Alf ist seit Ende der 80er in linksradikalen Zusammenhängen unterwegs und reflektiert hier über seine Rolle, die er ungewollt auf dem Podium des antirassistischen und antifaschistischen Ratschlags innehatte. Anlässlich des 30. Ratschlags ging es auf dem Erzählpodium um dessen Ursprung, die Situation in den 90er und 2000er Jahren, sowie die Rolle der gewerkschaftlichen und radikalen Linken.
Da saß ich nun zum 30. Ratschlag zusammen mit Julika Bürgin auf dem „Erzählpodium“ und sollte die Rolle der Radikalen Linken in der Geschichte des Ratschlags vertreten (oder sogar verkörpern?). Julika berichtete aus den 90ern und wie sie damals als Gewerkschafterin, den Ratschlag mit organisiert hat. Ich kam mir reichlich deplatziert vor. Zum einen, weil ich dem Format des „Erzählpodium“ skeptisch gegenüber stehe, zum anderen, ob ich da der Richtige für bin. Mit dem Format besteht das Problem, dass Aussagen bestenfalls auf wenige Sätze zusammengedampft werden müssen, um nicht in Geschichten erzählen und/oder Geschwalle abzugleiten. Für komplexe Zusammenhänge ist da wenig Platz. Zum anderen, weil ich den Ratschlag über die Zeit hinweg viel zu wenig mitgestaltet habe, ihn stellenweise sogar scheiße und nutzlos fand, um hier allzu sehr das Maul aufreißen zu können.
Das heißt nicht, dass ich nicht so was wie ein politischer Zeitzeuge sein möchte, oder bin. Aber zumindest in den Neunzigern hatte ich nichts mit diesen Strukturen zu tun und bewegte mich parallel zu denen. Ja, auch für meine Zusammenhänge waren z.B. die Demos in Saalfeld 1997 von Bedeutung. Zusammen mit der Antifademo in Wurzen, würde ich Saalfeld mehr politische Bedeutung beimessen als die ganzen vollvermummten behelmten Demospektakel der AABO einige Jahre vorher zusammengenommen. Bei beiden Demos ging es um rechte gesellschaftliche Hegemonie bis in die viel gepriesene „Mitte der Gesellschaft“ ostdeutscher Provinz.
Aber die wirklich harten Brüche der Neunziger waren nun mal für mich die Räumung der Mainzer Straße und die Pogrome von Rostock-Lichtenhagen. Zum einen weil ich es persönlich verpatzt hatte, dort zu sein. Zum anderen weil beide Ereignisse klargestellt haben, wofür dieses neu entstandene Großdeutschland stand und immer noch steht. Die einen, die sich selbst ermächtigen und eigene Lebensentwürfe, die den Staat infrage stellen, verwirklichen wollen, wurden mit über 5000 Cops platt gemacht. Auf die anderen, die nicht zum Deutschen Volk gehören sollten, wurde der Volksmob losgelassen und der halbherzige Polizeieinsatz, der das pro forma verhindern sollte, auf einmal verkackt. Gelebte Demokratie halt. Diese beiden Ereignisse sind für mich persönlich Sinnbild meiner eigenen Ohnmacht, trotz eigenen politischen Handelns von dem Lauf der Geschichte mal wieder überrannt worden zu sein. Das kann halt schwer im Kontext des Ratschlags erörtert werden. Ich fänds aber wichtig diese ollen Kamellen immer wieder aufzuwärmen, weil sich einiges, was bis heute nachwirkt, daraus ableiten lässt.
Zu dem was auf dem Podium verhandelt wurde.
