Lulu Roña schreibt über den Zusammenhang von sprachlichem Ausdruck und Machtverhältnissen.
Vor gar nicht langer Zeit auf einer Tagung „Wenn Rassismus aus Worten spricht“ wurde während eines Vortrags ein Zettel mit Begriffen verteilt, die aus der rassistischen Geschichte heraus nach wie vor präsent sind. Die Worte waren durchnummeriert und wenn sich der*die Referent*in darauf bezog, wurde die Nummer benannt und nicht das Wort. Auf dem Zettel waren 3 Spalten: eine Nummer, der Begriff, der auch durchgestrichen war und die Erklärung zum Wort. Durch Falten des Papiers war es möglich, Nummer und Erklärung zu sehen, aber nicht das Wort. Der*die Referentin meinte, dass dadurch eine Freiwilligkeit gegeben sei, sich mit den Begriffen zu konfrontieren, während das ausgesprochene Wort nicht zurückgenommen werden kann. Im Raum saßen Lehrer*innen, Sozialarbeiter*innen, die sichtlich irritiert waren. Eine*r meldete sich und fragte „Darf ich jetzt alle diese Begriffe nicht mehr nutzen?“
Diese Reaktion gehört wohl zu den klassischen und zeigt, dass eine Abwehrhaltung entsteht, sobald sie ein Redeverbot wahrnehmen, auch wenn kein solches ausgesprochen wurde. Vielleicht, weil wir es als Kinder gehasst haben, entmündigt zu werden, indem uns Erwachsene mit einem „Psst“ darauf hinwiesen, dass bestimmte Worte nicht erlaubt sind. Meist wurde ein solches Verbot ausgesprochen ohne dass uns die Erwachsenen, die wohl über richtig und falsch Bescheid wussten, Erklärungen dazu gegeben hätten außer ein, „Das sagt man nicht!“ Gerade deshalb hat es uns viel zu viel Spaß gemacht, genau diese Worte weiter zu sagen und das laut und öffentlich. Vielleicht um zu zeigen, dass wir eine Stimme haben, vielleicht, weil Provokation Aufmerksamkeit auf sich zieht, vielleicht auch, weil wir mit moralischen Zurechtweisungen gar nicht anders können, als zu verweigern, denn wenn wir zugeben, dass wir falsch sprechen, wären wir schlechte Menschen. Eine andere Möglichkeit ist, dass wir das Recht auf Meinungsäußerung als unendlich wichtig erachten und keine Instanz oder Person das Recht hat, uns dieses zu nehmen. Die Meinungsfreiheit, die die Privilegierten sich einfordern und verteidigen, ohne die Stimme, also die Meinung derer, die ganz klar durch diese Worte an eine niedrige Stelle positioniert, also als ungleichwertig, positioniert werden, als gleich bedeutsam anzuerkennen.
Sprache und Begriffe zeigen auf, welche Deutungen von Wahrgenommenem sich durchgesetzt hat. Durch allgemeine Nutzung von Begriffen wird eine Macht deutlich, die wie wir aus der Geschichte wissen, selten im Konsens ausgehandelt wurde, sondern diejenigen ihre Interessen durchsetzen konnten, die Einfluss auf die gesellschaftliche Entwicklung nahmen und deren Postion sich widerspiegelt. Damit widerspiegeln Begriffe Herrschaft und Deutungshoheit. Hinter Worten steckt eine Geschichte und ein System an Verwobenheiten von Beziehungen zwischen Menschen und Gruppen untereinander. Durch sprachliche Zuschreibungen positionieren sich Menschen und werden positioniert. Deprevilgierte hatten und haben selten die Möglichkeit, dass ihre Worte und ihre Selbstbzeichnungen sich durchsetzen, sondern oft ist es die Sprache der Unterdrückenden auch heute noch wirkmächtig. Diese Begriffe sind jedoch oft mit uns aufgewachsen, sie sind in uns eingeschrieben. Sie sind ein Erbe, welches wir alle tragen, nicht nur in die Mächtigen, sondern auch die ungleich Gemachten. Es scheint jedoch wichtiger, sich dieses Erbe zu bewahren und Historizität schwerer wiegt, um Identität zu konstruieren, als sich nach kritischer Betrachtung bestimmter Begriffe zu entledigen. Generell berufen sich die Deutschen immer wieder gern auf Goethe, Schiller und wie sie alle heißen, die Dichter und Denker…Die Kinderbuchdebatte zeigt das deutlich. Dort wird auf Unveränderbarkeit der Bücher beharrt, weil sie Zeugnisse ihrer Zeit sind und zudem von Leuten geschrieben wurden, die heute als gute Deutsche den Stolz auf die Leitkultur legitimieren. Es ist jedoch ein Unterschied, ob historische Werke in ihre Geschichte eingebettet und mit dem Wissen weitergegeben werden, dass sie Zeugnisse einer Kolonialgeschichte sind oder ob ich Kinder mit Begriffen aufwachsen lasse, ohne die Geschichte begreiflich zu machen.
