Max Unkraut beschäftigt sich in folgendem Artikel mit dem Thema Community Organizing. Der Artikel soll jedoch nicht bloß kritisieren, sondern einen breiteren Einblick in die Praxis für diejenigen gewähren, die sich noch nicht mit dem Thema beschäftigt haben. Teil 2 von 2. 1)
III.
Ich werde nun das im ersten Teil der Textes Vorgelegte zuerst vermittels der Organizing-Theorie von Fritz Karas und Wolfgang Hinte […] kritisieren. Beide vertreten eine emanzipatorische Perspektive in ihrer Praxis: „Es geht tendenziell um ‚Vorwegrealisierungen einer neuen, nicht ausbeuterischen Gesellschaft‘ (Bahr in: Bahr/ Gronemeyer, 1978, S. 9).“ (Hinte/ Karas: Grundprogramm Gruppenarbeit, S. 23 f.) Wenn die beiden hier von ‚Vorwegrealisierungen‘ sprechen, so meinen sie damit die Entwicklung einer konkreten Utopie: „Wir wollen also nicht ‚das System‘ verändern, sondern – schrittweise – das Verhältnis der Menschen untereinander in diesem System, damit sie selbst in die Lage versetzt werden, die Veränderungen ihrer erfahrbaren Lebensbedingungen zu wirken.“ (Ebd., S. 23) […] Dabei legen Hinte/ Karas in ihrer Schrift Grundprogramm Gemeinwesenarbeit ein Konzept vor, das sich zusammengefasst beschreiben lassen könnte als die Herstellung feudaler Verbünde unter modernen Bedingungen […].
Hinte/ Karas bringen im Grunde zwei Kritikpunkte vor […]: Zum einen wird ein mechanistisches Weltbild kritisiert, zum anderen die z.T. integrierende Funktion der Gemeinwesenarbeit (GWA) – wie sie das CO ins Deutsche übersetzen. Erstere beginnt mit der Einsicht, „daß Handeln in Gruppen gar nicht oder höchstens in groben Umrissen planbar ist“, da „Menschen in der Lage sind, selbst über sich und ihr Handeln zu bestimmen“ (ebd., S. 21), also potentiell frei sind. Entsprechend sollen auch die Methoden der GWA kritisiert und verändert werden […]:
„Ein weiterer Punkt, den wir an den Konzepten gängiger Methoden der Gruppenpädagogik und Gruppenarbeit kritisieren, ist ihr sozial-integratives Bemühen: Durch den Einsatz ihrer Methoden werden gesellschaftliche und ökonomische Zusammenhänge verschleiert und zahlreiche Widersprüchlichkeiten und Zwänge in der gesellschaftlich erfahrbaren Praxis mit dem Mäntelchen des ‚Sich-wohl-Fühlens‘ in Gruppen zugedeckt.“ (ebd.)
Damit gemeint seien „[b]esonders die amerikanischen Vertreter der sozialen Gruppenarbeit (und damit auch ihre Anhänger hierzulande)“, die „die Analyse gesellschaftlicher Strukturen und deren Wirkung auf das Handeln und Denken der darin lebenden Menschen.“ (ebd., S. 21 f.) vernachlässigen. Offenbar kritisieren Hinte/ Karas hier das liberale CO nach Alinsky […]
[…] Zudem sei das CO sozial-integrativ und sorge nur fürs Wohlfühlen, indem es die gesellschaftlichen Widersprüche verschleiere. Man könnte hier mit Adorno und Marcuse zustimmend sagen, dass gerade der Konsumismus der (post-)fordistischen Gesellschaft die Leute befriedet, indem hierdurch Triebregungen standardisiert und konformiert werden, mit dem Zweck alle widerständigen Gefühle und Gedanken einzuhegen. […]
In Grundprogramm Gemeinwesenarbeit bestimmen auch Hinte/ Karas dementsprechend diverse Formen der GWA. Sie unterscheiden auf der einen Seite wohlfahrtstaatliche […] und integrative GWA […]; auf der anderen Seite aggressive (sozialistische) […] und konfliktorientierte GWA (Alinsky), die aggressive GWA ohne kommunistisches Fernziel ist. (vgl. ebd. Kap. 2)
