Failed State Thüringen

Die Kommunal- und Europawahlen vom 26. Mai und 9. Juni in Thüringen legen offen, was Linke und von Rassismus betroffene Menschen seit langem wissen. Dieses Bundesland ist ein rechtes Shithole. Für die anstehende Landtagswahl verheißt das nichts Gutes. Von Ox Y. Moron.

Das Ende der Linkspartei

Anfang der 1990er-Jahre bis Mitte der 2010er Jahre gab es in Thüringen im Wesentlichen drei Parteien, die nach dem Zusammenbruch der DDR für Stabilität in der Landespolitik gesorgt haben: die CDU als Dauerregierungspartei, die SPD als gelegentlicher Mehrheitsbeschaffer der CDU und die Daueroppositionspartei PDS, später, nach einer anmaßenden Umbenennung, „Die Linke“. Letztere fuhr ihre Wahlerfolge auf dem Ticket einer ostdeutschen Protestpartei ein. Sie gewann beachtliche Stimmanteile bei Kommunal- und Landtagswahlen nicht weil – wie wir heute wissen – der Osten besonders links ist oder die Menschen hier einen demokratischen Sozialismus möchten, sondern weil autoritär formierte Charaktere in Ostdeutschland damit u.a. die Ablehnung der Westbindung und einer, zumindest nach den Maßstäben kapitalistischer Vergesellschaf- tung, offenen Gesellschaft zur Wahlurne brachten. Häufig genug spielte in den ersten Jahren nach dem Zusammenbruch der DDR auch die Verklärung der eigenen Vergangenheit bzw. die eigene Verstrickung ins SED-Regime eine nicht untergeordnete Rolle. Ironischerweise erhielt also eine Partei jahrzehntelang die Stimmen von potentiellen Rechtswählern, die ein linkes Programm vertrat.

Damit ist es heute vorbei. Nicht weil die ostdeutsche Gesellschaft nach rechts gerückt ist. Da stand sie schon immer. Sondern wesentlich aus zwei anderen Gründen: Erstens ist mit der AfD ein Akteur auf der Bühne der etablierten (d.h. für die Mehrheitsgesellschaft als wählbar erscheinenden) Parteien aufgetaucht, den diese rechte ostdeutsche Klientel in viel größerer inhaltlicher Übereinstimmung wählen kann als eben „Die Linke“. Zweitens gibt es mit der Rechtsabspaltung des „Bündnis Sahra Wagenknecht“ (BSW) von der Linken eine weitere Partei, die ehemalige Linkswähler, die noch nicht zur AfD übergelaufen sind, nach rechts bindet und enttäuschte, zu kurze gekommene Alt-Funktionäre aufsammelt. Sahra Wagenknecht ist damit ein gewaltiger Coup gelungen, der ihr wohl selber unheimlich ist. Sie kandidiert zwar weder kommunal, noch auf der Europaliste, noch für den Thüringer Landtag. Aber trotzdem steht sie auf allen Wahlzetteln. Und da geht es ihr nun wie der AfD: Sie könnte als Kandidaten Mettigel, Feldsalat oder Besenstiele aufbieten. Die Wähler wählen trotzdem das BSW. Vom Wahlsystem gedacht, ergibt das wenig Sinn. Inhaltlich steht das BSW für Appeasement mit Russland, Mord an den europäischen Außengrenzen und eine Romantisierung des Gestern. Überhaupt: Das BSW und ihre Galionsfigur ist eine gigantische Projektionsfläche für die Niedertracht ostdeutscher Kleinbürger und je vager das Programm dieser Partei ist, umso besser für die Wählerbindung.

Das Wählerpotential der Linken ist damit auf eine kleine Kerngruppe zusammengeschrumpft, die im benachbarten Sachsen bei den Europawahlen, trotz Leipzig, nichtmal auf 5% kam (Thüringen: 5,7%). Das Ende der Linkspartei scheint besiegelt. Sie wird wohl Stück für Stück verschwinden und zerfallen in dem Moment, als sie nach dem Austritt des rechten Wagenknecht-Flügels inhaltlich sympathischer erscheint denn je.

