Warum wir auf Festivals vorerst unsere T-Shirts anbehalten

Auf einem linken Festival im Sommer 2019 stand ein knapp bekleideter Frontman auf der Bühne und forderte das Publikum auf, sich auszuziehen. Er selber, sagte er, sei gerne nackt und wolle daher, dass auch alle anderen nackt sind. Alles andere als amused über die Relativierung von Sexismus und des Problems der Unmöglichkeit für Frauen, sich in der Öffentlichkeit (nackt) frei zu bewegen, ohne damit ungewollte Reaktionen zu evozieren – auch innerhalb der Linken* – wurde der Vorfall Gegenstand eines Gesprächs mit einem Typen, der die Empörung der beteiligten Frau nicht nachvollziehen konnte. Er äußerte schließlich, es sei unemanzipatorisch von Frauen, wenn diese auf Festivals ihr T-Shirt nicht ausziehen wollen. Konfrontiert mit diesemVorwurf tauschen sich Dracaena, Prinsepia und Helesia in einem lockeren Gespräch über die Gründe aus, aus denen sie dies nicht tun werden.

Prinsepia: Ich empfinde es als eine Frechheit, dass sich ein Mann auf die Bühne stellt und Frauen (wie Männer) auffordert, sich auszuziehen. Schon damals sagte ich, dass wir ihn eigentlich an die Hand nehmen, uns nackt ausziehen und mit ihm über das Festivalgelände laufen müssten. Vielleicht würde er dann begreifen, was der Unterschied zwischen einem nackten Mann und einer nackten Frau in der Öffentlichkeit bedeutet. Weil wir das nicht in die Tat umgesetzt haben, uns entschieden, unsere T-Shirts anzubehalten, wurde mir in dem oben erwähnten Gespräch vorgeworfen, wir hätten uns nicht emanzipatorisch verhalten. Es wäre dasselbe, wenn wir uns in naziverseuchten Gegenden nicht als Linke zu erkennen gäben. Gerade da wäre es doch wichtig. Als ich sagte, dass er anscheinend nicht begreifen kann, was es für Frauen für Gefahren birgt und mit welchen Konsequenzen sie rechnen müssen, wenn sie sich (auch auf einem linken Festival) ausziehen, sagte er, dass auch er nicht dem gängigen Schönheitsideal entspreche und daher wisse, was Diskriminierung ist. Er gab schließlich deutlich zu verstehen, dass wir (Frauen) einfach nur nicht mutig, nicht emanzipatorisch genug seien.

Dracaena: Außerdem wird hier abgesprochen, dass Frauenkörper anders bewertet werden, es Leute als Einladung oder Aufforderung verstehen, zu übergriffigen Kommentaren oder zu physischen Übergriffen. Das spricht ab, dass Frauen permanent sexualisiert werden, ihr Körper (auch angezogen) ständiger Bewertung unterliegt.

Prinsepia: Du wirst entweder als Hure oder Schlampe bezeichnet, wenn du nicht angezogen genug bist oder du wirst als Freiwild behandelt, so dass gesagt wird: ‚Wenn du so aussiehst, dann musst du damit rechnen, dass du fotografiert/ gefilmt wirst und dass du Kommentare in jeglicher Hinsicht bekommst.‘ Das passiert (Frauen) ja auch angezogen.

Helesia: Auch mich stört diese Aussage, sie erkennt an, dass es für Frauen problematisch ist, sich auf einem Festival auszuziehen, schiebt aber die Verantwortung im Umgang damit den Frauen zu, indem man sagt, dann müsst ihr euch dem aussetzen.
Wenn man sagt, das Problem auf Festivals ist, dass da ein Haufen Macker und Sexisten rumhängen, kann doch die Konsequenz nicht sein, potenziell Betroffene dazu aufzufordern, das zu ignorieren, drüber zu stehen und so zu tun, als bestünde das Problem gar nicht, damit man zumindest nach Außen den Schein eines emanzipatorischen Miteinanders wahren kann.

Dracaena: Wenn Leute Bock darauf haben sich (halb-)nackt zu bewegen, dann kann man solche Räume schaffen, dann kann man auch mal eine Nacktparty machen oder was auch immer, bei denen allen Beteiligten klar ist: Hier bewegen sich die Leute nackt. Das heißt auch, dass Leute, die damit ein Problem haben oder nicht fremde Körper nackt sehen wollen, sagen können: ‚Okay, dann ist das nicht meine Party, dann gehe ich da nicht hin.‘

Helesia: Das ist ja dann auch die andere Seite, dass es Leute gibt, die sich umgeben von nackten Menschen nicht besonders wohl fühlen, so wie es auch im Pogo nicht besonders angenehm ist, ständig von irgendwelche Typen mit nacktem Oberkörper angerempelt zu werden.