Während Hinte/ Karas an wohlfahrtsstaatlicher und integrativer GWA ihre totale Systemimmanenz, also ihren versteckten Zweck kritisieren, bemängeln sie an der aggressiven und konfliktorientierten GWA die unzureichende Analyse des Geisteszustands der Bevölkerung: das aggressive CO kennt keinen Weg von der „politische[n] Apathie“ (ebd., S. 41) und dem damit verknüpften autoritären Charakter in die libertäre Aktivität der Bewohner:innen, weshalb soziale Probleme wieder stellvertretend bearbeitet werden müssen […]. Dagegen bringen die beiden nun die sog. katalytische bzw. aktivierende GWA in Stellung. […] Die […] Organizier […] müssen „anregen zur Aktivität“, müssen „die Prioritäten jedoch von den Bürgern setzen lassen.“ (Ebd., S. 62) Hier geht es deshalb auch darum, dass ein „Bewußtwerdungsprozeß in Gang“ kommt, „in dessen Verlauf die Menschen neue, bisher verdeckte Konflikte erkennen.“ (Ebd.) Die Menschen sollen also durch Konflikte und die Schranken, die sich durch diese auftun, lernen, die Gesellschaft zu begreifen – ein Automatismus, der noch nie gewirkt hat. […]
Festgehalten werden muss, dass katalytisches Organizing sich an Methoden orientiert, die höchstmögliche Aktivität der Bürger:innen garantieren sollen. Hierzu gehört bspw. die aktivierende Befragung innerhalb der sog. Aktionsuntersuchung. Hinte/ Karas orientieren dabei (an anderer Stelle auch explizit) ihre pädagogischen Ansätze an Paulo Freires Pädagogik der Unterdrückten: „Ein entscheidendes Prinzip bei der Aktionsuntersuchung ist, daß der Fragende prinzipiell der ‚Unwissende‘ ist, d.h. einen echten Informationsrückstand hat, zugleich aber stark daran interessiert ist, diesen aufzuarbeiten.“ (Ebd., S. 125) Hieraus resultiert bspw. die Methodik der „Themenzentrierten Interaktion“, die ein „Klima der Selbstbestimmung und des Akzeptiertseins“ (dies.: Grundprogramm Gruppenarbeit, S. 92 f.) schaffen soll. Zwar sollen die Leute hierdurch angeregt werden, „das Risiko des persönlichen Engagements“ (ebd., S. 96) einzugehen, also ihre Freiheit zu aktualisieren. Diese wird jedoch stets wieder so an die eigenen Gefühle rückgekoppelt, dass der Eindruck entsteht, Spontaneität sei ein Ausdruck emotionaler Regungen […]. Die Methode kann so kein echter Katalysator für Autonomie werden, aber sie stellt einen guten Anfang dar.
Der Analyse von Apathie und autoritärem Charakter entspringt nun eine Kritik am indoktrinären Avantgardismus des sozialistischen CO, wobei jedoch mit dem Marxismus-Leninismus auch alle fortschrittlichen Elemente der Kritik der politischen Ökonomie verworfen werden:
„Gemeinwesenarbeit muß ideologiefrei betrieben werden; man darf die Menschen nicht unter Ausschaltung ihres Verstandes in eine bestimmte, festgelegte Richtung steuern. Die Leute, die schon immer eine fertige Gesellschaftsanalyse in der Tasche haben, die sie als unumstößlich setzen und den Betroffenen durchs Hintertürchen schmackhaft machen wollen, erreichen durch solche Arroganz nur, daß sich die Betroffenen verunsichert in ihre Wohnungen zurückziehen.“ (dies.: Grundprogramm Gemeinwesenarbeit, S. 64)
Einerseits sind Hinte/ Karas hier im Recht: Eine manipulative Vermittlung, d.h. Indoktrination von sozialistischer Gesellschaftsanalyse und damit eine weitergehende Apathisierung der Leute steht nicht zur Debatte; doch damit zugleich den kritisch-theoretischen, d.h. den marxschen Ansatz zu verwerfen, ebenso nicht. […]
M.a.W.: Eine anti-manipulative Praxis sollte zwar tatsächlich ideologiefrei sein, aber nur im Sinne einer marxschen Ideologiekritik. Die Entwicklung einer Utopie, „die sich weigert, das gegebene Universum der Tatsachen als den endgültigen Zusammenhang hinzunehmen“, erfordert vielmehr eine „‚transzendierende‘ Analyse der Tatsachen im Licht ihrer gehemmten und geleugneten Möglichkeiten“ (Marcuse, Herbert: Der eindimensionale Mensch, S. 13) des So-und-nicht-anders-Seienden. Oskar Negt interpretierend, könnte man hier von positiver und negativer ‚soziologischer Phantasie‘ (vgl. ders.: Soziologische Phantasie und exemplarisches Lernen) sprechen, die eben eine Einheit bildet und nur unter Verlust ihres kritischen Gehalts zersplittert werden kann. Nichtsdestotrotz weisen Hinte/ Karas mit ihrer Kritik an der Aktivität für und der Indoktrination von Subjekten auf ein liberales Moment der sozialistischen Kritik hin: die Idee der Selbstbestimmung.
