In Thüringens AfD-Hochburg Arnstadt hat die Rechtspartei das sicher geglaubte Bürgermeisteramt bei der Kommunalwahl im April hergeschenkt. Der Partei gelang es nicht einen eigenen Kandidaten aufzustellen. Ox Y. Moron berichtet aus Erfurts liebenswertestem Vorort.
Bürgermeisterwahlen in Arnstadt sind immer etwas heikles. Die Stadt wurde von 1994 bis 2012 von einem Protofaschisten regiert, da war die heutige protofaschistische AfD noch ein feuchter Traum von Landolf Ladig. Arnstadts Ex-Bürgermeister Hans-Christian Köllmer war wegen seiner antikommunistischen Haltung, seiner Distanzlosigkeit zu Neonazis und wegen seiner freundschaftlichen Kontakte zu Jörg Haider und der FPÖ ein immerwährender Reizpunkt in der politischen Auseinandersetzung der Kleinstadt und weit darüber hinaus. Aber er genoss den Rückhalt der Mehrheit der Wahlbevölkerung und seiner Wählergemeinschaft Pro Arnstadt. Überhaupt kann die Kleinstadt als Prototyp einer politischen Rechtsentwicklung herhalten, in deren Konsequenz Arnstadt zur unumstrittenen Hochburg der AfD in Thüringen wurde. Hier fährt die Partei die besten Wahlergebnisse ein, hier hat sie den mitgliederstärksten Kreisverband und hier finden nahezu alle Parteitage der Thüringer AfD statt. Doch trotzdem kam es 2012 völlig unerwartet zu einem Bruch. Die Bürgermeisterwahl gewann überraschend nicht der designierte Nachfolger von Hans-Christian Köllmer, Georg Bräutigam, und damit Pro Arnstadt, sondern der parteilose Alexander Dill, der angetreten war, den Pro Arnstadt-Sumpf auszutrocknen.
Der Unerwartete: Die Ära Dill
Die Hoffnung, dass es sich bei Dill um einen Bürgermeister handeln könnte, der zusammen mit Linkspartei und SPD ein Mitte-Links-Bündnis schmieden könnte, bewahrheitete sich nicht. Dill verordnete der Stadt stramme Haushaltsdisziplin, nicht selten zu Lasten der sozial Schwachen und er kam schwer mit den demokratischen Gepflogenheiten und Ränkespielchen in der Stadtpolitik zurecht. Die Auseinandersetzungen zwischen Dill und nicht geringen Teilen des Stadtrates führten bis hinein in ein Abwahlverfahren im Herbst 2015, das von einem Querfrontbündnis aus Linkspartei, Pro Arnstadt und CDU initiiert und getragen wurde.1 Die Abwahl scheiterte am Interesse der Arnstädter, den amtierenden Bürgermeister des Amtes zu entheben. Zwar gab es eine Mehrheit der Abwahlbefürworter, aber nicht die entsprechende Wahlbeteiligung, die notwenig gewesen wäre. Dill überstand seine sechs Amtsjahre und in den letzten Jahren wurde es ruhiger um den Dauerstreit im Stadtrat.
Die Ernüchterung: Kandidatensuche bei der AfD
Die Ära Dill galt allen großen Stadtratsfraktionen als Betriebsunfall. Zu einer Wiederwahl sollte es um keinen Preis kommen. Und vor allem die AfD/Pro Arnstadt durfte sich Hoffnungen machen, künftig wieder den Bürgermeister der Kreisstadt zu stellen. Zur Bundestagswahl 2017 holte die AfD 29 Prozent der Stimmen und ist damit die mit Abstand stärkste Kraft. Die CDU kam auf 22,2 Prozent der Zweitstimmen, Linkspartei auf 16,2 Prozent und SPD auf 13,9 Prozent. Damit gelang es der AfD beinahe ihr starkes Landtagswahlergebnis von 2014 zu verdoppeln.
