Arbeit macht das Leben süß und ist manchmal ganz schön merkwürdig. Wir wollen in loser Folge Absurditäten aus dem Arbeitsleben veröffentlichen und haben dazu im Winter 2022/2023 Freund*innen und Genoss*innen gebeten, Erfahrungsberichte aufzuschreiben. Hast Du auch verrückte Sachen auf Arbeit erlebt? Schreibe an die Lirabelle.
Neulich hatte ich eine Fortbildung in Statistik. Wer heute Fördermittel kriegt, muss im Sachbericht zeigen, wieviele Teilnehmer*innen weiblich und aus dem ländliche Raum waren. Was sich bei Projekten mit 220 Teilnehmer*innen problemlos mit Strichliste und Taschenrechner berechnen lässt – wenn man es nicht einfach zurecht flunkert. Aber die Leitung fand, es sei Zeit, die Statistik professioneller anzugehen: „Wer weiß, was sich Mittelgeber in Zukunft einfallen lassen“, um jedes Quäntchen Arbeit noch genauer messbar zu machen. So sitze ich Montags um 9.00 im Besprechungsraum und lerne Statistik auf Oberstufen-Niveau: Wer weiß noch den Unterschied zwischen Nominalskala, Ordinalskala und Intervallskala? Wer erinnert sich daran, wann man einen Durchschnitt bilden darf und wann es der Median sein muss? Ich auf jeden Fall nicht, meine Kolleg*innen, wenn man nach ihrem ratlosen Gesichtsausdruck geht, auch nicht. Also fangen wir ganz am Anfang an. Skalenniveaus, Statistiken lesen, typische Anfängerfehler, Anekdoten über unsinnige Korrelationen wie die, dass in Gegenden mit mehr Störchen mehr Kinder geboren werden. Gegen Mittag fragt die erste Kollegin zaghaft, wann wir denn mal anfangen, das sagenumwobene Statistikprogramm zu bedienen. Aber das geht natürlich nicht ohne gründliche Vorbereitung. Wenn man einfach so Zahlen einträgt, kommt am Ende raus, die einzelnen Teilnehmer*innen seien jeweils zu 57% männlich. Was dekonstruktivistisch gedacht stimmen könnte, aber nicht das ist, was man rauskriegen wollte. Also brauchen wir mehr Grundlagen. Weitere Versuche, Sinn und Zweck des Vorgehens zu hinterfragen, werden abgebügelt, bis sich schließlich alle in ihr Schicksal fügen, um die Sache nicht unnötig in die Länge zu ziehen.
Am nächsten Tag haben sich zwei Kolleg*innen krank gemeldet, der Rest ist leicht hoffnungsvoll, weil für Dienstag Praxis angekündigt war. Aber, oh weh, das Rechenzentrum hat Version 27.4 installiert, bei der aber die neuesten Plugins nicht laufen. Der herbeigerufene Kollege aus der EDV und der Statistiker fangen einen Streit an. Schnell sind die Experten bei Java-Versionen, Lizenzpolitik und Veröffentlichungszyklen, das Ganze endet mit einer längeren Pause, in der Version 28 besorgt und installiert wird. Eine weitere Kollegin meldet sich mit erfundenen Beschwerden ab. Beim Rauchen vor der Tür diskutieren die Verbliebenen Strategien, um trotz des verordneten Umstieg auf die Profi-Software weiter mit Strichlisten zu arbeiten.
Am späteren Vormittag führt uns der Statistiker dann vor, wie man die alten Teilnahmelisten in das neue Programm kriegt. „Öffnen Sie nun mit Rechtsklick das Kontextmenü, wählen Sie den Eintrag Extras, darin die Registerkarte Variablen und verknüpfen Sie die vorher definierten Spaltenbereiche mit den entsprechende Zeilenfeldern“ – alle klicken schicksalsergeben mit, in der absoluten Gewissheit, spätestens nach drei Tagen wieder vergessen zu haben, was wir hier tun.
Nach der Mittagspause haben wir es dann schwarz auf weiß: 28% der Teilnehmer*innen sind Jugendliche, 73% halten die Maßnahme für gut oder sehr gut. Wieviele der Listen wir selbst ausgefüllt haben, um die Kennzahlen zu erfüllen, berechnen wir nicht. Ich habe sowieso schon wieder vergessen, ob man diesen Wert auf einer Nominal- oder auf einer Ordinalskala abbilden müsste.