Im Rahmen der Darstellung der Querelen um die von meiner damaligen Antifagruppe 2001 angesetzte Demo „Es gibt 1000 Gründe Deutschland zu hassen“ stellte ich die steile These in den Raum, in Folge des Verbotes der Demo in die Auseinandersetzung zwischen zwei Gewerkschafts-Alphatieren geraten zu sein. Nämlich Bodo Ramelow als Befürworter des Verbotes und Angelo Lucifero, der sich mit uns solidarisierte. Julika hat daraufhin mir ordentlich verbal den Kopf gewaschen, dass es stark verkürzt und entpolitisiert dargestellt sei. Jupp, Volltreffer, stimmt und wenig Widerrede.
Ich bleibe dabei, dass es sich bei beiden um Alphatiere handelt. Aber dass diese vorgenommene Reduktion auf die beiden Personen dazu beiträgt, dass es mal wieder als eine Geschichte von Männern erscheint, die auf einmal als einzige nennenswerte Akteure im Raum stehen, habe ich nicht bedacht und somit in dem Moment Julika und auch andere entwertet, die in den Auseinandersetzungen genauso involviert waren.
Was wohl Julika noch entfallen sein wird, dass wir uns sehr wohl der Verantwortung stellen wollten. Zum einen wurde die nächste Demo gegen das Verbot angemeldet. Wir ließen uns jedoch breitschlagen, die Anmeldung wieder zurückzuziehen, um nicht noch mehr Öl ins Feuer zu gießen. Zum anderen wurde uns geraten, beim nächsten RATSCHLAG (da isser wieder!), mit einem Statement aufzutreten, um die Diskussion wieder in Gang zu setzen. Das Statement wurde vorgetragen, ich sah von allen Seiten nur eisige Gesichter in der Versammlung und irgendjemand von der PDS meinte nur als einzige Wortmeldung, dass er/ sie uns trotzdem versöhnlich die Hand reichen würde. Irgendwie funktionierte der Ratschlag als strömungsübergreifende Diskussionsplattform in dem Moment nicht. Die Lehren, die ich aus dieser Auseinandersetzung zog: Antifa sollte sich weder von Parteipolitik reinreden lassen, noch auf sie Rücksicht nehmen und fertig.
Der Komplex Dresdner Gedenken des 13. Februar im Ratschlag
Diese Lehre sollte bald Anwendung finden. Nach recht erfolgreichen Bündnissen zwischen Antifa, Gewerkschaften und Parteien gegen das Aufstreben der NPD als parlamentarische Kraft kam es zur nächsten Nagelprobe. Das Gedenken an die Bombardierung Dresdens und der darum betriebene Opferkult in weiten Teilen der Bevölkerung Dresdens war für die Nazis ein gefundenes Fressen. Ihre Mobilisierung zu Trauermärschen lief ab ca. 2005 bombig, die Gegenmobilisierung war einigen Antideutschen Gruppen überlassen und lief eher mäßig. Akteur*innen aus dem bürgerlichen Spektrum vornehmlich Jena und Weimar begannen nun 2009 ihr, in der Mobilisierung gegen das „Fest der Völker“ und dem „Thüringentag der Nationalen Jugend“ erworbenes Know How auf Dresden zu lenken. Parallel dazu trat auch die „Interventionistische Linke“ auf den Plan.
Thüringer Antifagruppen sträubten sich gegen die von den bürgerlichen Bündnissen und IL betriebene thematische Engführung auf die Position „gegen Nazis“ im Zusammenhang mit dem Dresdner Opferkult. Der Erfolg der Nazis ließe sich nicht ohne diesen vorhandenen geschichtsrevisionistischen Diskurs um die Bombardierung Dresdens denken. Es müsse mehr gegen die Gedenkveranstaltungen der Stadt an sich mobilisiert werden, anstatt sich auf den Minimalkonsens, Nazis zu bekämpfen, zu beschränken. Und ja, dabei kann es auch passieren, dass wir der örtlichen Linkspartei ordentlich auf die Füße treten müssen und Wählerschaft verprellen können.
