Die politischen Entwicklungen in der Thüringer Landespolitik reihen sich ein in den weltweiten Rechtsruck. Aus einem nicht mehr enden wollenden Fiebertraum berichtet Ox Y. Moron.
Die Landtagswahl in Thüringen endete mit dem erwartbar beschissenen Ergebnis, das Umfragen seit Monaten bereits prophezeit hatten. Erstmals landete in einem deutschen Bundesland die AfD auf Platz 1 und das mit deutlichem Abstand. Dahinter folgte nicht etwa Ramelows Linkspartei, sondern CDU und BSW. Dass die Linkspartei immerhin noch bei 13% landete (ein Minus von 17% zur Wahl davor), verdankt sie einzig und allein dem Ministerpräsidentenbonus Ramelows. Ohne das Zugpferd Ramelow wäre sie wie die Genossinnen und Genossen in Brandenburg (rausgeflogen) und Sachsen (eine Grundmandatsklausel sicherte einige wenige Mandate) in der Bedeutungslosigkeit verschwunden.
Gesiegt haben also die Parteien, die sich seit Monaten ein Rattenrennen um die schäbigste Migrationspolitik geliefert hatten und die, flankiert von einer begierig aufnehmenden Medienlandschaft, das Thema Migration wie einst Horst Seehofer zur „Mutter aller Probleme“ erklärten. Und das in Thüringen, wo man außerhalb der Einzugsgebiete von Erstaufnahmestellen, Massenunterkünften und den Distributionszentren der Warenlogistik wenig von Migration sehen kann. Anders verhält es sich mit den sehr wohl wahrnehmbaren Auswirkungen der globalen Klimakrise oder des Inflationsschocks von 2022ff. Die Kernbotschaften des politischen Wettbewerbs lauteten trotzdem seit Monden: Ausländer abschieben ohne Skrupel (CDU), Ausländer abschieben mit Skrupel (SPD), Ausländer abschieben mit „Links“ (BSW) oder: Warum nicht gleich erschießen? (AfD). Länderthemen waren im Landtagswahlkampf Nebensache oder Teil der in die ostdeutsche Niedertracht herabgesunkenen Erzählung, wonach endlich mal wieder „Normalität“ gegen den linksgrünversifften Mainstream herzustellen sei (z.B.: „Rechnen statt Gendern“ – BSW).
Dieses Wahlergebnis wurde in jeder Facette dem rechten Shithole Thüringen gerecht. Nach Jahren des Wunderns, wie in diesem Bundesland eine linke Partei einen Wahlsieg nach dem anderen einfahren konnte, kam der ostdeutsche Wähler wieder zu sich selbst. Die politische Rechte (AfD, CDU & BSW) stellt die drei größten Fraktionen und hält nun eine stabile 2/3-Mehrheit im Landtag. Da wir aber in Thüringen noch eine knappe Legislaturperiode zu früh dran sind, um schon offene Bündnisse zwischen Konservativen (CDU, BSW) und Faschisten (AfD) zu erleben, bedurfte es einer Übergangslösung. Es war die Geburtsstunde der „Brombeere“.
Die Brombeer-Koalition ist ein Bündnis aus CDU, BSW & SPD, das weniger durch die politischen Schnittmengen, die es definitiv gibt, zusammengehalten wird, als durch den unbedingten Willen zur Macht. Eine eigene Mehrheit hat die Koalition nicht. Sie verfügt über 44 der 88 Sitze im Thüringer Landtag. Es ist ein Bündnis, in dem die CDU ihrem Ziel, der Abwahl Bodo Ramelows und der Rückgabe der Exekutivgewalt an den angestammten CDU-Filz, alles unterordnete. Und man machte es ihr nicht schwer. Die härteste Widersacherin innerhalb der künftigen Koalition heißt Sarah Wagenknecht und bereitet vom Saarland aus ihren Wiedereinzug in den Bundestag vor. Doch nach einem Teller Antipasti mit Mario Voigt und etwas innerparteilichem Gezerre gab die Sektenführerin grünes Licht. Die SPD hatte sich in weiser Vorausschau bereits im Zuge der Listenaufstellung der Parteilinken entledigt. So konnte dem Seeheimer Kreis (SPD-Rechte) in Thüringen niemand in die Suppe spucken und Georg Meier darf nochmal fünf Jahre Innenminister bleiben bis die SPD das Schicksal der Grünen zeitigt, die den Sprung in der Landtag verpassten.
