100 Jahre Rote Hilfe – Feier in Erfurt: füreinander da sein

Am 13.12.2024 wurde in Erfurt mit einer fetten Feier und Genoss:innen von Nah und Fern das 100-jährige Bestehen der Roten Hilfe zelebriert. Bei der Eröffnung mit Sekt, Gesang und Festreden sprach auch ein:e Antifaschist:in und Aktivist:in, die im Nachgang des 1. Mai 2023 in Gera von einer Hausdurchsuchung und anhaltender Repression betroffen ist.

„Wir alle machen in unserer politischen Arbeit immer wieder strategische Abwägungen. Zum Beispiel: Möchte ich öffentliche Anlaufpunkte in der Szene schaffen, um für neue Leute zugänglich zu sein oder möchte ich in einer klandestinen, geschlossenen Gruppe agieren? Oder trete ich recht öffentlich als Teil einer autonomen Szene auf, indem ich zum Beispiel Moderationsaufgaben übernehme oder Redebeiträge halte oder versuche ich möglichst unsichtbar zu agieren, um auch militantere Aktionsformen wählen zu können?
Ich glaube in solchen Überlegungen spielt eine Abwägung von potenzieller Repressionswahrscheinlichkeit immer eine Rolle. Inzwischen ist allerdings klar, dass wir, egal wofür wir uns entscheiden, immer damit rechnen müssen, dass die Repression auch uns treffen kann. Und das heißt nicht, dass wir nicht schauen sollten, was wir öffentlich und was lieber verdeckter machen, sondern, dass wir als gesamte Szene, ganz egal wofür wir uns entscheiden, damit einen Umgang finden müssen, dass Repression zwar einzelne trifft, aber uns alle meint.
Und dass ich hier heute etwas sage, spiegelt genau diese Willkürlichkeit wider. Denn jede andere Person, die am 1. Mai in Gera einfach nur an einer Demo teilnehmen wollte, hätte in diesen absolut überzogenen Kessel kommen können, im Nachhinein von einer Hausdurchsuchung betroffen sein können und jetzt seine Anklageschrift zu Hause liegen haben können. Und genau das ist ja auch das Gruselige. Meine Genoss:innen und Freund:innen waren nach meiner Hausdurchsuchung ähnlich fertig wie ich. Alle haben die Tage danach schlecht geschlafen, waren irgendwie paranoid oder gestresst. Denn, dass es mich getroffen hat, heißt auch, dass es alle anderen treffen kann.
Und darauf mit „Wir lassen uns nicht brechen“ und „jetzt erst recht“ zu reagieren, ist leider einfach zu kurzgefasst. Denn die Repression wirkt und darüber müssen wir reden.
Wenn ich morgens um 6 Uhr davon aufwache, dass meine Tür eingetreten wird und 16 vermummte Bullen in meine Wohnung rennen, dann macht mir das verdammt nochmal Angst. Und wenn ich nicht mehr allein sein kann, nicht mehr schlafen kann, weil mir bei jeder Klingel, jeder zugeschlagenen Auto- oder Haustür das Herz absurd stark pocht, dann fühlt sich das richtig beschissen an.
Und es ist zwar schön, danach öffentlich zu zeigen: „ihr kriegt uns nicht klein“, aber noch viel wichtiger ist es doch, dass wir füreinander da sind. Wenn nämlich nach meiner Wohnung noch der Keller durchsucht wird, ich dann mit einem Dutzend Bullen in den Hausflur komme und dort Genoss:innen (unteranderem von der Roten Hilfe) auf der Treppe sitzen, fühl ich mich schlagartig nicht mehr ganz so scheiße.
Ich hatte allerdings auch großes Glück, dass sie dort saßen, denn eine Nachbarin und Genossin hat ihnen Bescheid gesagt und einen Anwalt organisiert. Ich weiß, das Glück haben nicht alle und auch ich würde mich nicht darauf verlassen wollen, dass diese eine Nachbarin immer da ist. Aber ich glaube, wir können uns zumindest gemeinsam auf solche Situationen vorbereiten und dafür sorgen, dass wir sie besser durchstehen.
Das heißt, dass wir uns in unseren Politgruppen, Freund*innenkreisen, Wohnkontexten oder auch Familien darüber unterhalten müssen, wie wir füreinander da sein können, wenn’s knallt. Das heißt, auch konkret und konsequent durchzusprechen, was wann passieren soll, also wer wen anruft oder wer sich um was kümmert, wenn es bei uns Hausdurchsuchungen gibt, wir in den Knast gehen oder eine Zeit lang verschwinden müssen.
Und dass wir als Szene wissen, was wir tun „wenn’s brennt“, verdanken wir zu einem großen Teil der Roten Hilfe. Denn das, was ihr als Rote Hilfe macht, ist gelebte Solidarität, auf der wir uns auf jeden Fall nicht ausruhen sollten, für die allerdings, auch hier im Raum, glaube ich ganz ganz viele Leute super dankbar sind. Also danke, dass ihr, als Rote Hilfe, so ein großer Teil von jedem Anti-Rep-Support-Netz seid und diese immens wichtige Arbeit leistet.
Von daher, ein Hoch auf die Solidarität, ein Hoch auf die Rote Hilfe, lasst uns fleißig spenden und einen schönen Abend haben!“

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