Ballstädt, wie geht es weiter?

Anfang Februar 2014 überfiel eine Gruppe vermummter Neonazis eine Feier im Gemeindesaal von Ballstädt (Landkreis Gotha). Gegen die Neonazis wird vermutlich im Spätherbst dieses Jahres der Prozess vor dem Landgericht Erfurt eröffnet. Der Infoladen Gotha und der Kleingartenverein Tristesse e.V. berichten über die Geschehnisse und geben einen Ausblick darauf, was vom Prozess zu erwarten ist.

Die Angreifer_innen gingen geplant und zielgerichtet ans Werk, auf das “übliche Vorspiel” derartiger Auseinandersetzungen (rumpöbeln, beleidigen, provozieren,…) wurde verzichtet. Nachdem kurz die Lage gecheckt wurde, stürmte das gute dutzend Nazis (14 – 15 Angreifer, 1 Angreiferin) in den Saal und ging sofort auf die Anwesenden los. Nach wenigen Minuten wurde das Kommando zum Rückzug gegeben, genug Zeit um die Einrichtung zu zertrümmert und zehn Menschen zu verletzen, zwei davon schwer.

Als die Cops in Ballstädt eintrudelten, war von dem Überfallkommando weit und breit keine Spur mehr. Die Cops zogen ihr übliches Programm durch (frei nach dem Motto: selbst schuld wenn euch so was passiert), was für einige der Betroffenen eine durchaus irritierende Erfahrung war. Anfangs war von einer „Kirmesschlägerei“ die Rede, und anstatt sich um die verletzten und geschockten Menschen zu kümmern, wurden Alkoholtests durchgeführt. Glücklicherweise erregte der Vorfall dann doch eine gewisse mediale Aufmerksamkeit, und eine weitere Sicherheitsbehörde bekam die Chance ihre professionelle Arbeitsweise zu präsentieren. Der Thüringer Verfassungsschutz überwachte (mindestens) einen der Angreifer , Thomas W., bereits vor dem Überfall. Und da die Vorbereitung und Mobilisierung auch über T. Wagners1 Handy lief, war der Verfassungsschutz ganz nah dran am Geschehen. Da aber am Wochenende nur aufgezeichnet und nicht ausgewertet wird, konnte das „Früherkennungssystem der parlamentarischen Demokratie“ den geplanten Überfall erst am Montag feststellen.

Die Ermittlungen zu dem Überfall übernahm recht zügig die BAO ZESAR2, mehrere tausend Seiten an Ermittlungsakten wurden erstellt, und vermutlich wird das Verfahren im Spätherbst in Erfurt vor dem Landgericht beginnen. Es werden wohl um die 25 Verhandlungstage angesetzt und etwa 50 Zeugen sollen gehört werden.

Die Tatvorwürfe sind schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Raub. Was von der ganzen Sache übrig bleibt, wenn die konkreten Tatvorwürfe den einzelnen Täter_innen nachgewiesen werden müssen, wird sich zeigen. Geld- und Bewährungsstrafen, vielleicht sogar ein kurzer Knastaufenthalt sind der Preis, den die Neonazis rund um das „Gelbe Haus“ für die Durchsetzung ihrer NBZ[3] wohl zahlen werden müssen. Und zumindest in Ballstädt konnte das bürgerliche Anti-Nazi-Engagement erfolgreich eingeschüchtert und ruhig gestellt werden. In Ballstädt hat sich die rechte Szene einen ruhigen Rückzugsraum erkämpft.

Das kommende Gerichtsverfahren

Ein Gerichtsverfahren mit 15 Beschuldigten und etwa genauso vielen Verteidiger_innen, unter ihnen wohl einigen Szeneanwälte, 50 Zeug_innen, einigen Nebenkläger_innen und einem Zuschauerraum voller Nazis, Reporter_innen, Angehörigen und Bekannten der Opfer und hoffentlich auch einigen Antifaschist_innen verspricht einiges an Unterhaltungswert.
Wir sind gespannt wie viele der Beschuldigten ihren vor Kurzem gestarteten Ausstieg aus der Szene bekannt geben werden, und erhoffen uns, dass zumindest einige Aussagen Rückschlüsse auf den harten Kern der Neonazi-Szene zulassen. Was das Verfahren jedoch nicht erreichen wird, ist eine nachhaltige Schwächung der gut vernetzten Ballstädter Neonazis, bzw. ihrer (am Überfall beteiligten) Kameraden aus Südthüringen.

