Editorial
Thüringen hat gewählt. Alle fünf Jahre stellen sich auf Länderebene Parteien zur Wahl, die die Sachzwänge verwalten und das Leben in den dafür vorgesehenen Bahnen halten wollen. Die größte Fraktion stellten mal wieder die Nichtwähler mit 47,3 Prozent. Da diese gewöhnlich aber keine Sitze im Landtag zugesprochen bekommt, wird aus den übrigen Kleinparteien dann eine Regierung gebildet. Die, die sich nun anbahnt aus Linke, SPD und Grünen bedeutet für die einen den Untergang des Abendlandes und für andere wiederum den großen sozialen Aufbruch. Warum weder das eine noch das andere ansteht, wusste unser Autor Simon Rubaschow, ohne dass wir ihn dazu befragt hätten. In seiner Rezension zum Film „Die wilde Zeit“ in dieser Ausgabe schreibt er: „Die Revolutionierung der Verhältnisse kann […] nur als Revolutionierung aller gesellschaftlichen Verkehrsformen gelingen, ansonsten schlägt sie in eine konterrevolutionäre Praxis um, die Politik als bloßen Kampf um Herrschaft versteht, sich auf die Organisierung von Hegemonie […] zurückzieht und […] zugunsten von Massenkompatibilität jeden transformatorischen Anspruch aufgibt.“ Weil also neue Inhalte neuer Formen bedürfen und die rot-rot-grünen Parlamentarier_innen sich in den bestehenden ziemlich wohlfühlen, deswegen gibt es ein paar Euro mehr für Anti-Nazi-Projekte, aber keinen Umbruch in der Gesellschaft, die die Nazis erst hervorbringt. Deswegen werden wir uns vielleicht an Aufmärsche wie den vom 9. November gewöhnen müssen, als 800 mit Fackeln bewaffnete Antikommunist*innen aller Lager den Jahrestag der Reichspogromnacht auf dem Domplatz begingen, weil sie um den Fortbestand des besagten Abendlandes oder einfach um ihre Privilegien fürchteten.
Gegen noch üblere Menschenfeinde als die aktuellen deutschen Antikommunist_innen kämpfen derzeit die Kurdinnen und Kurden in Syrien und im Irak. Über diesen Kampf haben wir ein ausführliches Interview mit dem kurdischen Aktivisten Ercan Ayboga geführt. Außerdem findet ihr in der aktuellen Ausgabe eine Auseinandersetzung mit der Erfurter Montagsquerfront, linken Kongressen, trauriger Praxis und vieles mehr. Lasst mal von euch hören!
Eine schöne Zeit der besinnungslosen Besinnlichkeit
– auch Weihnachten genannt –
wünscht
eure Lirabellen-Crew!
Inhalt
- News
- Leserbriefe
- Interview: „Gegen faschistische Kräfte, die nur die Vernichtung wollen, hat man das Recht, sich mit Waffen zu verteidigen“
Ox Y. Moron und Eva Felidae im Interview mit Ercan Ayboga, einem Mitglied des Kulturverein Mesopotamien. Das Interview wurde am 28.10.14 geführt, es dient weniger der aktuellen Information über den Angriff des IS auf Rojava, als der Schaffung eines allgemeinen Überblicks über den Konflikt und seine Beteiligten. - Einschätzung: TTIP – Die Wirtschaftsnato
Volker Henriette S. bringt ein wenig Licht ins Dunkle der stattfindenden Verhandlungen um TTIP und macht auf Konsequenzen aufmerksam, die bei einem Inkrafttreten des Handelsabkommens folgen werden. - Einschätzung: Immer wieder montags – Für Frieden ohne Freiheit
Totgesagte leben bekanntlich länger, wobei die Vitalfunktionen der neuen Montagsdemonstranten lediglich in physischer Hinsicht einwandfrei vom Autor validiert werden können. Ox Y. Moron über eine stagnierende Bewegung, die keiner gebraucht hätte. - Intervention: Vorschläge zu linken Konferenzen
Ich gehe gerne mit Freund_innen auf linke Kongresse. Mit Faszination beobachte ich, wie die verschiedenen Kegelclubs und Kaninchenzücher_innenvereine der Linken ihre ganz spezifischen Schrullen pflegen. Besonders schön ist es, wenn Leute sich ganz anders verhalten als erwartet, wenn z.B. die vermeintliche Macker-Antifa lecker kocht und ganz entzückend freundlich bei der Essensausgabe ist. Die folgenden Vorschläge zur Kongress-Gestaltung sind bei einem Kongress entstanden, bei dem viele Klischees bedient wurden. Von Pierre Bourdieu (angefragt). - Reaktion: Selbstmitleidig, weinerlich, peinlich, irgendwie egal
Maximilian N. Conrady formuliert in einer Reaktion auf Jens Störfrieds Artikel aus der letzten Lirabelle Zweifel an der Idee, Freude und Lust zum Zentrum der politischen Praxis zu machen. Um den falschen Gegensatz von echtem und bloß oberflächlichen Empfinden zu überwinden, betont sie die Bedeutung des Beschädigtseins in kapitalistischen Verhältnissen. Die Autorin ist Mitglied des Club Communsim. - Bericht: Gedanken zu Majdanek
Im Oktober 2014 findet sich eine Reisegruppe von 30 Menschen zusammen, um gemeinsam an einer Bildungsfahrt nach Lublin, Treblinka und Warschau teilzunehmen. Viele der jungen Menschen sind das erste Mal in Ostpolen. Sie wollen an historischen Orten mehr erfahren über die nationalsozialistische „Aktion Reinhardt“ – vielleicht auch ein wenig verstehen – mit dieser Hoffnung werden wohl viele solcher Bildungsfahrten konzipiert – eingelöst werden, kann sie nicht. Eine Teilnehmerin reflektierte etwa „Je mehr ich erfahre, desto weniger Sinn macht es.“ Auch deshalb ist dieser Bericht ein Sammelsurium an brüchigen, unvollständigen Gedanken zum Besuch Lublins und der Gedenkstätte Majdanek. Von Franziska. - Buchrezension: Die Bewegung muss breiter werden!
Gwen rezensiert ein Buch über die Diktatur der Schlankheit und den Widerstand gegen unbarmherzige Körpernormen. - Filmrezension: Die unendeckte Zeit
Auf der Suche nach einer revolutionären Praxis kuckt sich Simon Rubaschow den Film „Die wilde Zeit“ an. - [neu] Repressionsschnipsel
Diese neue Rubrik fokussiert aktuelles Geschehen in Sachen Repression. Für die Zuarbeiten danken wir den Rote Hilfe Ortsgruppen Erfurt, Weimar und Jena als auch der Soligruppe „Weimar im April“. - Die Aluhut-Chroniken III: Es fährt ein Zug nach Nirgendwo