Niemand hat die Absicht, ein Bußgeld für eine Abschiebeblockade zu zahlen

Ein:e von vielen Aktivist:innen verteidigt sich im August 2024 vor dem Amtsgericht Arnstadt gegen ein Bußgeld wegen einer blockierten Abschiebung – erfolgreich. Die Abschiebung wurde verhindert, das Verfahren endet mit Freispruch. Zur Verunsicherung und Strapaze der Behörden wurde der Prozess politisch geführt. Die Prozesserklärung der beschuldigten Person hier das erste mal zum Nachlesen, exklusiv aus dem Gerichtssaal – nicht mal die Gerichtsschreiberin bekam es zu Protokoll! Von Nono Borderborder vom Solikreis Arnstadt.

In der Nacht auf den 1. Juni 2023 haben sich 60 solidarische Menschen vor dem Haus einer Person in Arnstadt versammelt, um gegen ihre drohende Abschiebung zu protestieren. Letztlich wurde die Abschiebung nicht durchgeführt.
Jede Abschiebung ist ein Verbrechen – sie zu verhindern nicht. Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu entscheiden, wo und wie er oder sie leben will. Bewegungsfreiheit muss für alle Menschen gleich gelten.
Am 1. Juni 2023 sollte ein Mensch von Polizei und Ausländerbehörde nach Bulgarien abgeschoben werden, von wo aus ihm eine Kettenabschiebung nach Syrien – und somit in den Tod – gedroht hätte. Vor diesem Hintergrund findet nun hier dieses Bußgeldverfahren statt. Mir und vielen anderen wird vorgeworfen, uns nicht von dem Ort des Protests gegen diese Abschiebung entfernt zu haben.

Was Abschiebungen für Betroffene bedeuten

Abschiebungen selbst und die Angst vor einer drohenden Abschiebung haben unvorstellbare Auswirkungen auf die Betroffenen. Neben Existenzkämpfen und gravierenden psychischen Folgen, kann eine Abschiebung große Gefahr, nicht selten sogar den Tod bedeuten. Etwa wenn Menschen im Herkunftsland Verfolgung, Gewalt, Krieg droht – wie es im Bürgerkriegsland Syrien der Fall ist. Doch auch Abschiebungen in europäische Staaten wie Bulgarien brechen Menschenrecht. Dort erwartet Schutzsuchende kein faires Asylverfahren. Stattdessen gibt es immer wieder Zeugnisse von Polizeigewalt gegen Geflüchtete, von unmenschlicher und entwürdigender Behandlung. Menschen werden in Baracken, die als inoffizielle Haftlager dienen, festgehalten – oder sie werden direkt an der Grenze durch gewaltsame Pushbacks zurückgedrängt. Solche Menschenrechtsbrüche sind von Organisationen und Journalist:innen zahlreich dokumentiert.
Aber schon die Angst vor einer möglichen Abschiebung alleine stellt eine große Belastung für Betroffene dar. Isolation, Schlafstörungen und Panikattacken sind nur einige der möglichen Folgen. Abschiebungen können zu jeder Tages- und Nachtzeit stattfinden, unter Einsatz von Gewalt, um fast jeden Preis. Es trifft alle, auch alte und kranke Menschen, Schüler:innen, die aus der Schule und Arbeitnehmer:innen, die vom Arbeitsplatz weggeholt werden. Menschen werden nachts aus den Betten geholt und an Orte gebracht, die sie aus guten Gründen verlassen haben. Schwangere Frauen oder werdende Väter werden abgeschoben, das Kindeswohl wird missachtet, Familien und Freund:innen getrennt. In Arnstadt sprang laut Zeug:innen ein Familienmitglied bei einem vorausgegangenen Abschiebeversuch in derselben Familie aus dem Fenster, weil die Angst vor der Abschiebung so groß war.
Abschiebungen sind Ausdruck eines rassistischen und menschenverachtenden Systems. Krieg, Verteilungs- kämpfe und Naturzerstörung sind Folgen von Kapitalismus und neokolonialer Ausbeutung. Menschen, die sich auf den Weg in ein besseres Leben machen und vor Krieg, Diskriminierung, Hunger, Ausbeutung oder Perspektivlosigkeit fliehen, haben Schutz und Solidarität verdient.

Abschiebungen lösen keine Probleme

Doch die Bundesregierung und die EU-Staaten antworten stets mit mehr Repression und Abschottung. Rassistische Forderungen nach mehr Abschiebungen und immer härterer Abschottung sind längst mehrheitsfähig. 2018 bezeichnete Horst Seehofer Migration als die „Mutter aller politischen Probleme“, was vielleicht noch auf verhaltene Empörung stieß. Fünf Jahre später prangt Olaf Scholz auf dem Spiegelcover, verkündet „Wir müssen endlich im großen Stil abschieben“ – und bekommt dafür Applaus.
Für die aktuellen gesellschaftlichen Herausforderungen und Krisen, vor denen wir stehen, sind Abschiebungen aber keine Lösung. Denn: Abschiebungen bauen keine Schulen. Abschiebungen sorgen nicht für eine frühe und wohlverdiente Rente. Abschiebungen heben nicht den Mindestlohn. Abschiebungen helfen nicht gegen Frust und Deprimiertheit. Statt soziale Politik zu machen und für gerechte Verteilung zu sorgen, versucht man, Migration zu verhindern und das Menschenrecht auf Asyl wird durch die Hintertür abgeschafft. Abschottung und Abschiebung werden als Allheilmittel für jegliche politische Krise verkauft.

