Der folgende Artikel befasst sich mehr als minder abstrakt mit der Idee einer Kritischen Ästhetik der Polemik. Die streitbare Kunstform ist z.B. bekannt aus den Texten der Zeitschrift Bahamas, aus Schriften Wolfgang Pohrts und geradezu perfektioniert im Werke Karl Kraus‘ zu finden. Auf Grund ihres beleidigenden Impetus‘ erregt sie oftmals bei Leserinnen & Lesern Anstoß und wird daher abgelehnt. Gegen dieses erste Gefühl der Ablehnung, aber mit dem Bewusstsein, dass durch Erklärung etwas von ihrem Zauber verloren geht, soll im Folgenden die Polemik als sachlich angemessene Form der Kritik verteidigt werden. Der Autor ist aktives Mitglied der Sozialistischen Jugend – die Falken. Von Max Unkraut.
I. Präludium
Das Bedürfnis einer Darstellung der Polemik speiste sich u.a. aus den Beobachtungen, dass Leute einer vernünftigen Kritik Absage erteilen, weil sie in ihren Augen unsachgemäß und künstlich daherkommt, wobei sie dabei in einem pejorativen Sinne als Respektlosigkeit stigmatisiert wird: was nicht wissenschaftlich-objektiv, d.i. ganz ohne Zugabe subjektiven Empfindens und Gestaltens, erscheint sowie nicht die größtmögliche Mannigfaltigkeit an Fakten darlegt, halten solche Systemapologeten prinzipiell für falsch. Die Objektivität der Herangehensweise ebendieser ist hingegen die Perpetuierung der isolierten Einzelnen, die der Unterwerfung unter die gesellschaftliche Totalität nicht Rechnung tragen, indem sie diese ihr in einer geeigneten Form präsentieren, sondern sich ihr anpassen. Als einfacher Gegensatz zur sozialen Objektivität – nicht unter dialektischer Vermittlung gedacht – ist das Subjekt ohnmächtig und vermag nicht mehr als festzustellen, dass etwas, aber nicht wie etwas ist, weil verleugnet wird, dass jeder das Ganze in gewissem Grade mitgestaltet und erhält. Der Inhalt solcher Feststellungen ist daher so abstrakt wie ein wild zusammengewürfelter Haufen Atome, die nur richtig betrachtet, eine bestimmte Figur aufweisen. Es ist also geboten, die Einzeldata der Umwelt in einer angemessenen Form darzustellen.
Die Aufmachung der Polemik soll indes ein Versuch einer Verteidigung der Waffe der Kritik sein, wie Adorno sie als „Idiosynkrasie“ des kritischen Subjekts bezeichnete, das den „historischen Takt hat, zu spüren, was geht und was nicht geht« und nur darum »an der Wahrheit selber auch […] Teil“ (Adorno: Über die geschichtliche Angemessenheit des Bewusstseins) hat. Die Idiosynkrasie beschreibt eine Art psychische Disposition, ein Unbehagen, das vom Einzelnen ausgeht und ihn dazu bringt, mit der schlechten Welt Schluss machen zu wollen. Sie betrachtet dabei aber ebenso die Welt, anders als oben genannt, unter Einfluss seiner selbst. Daher geht die kritische Subjektivität aufs Ganze und erkennt sich zugleich als ein potentielles Mehr, das nicht lediglich ein mitgeschleiftes Teilchen im kapitalistischen Alltag ist, weil es von sich aus zu der Entschließung kommt, nicht mehr mitzumachen.
Auf Grund der Kürze bitte ich Kritiker & Kritikerinnen ungenau Ausgedrücktes wohlwollend zu interpretieren. Ich bin mir z.B. im Klaren darüber, dass Idiosynkrasie ein sehr zweideutiger Begriff ist, der ebenso etwas zu kritisierendes impliziert. Leider zwingt die Kürze eines solchen Artikels zu kurzen Erklärungen.
