Im folgenden Text berichtet Anne Kaffeekanne von der Podiumsdiskussion „Warum Frauen*Streik?“, die am 1.3.19 in Erfurt stattfand. Organisiert wurde diese im Rahmen der diesjährigen Frauen*Kampftage von der SJD Die Falken- Erfurt. Vier Referentinnen berichteten in einem Raum der Universität Erfurt von unterschiedlichen Erfahrungen und Perspektiven des Frauen*Streiks.
Podiumsdiskussion „Warum Frauen*Streik?“
Die Frauen*Streik-Bewegung hat ihre Wurzeln in der proletarischen Frauenbewegung. Als Frauen* während der Industrialisierung begannen, in Fabriken zu arbeiten, kristallisierten sich daraus die ersten Frauen*Streiks. Diese Entwicklung hing damit zusammen, dass Frauen* aus den Arbeitskämpfen der Männer* ausgeschlossen wurden. Ein Grund dafür war unter anderem die Angst der Männer*, dass die kämpferische Zusammenarbeit mit Frauen* die Löhne drücken würde, da Frauen* in der Fabrikarbeit weniger verdienten als Männer.
Das Thema Frauen*Streik hat seit dem diesjährigen Frauen*Kampftag wieder zunehmend als Möglichkeit der politischen Praxis an Bedeutung gewonnen. Um sich nun näher mit der aktuellen Streikbewegung auseinanderzusetzen, fand am 1. März 2019 eine Podiumsdiskussion zu verschiedenen Perspektiven auf den Frauen*Streik statt, bei der unterschiedliche Akteurinnen von feministischen Kämpfen berichtet haben. Themen waren: Der Frauen*Streik in Spanien, in Argentinien und die feministische Streikbewegung in Erfurt Anfang der 1990er. Außerdem wurde über die gewerkschaftliche Sichtweise bezüglich der rechtlichen Grundlagen und der Möglichkeiten des Streiks berichtet.
Erfahrungen der Akteurinnen im Frauen*Streik
Die erste Frage, die an die Gäste auf dem Podium gestellt wurde, thematisierte die Erfahrungen, die die verschiedenen Akteurinnen in der feministischen Streikbewegung bereits gemacht haben. Als erstes berichtete eine Aktivistin über den Streik zum Frauen*Kampftag 1994 in Erfurt. Beflügelt durch die neuen Strukturen der Nachwendezeit bildete sich 1994 ein bundesweites feministisches Bündnis. Thematischer Aufhänger war damals der §218 im Strafgesetzbuch, welcher den Schwangerschaftsabbruch unter Strafe stellt. Aus diesem Bündnis entwickelte sich die Idee, einen Frauen*Streik durchzuführen. Die Idee fand schnell bei vielen Frauen Anklang, sodass sich auch in Erfurt eins der lokalen Streitkomitees gründete. Unter dem Motto „Kündigung des patriarchalen Konsens“ gingen am Internationalen Frauen*Kampftag 1994 in Deutschland über 1 Millionen Frauen auf die Straße. In Erfurt waren es 100 – 150 Frauen, welche den Tag des Streikes unter dem Motto „laut, frech, wunderbar“ durchführten. Die Frauen aus Erfurt, die sich dem autonomen anarcho- feministischen Umfeld zuordneten, organisierten ein buntes Tagesprogramm, dem sich andere Frauen anschlossen. Der Tag startete um 10.00 Uhr mit einem Frauen-Frühstück auf dem Fischmarkt. Eine der wohl wirksamsten Aktionen war die Besetzung des Schmidtstädter Knotens, welche tatsächlich für einige Zeit den Verkehr stoppte. Ähnlich wie im diesjährigen Frauen*Streik wurde die thematische Aufmerksamkeit auf Frauendiskriminierung, Gewalt gegen Frauen, Rechte von Migrantinnen, vielfältige Lebensformen, Selbstbestimmung und die Aufwertung und gleichwertige Verteilung von Sorgearbeit gelegt.1
Nach den Erfahrungen des Streiks 1994 erzählte die Aktivistin aus Spanien von ihren Erlebnissen, wobei sie ihren Fokus hauptsächlich auf den Erfolg des großen Streiks im Jahr 2018 legte. In den letzten Jahren fanden in Spanien verschiedene große Streiks statt, wie beispielsweise 2014 der Care- und Konsum-Streik. Dadurch sind feste Strukturen von politischen Netzwerken vorhanden, die die Planung von Demonstrationen und Streiks erleichterten. Erste Planungen zum Frauen*Streik fanden in den genannten Netzwerken statt. Erst als die Idee auf dieser Ebene ausreifte, wurden die Gewerkschaften für die Planung mit an Bord geholt. Eine Schwierigkeit bei der Planung im Jahr 2018 war es, feministische Gruppen mit verschiedenen Ausrichtungen zusammenzubringen. Dieses Problem verringerte sich aber in der Planung für den Streik 2019, da der Frauen*Kampftag 2018 als ein großer Erfolg angesehen wurde. Die Schlagkraft, welche dem spanischen Frauen*Streik zugesprochen wird, erklärt sich die Aktivistin durch die vielen Ortsgruppen, die bei der Streikplanung beteiligt waren. Auch der Mediensupport trug ihrer Meinung nach dazu bei, dass der Streik 2018 ein solcher Erfolg werden konnte.
