Am Frauen*kampftagsbündnis kommt seit 2015 keine*r mehr vorbei – von Februar bis März finden in mehreren Thüringer Städten Veranstaltungen verschiedener Formate statt, feministisch Bewegte diskutieren und tauschen Erfahrungen aus. In diesem Jahr organisierte das Bündnis nun erstmals einen eintägigen Kongress in Erfurt, der diese Möglichkeiten intensivieren sollte unter dem Motto FIT* FOR ACTION – Feministischer Kongress Thüringen #1 – Du interessierst dich für Feminismus und linke Politik? – Wir auch!“ Franzie schildert ihre Eindrücke vom Kongress.
Anspannung und Vorfreude liegen in der Luft als die Teilnehmerinnen* am Samstag Morgen das imposante Gebäude in der Brühler Vorstadt betreten, das sonst nur Schüler*innen des besser betuchten Stadtviertels vorbehalten ist. Herzliche Umarmungen und erste Gespräche bereiten den Empfang und den Start in den Tag – viele kennen sich, die Atmosphäre wirkt vertraut. Vorbei an strengen Gesichtern der vormaligen Schulleiter geht es die breiten Steintreppen hinauf in die mit dunklem Holz kunstvoll gestaltete Aula, der Blick durch die schmückenden Bleiglasfenster lässt Kackstadt viel freundlicher erscheinen als sonst. Auf den in Kreisen gestellten Stühlen nehmen etwa 60 bis 70 Fauen*, Inter und Trans Platz. In der Mitte diskutieren alsbald feministische, linke Akteurinnen zur Vergangenheit, Gegenwart und über Anstöße für Perspektiven von feministischen Kämpfen in Thüringen. Platz nehmen unter anderem Akteurinnen aus der autonomen Frauenbewegung der 90er Jahre, der „Frauen für Veränderung“, parteipolitisch Aktive, Gewerkschafter*innen und Antifaschist*innen. In der Fish-Bowl-Diskussion werden aus dem reichen Erfahrungsschatz verschiedenste Themen angesprochen: die Erfahrung des Wirkens in Frauengruppen wie bspw. durch Frauen für den Frieden als Teil einer männlichen Bürgerbewegung in der DDR – Mackertum in der Antifa seit den 90er Jahren mit gegenwärtigem Reflexionspotential – parteipolitische Maßnahmen zur Geschlechtergleichheit und fehlender Mutterschutz für Abgeordnete sowie informeller Männerklüngel im „Postengescharrer“ – durch die Wende-Verhältnisse ins Tun kommen – Räume für Frauen und Mädchen schaffen in selbstverwalteten Strukturen wie Wohnprojekten und besetzten Häusern, im feministischen Mädchenprojekt oder im Radio – Pornographie öffentlich ächten – Frauen im tätigen Widerspruch zu gesellschaftlichen Strukturen und Frauen tätig ohne Widerspruch in gesellschaftlichen Strukturen – Frauen und Existenzängste – feministische Genossen, die dasselbe wollen? – Frauengesundheit und weibliche Erfahrung – Rechtsruck und Zeitfenster für progressive Gesetzgebung – weiblicher Körper im Wandel – Feminismus als späteres Thema in der eigenen politischen Sozialisation – Ausschluss aufgrund individualisierter statt kollektiver Kindererziehung – Kapitalismus, Feminismus und Antifaschismus.
Die Spannbreite der Themen lässt erahnen, was den Frauen* unter den Nägeln brennt und dass vieles hätte vertieft werden wollen. Das Ansinnen einen Erfahrungsaustausch zwischen mehreren Generationen feministisch Aktiver zu fördern, konnte mit der gezielten Einladung zum Kongress angestoßen werden. Die, die sich versammelten waren mehrheitlich weiß, gut ausgebildet, zwischen Anfang 20 und Mitte 30. Erfahrungen und Themen weiter Teile von Frauen waren jedoch nicht vertreten und fanden somit keinen Platz oder Eingang in die Debatte. Welchen Feminismus wollte man hier also diskutieren? Eine formulierte Antwort lautete: „Einen Feminismus für viele Menschen, der auf gesellschaftliche Strukturen zielt und Veränderung des Systems.“
Die Neugier auf die Erfahrung der anderen war groß und ließ sich kaum stillen. Dies zu teilen beförderte die Einsicht in die Gewordenheit der Verhältnisse sowie Erkenntnis der weiblichen Subjektivität. Wie aber kann es gelingen diese Konzentration von Erfahrung vorwärtsweisend politisch zu greifen und in Handlungsfähigkeit gegen patriarchale Verhältnisse zu wenden? Die gemeinsame Suche nach Antworten fand in den nachfolgenden Workshops statt, in denen die jüngeren Bewegten mehrheitlich unter sich blieben und somit Erfahrungen und Strategien ungeteilt blieben. Beim Wendo wurde feministische Selbstbehauptung eingeübt, andere diskutierten über Historie und Gegenwart der Abtreibungsparagrafen und den feministischen Kampf dagegen. Ein Workshop befasste sich mit dem Verhältnis von Frauen* und Theoriearbeit, ein weiterer mit Sexismus in den eigenen politischen Strukturen. So verging der Nachmittag und mündete in eine geschrumpfte Abschlussrunde, die zur Feststellung führte, dass es auch im nächsten Jahr einen solchen Kongress braucht. Wünsche dafür: mit älteren Feminist*innen in Austausch kommen und mehr Vernetzung feministisch Aktiver ermöglichen.
Am frühen Abend wurde der Kongress für all gender zur Lesung mit dem feministischen Magazin „Outside the box“ aus Leipzig geöffnet. Zwei Redakteurinnen stellten ihre Arbeit vor und beleuchteten das Thema Streit der fünften Ausgabe näher. Es wurde teils im Erzählerischen und mittels Interviews das Spannungsverhältnis von Identitätspolitik, weiblicher Subjektivität und einer erfahrungsbasierten Kritik zur Überwindung der Gesellschaft aufgeworfen und „das fiese Dilemma“ zwischen individualisiertem Empowerment, welches Verantwortung einzig dem Individuum auferlegt, und machtkritisch vermitteltem schlauen Empowerment herausgestellt. Im Feminismus der Zeit zeigten sich die Widersprüche, so die Redakteurinnen, und argumentierten mit dem Gelesenen für einen materialistischen Feminismus. So gab es auf diesem ersten feministischen Kongress des F*KT-Bündnisses mehrere Antworten darauf, für welchen Feminismus gestritten werde.
Literaturhinweise:
Ahr, Birgit; Göhler, Katrin, Hildebrandt, Hiltrud u.a.(1993): Das Mädchenprojekt Erfurt. In: Heiliger, Anita; Kuhne, Tina (Hg.innen). Feministische Mädchenpolitik, 59-78.
Grauzone Dokumentationsstelle zur nichtstaatlichen Frauenbewegung in der DDR; Kenawi, Samira (Hrsg.) (1995): Frauengruppen in der DDR der 80er Jahre: Eine Dokumentation.
Haug, Frigga (1991): Erziehung zur Weiblichkeit: Alltagsgeschichten und Entwurf einer Theorie weiblicher Sozialisation.
Outside the box, feministische Zeitschrift bisher 6 Ausgaben erschienen, outside-mag.de.
Viewpoint Magazine, „a militant research collectiv“, viewpointmag.com.