„Freie Energie“ wurde 2013 im anarchistischen Heftchen „Zündstoff“ aus Gotha vorgestellt und wird dieser Tage auf Montagsdemos und im Internet beworben. Die Anhänger der „Freien Energie“ wollen eine Maschine bauen, die mehr Energie abgibt, als sie aufnimmt – ein Perpetuum Mobile. Als wäre das nicht schon phantastisch genug, versprechen sie dazu, dass diese Maschine leicht zu bauen und umweltfreundlich zu betreiben sei. Martin Weise über ein pseudowissenschaftliches Konzept und eine missionarische Szene.
Das Versprechen: Das Ende der Endlichkeit
„Freie Energie“ verspricht eine unglaubliche Reichweite. Es wird nicht, wie z.B. beim Blockheizkraftwerk, von einem beachtlichen Wirkungsgrad gesprochen, sondern gleich davon, dass die Maschinen einen „Over-Unity-Effekt“ erzeugen bzw. einen Wirkungsgrad größer als 1 haben. Was bedeutet das? Der Wirkungsgrad ist ein Maß für die Effektivität einer Maschine. Ein rostiges altes Fahrrad macht aus einem bestimmten Quantum Muskelenergie, das die Fahrerin aufbringt, relativ wenig Bewegungsenergie. Da es schlecht geschmiert ist, gehen ¾ der aufgebrachten Energie auf dem Weg zur Fahrbahn verloren. Damit hat es einen Wirkungsgrad von ¼, also 0,25. Ein Rennrad mit steinhart aufgepumpten Reifen bringt sofort und ohne merkliche Verluste die Muskelenergie auf die Straße – es hat einen Wirkungsgrad von 0,9, weil 90% der aufgebrachten Energie in der gewünschten Form (Bewegung) zur Verfügung stehen. Was die Ingenieure der „Freien Energie“ versprechen, ist etwas, das dem Alltagsverstand völlig widerspricht: eine Maschine mit einem Wirkungsgrad über 1, also ein Fahrrad, das mehr Energie auf die Straße bringt, als man in die Pedale eintritt. Diese Maschine würde kontinuierlich Energie abgeben – man stelle sich das vor: Ein Rad, dass einmal angeworfen bis in die Unendlichkeit schneller würde, ein Reaktor, der immer heißer würde. Was das konkret bedeutet, bleibt der Phantasie überlassen. Die sozialen Folgen wären immens. Wenn jeder Haushalt einen billigen „E-Cat“ – der Fusionsreaktor für die Aktentasche – mit dem behaupteten Wirkungsgrad 6 im Keller und damit unendliche Energie hätte, wäre es nicht mehr möglich, irgendjemandem Energie zu verkaufen. Ein riesiger Sektor würde aus der Mehrwertproduktion herausfallen, der Kapitalismus, derzeit ohnehin von der zu hohen Produktivität gebeutelt, wäre am Ende: Kapitalismus beruht auf der Vernutzung von Arbeitskraft. Produktivitätssteigerung – die Möglichkeit, mehr Waren mit weniger Arbeit herzustellen – bedeutet daher auf lange Sicht, dass der Kapitalismus sich seine eigene Grundlage entzieht. Verkürzt und anschaulich ausgemalt: Wenn ein einzelner Arbeiter 10.000 Autos mit einem Knopfdruck herstellt, während 9999 ArbeiterInnen erwerbslos sind und sich kein Auto leisten können, hat das Kapital ein Problem.
Die Logik: Verschwörungstheorie
Gehen wir davon aus, dass tatsächlich einer der Erfinder aus der Szene der „Freien Energie“ ein Naturgesetz überlistet und damit ein zentrales Problem der Menschheit gelöst hat. Die Frage ist nun: Wieso steht die Markteinführung der Geräte immer kurz bevor, wieso gibt es keine unabhängigen Gutachten, die die Wirksamkeit der Maschinen bestätigen und wieso sind die Tüftler immer noch bei den Stadtwerken angeschlossen und erzeugen ihre eigene Energie nicht mit den angeblichen Wundermaschinen?
