Mit der MLPD wird komisch umgegangen, darin sind sich Lisa Herbst und Karl Meyerbeer einig. Eigentlich sollte es ein gemeinsamer, fertiger Text werden aber dann kamen ein furchtbarer Kater und Zeitmangel bei der gemeinsamen Diskussion dazwischen und nun folgen zwei unfertige Texte.
Hilfe, jemand hat eine verkürzte Theorie
Karl Meyerbeer findet es völlig legitim, die Thüringer MLPD aufgrund ihres sektenhaften Auftretens auszuschließen und Parteifahnen nicht auf Demos zu dulden. Trotzdem ist er genervt von einer allzu billigen Abgrenzung.
Geht es um eine theoretische Abgrenzung von der MLPD, wird in der Regel deren platte Faschismustheorie bemüht: Die Kleinstpartei bezieht sich auf Georgi Dimitroff, demzufolge der Kapitalismus die Herrschaft der reaktionärsten Akteure des Finanzkapitals sei. Deutlich wird dadurch die Ansicht, faschistische Herrschaft sei kein Klassenkompromiss zwischen Mob und Elite, sondern eine Herrschaftsform, die gegen das Proletariat durchgesetzt worden sei. Gerade in Deutschland – wo in jeder historischen Phase ein Gutteil der Arbeiteklasse bei den Nazis mitgemischt hat – ist das natürlich wenig überzeugend. Es stellt sich die Frage, wieso man eine so platte Theorie heute vertritt. Ein Punkt dabei könnte sein, die einfache Erzählung „Wir da unten“ (gut) gegen „Die da oben“ (schlecht) stark zu machen und damit zum Klassenkampf anzuheizen. Es könnte auch darum gehen, das Proletariat von seiner Beteiligung an der NS-Volksgemeinschaft rein zu waschen. Wie auch immer: Die Theorie ist platt, die Motivation, sie zu vertreten, zweifelhaft. So weit, so schlecht, es gibt also Leute, die eine falsche Theorie vertreten. Aber ist das ein hinreichender Grund, für immer das Tischtuch zu zerschneiden? Gibt es in der Linken nicht jede Menge vereinfachte Theorieansätze? Die Postcolonial/Intersektionalitäts-Fraktion vereinfacht, indem sie alles zu einem Problem individueller Positionierung (den oftgenannten „Privilegien“) erklärt, die antideutsche Antifa vereinfacht mit einem strukturdeterministischen Weltbild („Es gibt keine Akteur*innen, nur eine strukturelle Logik“), die Wertkritiker*innen vereinfachen, indem sie alles aus den ersten drei Kapiteln des Kapitals heraus erklären… so what? Theoretisieren ist abstrahieren und damit auch immer Komplexitätsreduktion, also in gewisser Weise: Vereinfachen. Das schlagende Argument bei denjenigen, die die MLPD zum kleinen Satan erklären, der exorziert werden muss, ist, dass diese Vereinfachung eine antisemitische sei. Was dann damit unterlegt wird, dass die MLPD mit Antisemiten zusammenarbeitet. Dies geschieht beispielsweise im Artikel „Stalinisten in der Defensive“ in der Lirabelle #18, wo die Nähe der MLPD zu Thälmann, Stalin, Mao, die PFLP, Die Bandbreite und Prinz Chaos II aufgezählt wird. Aber findet man eine Nähe zu zweifelhaften Gestalten bzw. antiemanzipatorischen Positionen nur bei der MLPD? Die Partei DIE LINKE hat Annette Groth, Inge Höger und Norman Paech – antizionistische Linke, die geradezu besessen davon sind, Israel zu kritisieren. Die Klimagerechtigkeitsbewegung hat Roger Halam (Vordenker von Extinction Rebellion), der den Holocaust relativiert. Gothaer Antifas haben vor wenigen Jahren antisemitischen Verschwörungstheoretikern ein Forum geboten (siehe Lirabelle #5). Im Veto wird naiver Veganismus mit menschenfeindliche Zügen (man beachte den Artikel zu Sea Shepherd in der Konkret 11/2019) genauso toleriert wie Veranstaltungen mit einer Nähe zu antimuslimischem Rassismus und Transphobie. Aber gibt es deswegen Unvereinbarkeitsbeschlüsse mit Extinction Rebellion, Dissens, den GRÜNEN und der PDL? Nein, die gibt es nicht. Warum? Ich befürchte, es liegt vor allem daran, dass die MLPD ein so einfacher Gegner ist. Die Splitterpartei hat in Thüringen schlicht und einfach nichts zu melden. Wer sich hier distanziert, hat auf billige und einfache Weise klar gemacht, dass er/sie auf der richtigen Seite steht.
Wer die Macht hat, braucht keine Argumente
Anstelle eines Textes zum Umgang der Thüringer Linken mit der MLPD formuliert Lisa Herbst einige unfertige Gedanken zu Autoritarismus in der Linksradikalen.
