Arsen im Salzstreuer

Kira Strolch und Karl Meyerbeer besprechen einen Sammelband, der Texte aus der feministischen Zeitschrift „Die Schwarze Botin“ aus den Jahren 1976-1980 wieder veröffentlicht.

KM: Ich kann einleitend sagen, dass ich mich wenig qualifiziert sehe, dieses Buch zu besprechen. Zum einen als Cis-Mann, zum anderen, weil mir bestimmtes Wissen fehlt: Vor allem über Kunst und Ästhetik, aber auch bei vielen theoretischen Bezügen. Da wird kritische Theorie, Psychoanalyse und Poststrukturalismus hoch und runter diskutiert. Ich habe schon eine Ahnung, dass es sich um interessante Texte handelt. Viele sind aber so voraussetzungsreich, dass ich das Buch nicht alleine besprechen wollte. Was mir sehr gut an der Zeitschrift Die Schwarze Botin gefällt, ist, dass es Streit um verschiedene Strömungen des Feminismus gab. Die meisten Autorinnen grenzen sich sowohl vom bürgerlichen als auch vom sozialistischen Feminismus ab und streiten für einen Feminismus, der zuallererst Patriarchat und Geschlechterverhältnisse, aber auch Kapitalismus und Klassenverhältnisse radikal kritisiert und dagegen handlungsfähig wird. Ich sehe aber auch teilweise eine elitäre Haltung. Die wird in der Abgrenzung zur EMMA besonders deutlich: Der wird vorgeworfen, ihre Zielgruppe bestünde aus „Frauen in Leichtlohngruppen (Anm.: schlecht bezahlte Fabrikarbeiterinnen), Büroteilzeitkräften und Stripteasetänzerinnen“. Die Schwarzen Botin war dem entgegen eine Zeitschrift von und für Leute, die bei Adorno und Heidegger studiert haben. Das will ich gar antiintellektualistisch abwatschen. Wenn das aber mit einer Verachtung fürs Proletariat und das Kleinbürgertum einhergeht, beißt sich das m.E. mit dem feministischen und antikapitalistischen Anspruch.

KS: Ich lese da viel berechtigte Kritik an einer Wendung des 2.-Welle-Feminismus hin zu Institutionalisierung. Damals ist der Feminismus in die Unis, in Politik und andere Institutionen eingezogen und hat sich durch seine Institutionalisierung verbürgerlicht. Bei der Kritik an EMMA wiederum geht es – wie ich das lese – nicht darum, sich über bestimmte, nicht an Adorno und Heidegger geschulte Frauen zu stellen oder lustig zu machen, sondern darum, dass EMMA es sich zur Aufgabe gemacht hat mit der Bearbeitung sogenannter frauenspezifischer Probleme „alle Frauen … gleichermaßen zufrieden zu stellen“, in der nicht einmal mehr der Anspruch auf Kritik oder Verbesserung der (objektiven) Lebensbedingung von Frauen zu finden ist. Das steht dem Anliegen der Schwarzen Botin total entgegen, die nämlich – und das finde ich überaus sympathisch – formuliert, dass sie allen Zeitschriften entgegen steht, die Frauen als dumm verkaufen wollen und sich das dann auch noch bezahlen lassen. In der Zeitschrift gibt es (bis auf eine Ausnahme) z.B. keine Rezensionen zu Filmen, was daran liegt, dass Filme nicht dazu neigen, dem Alltag von Frauen zu verbessern, sondern ihm zu entfliehen (so wird es zumindest im, dem Buch hintangestellten Überblickstext, spannend zusammengefasst). Sie steht einem Zufrieden-Seins entgegen, dass Versöhnlichkeit mit den Verhältnissen stiftet.

