Gwen rezensiert ein Buch über die Diktatur der Schlankheit und den Widerstand gegen unbarmherzige Körpernormen.
Fett ist fabelhaft – denn es funktioniert als Geschmacksverstärker und bringt die Aromen einer Speise so richtig zur Geltung. Es macht das Essen lecker und es macht satt. Ist doch prima, oder? Doch der Genuss von Fett bleibt einem erschreckend großen Teil der Bevölkerung verwehrt. Nicht etwa, weil diesen Menschen die finanziellen Mittel fehlen oder weil sie durch staatliche Sanktionen wie die Androhung von Bußgeldern oder Gefängnis vom Fettverzehr abgehalten würden. Auch nicht, weil sie an einer Fettunverträglichkeit leiden. Was diesen Menschen – und ihr ahnt es, es sind in besonderem Maße Frauen betroffen – die simple Freude an leckerem Essen verbietet, ist der gesellschaftliche Konsens: Fett ist hässlich. Ich nenne es mal: Die Diktatur der dünnen Figur. Sie führt dazu, dass sich immer mehr Frauen und inzwischen auch Männer Gewalt antun oder antun lassen in Form von Nahrungsentzug, Operationen, welche Menschen in Richtung herrschender Körpernormen zurechtstutzen oder aufpumpen, Essstörungen, Magenverkleinerungen und so weiter. Und dass diese Gewalt als normal oder sogar gesund gilt. Das Gesetz dieser Diktatur erlaubt die straflose Diskriminierung aller Menschen, die nicht so dürr sind, wie es der aktuelle Standard vorgibt, welcher landesweit durch Plakataushänge, Presse und Fernsehen laufend bekannt gemacht wird. Doch unter dem Slogan „Riot – don´t diet!“ formiert sich Widerstand gegen diese unbarmherzigen Körpernormen. Ein Teil dieser Widerstandsbewegung ist das Buch „Nudeldicke Deern.“ von Anke Gröner.
„Schmeiß alle Diätbücher weg, die Du hast (Ich weiß, dass Du welche hast.) Vergiss das Kalorienzählen, das schlechte Gewissen und fang wieder an, einfach zu essen“ schreibt die Autorin. Und weiß genau, dass es eben nicht so einfach ist mit dem einfach Essen. Besonders, wenn Du dick bist oder Dich dick fühlst. Und sogar ziemlich Dünne finden sich oft zu dick. Welch unsägliches Ausmaß der Ekel vor dem Dicksein bereits angenommen hat, zeigen folgende Untersuchungen: Kinder zwischen drei und fünf Jahren „setzten laut einer Studie von 2003 „dünn“ mit „nett“ gleich und „dick“ mit „gemein“ – selbst die befragten dicken Kinder waren dieser Meinung.“ Fünfjährige würden sich lieber einen Arm amputieren lassen als dick zu sein und 75 Prozent der befragten Paare würden sich für eine Abtreibung entscheiden, wenn das Kind mit 50prozentiger Wahrscheinlichkeit dick werden würde.
Es ist nie zu spät für das Ende der Diät!
In einem solchen gesellschaftlichen Klima, wo Dir fast schon das Recht zur puren Existenz abgesprochen wird, wenn Du dick bist, kann „einfach essen“ eine Revolution sein. Anke Gröner beschreibt in ihrem Buch ihre „persönliche“ Revolution. Nach fünfundzwanzig Jahren Kampf gegen ihren eigenen Körper hat sie Frieden geschlossen mit Lebensmitteln. Und mit ihrer Statur. Und da das Persönliche politisch ist, berichtet sie auch davon, wie es zur Diktatur der dünnen Figur kam und wer davon profitiert. Und obwohl sie richtig wütend ist – und sie hat allen Grund dazu, denn bei manchem, was sie erlebt hat, blieb mir echt die Spucke weg! – gelingt es ihr, mit Leichtigkeit und Humor zu schreiben. Ihre neu entdeckte Begeisterung für gutes Essen ohne schlechtes Gewissen wirkt ansteckend und inspiriert hoffentlich viele Lesende, das Buch immer wieder weg zu legen, um sich den eben beschriebenen Schmaus zuzubereiten oder eines der eigenen Lieblingsgerichte zu verzehren!
Aufmucken statt Abnehmen
Ich finde, alle sollten dieses Buch lesen – egal, wie dick oder dünn sie sind! Denn es zeigt einen Weg, aus der Gehirnwäsche auszusteigen und einen respektvollen Umgang mit sich und anderen zu entwickeln, der sich an Lebensfreude und Selbstbestimmung orientiert,statt an Normen und Beurteilung. Nach der Lektüre wird es hoffentlich immer öfter vorkommen, dass Du aufstehst und etwas sagst, wenn mal wieder darüber geklagt wird, wie lecker das Essen ist und wie viel „Hüftgold“ sich daraus ergeben wird, statt das leckere Essen einfach zu genießen. Oder wenn Bemerkungen darüber fallen, wie sie nur Das-und-Das tragen kann bei der Figur! Oder wenn Du mal wieder beim Klamottenkaufen gerade noch so in XXL passt, obwohl Du gewichtsmässig absolut im Bevölkerungsdurchschnitt liegst (und außerdem ziemlich gut aussiehst, ich bin sicher!). Oder, oder, oder – es wird hundertprozentig mehr Gelegenheiten geben, als Dir lieb sind. Das Buch liefert Dir Informationen und Argumente, um diesen täglichen Wahn zu durchbrechen. Übrigens hätten auch die Verantwortlichen für die Covergestaltung das Buch mal lesen sollen! Das Titelbild zeigt eine Frau, die wahrscheinlich dick sein soll, es nach meinem Empfinden aber nicht ist, beim Training an einem Fitnessgerät. Ein Bild, das Lebensfreude und Schönheit runder Frauen darstellt – z.B. ein paar tanzende Frauen – hätte ich für dieses Buch viel passender gefunden. Es gibt noch viel zu tun! Die Bewegung muss breiter werden!
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Anke Gröner „Nudeldicke Deern. Free your mind fat ass will follow.“ (2013)
Erschienen bei Rohwolt, 14,95 Euro.