Weil das Leben doch kein Ponyhof ist, berichtet Beta heute von einer grenzüberschreitenden Anmache, auf die sie lieber verzichtet hätte – auch wenn der Bio-Tee lecker war.
Ich freue mich riesig auf meine Fahrt mit dem Nachtzug der ÖBB von Rom nach München. Das ist doch die einzig wahre Art zu reisen: stehend am offenen Zugfenster, die Haare flattern lassen und die Landschaft bewundern. Ich gehe den Gang im Zug entlang und finde mein Schlafabteil. Es ist leer. Ich freue mich, dass ich es noch allein für mich habe. Ein netter Zugbegleiter kontrolliert mein Ticket und meinen Ausweis. Ein Kollege kommt dazu und macht einen unnötigen Kommentar, der lustig sein soll, es aber nicht ist. Der Nette macht weiter seine Arbeit und versucht seinen Kollegen nicht zu beachten. Er informiert mich darüber, dass zwei Stationen später noch eine weitere Frau in mein Abteil kommen wird. Ich ärgere mich ein bisschen ob der verlorenen schönen Einsamkeit.
Ich richte mich ein und wuchte meinen Reiserucksack auf das oberste Bett. Gerade in diesem Moment läuft der zweite Zugbegleiter an meinem Abteil vorbei und macht einen schlechten Witz zum Thema, dass ich ja so stark sei. (Es ist nicht das erste Mal, dass mir Leute im Zug bewundernd zunicken, weil ich einen schweren Koffer in die obere Gepäckablage schiebe.) Er sagt noch etwas, um ein Gespräch in Gang zu bringen und überschreitet damit die Grenze des professionellen Abstands zu Passagier*innen. Ich finde ihn nervig und entgegne nichts. Also geht er unverrichteter Dinge.
Nachdem ich es mir gemütlich gemacht habe, verlasse ich mein Abteil, um auf die Toilette zu gehen und schließe dafür meine Abteiltür. Als ich zurück komme, geht sie nicht mehr auf. Mist. Ich gehe zu dem netten Zugbegleiter und er schließt sie mir wieder auf. Man dürfe die Tür nicht von außen zu machen, sonst bekomme man sie nicht mehr auf, erklärt er mir. Einen Schlüssel für die Fahrgäste gäbe es nicht. Aber zur Sicherheit hätten alle Zugbegleiter den Schlüssel zu allen Türen. Aha. Nagut. Er fragt, ob die andere Frau schon gekommen sei und wundert sich, wo sie abgeblieben ist. Ich freue mich, dass ich das Abteil nun doch für mich habe. Er fragt mich, was ich zum Frühstück essen möchte. Ich wähle schwarzen Tee, Käse und Marmelade.
Ich packe mein Buch aus, lege mich auf das Bett und genieße das Schaukeln des fahrenden Zuges. Es klopft. Ich mache auf und der nervige Zugbegleiter fragt auch nochmal, ob die zweite Passagierin gekommen sei. Ich wiederhole, dass sie nicht hier ist und finde ihn langsam ziemlich unangenehm.
Danach ziehe ich mein Schlafzeug an, lege mich ins Bett und lese weiter. Ein paar Minuten später klopft es wieder. Ich überlege, ob ich mir schnell eine andere Hose anziehe oder wenigstens einen Pullover drüber ziehe, aber dafür bleibt mir keine Zeit. Ich mache also dünn bekleidet die Tür auf, was mir etwas unangenehm ist. Da steht schon wieder der überflüssige Zugbegleiter und erklärt, dass im Mitarbeiterabteil so wenig Platz sei und fragt, ob er in meinem Abteil ein bisschen Pause machen könne. Mein Brustkorb zieht sich nervös zusammen. Ich sage „Nein, das ist nicht okay. Die Tür ist zu.“ und schließe die Tür vor seiner Nase. Scheiße. Ich stehe da und fühle mich auf einmal total unsicher in meinem Abteil und wünsche mir, dass die andere Frau doch gekommen wäre. Ich überlege fieberhaft, was ich nun tun sollte. Ich befürchte, dass er jeden Moment wieder klopfen könnte. Ich möchte die Tür abschließen, aber denke an den Schlüssel, den alle Zugbegleiter haben, mit dem sie alle Türen öffnen können. Es ist also total sinnlos, die Tür abzuschließen. Ich lege mich ins Bett, überlege weiter und schiele immer wieder auf die Tür. Schließt er sie gleich auf? Soll ich zu dem netten Zugbegleiter gehen? Aber was soll ich ihm sagen, im Schlafzeug? Und so richtig ist ja auch nichts passiert? Was, wenn sie alle unter eine Decke stecken? Auf einmal ist mein Abteil kein gemütlicher, abgeschlossener Raum mehr, in dem ich in den Schlaf geschunkelt werde. An Schlaf ist in dem nun gefühlt offenen Abteil nicht mehr zu denken. Ich möchte die ganze Nacht wach bleiben, um auf mich aufzupassen. Da höre ich Stimmen auf dem Flur, auch eine Frauenstimme. Die Tür wird geöffnet und da kommt sie doch, die zweite Passagierin. Sie ist am falschen Ende des Zuges eingestiegen und nun mit ihrem Gepäck durch den gesamten Zug geirrt. Ich bin heilfroh, dass sie da ist. Wir erzählen ein bisschen und ich kann nun doch beruhigt einschlafen.
