Obwohl sie nie aufgelöst wurde, war die queer-feministische Gruppe wi(e)derdienatur schon mehr als zehn Jahre nicht mehr aktiv. Ein neues Interesse an Bewegungsgeschichte bewog Madame Yvette dazu, über die Gruppe zu schreiben.
Die Stimmung war klar: „Damals“ muss hier in Erfurt mehr los gewesen sein. Aber dachten wir das einst nicht auch und nahmen dies als Anlass, mal wieder mehr los sein zu lassen? Und auch wir waren wohl unzufrieden mit der Entwicklung. Der Kommerzialisierung des Christopher-Street-Day, der Vereinnahmung der lange Zeit als unnormal bis hin zu pervers angesehen Begehrensformen durch Homo-Ehe und neoliberale Strömungen in der Arbeitswelt, der Normalisierung, der Glättung…
Hatten wir nicht das Vorbild einer Community, deren Stärke eher in der Abgrenzung und Hervorhebung ihres Andersseins bestand? War nicht auch schon 2007, als sich die Gruppe als Auftakt ein Selbstverständnis gab, die Idee von einer Community überholt? Von welcher Community konnte zu diesem Zeitpunkt eigentlich noch geredet werden? Der Schwulen, der Lesbischen, der Schwullesbischen, der Schwullesbischen und Friends, der Schwullesbischen, Friends und Trans? Der Begriff des Queeren kam zu der Zeit hierzulande erst an, die ersten Semester der Queer-Studies begannen an den Unis, mit Judith Butler als Kerninhalt. Der Schritt zum Queer-Feminismus wurde notwendig, da mal wieder alte binäre Rollenmuster einrollten. Queer-Studies wurde vorwiegend von hetero-begehrenden Frauisierten oder hippen cis-Typisierten belegt, queere Politik wenn überhaupt von neoliberalen oder konservativen Typen gestaltet, Transmenschen waren kaum sichtbar.
Eine Begebenheit, wohl um 2012, zeigte uns die Notwendigkeiten des Queer-Feminismus und dessen Abgrenzung zum Radikalfeminismus wohl auf, als wi(e)derdienatur von zwei Radikalfeministinnen eingeladen wurde und im Gespräch einer anwesenden Transfrau das Frausein abgesprochen wurde, da sie ja einen Schwanz hätte und somit Vertreterin des Patriarchats sei. Jedenfalls endete diese Begegnung in dem Sinne friedlich, dass wi(e)derdienatur zum Gehen aufgefordert wurde. Ein weitergehender Kompromiss kam nicht zustande.
Um an dieser Stelle auf die Problematik der erwähnten Queer-Politics zurückzugreifen. Begonnen hat wi(e)derdienatur in den Räumen des RedRoxx, wo sich einige Leute als AG Queer gefunden hatten. Allerdings war da wohl nicht viel los, sodass daraus relativ schnell jene widernatürliche Gruppe entstand, die sich fortan und mit einem radikaleren Anspruch stilecht im Besetzten Haus auf dem ehemaligen Topf&Söhne-Gelände traf, um zum Beispiel 2007 einen ersten öffentlichen Auftritt in Form einer performativen Lesung „Zwei sind zwei zuviel“ bei Radio F.R.E.I. zu planen. Im Kern ging es um Kritik an romantischen Zweierbeziehungen. Eigentlich kein neues Thema, wurde dieses auch schon in den Jahren zuvor innerhalb der autonomen linken Hausbesetzerinnen-Szene verhandelt, die zu diesem Zeitpunkt sich im Wesentlichen „nur“ noch auf ein besetztes Objekt konzentrierte. Das Problem dieser Szene war nun, dass sie zwar politisch aktiv war, jedoch entgegen diverser Erwartungen fast ausschließlich heteronormativ lebte und es anders begehrende Menschen innerhalb dieser nicht sehr einfach hatten und auch schon mal Diskriminierungen erfahren mussten, auf welche – zumindest wenn sie denn auf Veranstaltungen vorkamen – entsprechend reagiert wurde. So gesehen der kleine Anfang einer Party-Awareness. Im Gegensatz dazu war die aktive schwullesbische-and-friends-Community sexpositiv aber nicht unbedingt aktiv politisch agierend.