II. »…Wurzelnd dort wo ich hasse/ wachse ich über die Zeit« (Kraus: Der Grund)
Mit Nietzsche wäre das Angesprochene zu spezifizieren: „wenn das Vergangene“ – und alles Gegenwärtige vergeht in dem Moment seines Seins – „überhaupt ohne harte Akzente und ohne den Ausdruck des Hasses erzählt wird“, diene man dabei nur dem »maßvoll-wohlwollenden Beschönigen“ des Geschehenen und zwar „in der klugen Annahme, dass der Unerfahrene es als Tugend der Gerechtigkeit auslege“ (Nietzsche: Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben). Eine bestimmte emotionale Stimmung gegen die veraltete Welt liegt nach Nietzsche also einer angemessenen Betrachtung derselben zugrunde. Weil das Gefühl alleine zwar unheimlich laut ist, aber keine Einsicht evoziert, gehört dazu auch „die Fähigkeit und Energie, diese idiosynkratischen oder blinden Reaktionen ins Bewusstsein zu erheben und sogar, sie zur Theorie zu erheben“ (Adorno: Über die geschichtliche Angemessenheit des Bewusstseins). Das Resultat der Kombination aus Hass und Einsicht nenne ich Verachtung und ihr Mittel ist die Polemik. Gleichzeitig soll sie eine künstlerische Antizipation der Revolution sein und zwar als Rache am Bestehenden.
Πόλεμοσ, d.i. der altgriechische Terminus für Krieg (in seiner stärksten Bedeutung). Der Polemik als Kunstform, sofern sie überhaupt als solche anerkannt, wird oft zum Vorwurf gemacht, sie sei parteiisch, gehe beleidigend an gegen eine Person und treffe daher den Sachverhalt nicht. Objektiv sein!, heißt es dann in Opposition zu ihr, meist ohne, dass diejenigen, die dasselbe einfordern, jeweils einen kritisch reflektierten Begriff von Objektivität und daher Subjektivität besitzen, geschweige denn von der Polemik. Schon deshalb bin ich geneigt, das Gegenteil zu behaupten, dass nämlich die Polemik nicht nur ein objektiv-kritisches Moment enthalten kann, sondern dieses sogar notwendigerweise beherbergt. Der angegriffene Einzelne, dessen Integrität man verletzt, ist schon bevor die Polemik ihn trifft so unversehrt wie das gebrochene Heideröslein, das die Liebe des Knaben wenigstens noch als grobe Gewalt kennt. Das Verwehren, die unmittelbare Abscheu gegen jene, ist dagegen der ungebrochene Wille derart gemartert zu bleiben, wie man es eben ist.
Um noch etwas bei der Etymologie von Worten zu verweilen: was bedeutet eigentlich Person? Der Begriff persona, der dem deutschen sehr nahe kommt, und aus dem Lateinischen stammt, bezeichnet die Maske eines Schauspielers im Theater. Eine solche Maske meinte wiederum große Persönlichkeiten des Römischen Reiches, etwa einen Kaiser, der nachgeahmt wurde. Personen sind also Menschenmasken eines Theaters, die etwas Objektives darstellen, indem sie das innere Verhalten durch ein äußeres Bild mittels Mimesis zu ergänzen suchen. Das wiederum bringt mich dazu, den Begriff Person mit Marx zu assoziieren, der nämlich von Charaktermasken sprach, wenn er klar machen wollte, dass die Einzelnen im Kapitalismus lediglich ein „Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“ (Marx: Thesen über Feuerbach) sind und dementsprechend handeln (und zuweilen auch aussehen). Den Begriff leitete er folgerichtig aus der italienischen Theatersprache des 18. Jahrhunderts her, deren Grund sicher in dem eben Aufzeigten liegt.
Eine weitere Definition des Begriffs Persönlichkeit, stammt von Kant, dessen Philosophie Adorno als höchste Stufe der Reflexion des bürgerlichen Bewusstseins bezeichnete – und ich würde dazu setzen: des deutschen –, und ähnlich anmutet, wobei sie psychoanalytisch gedeutet werden muss, was durch Ansätze von Triebtheorien darin recht leicht ist. In der Kritik der praktischen Vernunft werden unter Persönlichkeiten jene Leute verstanden, die sich durch ihr am moralischen Gesetze ganz und gar orientiertem Handeln Achtung verschafft haben. Auch heute spricht man im Alltag noch von großen Persönlichkeiten, wenn jemand etwas moralisch Wertvolles getan hat.