Mao, Lenin und Stalin sind in der autonomen Linken (zum Glück) out, man will nix zu tun haben mit Überresten stalinistischer Kleinstparteien wie die MLPD oder neuen Polit-Sekten wie dem Jugendwiderstand. Aber immer wieder stößt man auch in der basisdemokratisch-organisierten Linksradikalen im Umgang mit innerlinken Dissens auf Elemente eines autoritären Politik-Stils. In dem Falle verkommt politische Praxis zur symbolischen Abgrenzung und Kritik zur Positionierung. Beobachten lässt sich das in verschiedensten linken Strömungen. Linke Gruppen vertreten einen bestimmten Standpunkt (Antideutsch; Queerfeministisch; Radikalfeministisch, Anti-Imp; Anarchistisch, etc.) aus denen sich ein bestimmter Werte-Kanon und inhaltliche Positionen ableiten. Dieser wird gegen andere Standpunkte verteidigt und durchgesetzt – dogmatische Glaubenssätze ersetzen Erfahrungsoffenheit, Fähigkeit zum Überprüfen eigener Urteile und das Austragen von Dissens. Auf Vorträgen wird zusammengezuckt, empört geraunt, gezetert, die Augen verdreht, wenn mal eine*r dabei ist, der*die nicht eh schon das Gleiche denkt. Das eigene politische Urteil festigt sich nicht durch die Diskussion und Auseinandersetzung mit Anders-Denkenden sondern durch das Fernhalten dieser. Kritik wird ersetzt durch Diffamierung – während klassische Stalino-Gruppierungen wie die MLPD ihre linken Gegner als Verräter oder Spalter der Arbeiterklasse abstempeln, kommt es bei anderen linken Gruppierungen auf das jeweilige Werte-System an. Jede Kritik kann zum Label verkommen – Antisemitismus, Rassismus, Sexismus, Heteronormativität, etc. Wird der Begriff zum Label, dient er der Denunziation nicht der Kritik – er wird herangezogen um zu zeigen: Die sind so schlimm – mit denen müssen wir uns nicht herumärgern. Denen sollte man gar nicht zuhören. Die haben kein Recht darauf, ihre Meinung im Plenum zu äußern oder ihre Veranstaltungen bei uns durchzuführen oder auf unserer Demo mitzulaufen. Die wollen wir hier nicht.
Wo inhaltliche Kritik formuliert wird, um den Ausschluss zu legitimieren, dient diese nicht dem Streit sondern um Anklage zu erheben oder das eigene Vorgehen zu rechtfertigen gegen die jeweilige Unmut hervorbringende linke Gruppierung. Alternativ wird die Nähe der jeweiligen Gruppierung zu bereits als politischen Gegenern identifizierten Personen oder Gruppierungen aufgelistet. So wird das unliebsame Objekt verurteilt, ohne dass ein inhaltliches Urteil über sie gefällt werden musste. Diese Methode lässt sich beliebig gegen alle unliebsamen linken Gruppierungen und Strömungen einsetzen (siehe die Beispiele in Karl Meyerbeers Text). Es stellt sich die Frage, was der praktische Erfolg eines solchen Politikstils ist. Ist die Demo erfolgreicher, weil bestimmte Leute fehlen? Haben die an dem Ausschluss Beteiligten inhaltlich etwas über ein Thema gelernt? Wurden eventuell sogar Vertreter*innen der gegnerischen Position vom Gegenteil überzeugt? Nein, aber wer die Macht hat (und sei es nur im eigenen Szene-Klüngel), braucht keine Argumente. Und damit ist doch eine wichtige Lektion für die befreite Gesellschaft gelernt. Und so weit weg vom Verständnis der MLPD, wie mit linkem Dissens umzugehen ist, ist man damit auch nicht mehr.
Autoritär ist diese Art der politischen Auseinandersetzung, weil sie auf Nicht-Beteiligung derer, die da unerwünscht sind, zielt. Es handelt sich um Macht-Politik – die zur Verfügung stehenden Ressourcen werden eingesetzt, um die als „untragbar“ identifizierten linken Gruppierungen aus dem eigenen Szene-Klüngel rauszuhalten. In dieser Form der politischen Auseinandersetzung wird eigentlich nur darüber gestritten, welche Positionen politisch legitim und illegitim sind – wer dazugehören darf und wer nicht. Da es kein ZK mehr gibt, welche über diese Frage entscheidet, tobt der Streit auf Blogs, in Zeitschriften, in linken Räumen und Bündnissen. Problematisch ist diese Form innerlinker Auseinandersetzung nur dann, wenn man mehr von linker Organisierung will, als die eigene Subkultur rein zu halten. Subjekte, welche sich autoritär gegeneinander verhalten und machtpolitisch gegeneinander durchsetzen können, befördert diese Form der Auseinandersetzung zuhaufe. Das Gegenteil müsste Ziel linker Emanzipationsbestrebungen sein, welche auf eine befreite Gesellschaft zielen.