Gruppe Pekari über szenige Exklusivität und den eigenen Organisierungsprozess
Das Kommen und Gehen linker Gruppen und Polit-Initiativen gehört zur allgemeinen Unbeständigkeit studentischer Städte wie Jena, in denen hochmotivierte zugezogene Student_innen sich für einen verhältnismäßig kurzen Zeitraum politisch austoben und schließlich weiterziehen. In der Polit-Szene hinterlässt das Risse und auf lange Zeit wird kontinuierliche Arbeit erschwert, denn das Aufsammeln der Scherben studentischer Euphorie verbraucht einiges an Ressourcen der Zurückbleibenden. Eine stabile linke Infrastruktur sieht anders aus und sie weiter aufzubauen ist und bleibt in Anbetracht der gesellschaftlichen Zumutungen auch im studentischen Jena-“Paradies“ bitter nötig. Ob und wie wir mit der Gründung der Gruppe Pekari dazu beitragen können oder doch auch nur wieder als ein Haufen elitärer Studis enden, die irgendwann alles stehen und liegen lassen, ist zum jetzigen Zeitpunkt schwer zu sagen. Fest steht, dass wir uns gegründet haben und dafür unsere Gründe haben.
Im Folgenden möchten wir allen, die sich fragen „Warum gibt es euch und was macht ihr so?“ ein paar Antworten geben und versuchen darzulegen, in welcher Rolle wir uns in einer linken Bewegung sehen und warum wir glauben, mit der Gründung einer offenen Gruppe dazu beitragen zu können, die ewige Begleiterin linksradikaler Politik – die szenige Exklusivität – endlich ein wenig abschütteln zu können.
Ausschlussmechanismen, Rückzugsorte und das Dilemma der Szene
Anschlussfähigkeit ist und bleibt ein wunder Punkt in der radikalen Linken. Es gibt nicht wenige Leute, die frustrierende Erfahrungen mit der Suche nach der Eintrittskarte in die linke Szene gemacht und sich im Endeffekt wieder von ihr abgewendet haben. Eine traurige Erkenntnis, wenn mensch bedenkt, dass wir als linke Bewegung doch wachsen wollen und das auch müssen, um den Herrschaftsverhältnissen etwas entgegenzusetzen, Grenzen zu durchbrechen, der Alternativlosigkeit eine Fratze schneiden zu können. Aber dieser Effekt ist auch kein Wunder, wenn mensch sich vor Augen führt – und vielleicht auch mal in den eigenen Erinnerungen an das erste Bildungsstreikbündnis-Treffen oder die erste Antifa-Soli-Party gräbt – mit was für identitären Abschottungs-und Ausgrenzungsmechanismen „Szenefremde“ teilweise konfrontiert werden. Das geht von Redeverhalten über Wissenshierachien bis hin zu Klamotten-und Sprachcodes, um nur mal einige der Gründe zu nennen, warum das erste Mal „Linke-Szene-Schnuppern“ häufig abschreckt. Die schiefen Blicke der Szene-Checker_innen können eben ganz schön einschüchtern und vermutlich weiß jede_r, wovon hier die Rede ist, denn irgendwo sind wir ja alle mal auf den Zug aufgesprungen.
Klar, nicht alle Strukturen sollten der breiten Masse offen gelegt werden und es gibt natürlich eine gewisse Notwendigkeit zu Abschottung und clandestiner („geheimer“) Arbeit. Gewisse politische Strukturen verdeckt und geschützt zu halten ist wichtig und richtig und alles andere wäre naiv und gefährlich. Denn wer die Gesellschaft radikal in Frage stellt, ist auch immer repressionsgefährdet. Ab einem bestimmten Punkt ist der Konflikt mit dem Staat anscheinend unumgänglich, das steht außer Frage.
