Drei Jahre nach dem Überfall auf eine Kirmesgesellschaft in Ballstädt und nach mittlerweile 38 Verhandlungstagen am Erfurter Landgericht neigt sich das Verfahren gegen die 15 Neonazis seinem Ende entgegen. Weite Teile des Prozesses waren geprägt durch eine gewisse Routine aus Erinnerungsverweigerung, unzähligen Anträgen der Verteidigung, sowie einem (Schau)Kampf des Landgerichtes mit dem Thüringer Verfassungsschutz. Die Angeklagten selbst wirken meist eher desinteressiert und gelangweilt. Nur sehr selten spielen sie im Prozess eine aktive Rolle. Ein Bericht des Kleingartenverein Tristesse.
Erinnerungslücken, Heiratsversprechen und Totalverweigerung
Die große Mehrheit der im Prozess gehörten Zeugenaussagen brachten leider keine wirklichen Erkenntnisse. Die gemachten Einlassungen einzelner Angeklagter sind erstaunlich gut an den allgemeinen Erkenntnisstand des Gerichtsprozess angepasst. Es werden also Dinge, die sich nicht mehr glaubhaft abstreiten lassen, zugegeben. So räumte der Angeklagte Rußwurm in seiner Einlassung ein, im Vorraum des Gemeindehauses gewesen zu sein. Dass er im Gemeindehaus gewesen sein musste, zeigten die gefundenen DNA-Spuren von ihm ohnehin schon. Seine Geschichte endete damit, dass er kurz nach dem Betreten von einem Stuhl am Kopf getroffen und verletzt wurde, woraufhin er „wütend und sich schämend, wegen seines Versagens“ von einem Kameraden und einer Frau zum „Gelben Haus“ zurückgebracht wurde.
Die Aussagen der Geschädigten bestätigen im Großen und Ganzen den beschriebenen Ablauf aus der Anklageschrift. Eine Gruppe von Vermummten stürmte in der Nacht vom 8. auf den 9. Februar 2014 die Feier der Kirmisgesellschaft. Wer sich nicht schnell genug durch ein Hinterzimmer in Sicherheit bringen konnte, wurde brutal zusammengeschlagen. Keiner der Geschädigten konnte einen der Angreifer genau erkennen und vor Gericht als Täter benennen. Das Rollkommando bekommt nach etwa zwei Minuten die Anweisung zum Rückzug, es hinterlässt einen zertrümmerten Saal und zehn, zum Teil schwer verletzte Partygäste.
Die Zeugen aus dem Nazimilieu, aber auch einzelne Polizisten, fielen im Zeugenstand durch totale Vergesslichkeit, bzw. Verweigerung auf. Bemerkenswert dabei ist vor allem der hilflose Umgang des Gerichts mit dieser Art der Verweigerungshaltung. Manch eine mögliche Zeugin aus dem Nahumfeld der Beschuldigten verschaffte sich durch eine Verlobung ihr Aussageverweigerungsrecht. Und da hier eine „gemeinschaftlich begangene Tat“ verhandelt wird, gilt dieses Aussageverweigerungsrecht auch zu Vorwürfen gegen die nicht-verschwägerten Angeklagten. Prinzipiell scheint aber vor Gericht zu gelten, wer nichts sagen will, der sagt eben nichts und darf nach fünf Minuten dann auch wieder gehen.
„Die Gerechtigkeit wohnt in einer Etage, zu der die Justiz keinen Zutritt hat.“
Die anwaltliche Verteidigung, allen voran die Szeneanwälte halten an ihrer Strategie der taktischen Störmanöver fest. Mit diversen Anträge, Widersprüche und erzwungenen Gerichtsbeschlüssen wird das Verfahren immer weiter in die Länge gezogen. Die Bandbreite reicht von geforderten Verwertungsverboten polizeilicher Vernehmungsprotokolle, über pseudowissenschaftliche Referate, die die Unzulänglichkeiten von DNA-Spuren aufzeigen, bis hin zum Versuch die Prozessberichterstattung durch ezra gerichtlich verbieten zu lassen.
