Im Artikel zeigt Hermine Danger auf, mit welcher Ohnmacht und Handlungsunfähigkeit man es zu großen Teilen in der Linken zu tun hat, wenn Übergriffe und Vergewaltigungen in der eigenen Szene passieren.
Dass keine Klasse und kein Milieu vor sexualisierter Gewalt Halt machen, ist nichts Neues. Spätestens seit #Metoo wurde Licht auf die dunklen Seiten des Filmbusiness und der Medienbranche geworfen und häusliche Gewalt ist in Corona-Zeiten wieder verstärkt Thema. Und dennoch, die Dunkelziffer der Sexualstraftaten liegt bei 95%. Dabei scheinen Milieus und Gruppierungen sehr verschieden mit sexualisierter Gewalt umzugehen.
Über eine Vergewaltigung während eines HGichT – Konzertes in den eigenen Räumlichkeiten Ende letzten Jahres berichtete das Conne Island in Leipzig.1 Anfang Januar ist bekannt geworden, dass ein Typ (im weiteren Verlauf als H. bezeichnet), der von Anfang an bei Monis Rache, einem linken Festival mit emanzipatorisch-feministischem Anspruch mitgearbeitet hat, versteckte Aufnahmen von Frauen auf Dixi-Klos gemacht und diese in der Pornoplattform ‚xhamster‘ hochgeladen hat.2 Ende Januar entdeckte auch die Fusion, dass auf einer Dusche heimliche Aufnahmen gemacht und auf selbiger Plattform hochgestellt worden waren, mit bis zu 37.000 Aufrufen je Video.3 In Erfurt hat das veto einen Spanner geoutet, der u.a. in der linken Szene unterwegs war.4
Der Fall Monis Rache – wie aus Feminist*innen Täterschützer*innen werden
Im Fall von Monis Rache informierte die Journalistin einen Teil der Organisator*innen des Festivals. Der Erstkontaktkreis (im weiteren Verlauf: EKG) des Täters, entschied sich für das Konzept der transformative justice und gegen eine strafrechtliche Verfolgung. Als Beweggrund wird der Schutz der Betroffenen genannt. Der transformative justice Ansatz lehnt alle Formen von Gewalt ab und sieht gleichermaßen die strukturellen Zusammenhänge zwischen einer gewaltausübenden Person und der Gesellschaft, die Gewalt institutionell hervorbringt und reproduziert. Die gewaltausübende Person übernimmt hierbei Verantwortung für die Tat und versucht ihr Verhalten mit Hilfe einer Unterstützer*innengruppe zu reflektieren und zu ändern, sowie eine Widergutmachung anzustreben. Diesem Konzept und dem eng verwandten und mitdiskutierten Konzept der community accountability gehen die Beobachtungen voraus, dass marginalisierte Personen wie Frauen* und Trans-Personen of Colour, sowie queere und nicht-binäre People of Colour die im Alltag Diskriminierung, sowie Belästigung und sexualisierter Gewalt, auch durch staatliche Behörden ausgesetzt sind. Das Konzept sieht deshalb im Staat keine Institution, die Sicherheit gewährleisten kann. Ein Beispiel wäre, wenn die Betroffene von sexualisierter Gewalt, keine Papiere hat. Wenn diese Frau sexualisierte Gewalt erfährt, hat sie eine geringe Chance, die Straftat anzeigen zu können und vor Gericht zu bringen. Fehlendes Geld für Anwaltskosten und Abschiebung sind Bedrohungszenarien, die verhindern, dass solche Fälle zur Anzeige gebracht werden. Wenn der Täter ebenfalls ein Mann ohne Papiere ist, droht ihm ebenfalls die Abschiebung. Da Betroffene und Täter als marginalisierter Gruppen staatliche Gewalt erfahren, versucht der Ansatz der transformative justice einen anderen Umgang damit zu finden.
Wer ist eigentlich die Community?