Das moralische Gesetz ist dabei schlechterdings als Freuds Über-Ich bzw. Gewissen, zu betrachten, denn auch Kant verlangt, dass die Bedingung der Möglichkeit einer moralischen Handlung das Abschlagen aller subjektiven Neigungen, die Lust erzeugen, ist, wobei Freud davon ausgeht, dass diese sublimiert werden. Deswegen verleugnet Kant auch nicht, dass dieses Befolgen Gehorsam einer Pflicht ist und, dass dies a priori durchaus keine Lust bereitet, nicht einmal bereiten darf, während Freud von einer geminderten Lust durch ihre Ablenkung spricht. Beides, Sublimierung und Abschlagung der Lust, laufen aber letztlich aufs Gleiche hinaus. Da nämlich sowohl auf Kulturelles gelenkte Lust mit lauter schmerzlichen Erfahrungen verbunden ist – die bürgerliche Liebe, ob nun mono- oder polyamor, ist auch hier ein gutes Beispiel: wie sehr schmerzt so häufig eine feste Beziehung; und Treue und Untreue erst! – als auch die achtungswürdige Person durchaus dazu angehalten ist, vernünftige Selbstliebe nach ihrer moralischen Tat zu empfinden, so sind also Sublimierung und Verwerfung gänzlich dasselbe.
Die Person ist in Gänze eine Funktion des Kapitals, zumindest wenn sie unbewusst agiert, weil Über-Ich, Gewissen, Moral erstens Dinge sind, die uns erst zu einer Person werden lassen und zweitens von der Warengesellschaft gesetzt werden. Unbewusst agiert eine Person deshalb, weil sie durch die Gesellschaft (gerne auch heute noch vermittels Ohrfeigen) eingeschlagene Moralvorstellung als ein unmittelbares Gut empfindet und diese dann in Handlungen umsetzt, um sich als Person zu konstituieren. Darum ist die Aktion dieser Handelnden eigentlich nur Reaktion in Bezug auf einen für kapitalistische Wertevorstellungen untragbaren Zustand. Bei Leuten, die ich demgemäß Bauchlinke nenne, ist das häufig zu beobachten. Diese sich revolutionär Imaginierenden machen den Kommunismus nur noch unmöglicher, weil sie sich für eben solche halten,während sie sich genauso bürgerlich verhalten wie etwa le bonhomme saint Rüdiger Bender, der das Symbol der ganzen bourgeoisen Anti-AfD-Misere in Erfurt ist und von dem sich Bauchlinke dann selbstverständlich nur symbolisch distanzieren können. Letztlich sind sie nichts anderes als Rebellen im Sinne Fromms (Studien über Autorität und Familie).
Genau das ist also der Gehorsam gegenüber der Pflicht, den Kant meint und er ist sehr basal und ökonomisch ausgedrückt das Befolgen des Befehls seine Ware Arbeitskraft zu verkaufen, um jegliche Produkte am Markt erwerben zu können, d.i. das System zu erhalten, um sich zu erhalten, aber von jenem auf eine metaphysische Rechtfertigungsebene gehoben – und daher politisch –, die wiederum den realen Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit durch Synthesis ausmerzt. Ideologie erzeugt eben auch den Schein, dass man moralisch und selbstständig auf Grund der Evidenz des Guten handelt. Der Befehl wird darin das Vernünftige schlechthin und deswegen hat es natürlich auch Sinn ihm zu folgen – wenn der Befehl vernünftig ist, warum ihn dann verneinen? Eine positive und konkrete Variante hierfür findet man übrigens in der Spanischen Revolution, bei Roten Brigaden, die hierarchisch organisiert waren, freilich weil es eine Notwendigkeit zur Befreiung war und ist, aber daher eine ebenso vernünftige.
Auch das beschreibt Kant, nur nicht kritisch. Man sieht dies falsche Verhältnis heute immer sehr treffend an Jugendlichen, wenn sie uniform und sich individuell denkend Kleidung tragen, auf der „OBEY“ prangert. Da bestätigt also die kulturindustrielle Produktion das Gefühl der Individualität, indem sie Standartprodukte auf den Markt feuert, auf denen zum Hohn des Menschen in großen Lettern der Imperativ „Gehorche“ steht.