Ein zentraler Baustein der Verteidigung war der Versuch, die Aussagen, die ihre Mandanten bei der Polizei gemacht haben, aus dem Gerichtsprozess herauszuhalten. Das ist kein ganz einfaches Unterfangen und in der Regel hat der Angeklagte den Kopf in der Schlinge wenn er sich mit der Polizei allzu ausführlich unterhält. Bei diesen ersten polizeilichen Vernehmungen sind einige kleinere handwerkliche Fehler gemacht worden. Die Vernehmungsprotokolle wurden ungenau geführt, Belehrungen nicht ins Protokoll aufgenommen, was als Zeugenvernehmung begann wurde während des Verhörs in eine Beschuldigtenvernehmung „umgewandelt“. Anscheinend nichts ungewöhnliches und das Gericht entschied letztlich gegen diese Anträge.
Des Weiteren versuchten die Verteidiger sämtliche Sachbeweise infrage zu stellen. Bei den DNA-Spuren könnte es sich laut Verteidiger Waldschmidt um sogenannte „Zufallstreffer“ handeln. Das bedeutet zwei unterschiedliche DNA-Proben gleichen sich zufällig an den Punkten, an denen sie miteinander verglichen wurden. Je nach Anzahl von Vergleichspunkten ist das gar nicht so unwahrscheinlich. Zwar besitzt jeder Mensch eine einzigartige DNA, diese sind jedoch aus den gleichen vier Basenpaaren aufgebaut. Bei den aktuellen DNA-Tests kann ein solcher „Zufallstreffer“ aber aufgrund der Anzahl an Vergleichsstellen nahezu ausgeschlossen werden. Die Blitzerfotos, die die Nazis auf dem Weg nach Ballstädt von sich machen ließen, sollten ebenso nicht in den Prozess einfließen. Da Blitzerfotos nur verwendet werden dürfen um Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung zu ahnden, nicht aber um Überfälle aufzuklären. Auch in diesem Anliegen wies das Gericht die Anträge der Verteidigung zurück.
Ganz ähnlich verfährt das Gericht jedoch auch mit Anträgen der Nebenklage. Zumindest mit solchen, die den politischen Charakter des Überfalls untermauern könnten. So stellte die Nebenklage unter anderem Anträge zur Einbeziehung verschiedener Passagen des Thüringer VS-Berichts von 2012 zur „Hausgemeinschaft Jonastal“, der Einbeziehung eines Fotos das mehrere der Angeklagten mit Paintball-Waffen und der Bildüberschrift „NSU reloaded“ zeigt, oder die Einbeziehung einer Kleinen Anfrage von Katharina König zur „Garde 20 Thüringen“ (Drucksache 6/3048). Alle diese Anträge wurden vom Gericht abgelehnt. Die politische Einstellung der Angeklagten soll im Prozess keine Rolle spielen.
Besonders kurios gestaltete sich auch das Ende eines Konflikts, der den Prozess lange Zeit begleitete. Der Verfassungsschutz hatte den Hauptangeklagten Thomas Wagner bereits vor dem Überfall abgehört und die Ermittlungsbehörden schnell auf die Spur der Angreifer gebracht. Das Gericht wollte diese Abhörprotokolle gerne in den Prozess als Beweismittel verwenden. Der Thüringer Verfassungsschutz teilt seine Informationen traditionell aber eher ungern und verweigerte die Herausgabe. Die Nebenklage musste vor das Verwaltungsgericht Weimar ziehen und die Herausgabe einklagen. Irgendwann gab der Geheimdienst klein bei und überreichte die, zu großen Teilen geschwärzten, Protokolle. Der Vorgang ließ auch Richter Pröbstel nicht kalt, der sinngemäß äußerte: „Der Staat mache sich sein eigenes Verfahren kaputt“. Nach zähen Auseinandersetzungen übergab der VS dann schließlich doch die ungeschwärzten Protokolle und sogar die Audiodateien an das Gericht. Nach monatelanger Begleitung des Prozesses war da wieder ein wenig Hoffnung, dass sich die Einlasskontrollen vielleicht doch lohnen könnten. Aber dann, zur Überraschung aller, verkündet Pröbstel die Telefonmitschnitte aus der Tatnacht seien für die Beweisaufnahme verzichtbar und sollen nun doch nicht in den Prozess einfließen.