Das Konzept der community accountability sieht die Verantwortung zur Einsicht, Verantwortungsübernahme und Veränderung des Täters in der Community, wo sich der Übergriff vollzogen hat. Der Begriff der Community beschreibt Zusammenhänge, dessen Mitglieder sich in einem solidarischen Verhältnis sehen. Das können einerseits gemeinsame Werte, Glaube oder Politik sein oder eine marginalisierte Position in der Gesellschaft. Diese Communities können lokal wie global existieren. In den USA sind community accountability und transformative justice (im Weiteren: TJ-CA) als Intervention in cis-männerdominierten antirassistischen Kontexte als auch in weißdominierten feministischn Räume, so Melanie Brazzell, entstanden. Doch von Community lässt sich in diesem konkreten Fall kaum sprechen, bzw. wären dann alle Festivalbesucher*innen oder alle Linksradikalen oder nur die Orga-Gruppe von Monis Rache die Community? Welche der Gruppen dabei auch immer im Fokus stehen sollte, bei allen drei Gruppen wurde das Konzept hart verfehlt, da nicht mal die Monis Rache Orga-Crew von Anfang an eingeweiht wurde. Das scheint auch einer der Fallstricke zu sein, da diese imaginierte Community, die gemeinsam in einen Lernprozess treten sollte, erstmal gar nicht gegeben war. Und abgesehen davon, dass eine kleine Gruppe darüber entschieden hat, dass die Taten von H. innerhalb der Community bearbeitet werden sollten, muss man sich fragen, ob die potenziell betroffenen Frauen* etwa nicht Teil dieser Community sind? Daran zeigt sich, dass der EKG ein gewisser Paternalismus unterstellt werden muss, da sie für die Betroffenen entschieden haben, was ein richtiger Umgang damit sei. Je nachdem, wie das Umfeld hier definiert ist, ob alle Festivalbesucher*innen das Umfeld darstellten oder nicht, in beiden Fällen wurde mit ihnen intransparent umgegangen.
Auch wenn man im strafrechtlichen Sinne keine Schuld trägt als EKG, hat sie massiven Täterschutz betrieben. Wie soll den Opfern Sicherheit gegeben werden, wenn sie nicht in Entscheidungsprozesse mit eingebunden werden? Dass Frauen* mit Fluchthintergrund, die Gewalt durch den Partner erfahren, auf der Arbeit oder auf der Straße belästigt und schikaniert werden, bei Anzeige in die Gefahr laufen ihren Aufenthaltsstatus zu verlieren, erhöht den Druck auf sie immens, andere Umgangsformen damit zu finden. Wenn sexualisierte Gewalt im Kontext einer kriminalisierten Überlebensstrategie wie bspw. der illegale Aufenthalt oder während einer Beschäftigung im informellen Dienstleistungssektor geschieht, dann können Betroffene häufig nicht auf die Staatsmacht zurückgreifen, da hierbei häufig eine Täter-Opfer Umkehr gemacht wird und der Staat Gewalt gegen die von sexualisierter Gewalt betroffenen Person ausübt. Trans-Personen werden pathologisiert, Frauen* wird auf der Wache nicht geglaubt, auch wenn sie eine sicheren Rechtsstatus haben wie beispielsweise schwarze Frauen in den USA. Frauen* und Trans-Personen werden zu Täter*innen gegen das geltende Recht, und nicht primär als Opfer einer Sexualstraftat behandelt.
Doch H. gehört keiner zuvor genannten marginalisierten Gruppe an und hat somit das Privileg eines sicheren Aufenthaltsstatus und das ein Mann zu sein. Deswegen ist die Übertragung des Konzeptes, welches von marginalisierten Gruppen entwickelt wurde, auf den Umgang in diesem Fall erstmal fragwürdig. Der TJ-CA Ansatz wurde bereits von linken Gruppen oder Projekten im Kontext sexualisierter Gewalt angewendet. Dass linke Menschen schlechte Erfahrungen mit Bullen machen, beispielsweise auf Demonstrationen – geschenkt. Aber eine Demonstration nicht mehr von sexualisierter Gewalt unterscheiden zu können oder zumindest einen gleichen Maßstab an den Umgang daran zu legen, ist mehr als verharmlosend.