Nach diesen, in den vergangenen Jahren eingefahrenen, Wahlerfolgen, die den erbärmlichen Zustand des Arnstädter Massenbewusstseins widerspiegeln, wäre es für die AfD ein Leichtes gewesen, den Chefsessel im Rathaus unter ihre Kontrolle zu bringen. Eine Anekdote dazu macht im Ilm-Kreis die Runde: SPD-Stadträtin Alexandra Eckert soll das enorme Wählerpotential für Protofaschisten in Arnstadt lakonisch mit den Worten zusammengefasst haben, dass es die AfD selbst mit einem Sack Kartoffeln als Kandidat auf mind. 30 Prozent bringen würde. Und damit trifft sie den Punkt. Selbst einen Sack Kartoffeln hätte man in Arnstadt, drapiert auf AfD-Plakaten, als aussichtsreichen Bewerber durchbringen können.
Und auch an Wesen, die physiologisch betrachtet, Menschen recht nahe kommen und sich als Kandidatin oder Kandidat eignen, mangelte es in Arnstadt eigentlich nicht. Da wäre zum einen der aktuelle Herausgeber des völkischen Monatsblattes „Arnstädter Stadtecho“ und Pro Arnstadt-Fraktionsvize Stefan Buchtzik. Buchtzik wäre der Idealkandidat gewesen: jung, bieder, schmierig, angekommen im Arnstädter Establishment, vernetzt und dabei ein Nazi durch und durch. Doch scheinbar zögerte er. Zum anderen wäre da die Tochter von Ex-Bürgermeister Köllmer, Annette Köllmer (zwischenzeitlich Garcia), die ihr Vater noch zu Amtszeiten in Position brachte. Weiterhin gab es eine ganze Reihe denkbarer Kandidaten – etwa den Pro Arnstadt-Kandidaten der vorherigen Wahl: Georg Bräutigam2. Doch am Ende wollte keiner. Es gab lediglich zwei interne Bewerber um die Rolle des AfD-Kandidaten, die aber, was Charisma und intellektuelle wie charakterliche Einigung anging, noch den Sack Kartoffeln deutlich unterboten. Sie versuchten es trotzdem, was die Kreis-AfD in eine pikante Situation brachte. Denn beide Bewerber erschienen auf jenem Kreisparteitag am 24. Februar 2018, auf dem die AfD ihren Kandidaten küren wollte. Unglücklicherweise war vorher schon bekannt, dass kein geeigneter Bewerber gefunden wurde, der das Vertrauen der Kreisparteileitung um Marcus Bühl (MdB), Olaf Kießling (MdL) und Hans-Joachim König (Alt-Nazi) genoss. Um jetzt nicht in die Bredouille zu kommen, einen spontanen Bewerber wählen bzw. nicht wählen zu müssen, sagte man die Wahl sehr kurzfristig ab. Trotzdem kamen zahlreiche AfD-Delegierte und trafen sich im Kloßhotel „Goldene Henne“, dem Stammlokal der AfD in Arnstadt, lediglich zur Wahl des Kandidaten für den Posten des Landrates3 und zum anschließenden Mittagessen, wie es öffentlich hieß. Unter den Anwesenden befanden sich aber auch die zwei von der Kreisleitung für ungeeignet erachteten Wahlwilligen für das Bürgermeisteramt: Thomas Buchtzik, Bruder von Stefan Buchtzik und Anhänger eines Verschwörungsantisemitismus, der selbst der AfD zu krass ist4 sowie Jens Sprenger, Vorsitzender der kommunalpolitischen Vereinigung der AfD Thüringen. Sprenger und Buchtzik bestanden darauf, den Parteitag fortzusetzen und sich wählen zu lassen. Es soll, so die Lokalzeitung „Thüringer Allgemeine“, zu kuriosen Szenen bis hin zum Handgemenge gekommen sein: „Es fehlte dem Vernehmen nach nicht viel, und die Polizei wäre herbeigerufen worden, um die ungebetenen Wahlwilligen zu entfernen.“5 Eine Wahl fand jedenfalls nicht statt, denn so die Begründung: Es bringe nichts „Leute aufzustellen, die fachlich nicht in der Lage sind, das Amt des Bürgermeisters auszufüllen.“ Als hätten fachliche, menschliche oder moralische Unzulänglichkeiten die AfD je davon abgehalten, sich an Wahlen zu beteiligen.
Die Masterfrage: Wen wählen die Protofaschisten?