„Die Radikalisierung der Frauen wird kein akademische Prozess sein sondern einer des konkreten Zorns und der Aneignung eigener Bereiche“

KM: Ähnlich wie beim Bezug auf den Feminismus wird deutlich, dass die harsche Kritik an der Linken – vor allem an Versuchen linker Männer, dem Feminismus für den Klassenkampf zu vereinnahmen – aus einer entschieden linken Position vorgebracht wird. Das sieht man beispielsweise in vielen Texten, die sich mit der Politik der RAF und der bürgerlichen Panik über die „übertriebene“, d.h. angeblich aus dem Ruder gelaufenen, Emanzipation von Frauen auseinandersetzen, aber auch in den „Gedanken über mögliche Formen feministischer Anarchie“ von Gabriele Goettle:

„Ziel des Feminismus muss die Vernichtung kapitalistischer Produktionsformen sein. Ein Schritt dahin ist die Aufkündigung der Familie, der heterosexuellen Beziehung, und das ist ein gewaltiger Schritt, denn die Versorgung der Haushalte, des Reproduktionsbereichs, der gesamte Konsum, den die Familie mit sich bringt, fielen aus. Das wäre ein empfindlich verletzender Angriff auf die Funktion der Wirtschaft, von der Moral gar nicht zu reden. […] Die Radikalisierung der Frauen wird kein akademische Prozess sein sondern einer des konkreten Zorns und der Aneignung eigener Bereiche.“

Es geht um Zorn. Der zweiten Frauenbewegung wird vorgeworfen, dass sie eine defensive weibliche Emotionalität positiv bewertet, eine ergänzende männliche Rationalität negativ. Dem entgegen sollen Frauen gemeinsam lernen, ihr Handlungsspektrum zu erweitern und Kritik und Aggression artikulieren.

KS: In Abgrenzung von Gefühlsduselei, Emotionalität, Selbstbeschau sehe ich auch eine Kritik an einer vermeintlichen Authentizität von Weiblichkeit und damit einhergehend eine Vorstellung von Weiblichkeit als das Bessere. Mit einer solchen Vorstellung wird verkannt, dass die Dualität von Weiblichkeit und Männlichkeit ebenso wie die Dualität von Emotionalität und Rationalität einander bedingen und nicht das eine dem anderen unabhängig davon gegenübergestellt werden kann, sondern, dass wenn man sich auf die weibliche Emotionalität beruft, dann unter dem Ausschluss der Rationalität. Also während es klassisch männlich ist, Emotionalität von sich abzuspalten und rational zu agieren (was in der Sphäre der Öffentlichkeit ja auch nötig ist) verhält es sich beim weiblichen umgekehrt genauso. Wenn man sich positiv darauf beruht, erteilt man dem Denken und auch der Kritik gesellschaftlicher (Geschlechter-)Verhältnisse eine Absage.

„Mit einer historischen Einleitung und einem literaturwissenschaftlichen Nachwort“

KS: Herausgegeben und eingeleitet wird die Textsammlung von Vojin Saša Vukadinović. Er hat auch den Band Freiheit ist keine Metapher herausgeben. Da habe ich gerade nochmal in die Einführung geschaut und mich ein bisschen geärgert. Neben der Trivialisierung von Rassismus und eine in Form des Antizionismus vollzogene Bejahung des Antisemitismus beschreibt er da das Herabsinken wissenschaftlicher Standards als Ausdruck des Verfalls des Denkens und Kapitulation vor der Wirklichkeit. Darüber hinaus ist als (feministisches) Anliegen formuliert, dass Geschlechterforschung endlich wieder Ergebnisse liefern müsse. Daraus spricht das Interesse, Feminismus für den akademischen Betrieb fruchtbar zu machen. Wissenschaft gilt als Hort der Vernunft, vorausgesetzt man hat das richtige zitieren gelernt! Ich habe den Eindruck, dass er da einen wichtigen Teil der Dialektik von Aufklärung verkennt, der in der Schwarzen Botin aber durchaus Thema ist: Im Text über weibliche Sprache von Rita Bischof z.B. kommt deutlich raus, dass Logik nach dem Prinzip der Subordination funktioniert und Sprache zur Vereinheitlichung zwingt. Beides sind Instrumente der Vernunft, aber damit gleichzeitig auch Herrschaftsinstrumente. Und das trifft auf den akademischen Betrieb ja ebenso zu.