Welche Worte ich wann wähle, ist eine bewusste Entscheidung, je nach Situation und den Menschen, mit denen ich Gedankenwelten teilen möchte. Das Ziel und der Wirkungswunsch entscheiden darüber, ob ich verstanden werden , provozieren oder belehren möchte, ob ich bewusst Gruppen ausschließe, die nichts verstehen oder ich sie in den Prozess des Verstehens einbeziehe.
Sprache schafft also Unterschiede und fügt Menschen zu Gruppen zusammen. Um Machtstrukturen zu entwirren, müssen auch Begriffe hinterfragt und verändert werden. Ein Beispiel, welches aufzeigt, wie Sprache verschleiert, ist der Begriff Sklave. Wenn von Sklaven gesprochen wird, so impliziert dies, dass sie eben so seien und nicht zu solchen gemacht wurden – es geht um Versklavte.
Auch wenn Rassismus wie auch Heterosexismus, Klassismus und noch viele weitere in die ganze Gesellschaft eingeschrieben ist,so gibt es Menschen, die die Gleichheit aller anerkennen und keine bewussten Ressentiments gegen…(beliebige Gruppe einfügen) pflegen. Es sind jene, die in ihren Bezeichnungen und Perspektiven auf die Welt Worte finden, die Diskurse anerkennen und nach neuen Begriffen suchen. Im Moment erscheint die „Herrschaftssprache“ als geteilte und als einzige, mit der Verständigung einfach und nicht umständlich möglich ist, weil sie als Sprache gilt, die ja alle nutzen. Doch der Weg zu Begriffen, die sagen, was sie meinen; die aufdecken, was tatsächlich um uns herum passiert und dabei nicht Heterosexismus, Rassismus, Klassismus …. reproduzieren, ist herausfordernd, aber möglich.
Doch ich bin mir unsicher, ob es sinnvoll ist, Begriffe nicht zu benennen, die diskriminieren; sie in Spalten, die ich wegklappen kann, zu verstecken. Es braucht Sprache, um Wörter zu hinterfragen und zu diskutieren. Auch wenn ich sie damit reproduziere. Sicher gibt es auch Gruppen und Kreise, in denen Begriffe besprochen und emanzipatorische Sprachgewohnheiten selbstverständlich scheinen und in denen diskriminierende Begriffe bereits aus lauten verbalen Äußerungen verschwunden sind. Diese Sprache ist jedoch auch gruppengebunden und schließt alle aus, die nicht dazu gehören.
Ich finde die Möglichkeit von N-Wort zu sprechen, statt den Begriff als Ganzes zu nutzen, verständlich. Die Nutzung nimmt die Betroffenen ernst, doch verliert all jene Menschen, die noch keine Beschäftigung mit rassistischen Sprachgewohnheiten und Postkolonialismus hatten.
ACAB – um auszudrücken, dass ich Cops scheiße finde, braucht es dafür einen Begriff aus der Rassenlehre?
Doch führt uns nicht diese ganze Sprachsensibilität dahin, erstmal wirklich ohnmächtig zu sein?
Ich habe auch kein Interesse daran, mich mit political correctness abstrafen zu lassen. Was ich möchte, ist eine klare und präzise Sprache, jedoch auf keinen Fall Brauchtumspflege gestalten. Sprache soll uns ermächtigen mit anderen in Kontakt zu kommen und uns auszutauschen. Ich möchte mich auch nicht zurückziehen und mich ausschließlich mit der Lupe auf die Suche nach den Ursprüngen aller Begriffe machen, doch wenn ich die Gelegenheit habe, auf Begriffe zu stoßen, die nicht tragbar sind, so fordere ich uns alle auf, alte Begriffe abzulegen und nach neuen zu suchen, die eine Gesellschaft ermöglichen, in der alle in einer ähnlichen/gleichen Sprecher*innenposition sind.