Ein Dilemma, das wi(e)derdienatur zum Anlass nehmen sollte, zusammen mit dem männlich dominierten örtlichen Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) 2008 einen sich (wieder) politisch verstehenden CSD mitzuorganisieren, auch noch in diesem Jahr im Besetzten Haus ihren ersten Polyfantasiaball poltern zu lassen, um dann in 2009 sicherlich nicht ganz unzufrieden zu sein, dass bei der CSD-Demo ungefähr 1000 Menschen ihrerseits sichtbar unzufrieden durch Erfurt zogen und auf die im April stattgefundene Räumung des Topf&Söhne-Geländes aufmerksam machten, um klar zu machen, dass dies eben auch sie betrifft. Der einzige CSD in Erfurt mit einem schwarzen (Antifa-)Block wohlgemerkt! Noch in den Vorgesprächen mit dem Ordnungsamt waren die städtischen Vertreterinnen sehr besorgt und – in ihrer Annahme, dass die CSD-Leute alle ganz brav seien, so wie bisher – die Anmelderinnen darauf ansprachen, ob sie denn wüssten, mit wem sie da demonstrieren wollen. Doch die LSVD-Menschen als Demo-Anmelderinnen hatten durch den ersten Polyfantasiaball wohl genug Input bekommen, um diesen Anmachversuchen standzuhalten und sich nicht einschüchtern zu lassen.
Aber auch bei der zeitgleich stattfindenden Polyfantasiawoche (im Alten Innenministerium am Kaffeetrichter) versuchten es die Stadtschergen mit Repression, als ein stattliches Bullenaufgebot auftauchte, um die vermeintlichen Besetzerinnen mal unter die Lupe zu nehmen. An dieser Stelle reichte die Veröffentlichung dieser Schikane, um diese zu beenden. Über den Verbleib der dabei aufgenommenen Personalien ist bis heute nichts bekannt. Kleine Randnotiz: Immerhin konnten Genossinnen in den Jahren davor schon erfolgreich und nach vielen Anhörungen im Landtag durchsetzen, dass die über Jahrzehnte erhobene und fortgeführte Datenspeicherung der Bullen zum Begriff “homosex” auch in Thüringen beendet wurde.
Die rasche Einstellung der Repression gegen die widernatürlichen und anderen Gäste hatte aus unserer Sicht wohl den Hintergrund, dass die Stadt Erfurt den CSD immer noch ein für das Image dienliches Event hielt und hält, welches im besten Fall der Stadt ein paar Einnahmen mehr beschert. Dazu gehört auch das öffentlichkeitswirksame Hissen der Regenbogenflagge vor dem Rathaus. In 2009 schon durch den Punks-, Obdachlosen- und Hausbesetzerinnenvertreiber und mittlerweile ehemaligen OB Andreas Bausewein vollzogen. Begleitet durch eine Charme- bzw. Scham-Offensive, als dieser umarmt von zwei Punks ganz rot im Gesicht wurde und seine beiden typisierten Bodyguards (!) zurückhalten musste, als besagte Punks auf ihren Lohngeber zugerannt kamen. In der örtlichen Gazette wurde dieser Vorfall mit einem Foto festgehalten und mit einem normalisierenden Kommentar versehen. Dass einige der Demo-Teilnehmenden noch zuvor das leerstehende Keglerheim bei der Thüringenhalle besetzt hatten, die Bausewein als unvernünftige Jugendliche unmündig machen wollte, dass Wochen zuvor etwa fünfzig Punks hinter der Krämerbrücke aufgrund eines unrechtmäßigen Alkoholverbots – dem Steckenpferd B(r)auseweins – stundenlang von Bullen gekesselt wurden, scheinbar vergessen vor dem Hintergrund eines regenbogenbeflaggten Rathauses. In diesem fand auch 2009 der CSD-Empfang mit Sekt und Häppchen statt, zu dem auch schon 2008 ein paar „dreckige Punks“ gesichtet wurden. Die mal eben das Buffet nutzten, um ihren Hunger zu stillen.
In diesem Sinne und in Erinnerungen schwelgend,
Eure Querulantin Madame Yvette.