IV.
Robert Maruschke widmet sich in seinem Buch: Community Organizing – Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung ebenfalls der Frage, wie CO nicht sozial-integrativ, sondern sozialistisch sein kann. Trotz der Allgemeinheit der Ausführungen, werde ich versuchen, eine Kritik am sozialistischen CO zu formulieren […]. Auch Maruschke betrachtet hierzu zunächst verschiedene Formen des Community Organizings. Er teilt sie – ähnlich wie Hinte/ Karas – ein in Sozialplanung (s.o.) und Nachbarschaftsentwicklung […] einerseits und andererseits sozialer Aktivismus […]. (Vgl. Maruschke: Community Organizing. Zwischen Revolution und Herrschaftssicherung, S. 21-25.)
Insofern Maruschke die „Erfindung einer einheitlichen Community und eines dazugehörigen gemeinsamen Interesses“ als die „Kehrseite dieser ‚anti-ideologischen‘ Ausrichtung“ (ebd., S. 36) identifiziert, erhellt er die konfrontative Taktik der progressives: Diese sind bloß der manchmal gewalttätige Schein eines Organizings, das aufgrund seiner (angeblichen) Ideologiefreiheit integrativ wirkt […]. Dagegen sollte das sozialistische CO durch vier Grundpfeiler bestimmt sein: „eine kritische Analyse und grundsätzliche Opposition gegen die gesellschaftlichen Herrschaftsverhältnisse; eine ausdrücklich politische Basisarbeit; die Anwendung konfrontativer Politikformen; sowie eine organisationsübergreifende und grenzenlose Solidarität.“ (Ebd., S. 55) Anders als alle anderen aufgeführten Konzepte ist die ‚ideologische‘ Analyse gesellschaftlicher Herrschaft im transformativen CO ein wesentliches Element, die den Zweck hat, individuelle Probleme kapitalismuskritisch einzuordnen […]. Dabei „arbeiten transformative Community-Organisationen [in den USA – M.U.] mit dem Bild eines intersektionalen bzw. integralen Systems von Unterdrückung“ (ebd.). Entsprechend der Vorstellung, dass sich die Unterdrückung der bürgerlichen Gesellschaft nicht in Haupt- und Nebenwiderspruch aufteilen lässt, sondern Ausbeutungsverhältnisse ab ovo vergeschlechtlicht und rassifiziert sind, und umgekehrt, werden diese Strukturen bspw. in Workshops gemeinsam mit den Mitgliedern der Community analysiert. Neben dieser theoretischen Arbeit schlägt sich die Kritik aber auch in die Form des Organizings um:
„Der organisatorische Fokus liegt demnach auf Menschen, die am stärksten unter den Verhältnissen leiden, also einkommensarmen Menschen, People of Color, Migrant_innen, Alleinerziehenden etc. Menschen der Mittelschicht, die trotz ihrer gesellschaftlichen Privilegien [Herv. M.U.] die Politik der jeweiligen Organisationen gut finden, können sie als Freiwillige unterstützen. Sie haben aber keine Stimme bei richtungsweisenden Entscheidungen. Diese Trennung kennzeichnet alle mir bekannten Organisationen des transformativen Community Organizing und ist notwendig, damit die eigene Basis sich nicht gegen die Interessen der weißen Mittelschicht durchsetzen muss.“ (Ebd., S. 61)
Was prima facie plausibel anklingt, ist auf den zweiten Blick gar nicht so leicht umzusetzen […]. Wer hier nämlich jeweils als unprivilegiert, wer als privilegiert erscheint, ist immer eine Frage des besonderen Verhältnisses. […] Es stellt sich nämlich stets die Frage, wer denn wohl die am wenigsten privilegierteste Gruppe sein mag, die man dann gegen die privilegiertere Gruppe in einem besonderen Fall unterstützt:
„Wenn wir offene Grenzen ansprechen, müssen Schwarze mit dem schrecklichen Widerspruch umgehen, dass billige Arbeitskraft unter erzwungener Illegalität in die USA gebracht wird. Und sie wissen, dass das Teil des Systems ist. Arbeitende Menschen ohne legale Rechte reproduzieren das, was der Sklaverei aktuell am nächsten kommt. Und die Arbeitsplätze werden den Schwarzen genommen und Latein-Amerikaner_innen gegeben. Das ist eine schreckliche, herzzerreißende Situation. Wir müssen trotzdem für die Öffnung der Grenzen und für staatliche Unterstützung für Schwarze kämpfen.“ (Ebd., S. 19)
Hier ist aus Sicht der Lateinamerikaner:innen die afro-amerikanische Bevölkerung die Gegnerin, gegen die sich die Kämpfe richten werden. Eine derart, einfach identitär ausgerichtete Strategie verfängt sich in einem Partikularismus, der blind für den Universalismus sozialistischer Forderungen wird. […] Mittels dieser Theorie trennt man die Klasse der abhängig Beschäftigten (taktisch unklug) in ihre verschiedenen Privilegienschichten auf und reproduziert ungewollt die Ideologie von Haupt- und Nebenwiderspruch […]. Nach Giorgio Agambens Analyse staatlicher Souveränität führt die Konstruktion einer vorgeblich einheitlichen Wir-Gruppe sogleich zur Konstitution einer Ihr-Gruppe. (Vgl. ders.: Homo sacer: Die Souveränität der Macht und das nackte Leben) […] Der Kampf der Exkludierten ist so zugleich der Kampf der ‚Privilegierten‘, womit hier weiße Arbeiter:innen gemeint sind. […] Der von Maruschke geforderte Ausschluss ‚Privilegierter‘ greift so tendenziell den Universalismus der sozialistischen Utopie und damit Solidarität, Gleichheit, Freiheit an.
Nach Maruschke und Mann scheinen die Leute daher Mechanismen zu sein, die entsprechend ihrer Schichtzugehörigkeit handeln müssen und keine universelle Vernunft besitzen. Es ist schwer vorstellbar, wie die Sein-Bewusstseins-Roboter […] internationale Solidarität gegen den Imperialismus aus den imperialistischen Zentren üben, wenn deren sozialistische Akteur:innen selbst privilegiert sind. Wer soll die exkludierten Communitys organisieren, wenn nicht irgendwelche Organizer, die das Privileg der Bildung hierfür hatten? Wie soll man Afro-Amerikaner:innen von offenen Grenzen überzeugen, wenn diese ihr Leben unmittelbar verschlechtern? Möglich ist dies nur unter Abstraktion der eigenen zufälligen Bestimmungen, die man in dieser Gesellschaft hat. Insgesamt muss man ansonsten die Frage stellen, wie Praxis überhaupt möglich sein soll: Wird Moral als das universelle praktische Bedürfnis verstanden, sich an der progressiven gesamtgesellschaftlichen Entwicklung zu beteiligen, die durch das Kapital verhindert wird, so schwindet mit ihrem Verlust Praxis überhaupt. (Vgl., Horkheimer, Max: Materialismus und Moral, S. 167 f.)
Um den Bogen zum Thema Freiheit und Manipulation zu spannen: Es besteht die Gefahr, dass das Vermögen des Menschen, selbst nicht nur Wirkung einer Ursache, sondern Grund für eine Kette an Wirkungen zu sein auch im transformativen Organizing systematisch ausgeschlossen wird, da die Subjekte nicht als mögliche vernünftig denkende angesehen werden, sondern als Privilegien- und Interessensubjekte, die nicht aus Freiheit, sondern aus schichtspezifischen Interessen heraus handeln. […]
V.