TJ-CA, alternative Strafsysteme und Intersektionalität
Der intersektionale Ansatz bei TJ-CA beschreibt, dass Menschen in Bezug auf Geschlecht, Klasse und Herkunft von Polizei und Justiz nicht gleichberechtigt behandelt werden. Jegliche Behauptung, die dem widerspricht, ist schlichtweg falsch. Doch die Schlussfolgerung im TJ-CA Ansatz daraus ist, dass man ein alternatives Bestrafungssystem schafft, um auf sexualisierter Gewalt reagieren zu können, ohne durch die Strafjustiz zusätzlicher Belästigung und Diskriminierung ausgesetzt zu sein, egal ob Opfer oder Täter. Eine praktische Konsequenz, die erst mal nicht aus der Theorie von TJ-CA hervorgeht, ist das Herausbilden eines alternativen Strafsystems. Wo alternative Strafsysteme bereits greifen sind beispielsweise Großfamilien- und Mafia-Strukturen, die einerseits marginalisiert sind und andererseits Rassismus erfahren. Ihre sozialen Systeme basieren auf streng hierarchischen Strukturen und dem Primat der Familie. Es gibt keine Transparenz darüber, was zulässig ist und was ein Grenzübertritt für Konsequenzen mit sich zieht. Vielleicht klingt der Vergleich von Mafia-Strukturen und TJ-CA erstmal etwas absurd, aber ich möchte an dieser Stelle weiterdenken, was es bedeutet, wenn jede ‚Community‘ ihre eigenen Rechtssmaßstäbe aufstellt.
Viele Konflikte können ohne Rückgriff auf das staatliche Rechtssystem gelöst werden, beispielsweise eine Prügelei oder ein Materialschaden oder Diebstahl. Sexualisierte Gewalt ist jedoch nicht nur eine erniedrigende Situation, die Opfer und Täter miteinander ausmachen sollten, sondern wo auch andere Frauen* und Trans-Personen das Recht haben davon zu erfahren. Abgesehen davon, dass es keine Kommunikation zwischen Täter und Betroffenen gab, die auf Dixi-Klos bei Monis Rache gefilmt worden sind, hat man auch andere Frauen (und auch Männer) der Möglichkeit beraubt, selbst darüber zu entscheiden, ob sie mit einem frauenverachtenden Spanner Zeit verbringen oder gar eine intime Beziehung aufbauen möchten.
Wenn jede Community ihr eigenes Rechtssystem entwickelt, gibt es auch wieder Ein- und Ausschlüsse. Wer darf dann nach welchem Recht behandelt werden? Im Grunde gibt es solche Konflikte auch auf zwischenstaatlicher Ebene. Schwer vorstellbar ist auch, dass ein alternatives System, das Community basiert ist, ganz ohne Zuschreibungen von Geschlecht, Klasse und Herkunft auskommen kann. Gerade da, wo man dem Stigma der diskriminierenden Zuschreibung entkommen möchte, entsteht der Zugzwang eben jene Kategorien anzuwenden, um überhaupt feststellen zu können, wer diesem Recht oder diesem Strafsystem überhaupt unterliegt. Anstatt an alternativen Bestrafungssysteme oder Rechtstrukturen, die nicht ohne einen Funken Willkür auskommen zu arbeiten, ist die bessere Strategie weiterhin an der Idee eines universellen Rechtes festzuhalten. Und damit meine ich nicht, strukturellen Rassismus, Sexismus und Klassismus, sowie Polizeiwillkür einfach hinzunehmen oder einfach wegzuschauen, wenn es eine*n selbst nicht betrifft, sondern auf kurze und mittlere Sicht Polizeigewalt und Willkür zu thematisieren, zu veröffentlichen und einander zu bestärken, dagegen auch rechtlich vorzugehen. Doch auch das ist leichter gesagt als getan, sind es doch die gleichen gesellschaftlichen Verhältnisse, die Ungleichbehandlung von Judikative und Exekutive hervorbringen und es gleichermaßen erschweren, dagegen vorzugehen. Viel schlimmer noch, innerhalb der Exekutive scheint bereits eine alternative Strafjustiz und innerfamiliäre Herrschaft zu existieren, die den bürgerlichen Gesetzen nicht zu unterliegen scheint. Wenn