Interessant wird es eventuell, wenn zur Sprache kommt, dass einigen Nazis wieder abgesagt werden musste, aufgrund eines „Überangebotes“ an Schlägern. Das eigentliche Ziel der Neonazis war an diesem Abend wohl ein alternatives Hausprojekt im nahegelegenen Gotha, das es sich dabei wohl um das Ju.w.e.l. handelt kann sich gedacht werden. Jedoch wurde der aktionsfreudige Mob durch das brennende Licht im Ballstädter Bürgersaal angelockt und kurzfristig die Pläne geändert. Aber da bewegen wir uns momentan im Bereich der Spekulation, Gewissheit gibt es erst im Spätherbst.

Auch wenn unsere Erwartungen an den Justizapparat eher bescheiden sind, und wir dem Verfahren hauptsächlich wegen des Unterhaltungswertes, der Recherchemöglichkeiten und der möglichen Konfrontationsgewalt entgegenfiebern, gibt es da einen weiteren Punkt wegen dem wir euch bitten den Prozess zu begleiten. Für die Opfer des Übergriffs kann so eine monatelange Prozedur eine erhebliche Zumutung darstellen. Vor der selben Nazimeute sitzen zu müssen die einen verdroschen hat während mensch von einem Szene-Anwalt „verhört“ wird, und im Rücken die bedrohlichen Nazis im Zuschauerraum. Dass sollte niemand alleine ertragen müssen.

Unser Verhältnis zur „Ballstädter Allianz gegen Rechts“ war nie wirklich eng, ihre Äußerungen waren einfach teilweise viel zu blöder, auf Imagepflege bedachter, gutbürgerlicher Quatsch welcher oftmals am Problem vorbei ging. Etwa als die Allianz dazu aufrief die Leute bei den Bullen zu verpfeifen, die ein paar Graffitis an das „Gelbe Haus“ gesprüht und eine Scheibe eingeworfen haben. Ironie der Geschichte: Die Gothaer Antifa-Gruppe (AAGTH) wies die Ballstädter Allianz darauf hin, dass eine derartige Denunziation gewalttätige Vergeltungsakte der Nazis bedeuten könnte, und dadurch Leute an Neonazis und Behörden ausgeliefert würden. Deswegen haben sie es aber nicht verdient derartig verdroschen zu werden, oder sollten bei der juristischen Aufarbeitung allein gelassen werden.

Die Gothaer Naziszene nach Ballstädt

Um einige der Beteiligten ist es tatsächlich ruhig geworden, in Gotha selbst gibt es zwar immer noch zahlreiche Nazis, bis auf die Demo am 18. April verhalten diese sich aber erstaunlich ruhig. Viel lieber fahren die Gothaer Nazis in andere Städte wie Suhl, Erfurt oder kürzlich Eisenach. Die Ballstädter Nazis sind etwas aktiver, nehmen an Demonstrationen teil, organisieren Konzerte und Veranstaltungen. Geplante Übergriffe hat es seitdem so aber nicht nochmal gegeben. In Ballstädt scheint ein derartiges Vorgehen aus der Naziperspektive auch nicht mehr nötig zu sein, der bürgerliche Widerstand gegen das rechte Hausprojekt ist eingeschüchtert und stellt keine Gefahr dar. Es gibt zwar noch Aktionen, aber solche ohne Auswirkungen auf die Nazi-Immobilie oder die Kameradschaftsstrukturen vor Ort. Einzig die Selbstbestätigung des „Engagements gegen Rechts“ scheint die Triebfeder und das Ziel der bürgerlichen Nazigegner_innen zu sein.

Die rechte Szene rund um Gotha scheint momentan weder gewillt noch in der Lage in der Kreisstadt selbst wieder Fuß zu fassen. Die verbliebenen rechten Aktivist_innen begnügen sich damit, am Todestag von Rudolf Heß Bettlaken in der Stadt aufzuhängen oder ihr Heldengedenken in Friedrichroda zu planen. Die „Asyl-Debatte“ wird zumindest im virtuellen Raum, sowie vor allem im nahe gelegenen Ohrdruf auch durch Gothaer Neonazis befeuert.

Dass dieser relative „Dornröschenschlaf“ nach dem Verfahren endet, oder sich die Szene im Zuge der bundesweit zunehmenden rassistischen Übergriffe und Krawalle neu sortiert, muss wohl angenommen werden.


1
Thomas Wagner, langjähriger Neonazi, Sänger und Schlagzeuger der Rechtsrockband SKD, ehemaliger Bewohner der Hausgemeinschaft Jonastal (HJ) in Crawinkel, anschließend ins „Gelbe Haus“ nach Ballstädt gezogen.

2
Die „Besondere Aufbauorganisation Zentrale Ermittlungen und Strukturaufklärung – Rechts“.

3
National befreite Zone: „Wir müssen Freiräume schaffen, in denen WIR faktisch die Macht ausüben, in denen wir sanktionsfähig sind, d.h. WIR bestrafen Abweichler und Feinde,” heißt es in den ersten bekannten Texten zu einem gleichnamigen Konzept und das trifft Ballstädt ja ganz gut.

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