Da bieten sich mehrere Interpretationsmöglichkeiten an, die wir euch der Reihe nach mit steigender Wahrscheinlichkeit und ohne Anspruch auf Vollständigkeit vorstellen wollen:
- 1. Es ging ums Prinzip. Wenn ein Richter am Landgericht etwas vom VS will, dann hat die zum Amt degradierte Behörde zu liefern. Das wollte Pröbstel einfach mal klarstellen. Daher ist der Inhalt dann auch nicht so wichtig – es ging um die Unterwerfungsgeste.
- 2. Der Inhalt ist dermaßen brisant das Pröbstel sich geärgert hat, so hartnäckig danach gefragt zu haben. Um aber Schaden vom Freistaat abzuwenden, folgte diese einsilbige Verkündung darüber, dass keine relevanten Infos in den Protokollen zu finden wären. Also Aluhut aufsetzen und Vermutungen anstellen…
- 3. Mit dem Einsatz geheimdienstlicher Mittel ist das so eine Sache. Ob sich Polizei und Geheimdienste an geltendes Recht halten, wenn sie die Rechte Dritter einschränken und beispielsweise dein Telefon abhören, ist erstmal scheiß egal. Nur für einen Gerichtsprozess müssen da glücklicherweise gewisse Regularien eingehalten werden. Und da muss einer Abhörmaßnahme des Staats eine sogenannte „Katalogstraftat“ gegenüberstehen. Diese findet ihr im §100a StPO, also Aufpassen bei Subventionsbetrug, Steuerhinterziehung oder dem „Einschleusen von Ausländern“. Aber wenn es am Telefon „nur“ darum geht eine Kirmesfeier aufzumischen, ist der Mitschnitt des Telefongesprächs vor Gericht kein zulässiger Beweis.
Der vorsitzende Richter Pröbstel will auf Nummer sicher gehen und nach über einem Jahr Prozessdauer die gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung und den schweren Hausfriedensbruch zur Verurteilung bringen. Eine restlose Aufklärung der dahinterliegenden Strukturen und Motivlagen wird dieser Prozess nicht leisten. Und um möglichst keine Angriffspunkte für eine Revision zu liefern, wird nur noch um den juristischen Trostpreis gekämpft.
Rechtsrock für Rechtsanwälte
Der Prozess ist für die Angeklagten ein Ärgernis in verschiedener Hinsicht. Einzelne Angeklagte haben im Zuge des Prozesses ihren Job verloren. Das mittlerweile der 38. Verhandlungstag hinter uns liegt, heißt eben auch das jemand 38. Mal nicht zur Arbeit kommen konnte, da endet meist das Verständnis der Arbeitgeberfraktion. Hinzu kommen die Kosten für die anwaltliche Verteidigung. Auch wenn gut die Hälfte der Verteidiger selbst tief im Nazimilieu verwurzelt ist, werden die das kaum aus kameradschaftlicher Solidarität machen. Der ganze Spaß kostet also eine Menge an Geld und kaum eine*r der Angeklagten hat ein „gutes Einkommen“. Also mussten andere Refinanzierungsmöglichkeiten gefunden werden.
Die offensichtlichste Geldquelle der Thüringer Neonazi-Szene sind die vielen Rechtsrock-Konzerte. Diese dienen unter anderem zur Finanzierung von Wohllebens Anwaltskosten im NSU-Prozess oder für das Ballstädt-Verfahren. So organisierten die Angeklagten und ihr Umfeld bereits vor Prozessbeginn neun Konzerte, die meisten davon in Kirchheim, um Geld für den Prozess und die Kredittilgung des „Gelben Hauses“ zu sammeln. Vermutlich hat die „Garde 20“2 mit ihren Konzerten mehrere 10.000€ eingenommen. Die Einnahmen der Kirchheimer Konzerte hat das „Rocktoberfest“ im schweizerischen Unterwasser deutlich übertroffen. Die etwa 5.000 Besucher dürften für einen Umsatz um die 150.000€ alleine aus dem Kartenverkauf gesorgt haben. Nicht eingerechnet die Erlöse aus Bier- (angeblich 3,50€) und Wurstverkäufen (angeblich 5,00€). Einige der Angeklagten rührten vor dem Konzert in der Schweiz kräftig die Werbetrommel und waren auch selbst vor Ort. Ob die Einnahmen an Wohllebens Anwälte oder die Verteidiger der Angeklagten im Ballstädt-Verfahren gehen, ist letztlich unerheblich. Nicht nur zwischen den beiden Unterstützerkreisen gibt es große Überschneidungen, die gibt es ebenso bei der anwaltlichen Vertretung.