Das Konzept CO scheint einige Schwierigkeiten bzgl. des Themas: Freiheit und Manipulation aufzuweisen. Sie liegen in der Trennung von körperlicher und geistiger Arbeit begründet. Ist diese Dialektik erst einmal erkannt, können wir beginnen, sie als Spannungsverhältnis zu begreifen, in dem wir uns als Revolutionäre:innen bewegen müssen, bis wir es abschaffen. Ein Fehler wäre es daher, zu glauben, wir könnten es bereits im Hier und Jetzt auflösen […]. Um jedoch nicht einer indoktrinären Avantgarde-Ideologie zu verfallen, ist es unbedingt notwendig eine herrschaftskritische Pädagogik […] umzusetzen […].
Ich werde nun versuchen, Handlungsempfehlungen auf Grundlage der Diskussion zu geben. Diese müssen der Spontaneität der Subjekte Genüge tun oder ihr förderlich sein. Es handelt sich hierbei um das Dérive, die freie Assoziation, solidarische Kritik und universalistische Identitätspolitik.
Das CO neigt dazu, Stadtteile allein anhand von offiziellen Statistiken einzuordnen. Statistiken aber sind Herrschaftswissen. […] Dérive beschreibt dagegen „das Erkunden einer Stadt durch zielloses Umherschweifen“ (wikipedia) unter Einfluss von Rauschmitteln. Diese Technik wurde durch die Situationistische Internationale entwickelt und hat sich zum Ziel gesetzt, die geheime Psycho-Geographie der Städte aufzudecken. Ich gehe davon aus, dass man ein angemesseneres Bild des Stadtteils für sein Vorhaben zeichnen wird, wenn man diese unbewusste Geographie, die die Subjekte an der Architektur der Unterdrückung vorbei entwickeln, versucht, nachzuvollziehen.
Die freie Assoziation – eine Technik der Psychoanalyse – ist das Dérive der Psyche: Sie kann in Interviews mit Bewohner:innen angewandt werden. Die Antworten der Befragten werden in der freien Assoziation nicht einfach in ein logisch einwandfreies Konstrukt eingeordnet. Es wird vielmehr Widersprüchliches, Unverbundenes und Vereinzeltes ernst genommen, d.h. nicht wegerklärt, sondern interpretiert. Zweck wäre dabei, die abstrakte Kritik der bürgerlichen Totalität mit Leben zu füllen, das heißt in ihren konkreten Ausformungen nachzuvollziehen.
Eine solidarische Kritik wendet sich gegen gelenkte Gespräche und Anbiederungen aller Art. Sie nimmt die Aussagen der Befragten ernst, ohne jeden Unsinn aus taktischen Gründen unwiderlegt zu lassen. Sie wendet sich durch die Appellation an die Einsicht, damit an die Vernunft des Subjekts und stellt hiermit seine gebrochene Würde wieder her, da es dem Wesen derselben entspricht, Richtiges von Falschem und damit Gutes von Bösem zu unterscheiden.
Unter dem Namen einer universalistischen Identitätspolitik verbirgt sich die Vorstellung davon, dass Menschen gegen ihre zufälligen Privilegien und Interessen einen freien Willen besitzen, der sich unabhängig von (falschen) Bedürfnissen für die Entwicklung der ganzen Gesellschaft einsetzt. Insofern sind die Kämpfe von Exkludierten und Inkludierten zusammenzudenken. Niemand ist aufgrund seiner gesellschaftlichen Position ab ovo abzuweisen. In den verschiedenen Kulturen der identitären Gruppen müssen zugleich Anschlüsse für eine universalistische Politik gefunden werden, um ihren Partikularismus Schritt für Schritt zu transzendieren. (Vgl. Schubert, Karsten/ Schwiertz, Helge: Konstruktivistische Identitätspolitik)
1) Der Text erscheint in zwei Teilen und außerdem in gekürzter Version. Die längere Version des Artikels ist online unter https://lirabelle.noblogs.org/ veröffentlicht. Der erste Teil des Textes erschien in der Lirabelle #33. Auslassungen der Kurzversion sind mit eckigen Klammern gekennzeichnet.