Prinsepia: Ich erinnere mich an eine gute Ansage von Oidorno auf der Fusion, wo Nacktheit schon akzeptierter ist und es nicht so viel Aufsehen erregt, wenn auch Frauen sich nackt bewegen. Es waren 43 Grad und die haben gesagt: ‚Schön, dass ihr Spaß habt im Pogo, aber zieht doch eure T-Shirts wieder an, dann würden sich vielleicht die anderen, die mit euch tanzen, wohler fühlen.‘ Ich fand die Art und Weise gut, wie der Sänger das gesagt hat, weil er auch einfach klar gemacht hat: ‚Ey, so nicht. Wir wollen alle zusammen feiern. Es ist bockeheiß, das merken wir auch. Aber die anderen würden sich wahrscheinlich wohler fühlen.‘

Dracaena: Ein T-Shirt, das schwitzt man auch durch, aber das ist eine Barriere. Es ist dann einfacher eine Person auch mal wegzuschieben, als wenn die Person oberkörperfrei ist. Du hast dann immer noch mal eine unsichtbare Grenze. Und Männer ohne T-Shirt nehmen oft noch mehr Raum ein als eh schon. Manchmal öffnet das auch Tür und Tor für Mackerverhalten.

Helesia: Das ist spannend, vielleicht ist das so eine Geste des sich Raum nehmens. Als Frau behält man oft die Gesamtsituation im Blick und als Mann muss man das nicht (immer), da kann man sich auch mal gehen lassen. Das markiert nochmal einen Unterschied.

Prinsepia: Ich möchte in einer Gesellschaft leben, in der auch ich mich bei 40° ausziehen kann. Ich würde auch gerne nackt sein. Nur leider fehlen noch 100 Schritte davor, dass ich das als Frau angstfrei machen kann. Es reicht auf jeden Fall nicht, von einem halbnackten Mann auf der Bühne dazu aufgefordert zu werden und wenn ich es nicht mache, mir auch noch von anderen Männern unemanzipatorisches Verhalten vorwerfen zu lassen.

Dracaena: Das Verrückte ist, wenn es Einschränkungen für Frauen bedeutet, nämlich dahingehend eingeschränkt zu sein, sich nicht oberkörperfrei bewegen zu können, wenn man Bock hat, dann ist es egal, aber wenn es die Männer einschränkt, gibt es Diskussionen.
Das ist auch immer so ne Art von Privilegiendiskussion. Es gibt ein männliches Privileg den Oberkörper frei zu machen, ohne sexualisiert zu werden, ohne da irgendwie kommentiert zu werden. Für Frauen gilt das nicht. Wir leben nicht in solchen Zeiten, wir haben solche Freiräume nicht. Ich will einfach, dass diese Akzeptanz dafür da ist.

Helesia: Was wir gerade besprochen haben, ist ja, dass T-Shirts ausziehen können nicht nur unbedingt ein Privileg ist, auf das man verzichtet. Da würde ich deine Meinung teilen, dass wir nicht im Negativen zueinander kommen, indem man sagt, ihr verzichtet auf eure Privilegien, dann ist es für uns alle schlecht und wir sind auf einem Nenner. Sondern es ist auch so, dass das T-Shirt auszuziehen auch eine Wirkung erzielt, die es für andere irgendwie unangenehm macht.

Dracaena: Trotzdem ist auch immer der Zusammenhang zu sehen. Zieht jemand sein T-Shirt aus, weil er schwitzt oder weil er seine Männlichkeit zur Schau stellen will. Das macht einen Unterschied.

Helesia: Das denke ich auch, dass es verschieden bewertet werden muss, ob man das macht, weil man wirklich krass schwitzt, sozusagen aus einer gewissen Funktionalität heraus oder ob man im Pogo sein T-Shirt von sich wirft, weil man seine Männlichkeit und seinen eigenen Körper zur Schau stellen will. Der Unterschied ist für mich als Beobachterin aber schwer dingfest zu machen. Was weiß denn ich, ob der Typ vor mir ein Schweißproblem hat und deswegen sein T-Shirt auszieht oder ob er gerade seine Muskeln präsentieren will.

