, dann nur ungern und unter vorgehaltener Hand. Der sogenannte Triftstraßen-Mord oder Punker-Mord war lange Zeit eine nicht greifbare Erzählung. Die nun in diesem Jahr zur Erinnerung an den Mord an Hartmut Balzke stattfindende Veranstaltung von ezra (Beratungsstelle für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Thüringen) brachte Aufklärung. Doch warum bekam dieser rechte Mord keine Öffentlichkeit – nicht mal in den engen subkulturellen und linksradikalen Zusammenhängen? Es herrscht ein Schweigen, das durchbrochen werden muss. Wie das zu schaffen ist, müssen sich viele fragen lassen. Eins steht fest, wir dürfen nicht vergessen. Einer von uns wurde schwer verletzt, einer von uns ist tot. Ein Bericht von Eva.

Was geschah am 25. Januar 2003?

Hartmut Balzke besucht im Januar 2003 seinen Sohn in Erfurt. Den Abend des 25. Januar verbringen sie bei einer bekannten Punker-WG im Erfurter Norden. Dirk Q. und ein Begleiter, die der rechtsextremen Szene angehören, kennen diese mutmaßlich. Spätestens als sie bei den Punkern klingeln und angeblich „mitfeiern“ wollen, müssen sie gewusst haben, dass es sich um Angehörige einer Gruppe handelt, die sie in ihrer rechten Ideologie abwerten. Die Punker weisen die Nazis und ihre Aufforderung, sich auf der Straße prügeln zu wollen, ab. Der spätere Täter bewegt sich dann zum „Bierpub“ in der Triftstraße, einer bekannten Kneipe des rechten Hooligan-Spektrums ebenfalls in Ilversgehofen. Eine Gruppe der Punker will sowieso noch ins nahegelegene AJZ und macht sich in zeitlicher Nähe dazu auf den Weg. In der Triftstraße kommt es zu Auseinandersetzungen, in deren Folge Dirk Q. eine leichte Stichverletzung davonträgt. Er kehrt in die Kneipe ein und verlässt sie später erneut. Dann trifft er auf Hartmut und Sebastian, die beide stark alkoholisiert sind. Dennoch schlägt Dirk Q. beide unvermittelt mit voller Wucht nieder. Hartmut als auch Sebastian gehen direkt zu Boden. Der 48-Jährige Hartmut verliert daraufhin das Bewusstsein und stirbt zwei Tage darauf im Krankenhaus an den Verletzungen in Folge des Sturzes. Sebastian überlebt, nachdem noch auf ihn eingetreten wird. Doch erleidet er schwerste Verletzungen, u.a. eine Mittelgesichtstrümmerfraktur und ein Schädelhirntrauma.

Empathielos und unwillig – Rolle der Ermittlungsbehörden und der Justiz

Dirk Q. steht zu diesem Zeitpunkt mit 23 Jahren unter zweifacher Bewährung wegen einer Körperverletzung und dem Zeigen des Hitlergrußes. Untersuchungshaft – wie es in solchen Fällen üblich ist – wird nicht angeordnet. Erst ein Jahr später wird beim Landgericht Erfurt die Anklage eingereicht. Das Gericht erachtet sich, aufgrund des angeklagten geringfügigen Tatbestandes, für nicht zuständig und verweist die Klage 2006 – d.h. drei Jahre später – ans Amtsgericht. Letztlich beginnt der Prozess gegen Dirk Q. doch vorm Erfurter Landgericht im März 2008 – nun bereits fünf Jahre nach der Tat.
Für den hinterbliebenen Sohn von Hartmut und für Sebastian tritt Rechtsanwalt Sebastian Scharmer als Nebenklagevertreter auf. Er charakterisiert die Ermittlungen im Nachhinein als unwillig und empathielos. Bereits die Beweisfeststellung durch die Polizei sei fragwürdig gewesen. Beispielsweise sei erst einen Monat nach der Tat eine Hausdurchsuchung bei Dirk Q. durchgeführt worden. Entsprechende Kleidung kann zu diesem Zeitpunkt nicht mehr gefunden werden, hatte dieser doch genug Zeit, sich entsprechend darum zu kümmern. Die Schuhe zu putzen, hatte er wohl aber vergessen, denn das Blut der Betroffenen wird daran festgestellt.
In Richtung der Tatmotivation wird von der Polizei dagegen nicht ermittelt. Dies führen Staatsanwaltschaft und Gericht fort, eine politische Dimension sei für sie nicht erkennbar gewesen, dokumentiert Scharmer. Die Zeugenaussagen von Nachbar*innen lasse jedoch Erahnen, dass es sich nicht um die bloße Reaktion eines nicht erbetenen Partygastes gehandelt haben konnte. Auch fünf Jahre nach dem Angriff ist den Nachbar*innen gegenwärtig, wie Dirk Q. den bewusstlosen Sebastian mit enormer Brutalität immer wieder gegen den Kopf tritt, „wie gegen einen Fußball“.
Das Urteil, welches im Juni 2008 – fünfeinhalb Jahre nach dem Angriff –, gesprochen wird, steht in keinem Verhältnis zur Tat. Dirk Q. wird wegen Körperverletzung mit Todesfolge an Hartmut und wegen einfacher Körperverletzung an Sebastian zu zwei Jahren Bewährung und 200 Arbeitsstunden verurteilt. Zu Gunsten des Täters wird festgestellt, dass der Angriff ein „heilsamer Schock“ für ihn gewesen wäre, so der Richter in der Urteilsbegründung. Nach dem 25. Januar 2003 sei Dirk Q. nicht mehr „auffällig“ gewesen und verfüge gar durch den geleisteten Wehrdienst und eine feste Beziehung über eine günstige Sozialprognose. Die rechte Tatmotivation wird weder thematisiert, noch anerkannt. Hartmut Balzke ist nicht als Opfer rechter Gewalt anerkannt. Dass ein Nazi einen Menschen tötet, weil er einer aus seinen Augen minderwertigen Gruppe angehört, spielt im Verfahren keine Rolle. Vielmehr reproduzieren auch die Medien in der Berichterstattung das Bild der randständigen Punks, wie Nebenklagevertreter Scharmer auch zur Veranstaltung im Januar 2019 berichtet. Im Gegensatz zu Dirk Q. muss ein Punker, der als Zeuge aussagt, wegen einer nicht beglichenen Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe absitzen, er wird während des Verfahrens inhaftiert. Dies führt zum Gesamteindruck, dass rechte Gewalt gegen Punks weniger problematisch sei. Eine öffentliche Solidarisierung mit den Betroffenen bleibt aus, so wie es auch aktuell in Saalfeld oder Eisenach zu erleben ist.

