Macht – Grundlegende Gedanken Michel Foucaults

Von David Stern

Michel Foucault (1926-1984) war sowohl Philosoph, Soziologe, Historiker als auch Psychologe und bewegte sich in seinen Analysen zwischen Strukturalismus und Poststrukturalismus. Er beschäftigte sich u.a. mit den Themen: Macht, Wissen, Subjekt, Gouvernementalität, Diskurs und verhalf anhand seiner Analysen und philosophischen Betrachtungen zu einigen Perspektivwechseln. Einige seiner relevantesten Werke sind: Wahnsinn und Gesellschaft (1962); Die Ordnung der Dinge (1966); Die Archäologie des Wissens (1969); Überwachen und Strafen (1975); Sexualität und Wahrheit (1976); sowie seine Vorlesungen zur Gouvernementalität und sein Aufsatz „Nietzsche, die Genealogie, die Historie.“

„Die Macht ist nicht etwas, was man erwirbt, wegnimmt, teilt, was man bewahrt oder verliert; die Macht ist etwas, was sich von unzähligen Punkten aus und im Spiel ungleicher und beweglicher Beziehungen vollzieht.“ [1]
Das klingt jetzt vielleicht für die eine oder den anderen etwas abstrakt oder sehr allgemein gefasst. Festzuhalten ist, dass sowohl dieser Ausspruch als auch die Denkleistungen der Poststrukturalist_innen (u.a. Michel Foucault, Judith Butler, Ernesto Laclau) in ihrem Bezug zur Macht sehr konträr zum üblichen Denken innerhalb linker Perspektiven stehen. Macht ist häufig etwas Voraussetzungsvolles und wird verstanden als etwas, dass man ergreifen bzw. besitzen kann. Sie ist im Kapital verankert, unter (subjektlosen) Mächten aufgeteilt und ist stets danach bestrebt, sich an wenigen Orten zu bündeln (und ggf. zu entladen). Sartre sagte mal, dass die, die (vermeintlich) außerhalb der Macht stehen (Intellektuelle, Oppositionelle etc.) in der Lage seien, die Gesellschaft zu verändern und in sich die Revolution tragen. Im folgenden Beitrag soll darauf eingegangen werden, inwieweit Michel Foucaults Auffassungen dem gegenüberstehen und wie seine Machtkonzeption neue Perspektiven eröffnet.

