Gedenkstätten an historischen Orten nationalsozialistischer Verbrechen könnten Anlass zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dieser Gesellschaft bieten. Stattdessen bricht sich dort inzwischen ein bürgerliches Distinktionsbedürfnis Bahn, das jedes Bildungsversprechen prospektiv unterläuft. Inwiefern ein Projekt rund um den 27. Januar 2022 Aufschluss über den Zustand staatstragender Erinnerungsarbeit gibt, schreibt Lola Lux.
Seit seiner Einführung im Jahr 1996 bietet der Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus alljährlich Anlass für offizielle Veranstaltungen, Aktionen und Gedenkakte, die gemeinhin als Teil einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit den Nazi-Verbrechen verstanden werden. Überlebende der NS-Verbrechen oder Nachfahren der Ermordeten sprechen im deutschen Bundestag und der*die ein oder andere Landes- und Lokalpolitiker*in findet aus gegebenem Anlass den Weg in eine KZ-Gedenkstätte, um dort die große Bedeutung der Erinnerung an den Nationalsozialismus für die bundesrepublikanische Gesellschaft zu betonen. Dass es sich bei diesen Beiträgen vielfach nur um die Exekution erprobter Riten mit wenig kritischem Gehalt handelt, verwundert sicherlich niemanden, der das Tun von politischen Repräsentant*innen regelmäßig verfolgt. Dass nun jedoch auch die Aktionen der Gedenkstätten selbst über eine inhaltsleere Apologie der vielfältigen Gesellschaft ofenbar nicht mehr hinausgehen, ist Ausdruck einer beunruhigenden Tendenz, die sich am Beispiel des Projektes „Lichter gegen die Dunkelheit“ aufzeigen lässt:
Eingeladen vom Haus der Wannsee-Konferenz, der Stiftung Topographie des Terrors und der Stiftung Niedersächsische Gedenkstätten beteiligten sich deutschlandweit zahlreiche Gedenkstätten, Museen, Erinnerungsorte und andere Einrichtungen an einer Aktion, deren Ziel es war, „vor dem Hintergrund des historischen Geschehens ein Zeichen [zu] setzen gegen Nationalismus, Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus und […] zu einer bewussten Auseinandersetzung mit aktuellen demokratiefeindlichen Tendenzen in Gesellschaft und Staat ein[zuladen]“1. Zu diesem Zweck beleuchteten die Einrichtungen am sogenannten Holocaust-Gedenktag nach Einbruch der Dunkelheit lokale Orte der Erinnerung. Fotos und Videos der Aktion wurden unter dem Hashtag #LichterGegenDunkelheit versammelt und über social media verbreitet. In Thüringen schlossen sich die Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora, der Erinnerungsort Topf & Söhne sowie die Alte und die Kleine Synagoge in Erfurt diesem sogenannten „Beleuchtungs-Flashmob“ an.
Während man sich als Beobachterin der Aktion einerseits noch tagelang fragen konnte, inwiefern das öffentlichkeitswirksame Anleuchten von Gebäuden und Denkmälern jemals hätte dazu geeignet sein können, dem o.g. Ziel zu entsprechen, ist andererseits auch der Name der Aktion bemerkenswert. Er ist ein Ausweis für das Selbstverständnis der beteiligten Einrichtungen und ihre Verortung innerhalb dieser Gesellschaft: Am 27. Januar erschienen die historischen (Tat-)Orte (sicherlich vor allem sich selbst) als illuminiertes Bollwerk gegen „die Dunkelheit“, d.h. gegen die Antagonisten der bürgerlichen Demokratie und der vielfältigen Gesellschaft. Während vielerorts Querdenker aufmarschierten, schalteten Gedenkstätten mutig das Licht ein und inszenierten sich vermittels sakral anmutender Illuminationen in Abgrenzung vom braunen Mob als Parteigänger für das Richtige. Inhaltlich war die Aktion damit bereits erschöpft; gänzlich unbeleuchtet ließen die Lichtshows leider eine ganz entscheidende Frage, auf die eine Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus zu zielen hätte: die Frage nach dem Zusammenhang zwischen dieser Gesellschaft und dem Denken und Handeln ihrer Feinde von rechts. So eröffnete der diesjährige Gedenktag wohl einen traurigen Ausblick auf die weitere Entwicklung der deutschen Erinnerungskultur und ihrer Institutionen, deren staatstragende Funktion sich von Jahr zu Jahr mehr in die praktische Arbeit an den historischen Orten einschreibt. Auch in Gedenkstätten gilt heute: Gelernt wird dort im Grunde für diese Gesellschaft, nicht für deren Kritik. Denn wer die eigene historisch-politische Bildung als „unentbehrliche[n] Bestandteil der Kultur unseres Landes“ versteht, kann diese Kultur wohl kaum mehr kritisch in den Blick nehmen – weder in Bezug auf die Gegenwart, noch auf die Vergangenheit.
1 Alle Zitate dieses Artikels entstammen der Projekt-Webseite „Lichter gegen die Dunkelheit“: https://www.lichter-gegen-dunkelheit.de/.