Auch Argentinien kann zur Planung von Massenstreiks auf eine vorhandene Vernetzung zurückgreifen, welche teilweise seit 30 Jahren besteht. Wie die Aktivistin berichtete, die zeitweise an politischer Organisation in Argentinien beteiligt war, kamen 2016 70.000 Frauen auf das Encuentro Nacional de Mujeres (dem nationalen bzw. internationalen Frauentreffen in Rosario). Beim Frauen*Streik 2017, welcher in Buenos Aires stattfand, haben fast 500.000 Frauen gemeinsam gestreikt. Die Themen unterschieden sich hierbei teilweise zu denen, die in Deutschland oder Spanien im Vordergrund standen. Der Fokus liegt in Argentinien eher auf Femiziden (also der Tötung von Frauen aufgrund ihres Frauseins) und auf der Einforderung von dem Recht auf Abtreibung. Bis auf wenige Ausnahmefälle ist Abtreibung in Argentinien aufgrund der katholischen Prägung nämlich illegal, weshalb die Abtreibungen unter prekären Bedingungen von den betroffenen Frauen selbst durchgeführt werden. Dies muss heimlich und ohne ärztliche Betreuung stattfinden. Dadurch kommt es immer wieder zu Krankheiten oder sogar zum Tod der Frauen, die abtreiben. Hinzu kommt eine Haftstrafe, die die Frauen erwartet, wenn sie abgetrieben haben. Ein Zeichen für den Kampf um das Recht auf Abtreibung sind in Argentinien die grünen Halstücher.2
Nach den Berichten aus verschiedenen Zeiten und Ländern berichtete eine Genossin, welche im Gewerkschaftskontext organisiert ist. Sie sprach dabei hauptsächlich über die rechtlichen Grundlagen des Streikbegriffes. Das Frauen*Streik-Bündnis in Deutschland bezieht sich auf verschiedene zu bestreikende Sphären – die Sphäre der Lohnarbeit, und die Sphäre der Reproduktionsarbeit (also Haus- und Sorgearbeit). Der Streik wird dabei als ein Mittel der Radikalisierung gesehen, mit dem Druck auf Politik und Gesellschaft ausgeübt werden soll. Laut der Aktivistin stellt sich nun die Frage, wie dies in Deutschland umgesetzt werden kann. Das Recht besagt nämlich, dass politische Streiks verboten sind. In der Konkretisierung des Streikbegriffes, wie er von gewerkschaftlicher Seite genutzt wird, wird deutlich, dass sich die angestrebten Ziele stets auf einen konkreten Tarifvertrag konzentrieren. Beim Frauen*Streik-Bündnis ist dies allerdings schwierig umzusetzen, da dieser aufgrund der Thematisierung von Sorgearbeit nur zu einem kleinen Teil auf den Lohnstreik ausgerichtet ist. Da der Frauen*Streik sich also nicht so einfach an die gewerkschaftliche Streikdefinition anschließt, tun sich die Gewerkschaften schwer damit, zum Frauen*Streik auszurufen. Dies gefährdet wiederum die Arbeitnehmerinnen, da diese gekündigt werden können, wenn sie ohne eine gewerkschaftliche Ausrufung streiken. Am 8.3.19 wird mit dem Streikbegriff, bis auf wenige Ausnahmefälle, eher symbolisch umgegangen.