Es sind aber nicht nur Sicherheitsmaßnahmen, die eine gewisse szenige Zurückgezogenheit rechtfertigen und manchmal durchaus erfordern. Das Leben in der Blase der mariginalisierten radikalen Linken bietet nicht nur Schutz vor staatlicher Repression, sondern teilweise auch vor den alltäglichen Zumutungen der kapitalistischen Gesellschaft und dem rassistischen und sexistischen Normalzustand der „Außenwelt“. Gleichzeitig hat sie als Konfrontationsraum, also als ein Ort, an dem wir uns mit verinnerlichter Norm und anerzogenen Verhaltensweisen kritisch auseinandersetzen, durchaus emanzipatorischen Charakter. Linke Gegenkultur und schützende Rückzugsorte sind daher unverzichtbar auf dem Weg zu einer starken, dauerhaften Bewegung, auch wenn sie – anders als gern behauptet – dem Anspruch, wirklich herrschaftsfreie Räume zu schaffen, niemals gerecht werden können.
Außerdem: Die ranzigen Kellerlöcher und versifften Bars mit betagten Klos und Soli-Bier fürn Euro haben einfach ihren Charme! Als Fluchtpunkt für die in Watte gepackte intellektuelle Mittelstandslinke, die auf „die Welt da draußen“ gelegentlich nicht mehr klar kommt, sind sie dennoch – zusammen mit den häufig sehr exklusiven Gruppenstrukturen der städtischen Linken – Teil einer für „Szenefremde“ schwer zugänglichen politischen Infrastruktur, die Zulauf aber eigentlich bitter nötig hat. Ein tragisches Dilemma – aber kein unauflösbarer Widerspruch?
Um es kurz zu machen: Die linke Szene muss sich öffnen. Und zwar dringend! Wenn wir als Bewegung wachsen wollen, müssen mehr Strukturen aufgebaut werden, die den Zugang zu linker Infrastruktur – im örtlichen wie organisatorischen Sinne – erleichtern. Um all die Leute mit ins Boot zu holen, die die szenige Crew am Eingangstor zur fabelhaften Welt der außerparlamentarischen Linken1 viel zu häufig hat abblitzen lassen, die eingeschüchtert und frustriert auf der Schwelle wieder umgedreht sind, die den Weg einfach nicht gefunden oder die es erst gar nicht versucht haben.
Im Prozess linksradikaler Organisierung und Öffnung
Mit einer offenen Basisgruppe wollen wir versuchen in Jena ein Konzept zu etablieren, was durch leicht zugängliche Organisierungsangebote die Öffnung der radikalen Linken vorantreibt. Ohne andere Gruppenkonzepte und Organisationsformen damit infrage zu stellen, sehen wir Pekari als eine notwendige Ergänzung der vielschichtigen städtischen Linken.
Wir haben uns also bewusst für eine offene und prinzipiell erstmal jeder_jedem zugängliche Organisationsform entschieden und sind uns im Klaren darüber, dass das über kurz oder lang auch viel Konfliktpotential und Trägheit mit sich bringen kann.
Wir sind in der Tat recht schnell zu einem ziemlich durchmischten Haufen mit unterschiedlichsten Erfahrungsschätzen, Wissensständen, politischen Ansichten und Prioritäten geworden. Wir hoffen jedoch gerade als heterogene, strömungsübergreifende Gruppe zu einer Ausweitung des undogmatischen Politikverständnisses in der radikalen Linken beitragen zu können, was nicht bedeutet, dass wir uns vor dem Austragen inhaltlicher Diskussionen und Konflikte drücken.
Ganz im Gegenteil: Viele verschiedene Ansichten und immer wieder neuer Input und Infragestellen formen die inhaltliche Arbeit und lassen sie nicht stillstehen. Zudem ist interne Kommunikation für uns von zentraler Bedeutung. Denn logischerweise laufen gerade offene Gruppen Gefahr, von Wissenshierachien, Status- und Anerkennungskonflikten, Checkertum und anderen Machtgefällen durchlöchert und zersprengt zu werden. Allein schon dadurch, dass sich in einer sich ständig erneuernden Gruppe immer Leute mit verschiedensten zeitlichen Kapazitäten und Erfahrungen begegnen werden, die sich auch immer unterschiedlich stark mit der politischen Arbeit identifizieren wollen oder eben können. Aber diese Erkenntnis ist kein Grund davor halt zu machen, (informelle) Hierarchien offen zu legen und zu durchbrechen. Natürlich ist dies ein stetiger, anstrengender und zeitfressender Prozess, den wir aber, wie unsere gesamte etappenweise voranschreitende Gruppenbildung und Organisierung, als einen gemeinsamen Lern-und Emanzipationsprozess ansehen und deshalb gerne angehen wollen. Lieber alle zusammen aber langsam, als einzelne preschen voran, ziehen den Karren alleine und reproduzieren so Hierarchien und Rollenverteilungen innerhalb der Gruppe.