Es kam zu politischen Zerwürfnissen zwischen BGR Weimar und Aktionsnetzwerk Jena sowie der Thüringer LINKEN (welch anmaßender Parteiname!) auf der einen Seite, sowie einigen Thüringer Antifagruppen und der JG-Stadtmitte auf der anderen Seite. Wir wollten den Ratschlag 2010 zu einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu Dresden nutzen und initiierten eine Diskussionsveranstaltung. Die Veranstaltung war gut besucht, die Diskussion rege. Sie wurde von Linkspartei, ANW Jena und BgR Weimar jedoch ignoriert. Der Antinazifahrplan zu Dresden wurde unverändert weiter betrieben. Die Plattform Ratschlag verkam in meinen Augen zu einer folgenlosen Quatschbude. Wozu hier politische Diskussionen führen, wenn daraus kein politisches Handeln erwächst? Worin besteht dann das BeRATSCHLAGen?
Eine positive Bemerkung über die Ratschlagvorbereitungsgruppe
Im Jahr 2013 wurde der Ratschlag für einen Demokratiepreis gegen Extremismus nominiert. Die damalige Orgagruppe lehnte den Preis ab und das Statement dazu las sich wie eine schallende Ohrfeige für die Preis-Jury, die in kruder Totalitarismus-Theorie Rechtsextremismus mit Linksextremismus gleichsetzte. Es war mir ein inneres Blumenüberreichen, dies zu lesen.
Zu der Frage nach Gegenwart und Zukunft des Ratschlags
Julika hat eine wichtige perspektivische Bemerkung gemacht, dass es darum gehen sollte, dass es den Ratschlag nicht mehr geben müsse. Jepp darum gehts: ich bin für die Auflösung der Antifa, da sie nur innerhalb des Falschen Ganzen agiert, um in diesem „Falschen Ganzen“ das notwendige falsche Denken und Handeln zu bekämpfen. Die Verhältnisse müssen so aktiv verändert werden, dass es der Abwehrkämpfe nicht mehr bedarf. Auch wenn Irie Révoltés gerne „Antifaschist für immer“ sein möchte und das „radi-radi-kal-kal“ findet – nein, es wäre eine traurige Perspektive.
Ich bezweifelte auf dem Podium, dass wir noch mal 30 Jahre Zeit haben werden, uns zu beratschlagen, weil uns in nächster Zeit die Verhältnisse um die Ohren fliegen werden.
Diese Bemerkung passt natürlich wunderbar auf die Klimakatastrophe und das Scheitern der spätkapitalistischen Gesellschaft, diese zu stoppen. Ich würde es aber nicht auf diesen Sachverhalt reduzieren wollen. Denn auch im Zusammenhang der planetarischen Verwüstung und schlimmer werdender Not weiter Teile der Weltbevölkerung wird es genauso weiter zu Flüchtlingskatastrophen, Kriegen usw. kommen. Europa konnte sich in den letzten Jahrzehnten, abgesehen vom Jugoslawienkrieg und dem Tschetschenienkrieg, weitestgehend vor den direkten Folgen kapitalistischer Verwerfungen abriegeln. (Anm. der Red: der Artikel wurde vor dem Ukrainekrieg geschrieben) Dies wird in naher Zukunft immer weniger möglich sein und auch die industriellen Zentren der Welt werden zunehmend in den Krisenmodus verfallen. Die Covid-19 Pandemie, die erst durch die globalisierte kapitalistische Hypermobilität sich so richtig entfalten konnte, ist ein gutes Synonym dafür, dass die Verwerfungen dieser Welt immer weniger nur weit weg geschehen. Die Aussichten sind alles andere als rosig und bedürfen um so dringlicher emanzipatorischer Perspektiven, um nicht völlig in der Dystopie zu landen.
Ich habe mich solidarisch zu Lina E. geäußert und angemerkt, dass das, was ihr vorgeworfen wird, Teil unserer politischen Praxis in den Neunzigern war. Verbunden mit der Anmerkung, sich dabei nicht in die Gewalt zu verlieben.
