Antifaschismus heißt Solidarität mit Israel

Das Aktionsbündnis gegen Antisemitismus Weimar (AbgA) hat sich im Oktober 2023 in Reaktion auf den Überfall der Hamas und weiterer Gruppen auf Israel gegründet und schreibt über die aktuelle Lage in Weimar.

Wir haben uns im vergangenen Oktober in Reaktion auf den Überfall der Hamas und weiterer Gruppen auf Israel gegründet. Das Ausbleiben einer nennenswerten öffentlichen Anteilnahme am Überfall auf die israelische Bevölkerung durch zivilgesellschaftliche Initiativen in Weimar hat uns mindestens irritiert. Dies hat uns dazu veranlasst am 18. Oktober 2023 eine Solidaritätskundgebung für die Opfer des Terrorangriffs auf dem Weimarer Theaterplatz zu organisieren, die von ca. 150 Menschen besucht wurde. Wir waren zunächst ein Verbund von Leuten, die sich wenn überhaupt aus verschiedenen linken Szenen, oftmals aber nur entfernt oder gar nicht kannten. Umso mehr hat die Situation uns gezeigt, dass es in Weimar scheinbar doch einige Linke mit einer emanzipatorischen Haltung gibt, die die Solidarität mit Israel ganz klar einbezieht. Deshalb haben wir relativ schnell nach der Kundgebung beschlossen, die bisherige Leerstelle einer antisemitismuskritischen öffentlichen Stimme nachhaltig zu füllen.

Wir haben auch über Thüringen hinaus gemerkt, wie schnell die erste Welle bürgerlicher Solidarität mit Israel im Zuge der Militäroffensive in Gaza abflachte und die getöteten und verschleppten Jüdinnen*Juden von konservativen und rechten Akteur*innen für ihre Abschiebefantasien instrumentalisiert wurden. Gleichzeitig blieb, wie leider nicht anders zu erwarten, die Solidarität aus linken Kreisen von Beginn an sehr überschaubar, wenn nicht sogar noch am 7. Oktober selbst die Terrorangriffe von einigen Gruppen als legitimer „Befreiungskampf“ umgedeutet wurden. So beobachteten wir auch eine sich rasant verbreitende anti-israelische Stimmung auf den Campi der Thüringer Hochschulen, die uns, selbst Alumni der Bauhaus – und Friedrich Schiller Universität, schockierte. Die von vielen Studierenden und ihren jeweiligen Gruppen vertretene Kritik am Militäreinsatz der israelischen Armee versteifte sich schnell in offen geäußerten Antisemitismus. So etwa, als ein „From the River to the Sea“-Graffito am Eingangsbereich der Weimarer Mensa angebracht wurde oder auf mehreren inhaltlich vollkommen anders gelagerten Demos mit „Zionism = Fascism“-Schildern aufgetreten wurde. Derartige Äußerungen greifen zum einen das Existenzrecht Israels an und dämonisieren zum anderen den jüdischen Staat. Sie reduzieren die jüdische Selbstbestimmung im Rahmen einer Staatlichkeit auf Faschismus. In beiden Fällen wird damit die Grenze des Antisemitismus überschritten. Leider kam es in den vergangenen Monaten – nicht zuletzt durch eine krude Allianz aus Universitätsgruppen, Leninist*innen und der Kulturbrücke Palästina – zu einer Vielzahl weiterer antisemitischer Vorfälle, von denen eine Fundraising-Ausstellung am „kiosk.6“ der Bauhaus-Universität im Juni einen neuerlichen Tiefpunkt bildet. Wir hoffen, in einem Folgeartikel eine kleine Chronik liefern zu können.

