Der Dicke Mann

Ein Wortschwall über Wichtigtuer. Von Jemandem.

Es gibt so einen Typ Männer, die dich in Gedanken „Der Dicke Mann“ nenne. Ich bin selber fett (oder, wie man heute sagt, „negativ von Weightism betroffen“). Der Dicke Mann ist in der Regel nicht übergewichtig, oft eher muskulös. Der Dicke Mann macht sich immer so dick wie möglich, damit ihn auch niemand übersieht. Bzw. überhört. Der dicke Mann röhrt mit dem Motorrad durch‘s Naherholungsgebiet, rudert auf der überfüllten Tanzfläche mit den Armen und rast mit seinem 2000€-Mountainbike (überbreiter Lenker, Motorrad-Bereifung) durch die Fußgängerzone.
Ob an der Bushaltestelle, im Büro oder im Wald: der Dicke Mann muss im Mittelpunkt stehen. Seinen Porsche parkt er demonstrativ auf dem Radweg. Fährt er selbst zwei Mal im Jahr Fahrrad, macht er seine Pause zielsicher an einer Engstelle und stellt sein 2000€-Mountainbike mitten auf den Radweg. Ist er mit Kind unterwegs, schnauzt er dieses an, es solle nicht im Weg rumstehen.
Ein typisches Habitat für den Dicken Mann ist der Baumarkt. Da läuft er durch den Gang, beäugt misstrauisch den Einkauf der Anderen darauf, wer die dicksten Säcke geladen hat. „30l Blumenerde? Du Weichei. Ich hab‘ zwei Zentner Zement“ denkt der Dicke Mann dann triumphierend und man muss sich diese Passage mit einer Stimme wie Bruce Willis in der Werbung vorstellen, mit 200%iger Überzeugung dafür, der Größte zu sein.
In der Corona-Krise ist der Dicke Mann besonders anstrengend. Denn, na kla, wenn der Fußweg 2m breit ist, muss der dicke Mann in der Mitte laufen. Der Dicke Mann trägt keine Gesichtsmaske. Er ist wasserdicht, kugelfest wie einst Supermann, und natürlich immun. Was ihn nicht umbringt, macht ihn nur härter, weswegen er mit verächtlichem Blick auf alle herunterschaut, die sich mit Maske im Gesicht verdruckst in die Ecken schieben, statt wie er breitbeinig und zielstrebig in der Mitte des Weges zu cruisen.
Muss der Dicke Mann bremsen, schrumpft sein Penis. Ob Einkaufswagen, SUV oder Fixie-Bike, er muss der erste sein. Machen die anderen keinen Platz, wird gehupt und gezetert. Sind die Leute an der anderen Kassenschlange, mit dem Kleinwagen oder dem Hollandrad am Ende doch schneller, entwickelt der Dicke Mann kurzzeitig starke Selbstzweifel. Aber weil das Erlebte etwas mit einem Gegenstandsbereich zu tun hat, der dem Dicken Mann im Grunde nicht offen steht (mit anderen Menschen nämlich), vergisst er auch rasch wieder und konzentriert sich auf den nächsten Wettbewerb. Ob Chef oder Aushilfe, der Dicke ist immer der wichtigste Mann im Betrieb. Vorgesetzte lassen ihn gerne in diesem Glauben, weil er dadurch auch beim Buckeln immer auf Dicke Hose macht und – zumindest bis zum ersten Herzinfakt – voller Stolz bis in die Nacht im Büro bleibt.
Politisch steht der Dicke Mann auf der Seite der Macht. Eigentlich wäre er selbst der beste Führer, da er alles am besten weiß. Weswegen Zusammenarbeit zwischen Dicken Männern kaum möglich ist, was zumindest zum Teil das Chaos in autoritären Parteien erklärt. Es erklärt aber auch, wieso so wenige Menschen bei der Amtseinführung von Donald Trump waren: Der Dicke Mann wählt zwar seinesgleichen, jemandem zuzujubeln wäre aber schon zu viel Hingabe für etwas, dass dem Dicken Mann im Grunde suspekt ist: andere Menschen.
Das Verhalten des Dicken Mannes als „rumprollen“ zu bezeichnen, ist purer Klassismus. Die proletatische Erfahrung umfasst zu viele gemeinsam erfahrene Demütigungen, um die Illusion zu entwickeln, der tollste Typ der Welt zu sein. Der Dicke Mann ist Künstler, Wissenschaftler, Ingenieur oder Unternehmer – Berufe, in denen es leicht fällt, sich einzubilden, als vereinzelter Einzelner heldenhaft seinen Mann zu stehen.
Ich habe mit Freundinnen darüber gesprochen, was man mit dem Dicken Mann tun kann. Ich habe manchmal die spontane Phantasie, das Problem mit einem kleinen Amoklauf anzugehen: Ich laufe durch den Baumarkt und schieße jedem Dicken Mann mit einer Knarre die Genitalien weg. Aber ich gebe zu: das ist irgendwie auch eine Dicker-Mann-Idee. Vielleicht muss man das Problem viel früher angehen und kleine Jungs ständig dafür loben, wie hübsch und lieb sie sind (statt dafür, was für einen dicken Haufen sie gemacht haben und wie schnell sie laufen können). Alternativ könnte man am akuten Bedürfnis nach Aufmerksamkeit ansetzen und dem ausgewachsenen Dicken Mann einen Seelsorger an die Seite stellen. Der versichert ihm immer, wenn er den Motor röhren lässt, weitschweifig die Welt erklärt oder sich an der Baumarktkasse vordrängelt, dass er existiert: „Da hast Du aber fein Brumm-Brumm gemacht.“ Aber letztlich ist auch das nur eine lustige Idee, keine Lösung. Stattdessen möchte ich vorschlagen, die nach der Insolvenz leerstehenden Praktiker-Baumärkte als Dicker-Mann-Erlebnis-Park zu nutzen. Dort finden dann stündliche Dicker-Mann-Challenges statt: Wer kriegt am meisten Säcke auf den Wagen? Wer kann sich am besten an der Kassenschlange vordrängeln? Wer erzählt die lautesten Witze? Ein bisschen wie GTA, nur ohne Internet. Der Dicke Mann ist in seinem Element. Die Insolvenz-verwaltung freut sich. Der Rest der Welt hat Ruhe. Eine Win-win-win-Situation.

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