Die letzten Jahre haben gezeigt, dass es eine zunehmend körperlich und auch waffentechnisch hochgerüstete gewaltbereite Naziszene gibt, die wieder zum Angriff übergeht. Das ist oft genug am Rande von *gida-Veranstaltungen und auch z.B. August 2018 in Chemnitz geschehen. Genauso häuften sich Angriffe in den letzten Jahren in Erfurt. Parallel dazu haben sich nach dem NSU wieder rechtsterroristische Morde ereignet (Hanau, Lübke-Mord, Halle). Zudem kann es kein Vertrauen in einen mit Rechtsradikalen durchsetzten Sicherheitsapparat geben, der nicht gewillt ist, ähnlich wie in den Neunzigern, ernsthaft den Schutz für Minderheiten und politische Gegner*innen der rechten gesellschaftlichen Mitte und ihrer faschistischen Verbündeten zu übernehmen. Dies macht es notwendig, trotz verstärkter Überwachungsmöglichkeiten seitens des Staates mehr zu einer militanten Praxis überzugehen. Die Fallstricke bestehen jedoch darin, wieder in der Auseinandersetzung mit Nazis und Co. in einem Männerbandenkrieg zu landen, der männliche Rollenklischees reproduziert, verstärkt und zementiert. Daher muss eine deutliche innere Distanz zu dieser Praxis gehalten werden. Sie darf nicht Teil der eigenen politischen Identität werden. Körperliche Gewalt ist das notwendig Schlimme (Falsche!), dass ich tun muss, um Gefährdungen durch Nazis und Co. zu verhindern, mehr nicht.
So wie der Männerbandenkrieg gegen Nazis Männlichkeit reproduziert, reproduziert er auch sexualisierte Gewalt gegen weiblich gelesene Menschen. Das zieht sich wie ein roter Faden durch die lange Geschichte linker Kämpfe. Ob bei der anarchistischen Machnowzy, der Münchner Räterepublik oder dem Einmarsch der Roten Armee in Deutschland: von all diesen historischen Ereignissen, die als emanzipatorisch interpretiert werden, gibt es Berichte von Vergewaltigungen und sexuellen Übergriffen! Daher auch mein Wunsch nach weniger Männlichkeit in der Antifa, um auch die sexualisierte Gewalt besser zurückdrängen zu können. Da haben die letzten Jahre auch gezeigt, dass es immer wieder Handlungs- und Diskussionsbedarf gibt. Auch wenn es häufig als belastend und hinderlich abgetan wird: es ist eine notwendige Auseinandersetzung um die Unversehrtheit der Intimsphäre jede_r_s Einzelnen und um immer noch nicht genug sichtbar gemachte uneingestandene Herrschaftsverhältnisse in den eigenen Zusammenhängen!
Zu guter Letzt gibt es noch andere emanzipatorisch linke radikale Zusammenhänge, die sich gegen die diskursive Übertönung durch Parteienpopanz usw. erwehren müssen und innere Auseinandersetzungen führen und um progressive Praxen ringen. Liebe altgediente und schon über die Jahre etwas heruntergewirtschaftete Antifazusammenhänge: bitte rümpft nicht zu sehr die Nase über die von euch als „Klimahippies“ bezeichneten! Die haben einiges auf Tasche, auch wenn es noch nicht alt hergebrachtes ist. Schaut bitte öfter mal über den eigenen Bewegungstellerrand und solidarisiert euch, von mir aus auch kritisch!
Was die nächste Podiumsdiskussion auf dem nächsten Ratschlag anbelangt, so möchte ich dann doch lieber fürs Kabelschleppen, Klopapierrollen auf den Klos verteilen, Stühle aufstellen und so Zeugs angefragt werden. Ich habe auch sonst nicht vor, allzu bald von der Bildfläche zu verschwinden.
Das wars fürs Erste.
Euer Alph(atier?)