Die Antworten aus der Szene der „Freien Energie“ sind deutlich und laufen am Ende immer darauf hinaus, dass die Erfinder von finsteren Mächten verfolgt und mundtot gemacht werden: Der im Zündstoff genannte Claus W. Turtur sieht sich z.B. als Opfer missliebiger KollegInnen. Als Dozent für Werkstoffkunde an der Fachhochschule Wolfenbüttel hat er einen unkündbaren Job. Die Hochschule setzt ihn aber nicht für die Forschung ein, sondern für Einführungsvorlesungen. KollegInnen bewerten den Versuchsaufbau, mit dem er „Freie Energie“ nachgewiesen haben will – einen Joghurtbecher mit Rotorblättern in einem Ölbad – als „weit entfernt von professionellen Standards“. Den Prozess des Peer-Review – das anonyme Gegenlesen eingereichter Beiträge in Fachzeitschriften – hält Turtur für Zensur. Da seine Beiträge in der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, publiziert er in Esoterik-Zeitschriften und bei Verschwörungstheoretikern, z.B. 2012 auf der „Antizensurkonferenz“ des Sektengründers Ivo Sasek, wo auch Holocaustleugner, Geschichtsrevisionisten und die Band „Die Bandbreite“ aufgetreten sind. Für die Freunde des im Zündstoff genannten „E-Cat“ stellt sich die Lage ähnlich dar – hier sind es nicht die KollegInnen, sondern „von der Internationalen Finanzmafia gesteuerten Regierungen“, die verhindern, dass wir eine billigen Fusionsreaktor bestellen können. Es gibt viele weitere Anekdoten, die belegen sollen, wie geniale Erfindungen unterdrückt werden: Da hat z.B. ein Mechaniker in Südamerika ein Wasser-Mofa gebaut. Sein Gefährt trennt Wasser durch Elektrolyse in Wasserstoff und Sauerstoff – Knallgas, das dann in einem Gasmotor verbrannt wird. Dummerweise braucht man eine gigantische Batterie, um das Ding anzutreiben. Das Wasser ist hier also nicht der Treibstoff, sondern es handelt sich um eine besonders unpraktische Erzeugung von Wasserstoff zum Betrieb eines Gasmotors. Die Energie-Freaks verkennen diese Bedeutung und behaupten: „Von den Versuchen, die mir seit 1970 bekannt sind, einen “Wassermotor” patentieren zu lassen, hat, soviel ich weiß keiner überlebt. […] Die Menschen, die dahinter steckten […] kamen auf dubiose Weise um.“
Das waren drei Beispiele. Man könnte problemlos viele weitere aufzählen. Aber ist das nötig? Wäre es wahr, das bei OSRAM, RWE und Fliesen Kießling geklaute Superpatente für kostenlose Energie in der Schublade lägen, würden die Firmen sie doch sofort benutzen, um gegenüber anderen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil zu haben. Und gäbe es wirklich ein Verfahren, um Wasser einfach zu verbrennen, könnte auch die geheime Weltregierung nicht verhindern, dass findige Bastler sich damit ihr Mofa aufpeppen.
Die Sprache: Pseudowissenschaft und Technobabble
Die Erklärungen der „Freien Energie“ wimmeln von physikalischen Fachbegriffen. Aber schon mit Schulwissen lässt sich der Faule Zauber darin durchschauen. Der Zündstoff-Text behauptet z.B., dass in der Atmosphäre „ein Energiereservoir von mehreren Terawatt“ in Form von elektrischer Ladung verfügbar sei. Typisch für Pseudowissenschaft ist, dass diese Aussage drei unterschiedliche Größen vermischt: Energie, Ladung und Leistung. Alle drei haben etwas miteinander zu tun, sie aber einfach gleich zu setzen, ist Unsinn. Ladung wird in Coulomb gemessen und ist in der Tat im Überfluss vorhanden. Das Blöde ist: Erst, wenn man Ladung trennt, entsteht Spannung und erst, wenn Spannung angelegt wird und dadurch Ladung fließt, kann man Energie nutzen. Energie wird in Joule gemessen und ist das Potential, Arbeit (im physikalischen Sinne) zu verrichten. Energie besteht nicht aus Ladung, sondern aus Potentialdifferenz – also wie gesagt aus getrennter Ladung. Watt wiederum ist nicht das Maß für Energie, sondern für Leistung, die Möglichkeit, über eine Zeit hinweg Arbeit zu verrichten. Dass die drei Größen gleichgesetzt werden, ist Technobabble, wie das Gerede im Maschinenraum der Enterprise. Die Worte klingen wie Physik, ihre Verknüpfung macht aber keinen Sinn.
Ein solcher Gebrauch von Begriffen ist in der Pseudowissenschaft üblich. Die gewollte Verwirrung fängt schon beim Begriff „Freie Energie“ an. Gemeint ist nämlich nicht die schon im 19. Jahrhundert aus der Thermodynamik bekannte und keineswegs rätselhafte Freie Energie. Liest man die zahlreichen Internet-Seiten, die mit viel missionarischem Eifer „Freie Energie“ beschreiben, geht es um alle möglichen Phänomene: um Quanten-Verschränkung, „Hyperfeinstrukturwellenlängen“, sich drehende Magnetfelder, Kernfusion, etc. – gemein ist den Konzepten nur, dass sie auf bislang unerforschte Weise Energie aus dem Nichts erzeugen und dadurch Wundermaschinen möglich machen: „Wassermotoren“, Getriebe, die mit der Zeit immer schneller laufen (das „Würth-Getriebe“, Wirkungsgrad 3) oder Batterien, die niemals leer werden.