Die Stunde des Jochen T.
So verheerend und niederschmetternd die politische Lage auch ist und so dramatisch sie sich für Geflüchtete und sozial Schwache wohl weiter verschlechtern wird – unterhaltsam waren die Vorgänge allemal. Erinnert sei an dieser Stelle an die konstituierende Sitzung des Thüringer Landtages am 26. September 2024. Diese wird traditionell durch den ältesten Abgeordneten formal bis zur Wahl des neuen Landtagspräsidenten geleitet. Und da die AfD an alten weißen Männern ein ganzes Bataillon in den Landtag entsenden durfte, wurde ihr diese Ehre zu teil. Es schlug die Stunde des Jürgen Treutler – ein repräsentatives Exemplar des Südthüringer Wutbürgertums aus Sonneberg. Seine Mission: Der AfD die Landtagspräsidentschaft durch Geschäftsordnungstrickserei sichern. So saß er da mit maximalem Sendungsbewusstsein bei größtmöglicher Ahnungslosigkeit – ein grenzdebiler alter weißer Mann, der kein Wort von dem verstand, was in seinen Regieanweisungen stand, die er aus der Fraktion erhielt und brav vortrug. Die Chaosdebatte endete in der Anrufung des Thüringer Verfassungsgerichtshofes durch die „Brombeere“, die in allen Punkten obsiegte. Gewählt wurde am Ende Thadäus König (CDU), womit die Generalprobe für die neue Regierung gelang.
Die Regierungsbildung
Es dauerte noch sechs holprige Wochen bis zum Koalitionsvertrag und der Wahl Mario Voigts ins Amt des Ministerpräsidenten am 12. Dezember. Somit endete nach zehn Jahren die Ministerpräsidentschaft des einzigen linken Ministerpräsidenten in der Geschichte der Bundesrepublik. Seine Abwahl wurde auch möglich durch mindestens drei ehemalige Abgeordnetenkollegen Ramelows, die in den Monaten vor der Wahl ins BSW übergelaufen sind. Die Ex-Linken-Abgeordneten Sigrid Hupach, Katja Wolf und Tilo Kummer halfen tatkräftig mit, Ramelow durch den CDU-Mann Voigt zu ersetzen. Ansprechen sollte man sie darauf vielleicht lieber nicht, denn bekanntlich hassen Ex-Linke nichts mehr, als ihre eigene bessere Vergangenheit.
Aus dem Brombeer-Kabinett, bestehend aus Karrieristen, Opportunisten und ex-linken Verrätern, sticht einer besonders hervor: Tilo Kummer. Kummer war bis zu seiner Abwahl im Jahr 2023 Bürgermeister von Hildburghausen. Seine damalige Abwahl hatte eine breite Volksfront von Tommy Frencks BZH, der AfD bis zur SPD betrieben. Einzig und allein an der Seite Kummers stand damals: Die Linke. Zum Dank wechselte Kummer bekanntlich kurze Zeit später in Sarah Wagenknechts Egoprojekt. In der neuen Regierung wurde Kummer nun zum Landesminister für Umwelt, Energie, Naturschutz und Forsten ernannt. Es ist ein Treppenwitz der Geschichte. Derselbe Tilo Kummer, den die Thüringer CDU in ihrer Abwahlkampagne 2023 darstellte, als sei er zu dumm, sich die Schuhe zu binden; diesen Tilo Kummer ernennt die CDU nun zum Landesminister. Noch härter kann man nicht daran arbeiten, die verbreitete Politikverdrossenheit in der Gesellschaft mit Tatsachen zu rechtfertigen.
Wie geht’s weiter?
Dass dieses Bündnis über die kommenden fünf Jahre Bestand hat, scheint unwahrscheinlich. Zu groß werden die Fliehkräfte im BSW zwischen den Wagenknecht-Jüngern, denen jeder Psalm der Zarin blinde Gefolgschaft aufnötigt und den moderaten Opportunisten, denen die Gelegenheit recht war, um fünf Jahre als Hinterbänkler im Landtag abzuchillen statt richtig zu arbeiten. Und auch seitens der Merz-CDU gibt es aus dem Berliner Konrad-Adenauer-Haus die ersten Signale, jetzt die klaren schwarz-blau(-gelb)en Mehrheiten zu einer Koalition der Vereinten Rechten zu nutzen. Und wo sollte es beginnen, wenn nicht in Thüringen?
