Der aktuellen Beitrag aus der Rubrik Absurditäten aus dem Arbeitsleben zeigt Aspekte des Konzepts Täuschen und Tarnen auf, das von Charles Chamäleon mit Kolleg:innen entwickelt und über Jahre erprobt wurde.
Folgende Bemerkung sei vorangestellt: „Täuschen und Tarnen“ am Arbeitsplatz zu praktizieren, wird nicht nur von Vorgesetzen und Arbeitgebenden manchmal kritisch betrachtet und natürlich kann man darüber streiten, ob es ok ist, das andere Kolleg:innen, die nicht nach dem Konzept „Täuschen und Tarnen“ arbeiten, manchmal dadurch Mehrarbeit haben. Manche sagen vielleicht es sei ein Akt der Entsolidarisierung mit anderen Arbeiter:innen, da deren Belastung steigt.
Doch ich bin der Meinung wie Rosa Luxemburg, die einmal schrieb: „Die Gesellschaft kränkelt nicht an fehlenden Werten, sondern an vorhandenen Zwängen.“
Vor einigen Jahren absolvierte ich eine Ausbildung bei einem westdeutschen Unternehmen, das im Osten der Republik ebenfalls ein paar Standorte hat. Dieses Unternehmen hat sich auf den Handel, Service für verschiedene elektronische Geräte sowie diverse Dienstleistungen im Bereich Elektro- und Informationstechnik spezialisiert.
Zu Beginn freute ich mich, trotz meiner bescheidenen Note in Mathematik dort eine Ausbildung im IT-Bereich zu bekommen. Dieser anfängliche Enthusiasmus verpuffte jedoch schneller als die Luft, die aus einen Luftballon weicht, wenn man diesen mit einer Nadel sticht. Viel zu oft wurden mein Kollege und ich, der die selbe Ausbildung im Unternehmen absolvierte, für Hilfsarbeiten eingesetzt, anstatt uns aktiv Wissen zu vermitteln. So sollten wir regelmäßig das Lager aufräumen und bei der Auslieferung von verschiedenen Geräten helfen. Genauso angepisst von der Gesamtsituation wie wir, war auch der Auslieferungsfahrer überhaupt nicht gut auf die Vorgesetzten zu sprechen. Ich selbst habe mich mit Turbo-Andy – so wurde der Auslieferungsfahrer später immer mal genannt – gut verstanden. Während den Fahrten und Gesprächen mit ihm bemerkte ich, dass auch er mit der Bezahlung und den allgemeinen Bedingungen total unzufrieden war. Knochenjob, stetige Arbeitsverdichtung und Kontrolle seitens der Vorgesetzten und Chefs waren vor allem bei ihm an der Tagesordnung. Gemeinsam mit ihm begann ich das Konzept „Täuschen und Tarnen am Arbeitsplatz“ – was wir damals nicht so nannten – zu entwickeln, erproben und den Umständen anzupassen. Beispielsweise sind wir nach einem Auslieferungstermin, der sich in einem erweiterten Radius des Firmenstandorts befand, teilweise einen Umweg mit über 20km zurück in die Firma gefahren. Ausgiebiges Kaffeetrinken und Kuchenessen (es gab einen Bäcker, bei man lediglich 70 Cent für ein riesiges Stück Kirschkuchen bezahlte) nach einem Termin gehörte ebenso dazu, wie das regelmäßige private Nutzen des Transporter, beispielsweise um eine Palme bei meiner Tante abzuholen. Nach und nach stieg das Misstrauen der Vorgesetzten gegenüber uns und die Fahrzeuge wurden mit GPS-Trackern ausgestattet. Als mal wieder mehr Liefer- und Montage-Aufträge angenommen wurden, als Personal vorhanden war, musste ich ebenfalls ins Lieferauto einsteigen und staunte nicht schlecht. In die Mappe, in der sich die Aufträge befanden, hatte Turbo-Andy eine passgenaue Metallplatte hineingelegt und schließlich über dem GPS-Transponder positioniert. Da es unseren Chefs so nur schwerlich möglich war zu tracken, konnten wir noch einige Stempel im Kaffee-Bonusheft sammeln und einlösen.
Doch Turbo-Andy und ich waren nicht alleine im Entwicklungs-Team „Täuschen & Tarnen“. Auch der Lagerist trug seinen Teil dazu bei. Als es den Chefs vermutlich zu kostenintensiv war, dass Pappkartons – die wirklich in großen Mengen anfielen – von ihm zerkleinert werden mussten, wurde die Papppresse angeschafft. In diese Maschine mussten die Kartons lediglich eingeworfen werden und per Knopfdruck wurden sie automatisch zusammengepresst.
Da sonst bei jeder Pause akribisch geschaut wurde, ob man diese auch gestempelt hat, war dies für uns eine super Möglichkeit eine rauchen zu gehen. Regelmäßig kam der Lagerist mit den Worten „Ich brauche mal deine Hilfe an der Papppresse“ zu mir. Wir machten uns dann auf den Weg um ein paar Kartons zu finden und diese fachgerecht in der Maschine zu entsorgen. So konnten wir rauchen, ohne Pause zu stechen.