Die Gruppe ist also irgendwo auch ein emanzipatorischer Selbstzweck und ein Ort des gemeinsamen Lernens, des Ausprobierens hierarchiefreier Umgangsformen und Hinterfragens von Rollenbilder und Zuschreibungen. Diese Auseinandersetzung mit uns selbst halten wir gerade aufgrund der fragilen Konstellation einer offenen Gruppe für umungänglich.
Nichtsdestotrotz wollen wir natürlich nicht im Sumpf der Selbstreflexion versinken, sondern beteiligen uns aktiv an linken Kampagnen und Kämpfen oder initiieren sie selbst. Dafür treffen wir uns neben unserem wöchentlichen Hauptplenum zusätzlichen in Arbeitskreisen mit den Schwerpunkten Antifaschismus/Antirassismus, Queerfeminismus und Soziale Kämpfe.
Die inhaltliche Auseinandersetzung ist dabei zugegebener Maßen bisher ein bisschen zu kurz gekommen und von einem politischen Konsens kann in vielen Punkten nicht die Rede sein. Auch wenn wir uns deshalb für die Zukunft mehr theoretisches Arbeiten und fetzige Diskussionen vorgenommen haben, ist ein in Stein gemeißeltes politisches Programm nicht unsere erklärtes Ziel. Der vorliegende Text ist demnach auch nicht als Selbstverständnis oder Leitfaden der Gruppe zu verstehen. Er ist aus der Reflexion über unseren Enstehungszusammenhang entstanden und zudem als kleiner Input in die Organisierungsdebatte in der radikalen Linken gedacht.
Wir verstehen uns als Plattform, Sammelbecken und Angebot für alle an linksradikaler Politik und Organisierung interessierten Menschen, eben als offene Basisgruppe. Es erscheint in einer uni-zentristischen Stadt wie Jena vielleicht utopisch, aber ein weiterer Vorsatz von Pekari ist es, dabei nicht nur Student_innenkreise anzusprechen, sondern auch Menschen, deren Alltag nicht nach Semestern und Vorlesungszeiten getaktet ist.
Im Laufe unserer Gruppengründungs- und Findungsphase haben wir uns zugegebenermaßen viel vorgenommen und sicherlich ist einiges davon eher von großen Worten getragen als von handfestem politischem Realismus. Aber ein bisschen Utopie und Luftschlösschen bauen hat ja nun noch nie geschadet, besonders nicht einer linken Bewegung. Natürlich ist Pekari nicht die Lösung aller Probleme. Gesamtgesellschaftlich gesehen sind auch wir nur eine weitere Fahne im eisigen Wind der erstarrten kapitalistischen Normalität und seiner Zwänge, Mauern und Grenzen. Der Weg zur befreiten Gesellschaft wird ja nun dadurch nicht weniger lang und schwer, dass sich irgendwo in Thüringen eine neue Gruppe gründet, die den Namen eines südamerikanische Nabelschweines trägt. Wir können lediglich dazu beitragen, dass die, die bereit sind diesen Weg zu gehen, gut organisiert sind, aufeinander aufpassen und eines Tages auch mehr sein werden, als das kleine Grüppchen in der Gesellschaft, das die ein wenig im Szenefilz verstrickte radikale Linke in der BRD zur Zeit ist.
Es gibt viel zu tun also let´s push things forward!
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Pekari heißt auf der Sprache der indigenen Tupi in Brasilien „Tier, dass viele Wege durch den Wald macht“. Es ist ein äußerst geselliges, sich meist vegetarisch ernährendes Schwein, das in gut organisierten Gruppen mit schwach ausgeprägter Rangordnung, lebt. Die einzigen natürlichen Feinde der Pekaris sind Puma und Jaguar, aber auch diese sind vor ihrer Kraft und Widerstandsfähigkeit nicht sicher. Außerdem tragen sie einen stylischen, schwarzen Iro auf dem Rücken und verbreiten einen starken Geruch, der ihre Umwelt ins Wanken bringt.