Zur diesjährigen antifaschistischen und antikapitalistischen 1.Mai-Demo haben Menschen in Gera Zettel an Passant*innen und Anwohner*innen verteilt. Zwei Verteiler*innen, M. Kalakadu und Flo Walze, teilen ihre Gedanken über die Reaktionen und unsere Außenwirkung.
Nach den Repressionen des letzten Jahres haben wir uns Gedanken über unser Ziel und unsere Rolle bei der 1. Mai-Demo dieses Jahr gemacht. Schnell stand die Idee: Wenn es in Gera keine Faschos zu blockieren gibt, könnte man den Fokus auch mal wieder auf anschlussfähige Inhalte und Mobilisierung legen. Am Wochenende davor wurden Ankündigungszettel an die Anwohner*innen entlang der Route verteilt, in denen wir versuchten der örtlichen Berichterstattung über die „Randalierer“ unsere persönlichen Beweggründe für die Teilnahme entgegenzusetzen.
Also haben wir für die Demo den Anwohner*innenzettel, ein Flugblatt für Passant*innen und einen Lied- und Spruchzettel vorbereitet. Liedzettel gab es auch mindestens zwei andere, mit verschiedenen Interpretationen der gleichen Lieder. Soweit so spaßversprechend.
Am 1. Mai verteilten wir aus der Demo heraus dann die Flugblätter, die auch recht gut angenommen wurden. Wenn ich aus der Demo rausgegangen bin, waren Bullen kurz irritiert, Stress haben sie aber nicht gemacht. Ich glaube, mit der Bullenstrategie hatten wir Glück, gleichzeitig hatten wir eine starke Demo im Rücken, sodass Menschen auch eingeschüchtert genug waren, um uns nicht anzupöbeln. Selbst Menschen, die ich auf der Gegenseite verortete, haben zwar den Flyer abgelehnt, sonst aber nichts gesagt. Was ich sehr positiv in Erinnerung habe, waren Menschen, die auch kommuniziert haben, dass sie nicht so viel deutsch sprechen, aber das größte Interesse uns gegenüber hervorgebracht haben, und den Chant „Refugees are welcome here“ wahrgenommen haben. Ich bin nicht sicher, aber ich glaube, ein Mensch ist daraufhin auch spontan mit uns mitgelaufen.
Ein Buddy erzählte von einer längeren Interaktion mit zwei Frauen, die in der Nähe unserer Zwischenkundgebung ihr Mittagessen aßen. Erst durch das von uns gesuchte Gespräch checkten sie, dass wir eine linke Demo sind. O-Ton: „Wir dachten schon, ihr seid die Nazis, die hier wieder durchmarschieren, darauf hätten wir jetzt gar keinen Bock“. Es ging dann darum, warum wir so auftreten, warum wir schwarz gekleidet sind, es fiel auf jeden Fall das Wort „furchteinflößend“. Highligt und die süßeste Interaktion war mit einer alten Frau auf dem Balkon im Hochparterre, zu der ich extra hochgehopst bin und ihr einen Zettel hochgereicht habe. Sie sagte: „Wenn ich nicht am Sauerstoffgerät hängen würde, wäre ich auch mitgelaufen.“
Natürlich hing die Stimmung drumherum auch sehr davon ab, was die Demo gerade aussagte oder ausstrahlte. Bei mackrigen Sprüchen und auch den klassischen „Alertas“ war mein Opener beim Herantreten an Passant*innen: „Wir haben auch Inhalte.“
Was es schwer gemacht hat, war als wir auf dem Rückweg am belebtesten Ort, der zum Flyern am Besten gewesen wäre, vorbei gekommen sind: Gerade da wurde „Schießt den Nazis in die Hoden“ und irgendwas mit Selbstjustiz skandiert. Danach noch Leute ansprechen und erreichen? Fehlanzeige.
Im Allgemeinen waren Reaktionen auf das Flyern neutral bis positiv. Angesprochen zu werden kann ein Gefühl der Beklemmung bei irritierten Passant*innen schnell auflösen. Und obwohl jede Form des Skandierens sicher seine Daseinsberechtigung hat, war ich frustriert. Darüber, dass wie immer die lautesten Stimmorgane den Ton angaben, darüber das nur militante Anti-Nazi-Sprüche gut angenommen wurden – feministische weniger, genauso wie solche, die als nicht radikal genug wahrgnommen werden, weil es halt mal „nur“ um Mieten- oder Sozialpolitik geht.(Was im schlimmsten Fall noch eine breitere Masse ansprechen könnte!) Denn auch wenn ich von Parteienpolitik nicht viel halte, kann man sich doch immmerhin von der KPÖ abgucken, dass wir nicht nur Politik von Linken für Linke machen wollen.
Obwohl wir als linke 1. Mai-Demo hier noch viel mehr Inhalte auf die Straße hätten tragen können, die vielleicht ein paar vom Kapitalismus abgefuckte Mitmenschen in Gera sogar abgeholt hätten, wirkten wir am Ende eben doch nur wie die klassische Antifa-Gegendemo: Nur ganz ohne anlassgebende Nazikundgebung. Es war kein schlechter Tag, eine kraftvolle Demo und alle sind gut davongekommen – Bei der revolutionären ersten Mai Demo meiner Träume muss man Passant*innen aber nicht zusätzlich noch versichern, dass wir auch Inhalte und Ideen für diese Gesellschaft haben und keine Nazis sind, sondern transportiert das von selbst.
Es ist lässt auch mein Herz etwas höher schlagen, wenn eine Demo auch mal subkultig ist und uns ein kollektives Gefühl von Stärke gibt – Aber radikale Ästhetik und mackeriges Auftreten nur als Selbstzweck find ich auch einfach nicht mehr so sexy wie noch vor ein paar Jahren.
Anmerkung zum Flyer: Der Inhalt des Flyers richtet sich klar an Menschen außerhalb der Szene. Uns ist klar, das der Spagat zwischen verständlicher Wortwahl und unterkomplexer Analyse schwer ohne die ein oder andere Zerrung machbar ist.