Schönreden – Euphemismus
Doch ohne die Verhältnisse zu ändern – ohne gegen Rassismus, Heterosexismus, Antisemitismus, Nationalismus, Klassismus und Kapitalismus als gesellschaftliche Normalitäten zu kämpfen, bleibt die Etablierung neuer Begriffe euphemistisch. Die Euphemismus-Tretmühle beschreibt das Phänomen, dass alle neu geschaffenen Begriffe die Konnotation und Bedeutung des abzulösenden Begriffs aufnehmen, wenn sich die Verhältnisse nicht ändern. Erst die Veränderung der sozialen Wirklichkeit ist emanzipatorisch. Sprache kann also nichts überwinden, doch kann sie helfen, andere Sichtweisen zu etablieren, die langsam durchsickern. Wenn ich nicht bewusst diskriminieren möchte und einen respektvollen Umgang mit den Forderungen der Betroffenen habe, dann kann ich mit meinem individuellen Sprachgebrauch sehr wohl etwas verändern. Sprache entmachtet nicht nur, sie kann auch empowern. Wenn sich Queers und Schwule Fremdbezeichnungen zu eigen machen und kraftvoll nach außen treten, dann ist das ein Zeichen dafür.
Doch allein das Aufdecken von machtvoller und entmächtigender Sprache ändert Gesellschaft noch nicht. Es braucht auch nix schön geredet werden. Doch wenn ich mich mit Rassismus bewusst auseinandersetze, Betroffenheitsperspektiven anerkenne und mich für die Abschaffung der rassistischen Gesetzgebung einsetze, Geflüchtete in ihren Kämpfen unterstütze, dann bleibt es nicht umhin, auch die Sprache zu ändern. Doch wenn bewusste Rassist*innen das N-Wort weglassen, weil sie dafür jetzt von Schwarzen oder von People of Colour sprechen, ohne dass sich die Kategorisierung und Hierarchisierung verändert, dann verschleiert Sprache, was in Euphemismen endet. Nichtsdestotrotz bleibt der Kampf für eine emanzipatorische Gesellschaft alternativlos.
Ich denke nicht, dass Tabuisierungen, Verbote ein Weg zu Emanzipation sind. Sie sind auch kein Weg hin zu Gleichberechtigung, doch ist die Auseinandersetzung und das bewusste Entscheiden für Begriffe wichtig. Verbieten und Moralisieren führen zu sozialer Erwünschtheit und somit zu Verzerrung jeglicher Realität. Dann sage ich die Worte in nicht-reglementierten Kreisen nur um so lauter mit dem Hinweis: „Ich weiß, dass man das nicht sagen darf, ABER…“.
Offene Enden
Ich denke, dass es keinen Sinn ergibt Menschen Begriffe aufzudrücken, die abwertende und entmenschlichende Einstellungen hinter netten Begriffen schmücken. Doch für Menschen, die sich als emanzipatorisch verstehen, ist es notwendig, auch die machtvolle und unterdrückende Sprache abzulegen, um Betroffenen Anerkennung zu zeigen. Da ist es unabdingbar, das Privileg der Täter*innensprache abzulegen und sich verdammt nochmal an ein paar neue Begriffe zu gewöhnen. Doch bevor Begriffe in den Alltagsgebrauch wandern, ist deren Bedeutung noch nicht hergestellt – die „Dönermorde“ hätten mit einer gewissen Hirnleistung von Journalist*innen (ja, wenn sie ihren Rassismus mal hinterfragt hätten) eine ganz andere Begrifflichkeit und damit andere Sichtweise auf die Mordopfer bzw. den Fokus auf die Täter*innen gerichtet.
Das Thema Umgang mit Sprache aus emanzipatorischer Sicht beschäftigt mich schon eine Weile. Doch bevor ich überhaupt zur Sprache komme, wie in diesem Artikel, hat es lange gedauert, weil ich weiß, dass dieses Thema bereits tausendfach beschrieben, analysiert und in normative Appelle abgeleitet in Handlungsleitfäden präsentiert ist. Dieser Text ist auch alles andere als nur analytisch oder theoretisch, doch auch nicht nur erfahrungsorientiert. Er zeigt vielmehr, was in meinem Kopf passiert. Was ich formuliere, soll keine neue moralisierende Schrift werden. Sie kann Anstoß sein für Debatten. Ich freue mich über Reibung! Dieser Text endet mit Fragen und Widersprüchen. Will ich, dass alle gleiche Worte nutzen oder lässt sich nicht verhindern, dass sich innerhalb von Gruppen, Kreisen oder Milieus eigene Sprachmuster entwickeln, die zur inneren Verständigung und Abgrenzung beitragen – so entwickelt sich Sprache immer weiter. Doch in welche Richtung? Es bleiben auch weitere Widersprüche. Fachbegriffe und Akademiker*innensprech vs. Geheimhaltung von Fachbegriffen und Babysprache. Das Erfinden von deutschen Wörtern für sogenannte Fremdwörter kann auch eine Form der Brauchtumspflege sein, auf die ich keine Lust habe…