Nicht schlecht, aber auch nicht gut – weil viel zu mittelmäßig

Die Bundesregierung hat einen Maßnahmenkatalog gegen Rassismus zusammengeschustert. Ist das was? Naja. Schlenko geht der Frage nach, warum derartige Pläne ab einer gewissen Schwelle zu mau sein müssen und erinnert daran, dass Antirassismus und Antifaschismus einen weiteren Weg eingeschlagen sollte, als der vom Staat anvisierten.

Auf die für wirklich alle unübersehbare braune Kacke, also antisemitische, rassistische und islamfeindliche Anfeindungen nebst Anschlägen, kam jetzt die angekündigte Antwort aus dem Parlament: Der sogenannte Maßnahmenkatalog des Bundes gegen Rassismus und Rechts-“Extremismus“. Er enthält 89 Punkte und scheint damit nicht klein. Doch der Haken: Der Bereich, welcher von diesen Punkten betroffen ist, hat keine Größe, die sich als Gesellschaft bezeichnet lässt. Aber alles der Reihe nach…

Wenigstens wird irgendwas gemacht

Lasst uns anfangs scheißfreundlich sein und mit sozialdemokratischem Lob austeilen: Es ist natürlich wichtig und längst überfällig,dass von staatlicher Seite her versucht wird, nicht nur nachträglich auf Faschoterror zu reagieren, sondern ihn mittels „Schulungen, Diversifizierungen und Sicherheitsmaßnahmen in allerlei gesellschaftlichen Sektionen“ vorzubeugen. Zwar sind nichtstaatliche Akteur*innen schon lange damit beschäftigt, rechte Gewalt von verschiedenster Härte auch in behördlichen Räumen (!) aufzudecken und zu bekämpfen – bisher lief ja die staatsgetragene Ermittlung im Gegensatz dazu oberflächlich ab, hat immer sehr lange gebraucht und am Ende selten was gebracht. Aber wer weiß: Vielleicht stehen Verfassungsschutz, Polizei und Gericht ab jetzt wirklich nicht mehr Schmiere für massiv gewalttätige Neonazis.
Darüber hinaus ist es es super, wenn gemäß dem Katalog in Zukunft ein paar mehr faschistische Angriffe medienwirksam verhindert werden (selbst wenn das um so stärker die sicherheitspolitischen Fantasien verstärken wird, welche sich rund um Überwachung des Internets und öffentlicher Plätze drehen). Es ist auch nicht schlecht, wenn eine ganze Palette an „Schulungen für mehr Sensibilität“ durchgespielt wird. Und darauf, dass der ein oder andere rechte Depp aus dem Amt fliegt, wird schon lange gewartet und es ist gut, dass das ab jetzt vielleicht passieren wird.

Es ist zu wenig

Und trotzdem: Es reicht einfach nicht! Anstatt sich die Rot-Schwarz-Politiker*innen endlich mit dem Riesenproblem auseinandersetzen, was die speziellen Missstände artikuliert und befeuert, konzentrieren sie sich weiterhin nur auf den Einzelfall – ohne seinen Ursachenhintergrund zu Ende zu denken. Bevor jetzt allerdings der Fokus aufs Individuelle kritisiert wird, muss eine Sache gesagt sein: Der Einzelfall ist für die*den jeweilige*n Betroffene*n natürlich von zentraler Bedeutung. Bei all dem, was jetzt kommt darf das auf keinen Fall vergessen werden.

Und es wird wieder mit Hufeisen gewedelt

Mit der Verabschiedung des Maßnahmenkataloges hat das Bundeskabinett heftig an Systemkritik eingespart; wenn das Kanzleramt vom „rassistischen Gift in unserer Gesellschaft“ spricht, klammert es die Gesellschaft als Ganze aus und verlagert die Problematik Rassismus in die Extreme. Die Problematik wird als ein Konzentrat dargestellt, als eine gebündelte und extrem schädliche Substanz. Damit wird ein altes Hufeisenmodell bedient, in welchem allumfassende Systemkritik keinen Platz findet.

Das Problem? Es heißt System!