Hoffen auf den Ramelow-Effekt

In Thüringen hat man die Hoffnung auf bessere Landtagswahlergebnisse bei der Linkspartei derweil noch nicht aufgegeben. Diese Hoffnung hat einen Namen: Bodo Ramelow. Der amtierende Ministerpräsident ist der mit Abstand beliebteste Landespolitiker, der, so die Argumentation, nur dann im Amt bleiben kann, wenn die Linke kräftig zulegt. Man hofft also auf außerordentliche Zugewinne, weil sich Wählerinnen und Wähler am Ende vielleicht nicht für die Partei, aber für den erneut kandidierenden Amtsinhaber auf dem Ticket der Linken entscheiden. Dass das funktionieren und ein Personenwahlkampf auch Listenwahlen entscheiden kann, sieht man nicht nur am BSW, sondern auch an vergangenen Landtagswahlen republikweit. Und auch die jüngsten Umfrageergebnisse zur Landtagswahl sehen die Linkspartei deutlich stärker als ihre Stimmanteile zu Kommunal- und Europawahlen vermuten ließen. Ohne Bodo Ramelow würde es die Linkspartei in Thüringen schon heute kaum noch über die Fünfprozenthürde schaffen.

Thüringen – ein braunes Shithole

Die Kommunal- und Europawahlergebnisse zeigen: Es gibt in Thüringen nur noch zwei Landkreise/kreisfreie Städte, die eine Mitte-Links-Mehrheit, d.h. links von CDU & FDP, behaupten konnten, nämlich Erfurt und Jena. In allen anderen Landkreisen gibt es in den Kreistagen und kreisfreien Städten stabile rechte Mehrheiten. AfD-Kandidaten gelangten zudem in die meisten Stichwahlen um die zu vergebenden Landrats- und Oberbürgermeisterposten – noch mit geringem Erfolg. Im dunkelbraunen Hildburghausen (Nachbarlandkreis von AfD-Landrat Sesselmann in Sonneberg) gelangte der Hardcore-Neonazi Tommy Frenck in die Stichwahl um das Landratsamt. Mehr als 10.000 Wähler gaben also einem Kandidaten ihre Stimme, den nichtmal die AfD mit spitzen Fingern anfassen würde. Solche Geschichten von erfolgreichen Neonazis und Protofaschisten, mit denen breite Teile der ostdeutschen Wähler keinerlei Probleme haben, ließen sich zuhauf erzählen. Diese rechten Kandidaten sickern nun tiefer und tiefer in die Thüringer Bürokratie ein und besetzen mehr und mehr zentrale Positionen in Verwaltungen und kommunalen Unternehmen.

Setzt sich Ramelow noch ein Denkmal?

Derweil tingelt der Ministerpräsident durch Talkshows, Fernsehinterviews und Social Media Kanäle mit einer auffällig wiederkehrenden Botschaft: Ihm gehe es in erster Linie um die Verhinderung der Regierungsübernahme bzw. -beteiligung durch die AfD. Diese Aussage könnte irritieren. Es ist Wahlkampf. Warum sagt Ramelow nicht: „Schaut auf die Bilanz von zehn Jahren rot-rot-grüner Regierungspolitik. Schaut auf unser Programm. Wir sind die besten, sozialsten, gerechtesten. Wählt uns doch einfach.“? Vielleicht bereitet Ramelow eine der wenigen denkbaren Koalitionen vor: Eine CDU-geführte Allparteien-Minderheitsregierung ohne AfD & Linke, toleriert durch Ramelows Partei. Der Ministerpräsident tritt ab und verhindert dadurch die ohnehin recht unwahrscheinliche Regierungsbeteiligung der AfD sowie die Unregierbarkeit des Landes. Das anerkennende Schulterklopfen falscher Freunde wäre ihm dafür gewiss.