Perspektiven auf den Frauen*Streik am 8.3.2019
Nachdem die Teilnehmerinnen* auf dem Podium über ihre eigenen Erfahrungen in der Planung vom Frauen*Streik berichtet haben, unterhielten wir uns konkret über den 8.3.19. Auf gewerkschaftlicher Ebene stellte sich die Zusammenarbeit mit den verschiedenen Frauen*Streik-Bündnissen eher schwierig dar, da die Bündnisse einen gewerkschaftlichen Aufruf zum Streik verlangten. Die Themen des Streiks waren die Lohnerhöhung für Berufe, in denen eher Frauen tätig sind, die Entlastung im Reproduktionssektor und die Arbeitszeitverkürzung. Da diese Themen nicht komplett zur Definition des Streikes aus gewerkschaftlicher Perspektive passen, riefen die Gewerkschaften nicht zum Streik auf. Weiterhin wird das Streiken in den sozialen Berufen von verschiedenen Schwierigkeiten für die Arbeitenden begleitet. So liegt beispielsweise mehr Druck auf den Arbeitenden, da andere Menschen durch eine Niederlegung der Arbeit konkret leiden würden. Vor allem im Pflegebereich wären die Folgen fatal, wenn die Pflege für bedürftige Menschen einen Tag unterbrochen werden würde. Außerdem kann Sorgearbeit, im Gegensatz zur Arbeit in der Produktion, nur beschränkt rationalisiert werden. Kleine Kinder können nicht schneller erzogen werden, alte Menschen können nicht schneller versorgt werden. Das Ziel einer höheren Effizienz geht also im Bereich der Sorgearbeit nicht auf. Nun liegt der Anteil weiblicher Pflegekräfte in der Altenpflege bei 84%, in der Krankenpflege bei 80% und in der Kinderpflege bei über 90%.3 Die genannten Dilemmata betreffen also zum großen Teil die Arbeitskämpfe von Frauen. Ein weiteres Problem ist die Wirksamkeit eines Streiks im sozialen Bereich. Wenn Menschen im produzierenden Sektor streiken, so geht ein konkreter Gewinn verloren, da weniger Waren produziert wurden. Wenn Menschen im sozialen Sektor streiken, spart die Kommune, da sie weniger Erziehungspersonal auszahlen muss. Da Frauen zu einem großen Teil im Sektor der Reproduktions- und Sorgearbeit lohnarbeiten, müssen in Zukunft Mittel gefunden werden, wie dennoch wirksam streiken können. Auch über eine Erweiterung des Streikbegriffes sollte auf gewerkschaftlicher Seite diskutiert werden. Die Aktivistin aus Spanien begann ihren Beitrag zum diesjährigen Frauen*Streik mit dem Reden über den Umgang mit Differenzen in verschiedenen Feminismen. Sie führte aus, dass diese im spanischen Frauen*Streik mittlerweile eine untergeordnete Rolle spielen, da der Streik mit dem Fokus auf die ökonomische Basis organisiert wurde. Der Fokus der Themen liegt rein auf gewerkschaftlichen Themen. Dieses Phänomen hängt unter anderem damit zusammen, dass in Spanien fortgeschrittener Sozialstaatsabbau zu beobachten ist, welcher Sorgearbeiten wieder zunehmend ins Private und somit in die „Arbeitsbereich der Frauen“ schiebt. Da auch in Spanien nicht alle Frauen am Streik teilnehmen können, planten die Bündnisse verschiedene Solidaritätsaktionen für diejenigen, die aufgrund ihrer Tätigkeiten in der Lohn- oder Sorgearbeit nicht teilnehmen konnten.
Rückblick auf den Frauen*Streik 2019
Der 8. März folgte nun eine Woche, nachdem die Podiumsdiskussion in Erfurt stattfand. Gespannt wurden die verschiedenen Aktionen des Tages und deren Resonanz erwartet. Am Ende des Tages kursierte durch die Medien, dass in Deutschland insgesamt 70 000 Menschen auf der Straße waren, um für Feminismus und Frauenrechte zu kämpfen. In über 20 deutschen Städten wurden Aktionen im Namen des Frauen*Streiks durchgeführt. Auch wenn die Zahlen nicht mit denen aus Spanien zu vergleichen sind, so ist doch ein deutlicher Zuwachs an politischen Aktivitäten an diesem Tag erkennbar. In einigen wenigen Städten und Institutionen kam es am 8. März sogar zur Niederlegung der Lohnarbeit. Verschiedene Frauen und Queers kamen an diesem Tag zusammen, um ihre Rechte einzufordern und die Utopie einer anderen Gesellschaft auf die Straße zu tragen. Die politischen Aktionen waren von dem Bewusstsein geprägt, dass viele verschiedene Unterdrückungsmechanismen auf komplexe Weise zusammenhängen – und dass all diese Mechanismen aufgelöst werden sollen. Weltweit gingen an diesem Tag Millionen von Frauen demonstrieren. Wie wir diese Schlagkraft noch weiter verstärken können, wie das vorhandene Potenzial genutzt werden kann und ob eine stärkere internationale Vernetzung sinnvoll ist… Das gilt es nun herauszufinden.
Zu hoffen ist, dass Kerstin Wolter, Aktivistin des bundesweiten Frauen*Streiks, Recht behält, wenn sie in der globalen feministischen Bewegung ein Potenzial zum Umsturz der momentanen Verhältnisse sieht, und daran festhält: „Der 8. März 2019 war erst der Anfang.“4
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Berichte: Blickpunkt Arbeitsmarkt. Arbeitsmarkt im Pflegebereich. Mai 2019.
Literaturempfehlung zur Geschichte der Frauen*Streik-Bewegung:
Andrea d’Arti: Geschlecht und Klasse im Kapitalismus.