Am Ende der Meldefrist für Kandidaten zur Bürgermeisterwahl 2018 standen fünf Bewerber fest: Alexander Dill (parteilos, Amtsinhaber), Jens Petermann (Linkspartei), Thomas Eidam (SPD), Frank Spilling (parteilos, konservativ), Angelika Stiel (parteilos, liberal-konservativ).
Nachdem es der AfD nicht gelang, einen Bewerber zu platzieren, stellte sich die Frage: Wen wählen/promoten? Dabei gingen die Arnstädter Protofaschisten zwei unterschiedliche Wege. Während Pro Arnstadt, und damit auch der stellvertretende Sprecher der Ilm-Kreis-AfD Stefan Buchtzik, gemeinsam mit der CDU die Kandidatur von Frank Spilling unterstützte, gingen einzelne Protagonisten aus dem Pro Arnstadt/AfD/Stadtecho-Sumpf einen eigenen Weg und warben für die einzige Bewerberin um das Amt: Angelika Stiel. Stiel war viele Jahre als hochrangige Mitarbeiterin der Stadtverwaltung und Pressesprecherin gewissermaßen die rechte Hand des rechtsautoritären Bürgermeister Köllmer, was nicht heißen muss, dass sie dessen politische Positionen teilen muss. Nichtsdestotrotz, Berührungsängste mit der AfD hatte sie – ebenso wie Spilling – keine. Unterstützt wurde sie daher nicht nur von Köllmers Tochter Annette Köllmer, sondern auch vom Stadtecho-Gründer Hans-Joachim König, der sie in seiner aktuellen Hetzschrift zum Ende jeder Stadtecho-Ausgabe zur Wahl empfahl.
Der Wahlkampf: Dröge
Der Wahlkampf gestaltete sich vorrangig als Plakatschlacht, kaum eine Laterne, Plakatwand oder Blumenkübel wurde verschont. Neben dem business as usual im Kommunalwahlkampf, sprich: Kandidateninterviews in der Tagespresse, Infostände, Flugblätter, Geplänkel, etc., gab es auch aus antifaschistischer Perspektive Berichtenswertes. In seiner März-Ausgabe mischte sich auch das völkische Anzeigenblatt „Arnstädter Stadtecho“ in den Wahlkampf ein und führte Interviews mit den Kandidaten. Warum soll man einem antisemitischen und rassistischen Hetzblatz ein Interview geben? Vermutlich weil es kostenlos in alle Haushalte geliefert wird und es den Kandidaten herzlich egal ist, dass sie damit eine protofaschistische Periodika aufwerten. Zur Bürgermeisterwahl 2012 bestand zwischen allen Kandidaten links der CDU der Konsens, diesem Blatt keine weiteren Interviews zu geben. Sowohl Frank Kuschel (Linkspartei), Christian Hühn (SPD) als auch Alexander Dill hielten sich daran – mit der Konsequenz, dass eine halbe Seite des Stadtecho leer blieb. Ein starkes Zeichen. Im Jahr 2018 wurde dieser Konsens aufgegeben. Mit der bemerkenswerten Ausnahme von Alexander Dill gaben sowohl Jens Petermann (Linkspartei) als auch Thomas Eidam (SPD) den Protofaschisten ein Interview. Schlimmer noch auf die Frage, wie man mit der AfD umzugehen gedenke, signalisierte der SPD-Bewerber Gesprächsbereitschaft und Jens Petermann umschiffte die Frage mit Hinweis, dass die AfD bislang kommunalpolitisch nicht in Erscheinung trete, was zum einen objektiver Unsinn in der AfD-Hochburg Arnstadt ist und zum anderen alles andere als eine klare Kampfansage gegen einen politischen Gegner. Ganz anders ging die ebenfalls zur Wahl stehende Landrätin Petra Enders (unterstützt von Linkspartei, SPD & Grünen) die Sache an. Auch sie gab dem Blatt bedauerlicherweise ein Interview zeigte in den entscheidenden Fragen aber Haltung. Die menschliche Unterbringung von Flüchtlingen werde sie auch in Zukunft fortsetzen und die Frage zum Umgang mit der AfD beantwortete sie mit den Worten: „Die AfD ist für mich als Partei politischer Gegner, mit deren Kandidat ich am 15. April zur Landratswahl in Konkurrenz stehe. Ich hoffe auf ein gutes Ergebnis für mich.“
Der erste Wahlgang: Überraschend
Das Ergebnis des ersten Wahlganges am 15. April 2018 überraschte. Amtsinhaber Dill siegte überraschend deutlich (35,0 %) vor dem CDU/Pro Arnstadt-Kandidat Frank Spilling (27,1 %). Abgeschlagen auf den weiteren Plätzen landeten Angelika Stiel (19,1 %), Jens Petermann (14,0 %) und Thomas Eidam (4,9 %). In die Stichwahl am 29. April 2018 gingen also Dill und Spilling. Für die Protofaschisten hätte damit eine mögliche Wiederwahl Dills zum Treppenwitz der Geschichte werden können, wenn der Antifaschist Dill nach der Stichwahl seine Amtsfortsetzung hätte feiern können – in Arnstadt, der Hochburg der AfD in Thüringen. Dass es soweit letztlich nicht kam, daran hatte auch die Arnstädter Linkspartei entscheidenden Anteil.