Die Widersprüchlichkeit zwischen dieser sich bahnbrechenden, ideologisch legitimierten Gewalt und der De-Thematisierung des Kontextes der Tat sowie der Milde des gesprochenen Urteils ist nur eine scheinbare. Vielmehr setzt sich in der Art und Weise der rechtsstaatlichen Bearbeitung fort, was Personen aus marginalisierten Personengruppen – wie eben Punks, aber auch Geflüchtete, … oder Menschen, die ihren jüdischen Glauben nach außen sichtbar machen – potentiell im Alltag erleben. Dies spitzt sich zu, wenn es zu Schuldvorwürfen durch die Ermittlungsbehörden und die Öffentlichkeit kommt, die das Auftreten einer Gruppe schon als Provokation bewerten und den eigentlichen Angriff damit bagatellisieren. Betroffene werden mitunter als Täter dargestellt, die damit Verantwortung für den ihnen zugefügten Schaden zugesprochen bekommen. Und wieder ist ein Grund gefunden, sich von randständigen Gruppen zu distanzieren und Solidarität zu verweigern.

Perspektive einnehmen und Position beziehen

Die Perspektive der (potentiell) Betroffenen ist die, die wir für die erinnerungspolitische Arbeit einnehmen sollten, um damit zugleich die gesellschaftliche Bedingtheit der konkreten Tat nicht außer Acht zu lassen. Unsere Erinnerung kann Kritik an der rechtsstaatlichen Realität sein, welche sich im Konkreten in der juristischen Aufarbeitung ausdrückt. Unsere Erinnerung kann Kampf gegen die De-Thematisierung und Nicht-Anerkennung rechter Gewalt sein. Unsere Erinnerung kann damit auch die Weitergabe von Erfahrungen und Wissen sein. Nur eines soll sie nicht sein: Schweigen und ein Verharren darin.
Für die Geschichte Erfurter subkultureller und linksradikaler Zusammenhänge soll das bedeuten, die Erinnerung aufzubewahren und anknüpfbar zu machen für gegenwärtige Kämpfe und Auseinandersetzungen.
Im Mai 2008 – kurz vor der Urteilsverkündung – gründete sich der Infoladen Sabotnik im Besetzten Haus. Mit einem linken Bewegungsarchiv, einer Bibliothek und dem Angebot, Termine, Ereignisse etc. bekannt zu machen und eine Plattform für Debatten anzubieten, ist er auch heute noch aktiv. Ein Infoladen ist Teil einer Infrastruktur, die von vielen genutzt werden kann – so auch die Lirabelle. Der Infoladen ist Teil des vetos, welches nach der einschneidenden Räumung ein selbstverwalteter Raum in Erfurt seit 2011 ist. Wo findet ihr das Veto und den Infoladen? Im Erfurter Norden – unweit der Triftstraße in Ilversgehofen.

Wie kann ein Gedenken an Hartmut Balzke im Januar 2020 aussehen? Redet darüber, hört auf zu schweigen.

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