Als Aktionsbündnis sehen wir uns daher auch als Korrektiv innerhalb linker Szenen. In vielen Gruppierungen scheint nie eine echte Auseinandersetzung mit Antisemitismus stattgefunden zu haben. Dadurch lassen sich heute ganz ähnliche Entwicklungen und antijüdische Radikalisierungen beobachten wie bereits Ende der 1960er-Jahre in Folge des Sechstagekrieges. Damals mündete das Ganze in der Ermordung jüdischer Sportler*innen in München, der Selektion jüdischer Passagiere in Entebbe und in Anschlägen auf jüdische Gemeindezentren. Heute werden Synagogen in Brand gesteckt, jüdische Studierende angegriffen und israelsolidarische Häuser und Einrichtungen mit roten Dreiecken zum sichtbaren Feind markiert. Ende Juni veröffentlichte der RIAS Bundesverband seinen Jahresbericht 2023 mit einem neuen Höchststand antisemitischer Vorfälle, der uns alle erschüttern muss. Im Vergleich zu 2022 erfasste RIAS 83% mehr antisemitische Vorfälle, von denen jeder Zweite zu israelbezogenem Antisemitismus zählt. Während Antisemitismus, in sich als progressiv verstehenden linken Gruppierungen oft unverstanden bleibt und als Randphänomen unter Rassismus subsumiert wird, steigt das Ausmaß, aber auch die Schwere der Gewalt gegen Jüdinnen und Juden wieder deutlich an. Vorgehens- und Betrachtungsweisen die in der Linken mittlerweile Konsens sind, gerade wenn es um intersektionale Formen der Diskriminierung geht, machen eine bewusste Ausnahme bei (zionistischen) Jüdinnen und Juden, bis zur Leugnung der massiven sexuellen Gewalt, die israelische Frauen u.a. am 7. Oktober, und im Falle der Geiseln darüber hinaus, erleiden mussten.

Wir empfinden die aktuelle Situation als äußerst besorgniserregend und haben ein klares Interesse an antifaschistischer Arbeit, die jüdische Linke und ihre Perspektiven einbezieht. Anders als häufig behauptet sollte klar sein, dass mit rechtsextremen Regierungsvertretern und Netanjahu als Ministerpräsidenten kein Frieden zu erreichen ist – das sehen wir vermutlich genauso wie die meisten Linken und vor allem liberale bis linke Jüdinnen und Juden auch. Wir sehen die Befreiung der Palästinenser*innen aber vor allem in der Befreiung von der Hamas, die ihre Bevölkerung als Spielmasse für ihren israelfeindlichen Todeskult missbraucht, Frauen und Queers massiv unterdrückt und die Bevölkerung so seit Jahren in physische wie geistige Unfreiheit geführt hat. Zeitgleich muss die große Verbreitung antisemitischer Anschauungen sowie die belegte Mitwirkung von Teilen der palästinensischen Zivilbevölkerung am Massaker des 7.10. thematisiert und kritisiert werden. Das heißt nicht, dass es in Israel – so wie in den meisten Staaten dieser Welt – keinen Rassismus gibt, aber wir geben uns schlichtweg nicht mit unterkomplexen Gut-Böse Deutungen der Lage im Nahen Osten zufrieden. Wir lehnen daher den Apartheidvorwurf gegen Israel schon deshalb ab, da rassistisch geprägte Verhältnisse heute in keinem anderen Staat der Welt derart bezeichnet werden.

Daher arbeiten wir an der Vernetzung mit anderen israelsolidarischen Gruppen und bilden bzw. unterstützen antisemitismuskritische Blöcke auf linken Demonstrationen, häufig zusammen mit der BDP Ortsgruppe „Roter Efeu Jena“. Des Weiteren wollen wir Bildungs- und Aufklärungsangebote schaffen und haben bereits mehrere Vorträge einschlägiger Fachleute zu verschiedenen Formen des Antisemitismus organisiert und durchgeführt. Über unseren Instagram-Kanal oder teilweise auch mit Flyern informieren wir zudem über aktuelle antisemitische Vorfälle und ordnen die Inhalte und andere israelfeindliche Narrative kritisch ein. Damit möchten wir Engagierten auch Rüstzeug an die Hand geben, um den antisemitischen Narrativen der einschlägigen Gruppierungen begegnen und diese entkräften zu können.

Aktuelle Infos findet ihr – leider nur – auf Instagram: @abga_weimar

Dieser Beitrag wurde in Antifa, Antisemitismus, Bericht, Intervention, Kritik, Politik, Praxis, Thüringen, Weimar veröffentlicht und getaggt , , , , , . Ein Lesezeichen auf das Permalink. setzen. Sowohl Kommentare als auch Trackbacks sind geschlossen.