Rassistische deutsche Gesetzgebung

Nach dem ein sogenanntes Geheimtreffen von AfD, CDU, Identitären und ihren Freund:innen publik wurde, gingen Anfang des Jahres Hunderttausende empört gegen rechtsextreme Deportationspläne auf die Straße. Ein wichtiges Zeichen. Im Schatten der Empörung beschloss der Bundestag zeitgleich das unsägliche „Rückführungs- verbesserungsgesetz“, das in der Bevölkerung schulterzuckend bis dankend angenommen wurde. Das Gesetz verschärft Abschiebungen, Abschiebehaft und Ausreisegewahrsam, es bricht mit dem Recht auf Privatsphäre von Menschen in Gemeinschaftsunterkünften, es vereinfacht nächtliche, überfallartige Abschiebungen. Auch zivile Seenotrettung wird darin unterschwellig kriminalisiert. Während also jährlich tausende Menschen auf dem Weg nach Europa im Mittelmeer verschwinden und sterben, ermöglicht dieses neue deutsche Gesetz, Menschen zu bestrafen, die Menschen vor dem Ertrinken retten.

Entrechtung auf europäischer Ebene

In ganz Europa geht die Entrechtung von Menschen auf der Flucht mit großen Schritten voran: Die EU-Staaten kriminalisieren und schikanieren zivile Seenotretter:innen fortwährend, Polizei und Frontex drängen Migrant:innen an den Außengrenzen durch illegale Pushbacks zurück, in Lagern an den EU-Außengrenzen herrschen menschenunwürdige Bedingungen.
Die bereits beschlossene Reform des europäischen Asylsystems GEAS wird all das noch schlimmer machen: Angekommene Menschen werden regulär in Grenzlagern inhaftiert, in denen sie offiziell als „nicht eingereist“ gelten und aus denen sie so möglichst schnell wieder abgeschoben werden können. Schutzsuchende können in Drittstaaten abgeschoben werden, die sie nie zuvor betreten haben. Das individuelle Menschenrecht auf Asyl wird ausgehebelt.
Die GEAS-Reform legalisiert Unrecht, das „Rückführungsverbesserungsgesetz“ legalisiert Unrecht. Sie sind Sinnbilder dafür, wie Schutzsuchende zunehmend kriminalisiert und drangsaliert statt geschützt werden. Rechte Diskurse und rassistische Überzeugungen bestimmen aktuell das Reden und Handeln in der Migrationspolitik. Der vermeintliche „Schutz“ von Grenzen und vom eigenen Wohlstand wird über den Wert von Menschenleben gestellt. Europa, Bund und Länder überbieten sich in einem beängstigenden Eifer damit, immer repressivere Bedingungen für Menschen auf der Flucht zu schaffen – mehr abzuschotten, mehr zu entrechten, mehr abzuschieben.

Solidarität muss praktisch werden

Auf all dies müssen wir mit konkreter Solidarität antworten. Es braucht Menschen, die diesem rassistischen Festungskapitalismus etwas entgegensetzen. Abschottung und Abschiebung sind Gewalt. Abschottung und Abschiebung sind Verbrechen, sie sind Unrecht. Sich Abschiebungen zu entziehen, sich ihnen entgegen zu stellen oder sie zu verhindern, sind es hingegen nicht.
Womit wir zurück nach Arnstadt kommen: Sich der Abschiebung eines Menschen laut oder leise entgegen zu stellen, kann und darf nicht falsch sein. Wenn ein Mensch seinem Zuhause entrissen werden soll, sollte der Protest dagegen vielmehr unser aller Pflicht sein.
Mir liegt also fern, das Bußgeld für einen solchen Vorwurf einfach stillschweigend anzunehmen. Abgesehen davon wurden die Menschen, die letztes Jahr in Arnstadt gegen den Abschiebungsversuch protestierten, in der besagten Nacht bereits unverhältnismäßig repressiv, herabwürdigend, teils brutal und strafend von der Polizei behandelt. Abgesehen davon, dass ihr Ziel – die Abschiebung durchzuführen – einfach falsch war, war das Ausmaß des riesigen Polizeieinsatzes, nur um protestierende Menschen zu räumen, höchst fragwürdig.
In Anbetracht der gegenwärtigen politischen Zustände gilt umso mehr: Solidarität darf nicht bestraft werden. Ich hoffe, dass auch der Protest draußen vor dem Gericht das unterstreicht. Ich bin dankbar für die Menschen, die in der Nacht des 1. Juni 2023 da waren, um einem Menschen in einer akuten Notlage beizustehen und gegen Unrecht zu protestieren – und letztendlich sogar tatsächlich eine Abschiebung verhindern konnten.
Ich hoffe, dass Menschen darin bestärkt werden, sich Rassismus, Unrecht, Abschiebung entschlossen entgegenzustellen, dass sie gerade in diesen Zeiten den Mut fassen, ihre Nachbar:innen, Freund:innen und Kolleg:innen nicht allein zu lassen, sollten mal Polizei und Ausländerbehörde an ihre Tür hämmern und sie mitnehmen wollen.
Ich sitze hier heute also nicht nur, weil ich mich rechtlich gegen das Bußgeld wehren will. Sondern auch, um meine Solidarität zu zeigen mit allen Menschen, die gegen Abschiebung und für Bewegungsfreiheit kämpfen und dafür oft noch viel stärkeren staatlichen Repressionen ausgesetzt sind. Und vor allem gilt meine Solidarität all denjenigen Menschen, die von der europäischen Abschottungspolitik betroffen sind, die gegen ihre eigene Abschiebung und gegen die Angst ankämpfen. Ihr seid nicht allein.
Nochmal mit aller Deutlichkeit: Jede Abschiebung ist ein Verbrechen – sie zu verhindern nicht!
Mic drop. Weitere Menschen werden sich noch vor Gericht gegen diese Repression wehren. Sie werden dabei nicht alleine sein. Fortsetzung folgt.

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