Ein ziemlich zuverlässiger Indikator für Pseudowissenschaft und eine Schnittstelle zu den schon genannten Verschwörungstheorien ist übrigens die immer wieder aufgestellte Behauptung, Einsteins Relativitätstheorie sei widerlegt, die Beweise dafür würden aber unterdrückt. Schon in den 1920er-Jahren wurden die Argumente gegen die schwer verständliche und wenig anschauliche Relativitätstheorie antisemitisch aufgeladen. An diese Tradition knüpfen die heutigen Kritiker der Relativitätstheorie an. So schreibt man in der Szene der „Freien Energie“ vom Zionisten Einstein und den jüdisch gesteuerten Versuchen, die Plasmareaktoren und schwebenden Autos des Visionärs Mehran Keshe – auch er wird im Zündstoff-Artikel lobend erwähnt – zu unterdrücken.
Die Szene: Durchgeknallt
Angesichts der hahnebüchenen Inhalte der Diskussion um „Freie Energie“ ist es nicht verwunderlich, dass sich in der Szene jede Menge Spinner tummeln und Kontakte in die braune Esoterik zu Hauf belegt werden können. Dafür reicht ein Blick auf die Mitglieder des im Zündstoff genannten Vereins „Vision Blue Energy“ aus Trusetal.
Das Gründungsmitglied Klaus Lohfing-Blanke bezeichnet sich selbst als „völlig aufgewacht“ und ist Teil der „Truther“-Szene, ebenso wie Klaus Jürgen Kalaene, Autor des E-Books „Schwarzbrot!“, einer wilden Mischung aus faschistoidem Okkultismus und Verschwörungstheorie. Eines der wenigen aktiven Mitglieder der Blue-Vision-Community – einer Netzplattform, auf der „Freie Energie“ diskutiert wird – ist Michael Schellong, der Bremer Landessprecher der Alternative für Deutschland. Im Vergleich zu den Vorgenannten sind die beiden weiteren Gründungsmitglieder Martina Fänger und Matthias Fimmel harmlos. Fänger bezeichnet sich selbst als Energieheilerin. Fimmel propagierte 2009 zusammen mit dem Betreiber des Erfurter „Lebensladens“ – ein Bioladen mit reichlich esoterischem Überbau – die Einführung einer salzgedeckten Regionalwährung. Aber auch hier landet man am Ende wieder im braunen Sumpf zwischen Esoterik und Verschwörungstheorien: Fimmels Webseite verlinkt den Kopp-Verlag, Bindeglied zwischen Rassismus, Revisionismus und Verschwörungstheorien, als Partner.
Der aktivste Energie-Visionär Jens Vogler, der Vereinsvorsitzende. Er betreibt den Blog Visionblue, der ein ganzes Spektrum verschwörungstheoretischer und esoterischer Inhalte vertritt – von Chemtrails über die 9|11-Verschwörung bis zu den in dieser Szene unvermeidlichen UFOs . Vogler ist Chef des Ordnungsamts von Burg (bei Magdeburg). Mit den wunderlichen Ansichten konfrontiert, verweist Vogler auf das Recht auf freie Meinungsäußerung: „Es ist weder strafbewährt, ordnungsrechtlich oder beamtenrechtlich relevant zu den genannten Themen UFO, 11. September 2001 und Chemtrails eine eigene Meinung in Wort und Bild wiederzugeben“. Der Bürgermeister von Burg will diese Meinungen nicht inhaltlich kommentieren, hat jedoch Vogler aufgefordert, alle Hinweise auf die Stadt Burg und seine dienstliche Stellung von seinen Internetseiten zu entfernen. Auch Vogler betont, dass er sich dienstlich nicht zu den angesprochenen Themen äußert. In Burg sind also weder Bußgelder für das Ausbringen von Chemtrails noch die Anschaffung eines Perpetuum Mobiles zu erwarten.
„Scotty, beam uns hoch – die spinnen alle“
„Freie Energie“ ist kein unterdrücktes Geheimwissen, das in absehbarer Zeit die Energiekrise lösen wird. Der Begriff bezeichnet ein Sammelsurium verschiedener pseudowissenschaftlicher Konzepte und blödsinniger Versuche, ein Perpetuum-Mobile zu bauen. Die Szene argumentiert hochgradig verschwörungstheoretisch und hat beste Kontakte in die rechte Esoterik. Dass von der anarchistischen Zeitung bis zum Ordnungsamtschef alle auf „Freie Energie“ stehen, liegt vermutlich daran, dass die Versprechungen der „Freien Energie“ – umweltfreundliche, kostenlose Energie für alle – so verlockend sind, dass der kritische Geist davon zeitweilig weggebeamt wird. Die Freunde der Blauen Energie und die Verschwörungstheoretiker_innen der Truther-Szene sind auf jeden Fall keine BündnispartnerInnen im Kampf für eine bessere Welt, sondern ein Fall für die Antifa.