Am nächsten Morgen ist Gewusel auf dem Gang, weil das Frühstück verteilt wird. Meine Nachbarin öffnet die Abteiltür. Ich schiele auf den Gang und hoffe, dass der nette und nicht der nervige Kollege das Frühstück verteilt und habe Glück. Der Nette bringt uns beiden Frühstück. Mit dem schwarzen Tee in der Hand steigt meine Laune. Als wir schon längst fertig mit dem Essen sind, kommt der Nervige doch nochmal zu unserem Abteil und fragt mich überflüssigerweise, ob ich mein Frühstück bekommen hätte. „Ja“ entgegne ich und er geht. Meine Laune ist wieder im Keller. Da erzähle ich meiner Nachbarin, was am Abend zuvor passiert ist. Ihr die Situation zu schildern hilft mir, mich zu beruhigen. Sie findet es natürlich unmöglich von ihm.
In München angekommen, steige ich in den nächsten Zug um, packe meinen Laptop aus und schreibe gleich eine Beschwerdemail an die Österreichische Bundesbahn. #metoo ist gerade immer wieder in den Nachrichten – also Berichte von Frauen über kleine oder große Grenzüberschreitungen, sexualisierte Übergriffe im Alltag und in Situationen mit Machtgefällen. Daher hoffe ich, dass meine Beschwerde, auch wenn ich keinen körperlichen Schaden genommen habe, trotzdem auf offene Ohren stößt. In meiner E-Mail rege ich an, Strukturen zu schaffen, damit Menschen, die in eine ähnliche Lage geraten, Schutz erhalten. Gleich am nächsten Tag kommt eine betroffene Antwort. Sie sei als Mensch, und vor allem als Frau, fassungslos und habe meine Beschwerde gleich an die zuständige Fachabteilung weitergeleitet. Dann schreibt sie noch, dass ich in so einer Situation nie alleine sei und auch zur Not den ganzen Zug hätte zusammen schreien können oder die Polizei hätte rufen können. Super Tipp. Und sie möchte, auch wenn sie mein Erlebnis nicht ungeschehen machen kann, zumindest nachträglich ein positives Gefühl vermitteln und bietet an, mir eine Wohlfühlbox aus dem Hause „Sonnentor“ zu schicken – mit Tees und Gewürzen und anderen Leckereien aus biologischem Anbau.
Für solche Grenzüberschreitungen, zum Beispiel, wenn sie nicht körperlicher Art sind, gibt es noch keine guten Gegenstrategien. Schreien oder die Polizei rufen sind da sinnlos. Vielmehr hätte mir vielleicht eine weibliche Kollegin geholfen, zu der ich vielleicht gegangen wäre, oder das Wissen, dass ich im Bordrestaurant eine Person finde, der ich mich anvertrauen kann, der man so was erzählen kann. Ich hoffe, dass der Zugbegleiter zumindest eine Abmahnung oder ähnliches erhalten hat.
Die Wohlfühlbox lasse ich mir natürlich trotzdem zu schicken. In den nächsten Tagen erzähle ich allen meinen Freund*innen, warum ich Bio-Tee und Gewürze von der ÖBB geschenkt bekommen habe. Ab und zu entspinnen sich daraus Gespräche über unangenehme Situationen und Übergriffe, die sie erlebt haben. Darüber sprechen – das ist der erste Schritt.