Im April haben ehemalige Bewohner*innen des Haus- und Wohnprojekts „Insel“ in Jena einen Aufruf veröffentlicht, in dem sie fordern, sich nicht mit der „Insel“ zu solidarisieren, solange einer ihrer Sprecher*innen antifeministische Positionen vertritt. Die Lirabelle sprach mit den Verfasser*innen.
Eure Forderung an Gruppen und Einzelpersonen lautet, sich mit der Problematik kritisch auseinanderzusetzen und Position zu beziehen. Unterstützt werdet ihr dabei von einer Handvoll Thüringer Gruppen, nur eine davon kommt aus Jena. Man muss wohl feststellen, dass es in dieser Szene immer noch viel Mut erfordert, auf solche Themen hinzuweisen – vor allem weil nun ein Spannungsfeld entsteht in der Jenaer linken Szene. Danke, dass ihr nicht schweigt und uns wissen lasst, was hinter den Türen der „Insel“ los war bzw. ist. Wie kommt es dazu, dass ihr die Problematik zu diesem Zeitpunkt thematisiert?
Eigentlich thematisieren wir diese Problematik seit zehn Jahren, natürlich nicht die ganze Zeit mit der gleichen Intensität. Aber nicht nur wir, sondern auch andere Menschen und Gruppen haben immer wieder versucht über die Vorfälle mit Menschen in Jena, aber eben auch mit der „Insel“ selbst ins Gespräch zu kommen. Wiederholt wurde die „Insel“ dazu aufgefordert Stellung zu beziehen; mit dem Ergebnis, dass nichts passiert ist. Die letzten neun Jahre ist die „Insel“ gut damit gefahren, solche Versuche einfach zu ignorieren und nichts zu machen. Aus unserer Sicht ist es nicht auszuhalten und hinzunehmen, dass ein solches Verhalten keine Konsequenzen hat.
Dabei ist uns bewusst, dass sich die Bewohner*innenschaft auf der „Insel“ in den letzten zehn Jahren immer wieder geändert hat und es durchaus sein kann, dass dort Menschen leben bzw. gelebt haben, denen die Vorfälle nicht bekannt waren. Und dennoch fordern wir eine Auseinandersetzung der „Insel“ als Projekt ein.
Das wir nun mit unserem Aufruf verstärkt in die Öffentlichkeit gegangen sind, mag für einige Menschen überraschend sein. Für uns ist es nur ein logischer nächster Schritt, nachdem wir mit unserem Anliegen lange ignoriert wurden. Und oft ist in der an uns gerichteten Kritik am Veröffentlichungszeitpunkt auch der Wunsch versteckt, sich nicht inhaltlich mit der Thematik beschäftigen zu müssen.
Zudem wollen wir die Menschen unterstützen, die sich in der ganzen Zeit für unser Anliegen engagiert haben. Denn wir wissen aus eigener Erfahrung wie nervenaufreibend, frustrierend und demotivierend diese Arbeit sein kann. Wer offen über die Vorfälle in Jena geredet hat, hat sich lange Zeit keine Freund*innen gemacht. Dass unsere Unterstützer*innen aber nicht allein sind und keine Einzelmeinung vertreten, wird nun nach unserem Aufruf deutlich. Und diese Unterstützung war längst überfällig.
Bis zur Veröffentlichung eures Aufrufes haben wohl die meisten politisch Aktiven aus Erfurt von den Zuständen in der „Insel“ wenig bis gar nichts gewusst. Viel mehr wurde über die beschlossene Räumung des Projekts gesprochen. Fehlt es an Erfahrungsweitergabe auch in feministischen Zusammenhängen in Thüringen?
Zuerst einmal, uns geht es nicht darum, dass die „Insel“ als möglicher „Freiraum“ oder bezahlbarer Wohnraum grundsätzlich keine Solidarität erfahren sollte. Wir fordern keine generelle Entsolidarisierung und das steht auch nicht in unserem Aufruf. Vielmehr sehen wir es als hoch problematisch an, wenn die „Insel“ unter den gegebenen Umständen Solidarität erfährt. Und diese gegebenen Umstände sind, dass sich die „Insel“ seit zehn Jahren weigert, sich mit den Vorwürfen auseinander zu setzen und statt dessen den Täter zum Pressesprecher und zur zentralen Figur des „Wohnprojektes“ gemacht hat und an ihm festhält.