KM: An anderer Stelle konnte man kürzlich lesen, dass Vukadinović besorgt ist, seine Meinungsfreiheit zu verlieren, weil der heutige Antirassismus und Feminismus so drakonisch gegen Gegner*innen vorgeht. Ein Glück, dass er noch ein Buch bei einem sehr renommierten Verlag untergebracht hat, bevor die bösen Feministinnen ihn canceln konnten. Kleiner Scherz. Aber daran anknüpfend habe ich den Eindruck, dass in der Einleitung der Diss der zweiten Frauenbewegung und im Nachwort die literarischen Qualitäten der Schwarzen Botin im Vordergrund stehen, während der Streit für einen konsequenten und antikapitalistischen Feminismus eher als Zeitgeistphänomen – als Abarbeiten an der 1968er-Revolte – abgetan wird.

„Nichts ist leichter als die Dummheit zum goldenen Mittelmaß zu erheben, mit dem alle gleichermaßen zufrieden sein dürfen.“

KS: Es gibt ja kein gemeinsames Selbstverständnis in den Heften. Es sind Texte unterschiedlicher Theorieströmungen, die da z.T. einfach nebeneinander stehen, ohne Kontextualisierung. Der Text „Schleim oder nicht Schleim, das ist hier die Frage“ von der Herausgeberin Gabriele Goettele wird als sehr grundlegend für die Zeitschrift betrachtet, weil er in der ersten Ausgabe erschien und auch im Buch ist er sehr weit vorne mit vertreten. Für das Buch, das ja auch eine Sortierung nach Themenbereichen vornimmt, hätte ich mir schon ein bisschen Kontextualisierung gewünscht. Die Texte wurden damals innerhalb Zeitgeschehen veröffentlicht und wenn man sie jetzt 30 Jahre später ließt und die Ereignisse nicht mehr präsent hat, wäre etwas mehr Hintergrundinformation (als der einleitende Text) nicht schlecht. Darüber hinaus würde ich auch sagen, dass die Texte sehr voraussetzungsvoll sind. Aber das ist auch Programm: eine Absage an mittelmäßiges Denken, kein Einfallstor für Missverständlich zu Gunsten der Verständlichkeit, Ausdruck von Unversöhnlichkeit, „Entlarvung des falschen und schädlichen Denkens“… Wenn ich dann z.B. in der Rezension im Buch lese, wieviel Inhalt über die Form vermittelt wird, dann finde ich das übelst spannend, auch wenn ich vieles davon sicher von selbst nicht erkannt hätte.

KM: Ich habe Gabriele Goettle so verstanden, dass der Verzicht auf Karriere und Anerkennung im etablierten Betrieb Bedingung dafür ist, den Geist für radikale Kritik offen zu halten. Wobei die meisten Autorinnen sich das vermutlich auch leisten konnten, weil sie aus einem großbürgerlichen Milieu kamen, wo man sowohl das Geld als auch die Selbstsicherheit hat, sich für einen antibürgerlichen Lebensstil zu entscheiden. Womit ich keinesfalls nahelegen will, dass es verwerflich ist, diese Privilegien – wenn man das so nennen will – genau dafür zu nutzen.

„Zeitschrift für die Wenigen“?

KS: Als Szenezeitung hatte die schwarze Botin einen sehr geringen Wirkungskreis. Über 10 Jahre hinweg sind insgesamt 33 Ausgaben erschienen, die nie mehr als eine Auflage von 3000 Stück hatten. Aber das widerspiegelt ja auch eine gewisse Grundhaltung der Herausgeberinnen, die ja gegen Institutionalisierung polemisieren und sich nicht im akademischen Betrieb anbiedern, sondern radikale Gesellschaftskritik üben. Und die hat bekanntlich leider einen eher geringeren Wirkungskreis. Auch das Buch wird nicht nur wegen des Preises von fast 40€ wohl kein Kassenschlager werden. Wer aber bereit ist sich darauf einzulassen, „alte Lese- und Denkgewohnheiten abzustreifen“, dem sei das Buch wärmstens zur Lektüre empfohlen.


Die Schwarze Botin – Ästhetik, Kritik,
Polemik, Satire 1976-1980.
Herausgegeben von Vojin Saša Vukadinović
512 Seiten, 36 €
Wallstein (Göttingen)

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