Macht durchläuft im Verlauf der Moderne einen Wandel. Nicht mehr die repressive Macht, die unterwirft, hemmt und unterdrückt soll die Bevölkerung disziplinieren. An ihre Stelle treten produktivere Formen von Macht (auch wenn Repression und Sanktion immer noch herrschen). Durch ihre positive Bestärkung, indem sie Kräfte hervorbringt, die z.B. den Subjekten suggerieren, sie könnten selbstbestimmt entscheiden, dringt sie bis in die Körper der Individuen ein und macht sie für sich nutzbar. Sie tritt sowohl in Gestalt der Disziplinar- als auch Regulierungsmacht auf. Um das Ganze etwas zu verdeutlichen: Macht findet gerade in ihrer Produktivität vermeintlich auf Augenhöhe statt (oder zumindest niedrigschwellig) und bedarf nicht mehr zwingend einer eindeutigen Autorität, um zu wirken. Wir kontrollieren und disziplinieren uns selbst und andere, sodass es kaum einer strafenden Institution bedarf, damit die Menschen sich anpassen. Natürlich abgesehen von „Freundin und Helfer“, die bei jedem Protest ihre „Präsenz“ zeigen oder Marginalisierten die Leviten lesen. Zugleich entstehen neue (staatliche) Institutionen, die eine Vorstellung von Norm und Normalität vermitteln und sich in ihrer Produktivität auf die Formung der Bevölkerung und deren Rationalisierung beziehen, statt diese offen zu knechten. Diese Form produktiver Macht ist eher eine verborgene, die den Kern ihrer Absichten nicht so eindeutig preisgibt, da dieser genauso uneindeutig ist und sich Konsequenzen einstellen, die fernab vermeintlicher Ziele resultieren. Sie ist zugleich ein Effekt der Individualisierung und Totalisierung ihrer selbst. Individualisierung, weil jede_r Einzelne nun als selbstbestimmtes Subjekt angerufen [2] wird, was die kapitalistischen Ideologien als solche verschleiert. Den Menschen wird suggeriert, sie seien frei in ihrem Wesen und ihren Entscheidungen. Doch geschieht das nicht bloß anhand von Sprache sondern wird in alltäglicher Praxis (Diskursen) verinnerlicht durch ständige Wiederholung. Totalisierung hingegen meint, dass Menschen totaler Kontrolle unterstehen. Sei es durch staatliche Kontrollen, Reglementierungen und Gesetze bis hin zur Selbstregulierung jeder_s Einzelnen, z.B. der Mensch als Unternehmer_in und kreative Schöpfer_in ihres_seines Marktwertes. Die produktive Macht propagiert Freiheit und Autonomie, doch wird durch die subtilen, strukturellen Wirkungsmechanismen das Feld der Möglichkeiten abgesteckt und begrenzt. Freiheit wird nur innerhalb der Ordnung gelebt. Diese Grenzen entscheiden sowohl was normal und was abweichend ist. Wobei man nicht vergessen darf, dass beides zugleich auftritt. Wird von einer Norm gesprochen, geht dies immer (sowohl implizit als auch explizit) mit der Abweichung einher. Sei es der sogenannte gesunde Körper oder der normale Geist; es wird durch statistische Mittel – z.B. in Deutschland die DSM V-Gesundheitsnormen – ermittelt, welches Verhalten und welche körperlichen Ideale in eine gesunden Gesellschaft passen und welche nicht. [3] Nicht nur, dass Menschen mit ihren Problemen innerhalb der Gesellschaft und ihres Wandels als selbstverschuldete Verlierer_innen dastehen. Sie müssen sich dazu der Aufgabe stellen, sich innerhalb einer durch-ökonomisierten Welt zurechtzufinden. Egal, ob in Bildung oder um sich wieder in die Normalität des (Lohn-)Arbeitslebens einzubinden: Investitionen sowohl monetärer als auch geistig-produktiver „Natur“ sind notwendig, um als normal verortet zu werden. Der Mensch wird zur Unternehmer_in ihrer_seiner selbst. Man ist ein Projekt, welches nie abgeschlossen ist, muss sich immer neuen Aufgaben und Projekten stellen, um nicht stehen zu bleiben. Wir sind in Bewegung und dies zu jeder Zeit: Stillstand heißt Rückschritt.
Macht ist, daraus schlussfolgernd, sowohl eine Verortung von Herrschaftszuständen als auch die Verwurzelung funktionaler Machtausübungen, auch im individuellen Zusammensein. Verdeutlicht wird damit zugleich, dass sich Macht in jeglicher zwischenmenschlicher Beziehung befindet und der Wandel vom Fremd- zum Selbstzwang – welcher anhand vorherrschenden Wissens bestimmt ist und gesellschaftliche Wahrheiten konstituiert – trotz seiner Produktivität nicht als etwas positives sondern weiterhin unterwerfendes betrachtet werden muss. Der Primat der Ökonomie (als Beispiel) stutzt tiefe Begehren der Individuen zusammen und bestimmt sowohl individuelles als auch kollektives Verhalten.