Die beiden großen Gerichtsverfahren, die momentan gegen die Thüringer Neonazi-Szene laufen, setzen die Angeklagten unter Druck. Das hat jedoch nicht zu einem Rückgang ihrer Aktivitäten geführt, im Gegenteil scheint es eher so, als dass die Angeklagten und ihr Umfeld zu einer Art Veranstaltungs-Dienstleister für die Naziszene geworden sind. Mehrere Rechtsrock-Bands, eine eigene Zentrale, samt Tonstudio und Online-Versand, sowie „Personal“ für Security und Bühnenbau machen es dieser Gruppierung möglich, als semiprofessioneller brauner Kulturdienstleister zu fungieren. Die Rechtsrock-Konzerte werden abgerundet mit Liedermacher-Abenden, nationalen Skatturnieren oder durch den Besuch eines Gast-Tätowierers im „Gelben Haus“.
Und seit einiger Zeit versucht die Gruppierung auch außerhalb ihres eigenen Milieus aktiv zu werden. Die klassische Rechtsrock-Schiene wird durch NS-Rap ergänzt. So wurden vermutlich „Makss Damage´s“ (Julian Fritsch) und „Mic Revolt´s“ (Michael Zeise) letzte Alben in Ballstädt aufgenommen und produziert. Darauf deuten Danksagungen auf facebook und im Booklet der Rechtsrapper hin. Am 4. Februar 2017 organisierte die „Garde 20“ das „erste pure NS-Rap Konzert“ in Kirchheim, mit auf der Bühne. „Makss Damage“ und „Mic Revolt“. Auch bei diesem Konzert dürften etwa 4.000€ alleine durch die Einnahmen der Eintrittsgelder in die Kasse der „Garde 20“ geflossen sein.
Mit dem Überfall auf die Kirmisgesellschaft vor drei Jahren hat sich die Gruppierung um Thomas Wagner einen Burgfrieden in Ballstädt erkämpft, den sie bestmöglich zu nutzen weiß. Sie verzichten weitestgehend auf politische Propagandaaktionen. Es weht keine Reichskriegsflagge über dem „Gelben Haus“ in Ballstädt, die Wände im Dorf sind nicht mit rechten Graffitis bemalt, wie etwa in Eisenach und es gab keine weiteren Übergriffe. Statt dessen wird dort in aller Ruhe Rechtsrock und neuerdings NS-Rap aufgenommen, produziert und entsprechende Konzerte geplant und organisiert.
Das Ende des Prozesses wird wahrscheinlich für einige der Angeklagten einen Gefängnisaufenthalt nach sich ziehen. Die Aktivitäten der dahinterstehenden Strukturen wird das aber wohl kaum beenden. Auch ohne Thomas Wagner wird die „Garde 20“ Konzerte organisieren und durchführen, das „Gelbe Haus“ wird weiterhin ein zentraler Anlaufpunkt einer europaweit vernetzten Szene sein. Und wahrscheinlich findet sich auch ein Ersatztechniker für das Mischpult des Tonstudios. Einzig der „Verwendungszweck“ der Einnahmen wird mit dem Ende des Prozesses ein anderer werden.
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Zitat aus dem Film „Justiz“ von 1993.
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„Garde 20“ ist eine rechtsextreme Bruderschaft, die Überschneidungen zwischen Rockern und Nazis aufweist und in Thüringen aktiv ist.
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