Die Entscheidung: Ernüchternd
Die zwei Wochen, die zwischen dem ersten Wahlgang und einer Stichwahl liegen, sind der Zeitraum, in dem sich überparteiliche Bündnisse für oder gegen einen Kandidaten schmieden. Während die rot-rot-grüne Landesregierung thüringenweit die Maxime ausgab, man unterstütze sich in den Stichwahlen gegenseitig, gab es in Arnstadt weder einen Bewerber der Linken, der SPD oder der Grünen in der Stichwahl, sondern nur noch den Bewerber der (fast) vereinigten Rechten, Frank Spilling, und Alexander Dill. Die örtliche SPD entschloss sich dazu, Alexander Dill zu unterstützen. In der Linkspartei rumorte es. Während der Stadtvorstand um Judith Rüber, Frank Kuschel sowie den gescheiterten Kandidaten Jens Petermann für die Unterstützung von Frank Spilling waren, erinnerten sich Teile der Basis daran, dass es sich bei der Linkspartei um eine antifaschistische Organisation handeln sollte und damit der gemeinsame Kandidat der inzwischen vereinten Rechten (Angelika Stiel warb nun auch für Spilling) ausfällt. Also gab es für die Öffentlichkeit den Kompromiss, dass die Linke keinen der Kandidaten unterstütze, während Petermann und Rüber ihren eigenen Weg gingen und kräftig für Spilling trommelten. Mit Erfolg.
Die Stichwahl am 29. April 2018 gewann Frank Spilling mit 329 Stimmen Vorsprung. Damit hat Arnstadt wieder einen Bürgermeister, der offen ist für die Zusammenarbeit mit Protofaschisten – ohne, dass die AfD selbst antreten musste und mit dem Segen des Stadtvorstandes der Linkspartei. Das ist nicht schön, aber Arnstadt.
1
Vgl. hierzu den Beitrag von Nikolai Bucharin in Lirabelle #14 vom Dezember 2016: https://bit.ly/2HEqP8B
2
Bräutigam verfehlte 2012 hochfavorisiert um 12 Stimmen – gegenüber Alexander Dill – die Stichwahl. Einen nicht unbedeutenden Beitrag dürfte damals eine medial weit verbreitete antifaschistische Satire-Kampagne gespielt haben, die Bräutigam als autoritären Waffenlobbyisten bloßstellte. Vgl. http://georgwaehlen.blogsport.de/
3
AfD-Landratskandidat wurde der LKA-Bulle Sebastian Thieler. Er belegte mit 25 Prozent Platz zwei im ersten Wahlgang, unterlag aber Petra Enders (Linkspartei), die sich mit knapp 54 Prozent direkt durchsetzte.
4
Vgl. hierzu einen Bericht der Antifa Arnstadt-Ilmenau vom 29. Oktober 2015: https://bit.ly/1P9te5U
5
Vgl. Thüringer Allgemeine vom 3. März 2018: https://bit.ly/2qv8Ae5