Diskurs und Wissen

Zur Beschreibung, wie die individuellen und kollektiven Körper der Bevölkerung zu vereinnahmen und auszuschöpfen sind, bedarf es zwei weiterer Begrifflichkeiten: Diskurs und Wissen. Unter dem Diskurs kann man historisch spezifische Ordnungen des Denkbaren und Sagbaren verstehen. „Es sind die gesellschaftlichen Machtbeziehungen, die den Diskurs in seiner spezifischen Form in die Welt setzen. In diesem Sinne setzt der Diskurs die Macht unmittelbar voraus. Zugleich produziert er aber auch Machtbeziehungen, indem er Gegenstände für soziales Handeln hervorbringt.“ [4] Gerade der Körper spielt für Foucault dabei eine zentrale Rolle für diskursive Praktiken: die Macht ordnet die zu vergesellschafteten Körper an und formt diese. Durch Ansammlungen eines bestimmten Körper- und Macht-Wissens können die Körper nun geformt werden für die Notwendigkeiten gesellschaftlicher Einspeisung. Es geht darum, die Körper und ihre Kräfte zu optimieren, sie zu lehren, was „richtig“ ist und zu unterwerfen, um sie, z.B. für den Arbeitsmarkt, bereitzustellen. Das funktioniert nicht mit einer feudalen, unterdrückenden Macht, die die Körper schädigt, wenn sie nicht gehorsam sind. Viel praktischer ist es, den Körper mittels des Wissens aus verschiedensten Disziplinen (z.B. Psychologie, Soziologie, Biologie) und den damit verbundenen Normalisierungseffekten zu unterwerfen. Zum besseren Verständnis nochmal das Beispiel der Gesundheit: Menschen werden u.a. medial dazu motiviert, sich „gesund“ und „fit“ zu halten, indem ihnen immer wieder aufgezeigt wird, was denn einen gesunden Menschen ausmacht, sowohl körperlich als auch geistig. Die Beobachtungen gesellschaftlicher Regelmäßigkeiten (z.B. des Auftretens von Normalitäts-, oder Gesundheitsdiskursen etc.) stehen damit im Vordergrund zu verwertender Diskursanalysen. Das Wissen spielt für diese machtvollen Prozesse eine tragende Rolle: Es wird nicht nur eingesetzt, um gegen Macht aufzubegehren (wie das doch so gerne im Theorie-Kämmerchen gemacht wird) sondern entfaltet Macht und ist Anschluss an die Macht selbst. Wissen wird verwertet, um weitere Techniken zu finden, um die Bevölkerung zu formen. Und seien es so „triviale“ Techniken wie eine neue Plakatwerbung eines Konzerns, der das bestehende Schönheitsideal aufrechterhält oder eine neue schulische Bildungsmaßnahme, die Jugendlichen dazu verhelfen soll, richtig gute Demokrat_innen zu werden. All diese Ergebnisse sind in einem riesigen Durchlauf psychologischer Tests, Fragebogenauswertungen und qualitativer Umfragen entstanden, die zum Ziel haben, vermeintlich neue Begehren zu schaffen und den Menschen ein Stück Individualität (oder besser noch: Freiheit) zu verkaufen bzw. ihnen die unerwünschte Abweichung in schärfster Polemik zu vermitteln, wie z.B. die Amerikanisierung unserer gesunden deutschen Körper oder was passiert, wenn man auf die schiefe Bahn gerät und „Linksextremist“ wird.

Wirkt alles ein wenig aussichtslos!?

Ich denke nicht, aber man „… muß wohl auch einer Denktradition entsagen, die von der Vorstellung geleitet ist, daß es Wissen nur dort geben kann, wo die Machtverhältnisse suspendiert sind …“. [5] Wissen unterliegt genauso einem Machtverhältnis, wie das Kind sowohl Macht hat als auch unterworfen und abhängig ist. Radikale Positionen stehen nicht außerhalb eines Machtverhältnisses.
Nach Foucault gibt es, meines Erachtens nach, zwei Felder, die potentielle Widerstandsorte sind: Der Bezug auf eine hegemoniale Verschiebung (a); die Umkehrung äußerer Macht als dem entgegen gesetzte Handlungsmacht (b).
(a) Notwendig für den Erhalt kapitalistischer Strukturen ist es, Alternativlosigkeit darzustellen und diese Denkstrukturen zu stabilisieren und immer wieder zu etablieren. Politische und kulturelle Hegemonien [6] geben sich als universell aus. Sie präsentieren verschiedenste Subjektpositionen (z.B. Heteronormativität, mündige Bürger) als vernünftig und setzen damit einen Zielort fest, welcher wiederum das Ausgeschlossene einschließt und latent symbolisiert. Dieses „verfestigte Außen“ (z.B. Homo- oder Transsexualität) führt zwar zur Stabilisierung des Erwünschten, bewirkt allerdings auch eine subtile Etablierung seiner selbst. Auch wenn abweichende Subjektpositionen nicht erwünscht sind, zeigen sie dennoch Alternativen auf, die die Möglichkeit bieten, sich diskursiv in gesellschaftliches Leben und Wandel mit einzubringen, z.B. durch politisch-kulturelle Definitionskämpfe. Anhand von Mikropraktiken versuchen hegemoniale Diskurse sich Schritt für Schritt einzubürgern.
(b) Diese diskursiv ausgeübte Macht ist allerdings den Menschen nicht nur vorgängig, sondern lässt diese sich auch in die Lage versetzen, selbst Macht auszuüben. Diese Aneignung bzw. Einverleibung der vorgängigen Macht kann auch wieder gegen sich gewandt werden. Wenn, z.B. der Prozess der Subjektivation sowohl die Unterordnung als auch die Werdung des Subjekts beinhaltet und ihm damit die Fähigkeit zur Praxis einverleibt, „… dann ist die Subjektivation die Begründung dafür, daß das Subjekt Garant seines Widerstands und seiner Opposition wird.“ [7] Diese Widerstände, die sich z.B. als Kämpfe materialisieren, so Foucault, sind aber nicht nur als Kampf gegen Autoritäten zu verstehen. Zu seiner Zeit machte er drei Arten von Kämpfen aus: 1. die, die sich gegen (soziale, religiöse etc.) Herrschaft richten; 2. die, die sich gegen Ausbeutung richten; und 3. die Kämpfe, die sich dagegen richten, dass einzelne Individuen an sich und ihre Identität gebunden werden und die Unterwerfung gegenüber anderen sicherzustellen versuchen. [8] Auch heute sehen wir diese Formen von Kämpfen global. Seien es Frauenrechtsaktivist_innen in Indien, die sich dem stark patriarchalen gesellschaftlichen Strukturen entgegenstellen und dabei immer mehr Medienecho erlangen oder Menschen, die sich im Blockupy-Bündnis aktiv vernetzen und sich u.a. gegen die Austeritätspolitik der führenden EU-Länder stellen (allen voran Deutschland) und Graswurzelarbeit leisten. Diese Kämpfe und viele weitere Kämpfe sind es, die tagtäglich Gegenmacht produzieren und sich dem Bestehenden widersetzen.