Keine Hoffnung. Nirgends.

Mit der Thüringer CDU macht sich eine Partei regierungsbereit, die jahrzehntelang in Thüringen einen undurchdringlichen Filz aus Postengeschiebe und Vetternwirtschaft etabliert hat und die sich nach der Beschreibung des CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz von der AfD wie folgt abhebt: „Eine Alternative für Deutschland – aber mit Substanz“. Was er damit meint: Die CDU steht an politisch-moralischer Abgründigkeit der AfD in nichts nach. Allerdings hat man die Macht diese Politik eben auch durchzusetzen. Die Merkel-Jahre sind vorbei. So ist das auch bei der Thüringer CDU – ein Gruselkabinett rechter Scharfmacher, das schon die Messer wetzt für die anstehende Regierungsübernahme in diesem glücklicherweise völlig bedeutungslosen Landstrich zwischen Leipzig und Kassel.

Für die in Thüringen lebenden Nicht-Deutschen und Linken dürfte es aber ungemütlicher werden. Wie ungemütlich, das haben AfD und CDU in der laufenden Legislaturperiode bereits ab und an durchblicken lassen. Eine ganze Serie von Dammbrüchen hatte die sozialdemokratische Minderheitsregierung Ramelow zu flicken, während sie den Stillstand verwaltete. Und damit meine ich noch nichtmal den um ein Haar gescheiterten Höcke-Kemmerich-Putsch 2020, sondern die Zeit nach der Rückkehr Ramelows in die Staatskanzlei. Ein Beispiel? Im Dezember 2022 hatte die CDU unter tosendem Beifall der AfD in den Thüringer Haushaltsverhandlungen Gelder für diverse Anti-Nazi-Programme zusammengestrichen. Vor dem Landtag hatte daraufhin die Thüringer Zivilgesellschaft ihren vollständigen Hauptamtlichenapparat als Demonstrantendarsteller zusammengetrommelt, um zu beklagen, dass die politische Rechte gegen sie gerichtete Programme nicht mehr aus Haushaltsmittel finanzieren möchte. Glücklicherweise war diese Rechte damals noch dumm genug, sich davon beeindrucken zu lassen. Die CDU ließ also einen Änderungsantrag der Regierungsparteien gegen ihre Einsparung passieren und der drölfundneunzigste Dammbruch war mal wieder notdürftig geflickt. Die Aufzählung solcher Scharmützel ließe sich fortführen und nicht immer geht es gegen Linke oder Ausländer. So haben AfD, FDP und CDU für 50 Millionen Euro die Steuern für Boden- und Immobilienspekulanten gesenkt: „Familienpolitik“ as they say. So geht Politik von rechts. Statt sozialer Politik für alle, machen diese Parteien Klientelpolitik für die Wirtschaft und die Reichen. Ihre Stimmen sammeln sie aber bei Wählern ein, die wegen dieser Politik später mal länger und zu schlechteren Bedingungen arbeiten und leben müssen. Wer darüber Unzufriedenheit entwickelt, der wird von CDU & AfD in der Schuldfrage dann an die üblichen Verdächtigen verwiesen: Ausländer und Bürgergeldempfänger.

Nun bin ich für das Verteilen von Hoffnung eigentlich unzuständig. Einen Tipp für die Linkspartei nach der kommenden Wahlniederlage am 1. September hätte ich aber. Will man die Partei und ihre Mandate retten in einer Gesellschaft, die sich immer autoritärer formiert und nicht auf Programme, sondern Autoritäten schaut, kann man vom Marketingcoup des BSW lernen. Was ich damit meine? Na, wie wärs wenn „Die Linke“ dieses ohnehin anmaßende Label einfach ablegt und sich umbenennt in „Bündnis Gregor Gysi“? Die letzte Autorität der parlamentarischen Linken würde die Partei aus dem Stand über die 5%-Hürde bundesweit katapultieren und das ganz ohne neues Programm. Versucht es mal!

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