Kritik der Kritik der Konsumkritik

Früher gehörte Konsumkritik zum guten Ton unter Linken. Das hat manchmal ganz schön genervt, war aber immer noch besser als eine naive Auffassung von Konsum als Emanzipation – findet Karl Meyerbeer und wünscht sich die gute alte Konsumkritik zurück.

Den jüngeren Leser*innen dieser Zeitschrift wird nicht ganz präsent sein, was es mit linker Konsumkritik überhaupt auf sich hatte. Daher will ich den Text mit etwas Aufklärung über finstere Zeiten beginnen: Vor der Wende war man als Linker gegen Konsum. Aus dem Gedanken, eine gewisse Mitverantwortung für den immensen Ressourcenverbrauch der kapitalistischen Gesellschaft (die man auch Konsumgesellschaft nannte) zu tragen, folgte, dass man sich beim Konsum zurückhalten sollte. Und natürlich hat das zu Absonderlichkeiten geführt: Ich erinnere mich an eine Handvoll junger Menschen, die in einem Autonomen Zentrum um ein Blech ungewürztes und halbgares Gemüse saßen und sich gegenseitig immer wieder darin bestätigten, wie lecker das doch sei. Oder, schlimmer, an einen Alternativ-Papa, der stellvertretend für sein Kind ein Nutellabrot zurückwies: „Wir essen so was nicht.“ Denn, dritte Anekdote, „so viele Zwischenmahlzeiten“ wie man zu sich nimmt, wenn man Tee oder Kaffee zuckert, sind ganz doll ungesund. Oder schlecht. Oder böse. Will meinen: Die gute alte Konsumkritik hat schon manchmal ganz schön genervt!
Nun sind radikal Linke oft Leute, die aus Prinzip dagegen sind – und zwar nicht nur gegen das, was in der Mehrheitsgesellschaft für normal gilt, sondern auch und oft ganz besonders gegen szeneinterne Normen. In Abgrenzung zur Konsumkritik gab es daher immer schon die Attitüde, mit Bratwurst bei der veganen Küfa vorbei zu schauen oder beim Bundeskongress Internationalismus mal schnell rüber zu McDonalds zu laufen. Das hatte tlw. kulinarische Gründe: Der Reis mit Scheiß beim BuKo war wirklich fürchterlich, der White Russian mit chemischem Sahnerersatz eine Zumutung. Aber mindestens genauso wichtig war die Lust am Tabubruch und die damit einhergehende Selbstbestätigung, die anderen Linken links zu überholen.
Die theoretische Begründung dafür war ähnlich dürftig wie der Genuss, den wir uns bei McDonalds abgeholt haben: Weil der Kapitalismus ein totales System apersonaler Herrschaft ist (richtig), sei jedes Handeln innerhalb der Verhältnisse belanglos (verkehrt). Was dann teilweise in eine Umkehr der moralistischen Verkürzungen der Konsumkritik umgeschlagen ist, wenn z.B. der rechte Flügel der 2000er-Jahre-Antideutschen den Veganismus als tendenziell menschenfeindliche Ideologie kritisiert (richtig), den exzessiven Fleischkonsum als Befreiung verklärt haben (verkehrt).
Und da sind wir, scheint mir, heute: Die Konsumkritik ist eigentlich nur noch als Strohmann unterwegs, will meinen: Linke, die ernsthaft meinen, es sei ein politisch bedeutsames Anliegen, alle Welt davon zu überzeugen, weniger zu kaufen, zu essen, zu trinken, gibt es quasi nicht mehr. Stattdessen kann man Konsumkritik heute konsumieren: Das Retten von Nahrungsmitteln und alten Klamotten ist eine Dienstleistung, die man sich per App oder in schicken Läden in der Innenstadt holt – wenn man es sich leisten kann. Und kein Mensch glaubt, damit die Welt zu retten. Nur die Kritik der Konsumkritik ist noch da und arbeitet sich an einem nicht mehr vorhandenen Gegner ab.
Vergessen wurde bei dieser Wellenbewegung die einfache Wahrheit, dass kapitalistische Herrschaft sich unter Anderem darin äußert, dass die Warenproduzent*innen keine Verfügungsgewalt darüber haben, was und wie produziert wird, also auch jede Menge Zeug produzieren, das gesamtgesellschaftlich gesehen die Welt nicht schöner macht, sondern die Bedingungen der Kapitalverwertung optimiert und für alle Beteiligten eine Zumutung ist. Womit wir schon bei McDonalds wären, wo das Essen ja nicht unter der Maßgabe hergestellt wird, besonders lecker zu sein, sondern wo möglichst schnell und standardisiert was halbwegs essbares auf den Tisch gebracht werden soll. Was nur um den Preis überausgebeuteter Beschäftigter, weltweiter Transportketten und eines dürftigen Geschmacks (ohne Ecken und Kanten, so nivelliert wie das Gedudel bei Antenne Thüringen) zu haben ist.
Noch unmittelbarer gegen die eigenen Interessen richtet sich der individuelle Konsum, wenn die gesell­schaft­lichen Standards sich so verschieben, dass Produkte allgemein üblich werden, die auf dem Einkommensniveau Bessergestellter das Leben einfacher machen, sich für den größten Teil der Bevölkerung aber nicht lohnen. Also mal konkret: Wenn ein reicher Schnösel durch sein obergeiles Smartphone für 1.200€ zehn Minuten am Tag spart, dann haben sich bei seinem Stundenlohn die Anschaffungskosten in wenigen Wochen amortisiert. Kaufen sich die, die zum Mindestlohn in der Kneipe buckeln, dasselbe Teil, ist das unvernünftig, weil sie, um zehn Minuten am Tag zu sparen, täglich eine halbe Stunde länger arbeiten müssen. Soviel zum Märchen, Konsum wäre Befreiung – die ergibt nur als Polemik gegen die naive Konsumkritik vergangener Zeiten Sinn.
Deswegen wünsche ich mir eine entspannte Konsumkritik, die nicht rigide und moralistisch funktioniert, also nicht aus einer abstrakten Maxime („Du sollst nicht konsumieren!“) heraus Verzicht predigt, sondern bei Konsumentscheidungen mitdenkt, welche Konsequenzen die Produktion bestimmter Waren hat – und zwar sowohl für’s eigene Leben als auch für Andere und für den Zustand der Gesellschaft. Für mich kommt da raus, dass Nutellabrötchen (gerade mal für Kinder) drin sein müssen, Produkte, die nur mit irrem Ressourcenverbrauch und krassester Ausbeutung möglich sind, halt eben nicht. Denn am Ende ist viel von dem stofflichen Reichtum, den der Kapitalismus so anbietet, eben doch Kompensation dafür, dass wir zu einem fremdbestimmten Leben in Ausbeutung verdammt sind. Dem gegenüber die Freiheitsgrade zu optimieren, kollektiv mehr Verfügungsgewalt über den gesellschaftlichen Rahmen zu erheischen geht nicht, indem wir mehr konsumieren und dadurch mehr arbeiten, sondern in dem wir nach Wegen suchen, mit weniger Konsum und weniger Arbeit Bedürfnisse zu erfüllen.

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