Prinsepia: Ich glaube, wir müssen klare Regel aufstellen, dann können wir uns um diese 100 Schritte kümmern, die zu einer freien Gesellschaft fehlen und dann arbeiten vielleicht auch die Männer mit, die sich in ihren Privilegien eingeschränkt fühlen, weil die auch irgendwann zu dem Punkt kommen wollen, dass wir uns alle ausziehen können. Eine klare Regelung ist einfacher durchzusetzen als zu sagen, ich entscheide im Moment.
Klar, kann ich in der Kleingruppe immer machen, jedes Mal aufs Neue, aber nicht im öffentlichen Raum. Das heißt, da die klare Ansage, T-Shirt bleibt an und wenn wir in 300 Jahren so weit sind, dann bitte alle T-Shirt aus, wem danach ist.

Helesia: Das situativ zu entscheiden ist schwer. Als Frau bis du dann in der Position, wenn du zu der Einschätzung kommst, ich will gerade nicht, dass der sein T-Shirt auszieht, dass auch durchzusetzen. Wenn nicht von vornherein die Regel besteht, hier werden keine T-Shirts ausgezogen und es fühlen sich alle dafür verantwortlich, dass das so ist, wäre die Situation am Ende immer die, dass du als Person, die das stört, das durchsetzen müsstest.

Prinsepia: …und du erklären musst, wieso es für dich jetzt ein Problem ist und warum du als Person den anderen jetzt in seiner Freiheit einschränken willst.

Dracaena: Die relevante Frage ist doch: Wie kann man das so gestalten und solche Mechanismen installieren, dass Übergriffe nicht passieren oder zumindest das Risiko minimiert wird.
Es muss Ansprechpersonen und Awareness-Teams geben. Und wenn nur Hinweise aushängen, dass so etwas nicht geduldet wird, um potentiellen Tätern zu signalisieren, es wird euch hier unangenehm gemacht. Wenn du Scheiße baust, dann folgen Konsequenzen.
Es gibt manche Locations, die am Einlass rote Aufkleber auf die Kameras kleben, weil sie nicht möchten, dass gefilmt oder fotografiert wird. Das ist eine Bewusstmachung, denn wenn dann wirklich jemand mit der Kamera da steht, können andere Leute sagen: ‚Ey, wo ist denn der rote Punkt?‘ Damit schafft man eine gewisse Achtsamkeit. Das finde ich auch nicht repressiv.

Helesia: Jemanden bei unangemessenem Verhalten rauszuwerfen, ist schon eine gewisse Form der Repression. Aber da geht’s ja darum was anderes zu vermeiden, eine gewisse Atmosphäre zu schaffen oder zu erhalten und das finde ich auch in manchen Fällen total angebracht. Die größere Schwierigkeit scheint eher, nicht nur ein geteiltes Problemverständnis dafür zu schaffen, sondern auch für sich selber ein Gefühl dafür zu bekommen, wann etwas problematisch ist. Denn Übergriffe passieren so oft, dass Frauen das manchmal gar nicht mehr artikulieren, weil es für sie Alltag und Normalität ist.

Prinsepia: Das ist das Resultat weiblicher Sozialisation. Wenn wir uns in einer unangenehmen Situation befinden, sagen wir dann nicht sofort: ‚Das ist mir unangenehm!‘.
Wir denken noch dreimal darüber nach, hören erst mal in uns rein, ob sich das jetzt auch wirklich scheiße anfühlt und ob wir auch nicht übertreiben. Schon Mädchen werden dazu angehalten, sich immer wieder zu reflektieren, immer wieder bei sich zu gucken, den Fehler bei sich zu suchen und zweifeln vielleicht deshalb später eher an sich und ihrem Verhalten, anstatt an dem des Gegenüber.

Helesia: Und damit sind wir wieder beim ursprünglichen Thema. Dass einem als Frau nämlich gesagt wird: ‚Ihr seid das Problem, wenn ihr eure T-Shirts nicht ausziehen wollt und nicht die Situation, in der man als Frau das T-Shirt nicht ausziehen kann.‘ Die Problemverschiebung hin zum individuellen Verhalten Einzelner verhindert dann, dass man das als gemeinsames Problem begreift und angehen kann.

Prinsepia: Dabei würde ich mir genau das wünschen: Anzuerkennen, dass es für Frauen etwas anderes bedeutet, ihr T-Shirt auszuziehen, als für Männer. Und ich wünsche mir in solchen Diskussionen Solidarisierung durch anderer Frauen. Denn durch Schweigen geben sie dem Gegenüber Recht und lassen die Frau, die diskutiert, damit alleine.

* Dass dieser gemeinhin unterschätzt wird, dabei aber omnipräsent ist, zeigen nicht zuletzt die an anderer Stelle im Heft thematisierten Vorfälle von Monis Rache, Fusion und anderen linken Räumen und Kontexten.

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