Vermittels der Kritik persönlich werden, heißt demnach nicht einfach ein sozial unberührtes und ideelles Individuum anzugreifen, sondern dagegen sehr reelle gesellschaftliche Verhältnisse freizulegen, die deutlich machen, dass eine Person ein unselbstständiges Individuum ist, das lediglich ungeteilt erscheint. Damit das Abstrakte etwas konkreter wird, die Polemik also verständlicher, im Folgenden eine Explikation. Nenne ich eine Person ‚Hurensohn‘, dann steckt darin auf die Spitze getrieben: ‚Du glaubst also die Lüge, dass du ein Individuum seist, obwohl du vom Kapital gesetzt worden bist. Da du also nicht weißt, woher du eigentlich kommst, stehst du tatsächlich da wie das Kind einer Sexarbeiterin, die versehentlich von einem ihrer Kunden geschwängert wurde, wodurch dir, dem Kind, wiederum unklar ist, wer dein Vater ist.‘
Also wird die Kunst zu polemisieren kritisch: der Speer des antik-griechischen Soldaten traf nicht einfach nur irgendeinen Gegner als Individualität, sondern war immer auch ein Angriff auf dessen Herrscher, der das Ganze verkörperte; und ebenso ist heute die Polemik der Krieg gegen die Ideologien des Kapitals, indem sie als solche im Subjekt zum Aufscheinen gezwungen werden, oder mit Marx: „Die Theorie ist fähig, die Massen zu ergreifen, sobald sie ad hominem demonstriert, und sie demonstriert ad hominem, sobald sie radikal wird. Radikal sein ist die Sache an der Wurzel fassen. Die Wurzel für den Menschen ist aber der Mensch selbst.“ (Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie) Die Polemik übertreibt also das subjektive Denken hin zu ihrem Ursprung, den gesellschaftlichen Verhältnissen und macht mithin die Handelnden verantwortlich, wodurch ein „Potential von Freiheit“ aufscheint, „weil dadurch […] den Subjekten der spontane Glauben an die ‚Naturwüchsigkeit‘ ihrer selbst und der von ihnen in Gang gehaltenen gesellschaftlichen Einrichtungen grundsätzlich abhanden“ (Nachtmann: Krisenbewältigung ohne Ende) kommt.
Man muss aber weiter gehen und das Verkrustete in seiner ganzen steinernen Verfestigung darstellen und darf nicht zulassen, dass überhaupt etwas am Subjekt individuell erscheint, solange es durch das Kapital vermittelt wird. Es ist mehr noch Objekt, als die oben genannte Kritik an der Abschlagung der eigenen Bedürfnisse und Fähigkeiten glauben macht; als würde die Enteignung (Aneignung wäre davon vielleicht begrifflich zu trennen) der moralischen Gefühle des Kapitalismus alles gut sein lassen. Die Gefühle sind selbst schon verstümmelt (vgl. einführend in der aktuellen Alerta Südthüringen #6: Ein kritisches Lob des Hedonismus).
Das sein Selbst aktualisierende, handelnde Subjekt ist vielmehr ganz ein Ding, denn es tritt nur durch seine verobjektivierte Tätigkeit, die Arbeit, auf. Und man sieht es wohl sehr deutlich an der mariäischen Liebe und ihrem recht wirklichen Pendant, dem Sexus: die freie Wahl des Partners oder der Partnerin und das Sich-angezogen-fühlen, orientiert sich in den allermeisten Fällen am Lohn und damit am Stande in der Gesellschaft, die der oder die andere vorweisen kann. Das legt Zeugnis davon ab, dass das Individuum für uns nur verdinglicht wahrnehmbar ist und damit eben als eine Sache. Ein Mensch lässt sich – wie das tagtäglich geschieht – darum auch als Gegenstand behandeln und das selbst, wenn er nicht lohnarbeitet; dann wird er nämlich Gegenstand der Arbeitsagentur, weil freilich die primitive Verdinglichung des Individuums über Arbeit teilweise als agens obsolet geworden ist (und sich dieser Zustand krisenhaft zuspitzt). Längst ist unser ganzes Selbst durch die Gesellschaft deformiert, weil unsere Sinneswahrnehmung, mit Kant gesprochen, durch die Verstandesbegriffe determiniert ist. Alles sinnlich Erfassbare, sei es, was es wolle, wird vollständig unter die gegebenen Kategorien des Ich subsumiert. Das aber impliziert die Umformung der Sinne selbst. Als Naturobjekte werden sie von den Eltern bearbeitet wie ein halbes Schwein vom Metzger.
Zur Aufhellung dessen, soll noch einmal Marx herangezogen werden: „Wenn die Ware daher nur als Gebrauchswert werden kann, indem sie sich als Tauschwert verwirklicht, kann sie sich andererseits nur als Tauschwert verwirklichen, indem sie sich in ihrer Entäußerung als Gebrauchswert bewährt.“ (Marx, Karl: Zur Kritik der politischen Ökonomie) Das individuelle Material am Menschen ist also nur darum da, weil es gesetzt ist durch sein anderes, das abstrakte Unwesen der Gesellschaft. Wenn der Gebrauchswert (das Individuum) sich nicht bewährt, in Tauschwert (Kapital) transformiert – da würde es Menschen anders als Leuten ergehen – wird das Produkt rigoros vom Markt geworfen, nur: dass eBay besser läuft als Datingseiten, bereits gebrauchte Menschen sich also schlechter verscheuern lassen als anderweitiger Ramsch.