Systemischer Mist wird also weder mit dem konkreten Maßnahmenpaket, noch mit vergleichbaren Ansätzen im Allgemeinen aufgeräumt. Doch in was für einem System leben wir und warum ist das mistig? Diese Frage kann hier nur auszugsweise beantwortet werden: Da sind zum Beispiel Grenzkontrollen, da ist die Kriminalisierung von Geflüchteten und ein sicherheitspolitischer Fokus aufs „Unkonventionelle“. Auch die Marktwirtschaft, die damit verbundenen Sachzwänge und nicht zuletzt die Entäußerung von Arbeit sind systemische Faktoren für individuelles Kackbefinden und daraus resultierendem Rassismus: es kommt zur Unterdrückung wichtiger Bedürfnisse, deren Rechtfertigung imstande gebracht werden kann, indem diese Bedürfnise auf vermeintliche Außenseiter*innen projiziert und an dieser scheinbaren Gruppe von „Anderen“ schlecht geredet werden . Und da ist natürlich noch viel mehr, was den Text hier sprengen würde… klargestellt werden muss aber noch, dass sich Systemkritik nicht auf eine einzige Erklärstruktur beschränken darf, sondern auf eine multiperspektive und differenzierte Betrachtung der Missstände hinauslaufen muss – Verschwörungstheorien sind Teil des Problems! Und festzuhalten ist auch, dass der systemische Mist allen mehr oder weniger auffällt. Manchen Betroffenen stinkt er bis zum Hals, während er so manch Priviligiertem weniger stinken muss. Und andere wiederum, das heißt im groben und ganzen die Nazis, erklären, rechtfertigen und konstitueren den Mist mit rechter Ideologie.
Soweit, so durcheinander. Was fangen wir jetzt an mit diesem Wortsalat aus Feststellungen? Es gilt eine Strategie für die Praxis zu finden. Das geschieht in verschiedensten Kontexten und kann hier nicht vollständig gemacht werden. Kommen wir dennoch, und das nicht mehr und nicht weniger als Beitrag für den Diskurs gedacht, zu den …

…W-Fragen:

Was ist im Kopf zu behalten?

Merken lässt sich unter anderem:
Das große System ist rassistisch und exklusiv, was nun so tut, als würde es gegen individuelle Fälle von Diskriminierung vorgehen. Auch dass Rassismus nicht nur ein „rechtsextremistischer Ausnahmefall“ ist und es keine geläuterte „Mitte“ gibt, wie mal wieder mit dem Maßnahmenkatalog suggeriert wird, ist wichtig im Kopf zu behalten, wenn wir über Strategien und Bezugsfeldern des antirassistischen Kampfs sprechen.

Wie weit ist zu denken?
In Aussicht sind ziemlich sicher: Die abstrakten, verschwommenen Konstrukte des Nationalstaats und des Kapitalismus. Diese bilden den Hintergrund, vor dem sich das Konkrete konstituiert – das, was so scharf ist, dass es einfach ins Auge stechen muss und natürlich bekämpft gehört. Um aber auch diesen Hintergrund offenlegen und bekämpfen zu können, gilt: Analyse und Kritik des Systems!

Was bekämpfen?
Bei dieser Frage müssen jedes Mal aufs Neue blinder Pragmatismus und nerviger Idealismus ausgewogen werden. Unreflektiertes Tun und destruktives Zerreden sind gleichermaßen schlecht. Das heißt in jedem Fall mehrteilig vorgehen: Die Zerschlagung und Auflösung von individuellen Missständen kann viel bewirken. Aber auch der Blick aufs große Ganze ist wichtig und darf nicht zu kurz kommen. Reden und tun wir nur etwas gegen den Einzelfall, verstärken wir die Vorstellung eines Ausnahmefalles. Anders gesagt: Wir sollten den Stammtisch nicht vergessen, an dem wirres Zeug gefaselt und gebastelt wird, an dem rechte Verkrampfungen entstehen und Grenzen verschiedenster Art gezogen werden. Wenn eine allumfassende Lösung eintreten soll, müssen nicht nur die rechten Quasselstrippen und Stiefeltreter bekämpft werden. Auch der Stammtisch, an dem rechtes Gedenke offensichtlich seinen Platz finden kann, gehört angesägt.

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