Gespräch mit Freundin, Freund und Freund

Berta Beziehungsgeflecht rezensiert einen Sammelband, der fragt, ob und wenn ja wie Poly leben und Revolution zusammenhängen kann.

Sich in einer Beziehung mit mehreren Personen zu befinden und dies anderen Leuten zu erklären ist manchmal gar nicht so einfach, besonders außerhalb der eigenen kleinen, linken Bubble. Denn wie kann anderen schnell erklärt werden, zu wem ein romantisches Beziehungsverhältnis oder ein freundschaftliches Verhältnis besteht und das letzteres keineswegs Kuscheln, Pflege- und Carearbeit ausschließt. Die Freundschaftsbeziehung befindet sich auch keinesfalls nachrangig zu den romantischen Beziehungen. Wenn die Rede von „einem Freund“ ist, unterschlägt das bei vielen, dass ein romantisches Verhältnis besteht, aber wenn „mein Freund“ fällt, wird meist automatisch davon ausgegangen, dass er „der Einzige“ wäre und zu diesem eine monogame heteronormative Beziehung bestünde. Diese Sprachmissverständnisse können in der normativen kapitalistischen Gesellschaft wahrscheinlich gar nicht überwunden werden und auch der perfekte Begriff würde nicht alles einschließen, da Begriffe immer Grenzen aufzeigen, aber häufig fließende Übergänge bei zwischenmenschlichen Beziehungen bestehen. Mensch sollte also vielleicht versuchen, offen zu sein, ob auf der Beziehungs-Mindmap des Gegenübers noch ein paar mehr Personen eingezeichnet werden müssen. Von diesen kleinen Problemen, aber auch von größeren gesellschaftlichen Konflikten, die dadurch ausgelöst werden, dass Personen sich nicht in einer monogamen heteronormativen Beziehung befinden, wird im Sammelband berichtet. In 17 Beiträgen wird sich aus unterschiedlichen Blickwinkeln mit der Frage beschäftigt, ob Polybeziehungen einen emanzipatorischen Kern haben. Dabei wird deutlich: Revolution zu machen oder anzustoßen ist niemals leicht.
Denn auch wenn viele Beziehungspolyküle (beschreibt eine Beziehungsansammlung von Menschen, welche in unterschiedlichen Beziehungen zueinander stehen) einen politischen Anspruch haben, kann es vorkommen, dass dieser auf der Strecke bleibt und sich in den typischen sozialisierten Verwirrungen und Irrungen der Gesellschaft verliert. Sehr positiv finde ich dabei, dass die Beantwortung der Frage nach dem emanzipatorischen Kern nicht zu einer Frage von Mono- vs. Polybeziehung verkommt. Sondern das jede Person, egal in welcher Art von Beziehung, ihr eigenes emanzipatorisches Potential erkennen soll, um sich dann mit Menschen zusammenschließen und Banden zu bilden, um einen Systemwandel voran zu treiben.
Des weitern werden im Sammelband unterschiedliche Aspekte und Probleme, die sich aus Polybeziehungen ergeben können, betrachtet. Zum Beispiel wird im Beitrag „Kommunikative Gewalt in Polykülen: Klassische Kommunikationspraktiken“ auf viele Fallen für ungleiche Machtverteilung hingewiesen, die bei Zwang zu einer offenen Kommunikation entstehen können. Es wird verlangt, dass die Person an sich selbst arbeiten solle, damit sie Gefühle wie Eifersucht nicht mehr spüre. Dadurch werden Probleme in der Gruppe zu Einzelproblemen gemacht. Die Probleme werden personalisiert und nicht strukturell betrachtet.
In einem anderen Beitrag wird thematisiert, warum Menschen sich dazu entschieden haben polyamore Beziehungen einzugehen. Dabei wird deutlich, dass es nicht den einen Grund gibt, sondern viele Verschiedene. Auch wird klar, dass es nicht die eine Art Polyamorie auszuleben gibt. Es gibt sehr unterschiedliche Menschenkonstellationen und auch wie eng die Bindungen untereinander sind, unterscheidet sich stark. Aber bei allen wird versucht, die kleinfamiliäre Privatheit zu überwinden und einen Gegenentwurf zum heteronormativen Weltbild zu schaffen. Ob dies in allen Aspekten der Fall ist, bspw. auch bei der Aufteilung der Carearbeit, wird in einem Beitrag behandelt. Es wurden einzelne Polyküle beschrieben. Diese Beschreibungen haben einen kleinen Einblick geschafft, wie ein Polybeziehungsgebilde aussehen kann, aber ich finde, dass durch diese einzelne Betrachtung wenig darüber aussagt werden kann, wie emanzipatorisch nichtmonogame Polybeziehungen im Allgemeinen sind, oder ob dieses Potential nur bei diesem bestimmten Polykül erkennbar ist. Das Problem würde ich aber nicht auf die jeweiligen Beiträge schieben, sondern auf die dünne wissenschaftliche Quellenlage beim Thema Polyamorie. Kurz angerissen wird das Thema online-dating und die Hindernisse, die es für eine Poly-Person darstellen kann, aber auch welche Vorteile es bietet schnell jemanden kennen zu lernen.
Die meisten der Beiträge sind in verständlicher Alltagssprache verfasst. Mensch kann das Buch also gut am Strand oder gemütlich auf dem Sofa lesen – nur für manche der Beiträge braucht es eine Schreibtisch-Atmosphäre.
Insgesamt verschafft der Sammelband einen guten Überblick und hilft Interessierten, wie Skeptiker*innen einen guten Einstieg in das Thema Polybeziehungen zu finden. Es handelt sich keinesfalls um einen Beziehungsratgeber, sondern die unterschiedlichen Probleme, die in Polybeziehungen entstehen könne, werden aus einer gesellschaftskritischen Perspektive heraus betrachtet. Es gibt zwar auch einzelne Beispiele von Beziehungsgebilden, aber diese beschreiben meist Ausschnitte und geben nur einen kleinen Einblick in mögliche zwischenmenschliche Probleme. Der Sammelband hat mir insgesamt gut gefallen und ich würde ihn einer Freund*in weiter empfehlen, denn er liefert nochmal gute Denkanstöße, wie eine emanzipatorische Praxis aussehen kann. Was am Ende zählt ist, dass sich alle Menschen mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, die sie umgeben auseinandersetzen und sich überlegen wie sie sich zusammenschließen wollen, um für Veränderung zu kämpfen. Sei es, dass sie sich in einer Poly- oder einer Monogamen Beziehung befinden.

Michel Raab, Cornelia Schadler: Polyfantastisch? Nichtmonogamie als emanzipatorische Praxis. Münster, Unrast 2019, 224 Seiten, 16€.

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