Dass die Zeit gekommen ist, jetzt die Früchte der jahrelang betriebenen rechten Mobilmachung einzufahren, haben zuerst jene Kapitalfraktionen verstanden, die wissen, dass es der Vereinten Rechten nur an erster Stelle um die Entrechtung und Stigmatisierung von Ausländern geht. Am Ausländer wird nur exekutiert, was die Niederlage in der kapitalistischen Konkurrenz für alle subalternen Klassen verheißt. Als nächstes geht es dann gegen die Arbeitslosen und die abhängig Beschäftigten.
Die Forderung des Allianz-CEO, die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall zu schleifen, fällt nicht zufällig in die Zeit des nächsten manifesten Rechtsruck zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025. In Berlin-Brandenburg fordern Unternehmerverbände derweil Feiertage, die in die Woche fallen, auf einen Sonntag zu verlegen, d.h. sie faktisch abzuschaffen, damit die faule Arbeiterschaft es mit ihrer Work-Life-Balance nicht übertreiben kann. In Thüringen, dem Mutterland des Rechtsrucks, fordert Dieter Bauhaus, IHK-Chef der Landeshauptstadt, u.a. Einschränkungen bei der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, Eigenanteile der Versicherten an den Krankenkosten, die Abschaffung der telefonischen Krankschreibung, Einschränkungen im Teilzeitrecht, beim Homeoffice und dem Mutterschutz, denn, so lässt sich Dieter Bauhaus zitieren, „solange trotz Teilzeit mehrere Auslandsurlaube pro Jahr möglich sind, vielleicht dazu noch eine Kur, scheint ja alles in Ordnung zu sein.“ Es geht also darum, die Arbeitsbedingungen zu verschlechtern und soziale Standards abzusenken.
Die Arbeitgeber haben verstanden, dass rechte Mehrheiten es ermöglichen, beim Arbeitsschutz endlich einmal feucht durchzuwischen, die Arbeitskosten zu senken und aus dem variablen Kapital mehr Marge für die Vermögenden raus zu pressen. Möglich macht diesen Klassenkampf von oben ausgerechnet die Arbeitnehmerschaft, die sich mit Hilfe der Wahl rechter Parteien erhofft, mit den Ausländern auch den sozialen Abstieg von sich fern halten zu können.
Einmal mehr war es der leider vor einigen Jahren verstorbene Wolfgang Pohrt, der in einer ähnlichen Stimmungslage (Asylkompromiss 1993) die Disposition der rechten Gefolgschaft auf den Punkt brachte: „Die Leute sehen, wie die Chancen schwinden, daß man selber zu den happy few gehört. Sie ahnen, dass es nicht mehr darum geht, wer verelenden müsse, sondern daß die Alternative alle oder keiner heißt. Sie spüren, daß ihre eigene Sicherheit auf den Prinzipien beruht, deren Aufhebung sie fordern. Deshalb erwarten sie keine Nachgiebigkeit. Zur Entscheidung steht, ob die Verhältnisse den Menschen angepaßt werden müssen, oder ob den bestehenden Verhältnissen die Menschen anzupassen sind, was ihre Verelendung, Vertreibung, Ausweisung bedeutet. Existierte eine Linke, müßte ihre Forderung heißen: Offene Grenzen.“
Diese Linke ist international auf dem Rückzug während die gegenwärtige faschistische Internationale (Trump, Musk, Putin, Milei, Meloni, AfD, uvm.) von einem Sieg zum nächsten eilt, rechte Milliardäre die Sozialen Medien zu Rekrutierungs- und Abrichtungsplattformen des Faschismus umbauen und auf den letzten Posten der Aufklärung noch ein paar Gutmeinende die alten Durchhalteparolen rausgeben, wonach „wir“ mehr seien. Der Fiebertraum geht weiter, denn „lange schon, bevor die Welt wieder mal in Schutt und Asche liegt, führen sich alle auf, als würden sie nichts Besseres verdienen.“ (Wolfgang Pohrt)