Im nächsten Artikel soll auf den Prozess der Subjektivation näher eingegangen werden. Dabei wird beleuchtet, wie Menschen zu Subjekten werden; was es bedarf, um den Status des Subjektes aufrechtzuerhalten; was sowohl Vorteil als auch Nachteil ist, dass Subjekt nicht vorauszusetzen.

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[1] Foucault, Michel (1983): Sexualität und Wahrheit. Der Wille zum Wissen. Frankfurt a.M.: 94.
[2] Angerufen im Sinne Althussers. Ein Beispiel zur Verdeutlichung: Ein Polizist ruft auf der Straße „He, Sie da!“. In dem Moment, in dem wir uns umdrehen und somit anerkennen, dass wir gemeint sind, werden wir als Subejekte konstituiert. Vgl. Althusser, Louis: Ideologie, in: Althusser, Louis: Ideologie und ideologische Staatsapparate. 1. Halbband, Hamburg, 2010.
[3] Menschen, die z.B. länger als zwei Wochen um einen Verstorbenen trauern, werden mittlerweile als krank eingestuft. Vgl. Kriesl, Ilona: Psychisch krank über Nacht, in: http://www.stern.de/gesundheit/neues-standardwerk-der-psychiatrie-dsm-5-psychisch-krank-ueber-nacht-2018295.html letzter Zugriff: 02.06.2013.
[4] Seier, Andrea: Kategorien der Entzifferung: Macht und Diskurs als Analyseraster. In: Bublitz, Hannelore et al: Das Wuchern der Diskurse. Perspektiven der Diskursanalyse Foucaults. Frankfurt/New York, 1999: 75.
[5] Foucault, Michel (1976): Überwachen und Strafen. Frankfurt a.M.: 39.
[6] Nach Gramsci (2012) sind in dieser ’staats‘-kulturellen Hegemonie sowohl die politische Gesellschaft als auch die Zivilgesellschaft eingebunden (die gleichzeitig der Staat selbst sind), die vermeintlich frei von Zwang leben, da die staatliche Hegemonie verschleiert, dass auch diesen den Staat innewohnenden Gesellschaften ihr Bewusstsein nicht durch eine andere Klasse aufoktroyiert wurden (783).
[7] Butler, Judith (2001): Psyche der Macht. Frankfurt a.M.: 19.
[8] Vgl. Foucault, Michel (2005): Analytik der Macht. Frankfurt a.M.: 245f.

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