Was die Erfahrungsweitergabe angeht, ist zu sagen, dass wir natürlich schon damals einen ähnlichen Aufruf wie den jetzigen hätten schreiben können. Wir haben aber in den ersten Jahren nach dem Vorfall versucht das Thema vor Ort in Jena zu bearbeiten. Die Reaktionen auf uns waren damals bis auf wenige Ausnahmen ähnlich: Die Vorfälle wurden zwar als schlimm und erschreckend angesehen, meist wurden ihnen aber die politische Dimension abgesprochen und es wurde kein Anlass gesehen, daraus eine Konsequenz für die eigene Praxis abzuleiten. Hinter dieser Stimmung konnte sich der Täter lange verstecken.
Zum Anderen denken wir, dass es ratsam ist gerade feministische Themen mehr und vertiefter zu diskutieren und die dazugehörigen Strukturen in Thüringen zu reflektieren. Sexistische Kackscheiße passiert überall und regelmäßiger als es vielleicht einigen bewusst ist. Das selbst ein solch krasser Fall so lange unthematisiert bleiben konnte, ist erschreckend. Das ist eine Situation und eine Struktur, nicht nur in Thüringen, die aus unserer Sicht nicht hinnehmbar ist.
Die jetzige Diskussion zeigt aber, dass es eine Erfahrungsweitergabe gibt, die funktioniert. Um jedoch dahin zu kommen, braucht es viel Kraft und Anstrengungen – gerade auch, wenn Betroffene nicht gleich von Anfang an wissen, wo sie sich hinwenden können und wo sie Unterstützung finden. Darüber hinaus wird in der aktuellen Diskussion klar, dass es mit dem damaligen Täter auch noch heute ein grundlegendes Problem gibt, dass lange unthematisiert blieb.
Gerade sexistische und frauenfeindliche Positionen sind oftmals Anlass für Auseinandersetzungen in linken Projekten, hat sich seit eurem Auszug etwas in der Wahrnehmung und an der Bereitschaft zur Auseinandersetzung verändert?
Ehrlich gesagt, ist das schwer bis gar nicht zu beantworten. Die Bereitschaft zur Auseinandersetzung hängt leider oftmals auch stark davon ab, wie sehr mensch davon selbst betroffen ist und welche Konsequenzen für das eigene Leben erwartet werden. Zudem ist das Thema „sexistische Übergriffe“ nach wie vor ein eher unbeliebtes Thema, vom Thema „Schwangerschaftsabbruch“ gar nicht erst zu reden. Und das gerade dann, wenn es zu konkreten Vorfällen kommt. Da ist immer noch der Druck sich als Betroffene*r zu rechtfertigen, zu beweisen und zu thematisieren.
Die jetzigen Unterstützer* innen hätten wohl schon damals die Bereitschaft gehabt, sich mit der Thematik auseinanderzusetzen. Ihnen und den Einzelpersonen, die uns auch schon früher unterstützt haben, können wir an dieser Stelle nur danken. Andererseits ist es auch heute noch in kleineren Auseinandersetzungen mit Einzelpersonen immer wieder überraschend, wer welche Meinung vertritt, auch in der „linken Szene“. Das ist erschreckend, aber ob die Bereitschaft zur Auseinandersetzung nun mehr oder weniger geworden ist, dafür fehlt uns der Überblick.
Was wünscht ihr euch von solidarischen Menschen speziell in Jena und darüber hinaus?
Letztendlich liegt es jetzt an den Jenaer Gruppen und Einzelpersonen klar Stellung gegen Sexismus und Antifeminismus zu beziehen. Ein erster Schritt wäre durch eine Auseinandersetzung mit dem Täter und den Vorfällen, aber auch mit der Thematik im allgemeinen gemacht. Darüber hinaus fordern wir eine konsequente Umsetzung dieser Überlegungen in die Praxis und ein Diskussion darüber, wie mit solchen und ähnlichen Fällen zukünftig umgegangen werden kann.
Wir sind bereit, diesen Prozess im Rahmen unserer psychischen und zeitlichen Möglichkeiten zu unterstützen und machen dies bereits auch.
Vielen Dank für das Gespräch! Passt auf euch auf und behaltet euren Mut.