es Anzeigen gegen die Cops gibt, herrscht eiserner Corpsgeist – und denjenigen innerhalb der Polizei, die gewillt sind gegen ihre Kollegen auszusagen, werden Prügel und Schlimmeres angedroht. Da wundert es nicht, dass die Aufklärungsrate von Polizeigewalt eine große Dunkelziffer ist, 93% der Ermittlungen werden fallen gelassen und das bei 2% der Fälle von Körperverletzung durch Polizei, die überhaupt zur Anklage gebracht werden.5 Das Recht auf Gleichbehandlung ist per Gesetz festgeschrieben, wird jedoch von Polizei und Staatlichen Behörden missachtet und umgangen. Wenn die Polizei als ausführende Gewalt selbst wie ein Racket auftritt, dann scheint ein grundlegendes Problem in der Umsetzung der Gewaltenteilung zu stecken, dass sich gesellschaftlich erstmal nicht zu lösen scheint. Die Prämissen von Gewaltenteilung, Vergesellschaftung von Rechtsstrukturen und unabhängiger Kontrolle sind auf dem Papier erstmal gegeben. Doch der Rückzug in die eigene Community und in die ‚eigene‘ Willkür scheint mir auch keine gute Lösung zu sein. Die Kontexte, in denen Menschen in alternativen Formen zusammenleben oder zusammenkommen, ob temporär auf einem emanzipatorischen, linken, feministischem Festival, in einem Hauprojekt oder einer Polit-Gruppe – diese Kontexte geben es alle nicht befriedigend her, dass Vorfälle häuslicher Gewalt und allgemeiner, sexualisierte Gewalt gegen Kinder und Erwachsene, innerhalb der Kleinfamilie oder Community angemessen behandelt werden können. Ich frage mich auch, ob eine Community, die quasi nichts gegen Täter in der Hand hat, außer ihn zu verprügeln oder moralisch auf den Täter einzuwirken, überhaupt adäquat mit sexualisierter Gewalt umgehen kann.
Staat versus Community
Was uns eigentlich verbinden sollte, ist die Utopie einer befreiten Gesellschaft und die Arbeit daraufhin. Was wir brauchen ist keine private Selbstaufopferung für Täter und Täterschutzkonzepte, sondern die Voraussetzungen für eine Gesellschaft, in der wir uns unvermittelt aufeinander beziehen können und nicht durch Tauschbeziehungen. Abgesehen von Familie und Freund*innen ist unser Bezug zu den meisten Menschen, mit denen wir im Alltag zu tun haben, durch ein Dienstleistungsverhältnis gekennzeichnet. Um einen transparenten und menschenfreundlichen Umgang miteinander zu gewährleisten braucht es keinen Appell an die Moral oder an die Menschlichkeit, auch kein neues Justizsystem, sondern eine grundsätzlich andere Gesellschaft. Eine Notwendige Voraussetzung dafür ist die Aneignung der Produktionsmittel.
Ungleichbehandlung und Diskriminierung kann im Kapitalismus weder durch das Justizsystem noch durch Communities gut gelöst werden. Staatliche Strukturen sehen zwar grundsätzlich eine gegenseitige Kontrolle ihrer Instanzen vor, aber haben auf Grund ihrer nationalstaatlichen Ideologie klare Vorstellungen davon, wer dazugehört und wer demnach besonders schützenswert ist und wer nicht. Der Staat schafft somit eine Ungleichheit auf struktureller Ebene, die sich in Polizeigewalt und erniedrigenden Kontrollen zeigt. Communities versuchen mit sexualisierter Gewalt im eigenen Umfeld umzugehen, in dem sie mit Tätern individuelle Umgangsweisen aushandeln und faktisch keinerlei Handhabe gegen Verstöße oder erneute Gewaltausübung haben.
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Reportage der STRG_F Journalistin Patrizia Schlosser „Spannervideos: Wer film Frauen auf Toiletten?“ https://www.youtube.com/watch?v=nGldiXxljhQ
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https://forum.fusion-festival.de/viewtopic.php?f=39&t=28956&sid=d09305027031f412932af24e828c1e4c