Lehre abgebrochen, keine Lust auf den Arbeitsmarkt? Eine profitable Lösung für dieses Dilemma hat Bruno Gröning gefunden: In den 1950er-Jahren hat der charismatische Mann mit dem strengen Blick den Beruf des Wunderheilers ergriffen. Seine Story: Er wurde von Gott gesandt, um mit seinen Geistheilungskräften die Welt und die Menschen zu heilen. Befeuert von überzeugten Anhänger_innen und einer begeisterten Boulevardpresse wurde er schnell zu einem der bekanntesten Esoterikern in Westdeutschland. Das profitable Geschäft mit der Krankheit wurde noch profitabler, indem alle Einnahmen zu Spenden erklärt wurden und in informelle Kassen wanderten. Um seiner Quacksalberei eine rechtliche Grundlage zu geben, beantragte Gröning 1953 die Zulassung als Heilpraktiker und scheiterte. Trotzdem betete er weiter Menschen gesund – in Massenversammlungen und Einzelgesprächen. Zudem konnte man per Post seine abgeschnittenen Fußnägel, eingerollt in Stanniolkügelchen, kaufen. Wenig später, 1959, verstarb Bruno Gröning – ein kräftiger Dämpfer für den Glauben an seine Heilkräfte. Aber ein erprobtes Geschäftsmodell gibt man nicht leichtfertig auf und Fußnägel wachsen ja angeblich nach dem Tod weiter. Daher führte der »Verein zur Förderung seelisch-geistiger und natürlicher Lebensgrundlage« sein Werk fort. Nach einigen Spaltungen und Streit unter den Erben ist der größte Nachlassverwalter der Zehnägel heute der Bruno-Gröning-Freundeskreis mit angeblich über 12.000 Mitgliedern in der BRD – doppelt so viele wie Scientology. Der Freundeskreis bedient sich der üblichen Mittel esoterischer Heilsbringer_innen: er ist in lokalen Gruppen organisiert, mit Film- und Diskussionsveranstaltungen wird um Anhänger_innen geworben, den Überzeugten empfohlen, sich von kritischen Familienangehörigen und Freund_innen abzuwenden. Wie üblich gibt es (mindestens) 6000 Mediziner, die auch an die Wunderkräfte der Zehnägel glauben. Wie finanzkräftig der Freundeskreis ist, zeigt ein 2018 entstandenes, professionell gemachtes dreiteiliges Doku-Drama. Wie flächendeckend die Freundeskreise aktiv sind, sieht man daran, dass in vielen Städten und Regionen – auch in Erfurt – einer existiert. Und wie unkritisch die Öffentlichkeit auch heute noch an Wunderheiler glaubt, sieht man daran, dass die Lokalpresse, ganz wie die Bouldvardpresse in den 1950er-Jahren, alles nachplappert, was Quacksalber verkaufen: »Es gibt kein Unheilbar«, so der Titel einer Meldung im »Anzeiger«, dem kostenlose Werbeblättchen der Funke-Mediengruppe Thüringen. Die darin beworbene Veranstaltung fällt allerdings aus: Die Offene Arbeit Erfurt hat den Abend abgesagt, nachdem klar wurde, wem man den Raum zugesagt hatte.
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