Die Kritik ad hominem ist daher analog eine Kritik ad rem; und das heißt weiter, dass es eine spitzfindige Differenz innerhalb der Kritik des gesellschaftlichen Teils gibt. Es bedeutet nämlich nicht, dass man eine größtmögliche Mannigfaltigkeit von Einzeldingen in der Welt zusammenhamstert und leer dastehen lässt, ohne diese sachgemäß zu verurteilen. Denn ohnehin ist schon jedes Ding nur durch das Kapital gesetzt. Deshalb geht es noch dringender darum, die Kritik an jedem einzelnen Detail entzünden zu können, das Prinzip Kapital darin freizulegen, erscheint es auch so unbefleckt wie die Gottesmutter Maria.
III. Grenzen der Polemik
Ich habe versucht, im Aufgezeigten festzustellen, was Polemik sein kann, indem ich einerseits bemühte, ihren Gegenstand zu definieren. Dies betonte den Einzelnen: „Sie tut zunächst etwas, was sachlich nicht begründet scheint, weil sie kontrafaktisch die Ergebnisse des gesellschaftlichen Prozesses den Individuen als Ausdruck ihres eignen Willens zuordnet. Sie argumentiert ad hominem.“ (Bruhn: Interview mit T-34). Andererseits habe ich dazustellen gesucht, ihre spezifische Form zu verteidigen. Vorerst erwähnte ich hierzu den Begriff Beleidigung, der sicher nicht darin aufgeht, was Polemik inhaltlich ist, aber ein Teil von ihr sein kann. Wie mein Beispiel eines polemischen Angriffs zeigte, gehört zu dieser eine tiefere Erläuterung. In dieser Form versteckt sich allgemeiner gesprochen der Hass gegen den Kapitalismus und diese nur formale Bestimmung wird gleichsam ihr Inhalt. Der Hass ist ein Mittel der Ordnung, er betont in ablehnender Weise dasjenige, was falsch ist, aber eben durch seine eigentümlich Art und Weise des Ausdruckes.
Eine kritische Einsicht in dieses Gefühl ist dabei unerlässlich. Dadurch treibt die Polemik die Kritik auf die Spitze. Diese Übertreibung zerfällt analytisch in die Verwendung besonders passender Worte und inhaltlich auf wenige da seiende Details, wobei beides das zu Grunde liegende Prinzip treffen müssen. Durch die emotionale Bindung an das Objekt, die der Hass impliziert, affirmiert die Polemik ebenso das sie ausführende Subjekt.
Die erste Grenze der Polemik ist daher das Subjekt. Zeigt der oder die Getroffene Einsicht, hat sie ihr Ziel erfolgreich getroffen und wird darum obsolet. Verliert der Polemiker oder die Polemikerin seinen bzw. ihren Unmut über die Verhältnisse, wird sie leer. Ihre erste und unbedingte Grenze ist daher gleichzeitig die Bedingung ihrer Möglichkeit.
Eine zweite Grenze, die aus der ersten abgeleitet werden kann, ist die psychische Konstitution des Subjektes. Nicht jeder und jede hat Freude daran, Wut derart zu artikulieren, was zunächst einmal eine psychische Disposition oder ein Spleen ist. Ebenso verträgt nicht jedes Subjekt den oft harschen Ton einer Polemik. Auf manche Leute muss man sensibler eingehen und Kritik in anderer Form zum Ausdruck bringen. Sie ist also nicht für jedweden ein Mittel zur Kritik.
Die Polemik ist drittens eine Technik (im altgriechischen Sinne wiederum), d.i. sie muss beherrscht werden. Schlechte Polemiken verfehlen ihr Ziel, weil sie ihren Gegenstand nicht treffen. Wenn man auch – bildlich gesprochen – ein Ziel hat, das so groß ist, dass man es kaum verfehlen kann, einen Bogen und Pfeile besitzt, die materiell vollendet sind, aber dennoch nicht in der Lage ist, das alles auszunutzen, ist die Polemik machtlos. Diese Grenze beschreibt also ein subjektives Vermögen oder Talent.
Viertens hat die Polemik ihr Ende an der Überwindung der objektiven Verhältnisse. Ist das Wahre, das Schöne und Gute erst einmal gesetzt, verliert auch sie ihr Recht. Sie ist also nur dann kritisch und revolutionär, wenn sie bereit ist im richtigen Augenblick zu vergehen.