Strammstehen vor der Demokratie

Maximilian Fuhrmann und Sarah Schulz haben ein Buch mit dem schönen Titel „Strammstehen vor der Demokratie“ geschrieben. Es geht um eine Kritik am autoritären Staatsverständnis, dass mit der Extremismuslogik und dem damit verbundenen Konzept der wehrhaften Demokratie verbunden ist. Eine Rezension von Christian Keller.

Beide Autor*innen haben wissenschaftlich zum Thema gearbeitet. Das nun im Schmetterling-Verlag erschienene Sachbuch ist der gelungene Versuch, entsprechende Fachdiskurse auch für eine breitere linke Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

Das Buch ist zweigeteilt. In den ersten vier Kapiteln verdeutlicht Sarah Schulz Wirkungsweise und Entstehung des Konzept „wehrhaften Demokratie“: Aus einer verkehrten Deutung des Scheiterns der Weimarer Republik heraus (sinngemäß: zerrieben zwischen den Extremen von Links und Rechts) setzte sich in der Nachkriegs-BRD ein „wehrhaftes“ Demokratieverständnis durch. Was genau schützenswert ist, wurde dabei extensiv ausgelegt: Nicht nur Rechtsstaatlichkeit und Demokratie (als Prinzipien) wurden geschützt, sondern die „freiheitlich-demokratische Grundordnung“ – die konkrete staatlich Form. Es ging also vor allem darum, den Status der BRD als parlamentarisch-bürgerliche Demokratie mit einem kapitalistischen Wirtschaftsystem sicherzustellen und anderweitige Vorstellungen frühzeitig abwehren zu können – seien sie nun mit mehr oder weniger Demokratie (im Sinne von Verfügungsgewalt über das Politische) verbunden. Wie sich diese autoritäre Fixierung einer ganz bestimmten Variante von Demokratie im juristischen und politischen Diskurs der 1950er-Jahre herausgebildet hat, in den 1970er-Jahren als Reaktion auf die 1968er-Revolte nochmal verschärft hat, wird in den ersten vier Kapiteln deutlich.
Im zweiten Teil kritisiert Maximilian Fuhrmann das Konzept des politischen Extremismus.

Entstanden als Kampfbegriff des Verfassungsschutzes wurde das Konzept erst in den 1980er-Jahren in der Politikwissenschaft aufgegriffen. Seitdem hat es – auch dank großzügiger Mittelvergabe und einer intransparenten Verquickung von Wissenschaft und staatlichen Behörden – eine rasche Karriere bis hin zu einem eigenen Institut hingelegt. Die formulierte Kritik bezieht sich auf die begriffliche Unzulänglichkeit und die autoritäre Zielrichtung des Ansatzes – wobei letzteres die Verbindung zum ersten Teil des Buches herstellt, denn wie auch die „wehrhafte Demokratie“ geht es in der Extremismusforschung vor allem darum, zu begründen, wieso bestimmte Positionen und Akteur*innen aus dem Feld des politisch Legitimen ausgeschlossen werden müssen: Die Demokratie muss in diesem Sinne diejenigen ausschließen, die sie verändern wollen, um ihren aktuellen Stand zu verteidigen – denn dieser ist der optimale. In Anschluss an diese Kritik zeichnet Fuhrmann die Bedeutung des Extremismus-Konzepts für die Anti-Rechts-Programme der Bundesregierung nach. Auch dabei wird deutlich, dass es hier um eine Einhegung von Engagement geht: Im Zentrum steht eine Erziehung zum Einverständnis mit dem Staat (Strammstehen …), nicht eine demokratische Bildung im Sinne von Verfügungsgewalt und Teilhabe.

Das Buch ist kenntnisreich und gut geschrieben. Die Argumentation ist ausführlich durch Quellen belegt, trotzdem kommt das Buch ohne übertriebenen wissenschaftlich-gelehrten Jargon daher. Vorwort und Fazit lassen sich separat verstehen und der übersichtliche Aufbau macht es möglich, gezielt einzelne Kapitel zu lesen.

Ein Teil des Inhalts – die Kritik an der Hufeisentheorie und deren unsinniger Gleichsetzung von Kommunismus und Faschismus – ist vermutlich für die meisten Leser*innen dieser Zeitschrift nichts neues. Weiterführend ist am vorliegenden Buch, dass die Kritik gründlich entwickelt und mit politischen Kräfteverhältnissen vermittelt wird. Dabei kommt am Ende mehr heraus als die bekannte Kritik am Extremismusbegriff. Deutlich wird darüber hinaus eine Analyse der damit verbundenen politischen Interessen (Antikommunismus, Einschwören auf die BRD) und der damit begründeten Praxis (Einhegung der Zivilgesellschaft, Ausgrenzung radikaler Akteur*innen). Diese erweiterte Kritik funktioniert auch, wenn man das Reizwort „Extremismus“ aus Flyern und Programmen streicht und stattdessen im Namen der Demokratie, gegen Totalitarismus oder für Deradikalisierung eintritt. Das ist sowohl für eine staatskritische, wie auch für eine radikaldemokratische Perspektive interessant, weil es deutlich macht, wie autoritär und interessengebunden das Eintreten für die derzeit herrschende Form von Demokratie funktioniert.


Maximilian Fuhrmann / Sarah Schulz
Strammstehen vor der Demokratie
Extremismuskonzept und Staatsschutz in der Bundesrepublik
136 S., 12,80€
Schmetterling-Verlag, Stuttgart 2021

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