Die Lirabelle sprach mit der Soli-Gruppe „Weimar im April“ über ihre Arbeit mit Betroffenen von Polizeigewalt.
Im Juli diesen Jahres verbreitete sich die Nachricht von der Gründung der Solidaritäts-Gruppe „Weimar im April“ für die Betroffenen der Polizeigewalt in Weimar im April 2012. Was damals geschah, schildert der Artikel „Die Gewalt und ihre Grenzen“ in der „Stadt der Vielfalt“-Broschüre, die sich u.a. mit Nazi- und Polizeigewalt beschäftigt und ebenfalls 2012 erschien.
Ende August organisierte die Soli-Gruppe eine Kundgebung für die Unterstützung einer Betroffenen, die sich in Weimar vor Gericht verantworten musste. Etwa 50 Unterstützer_innen aus dem antifaschistischen Spektrum zeigten ihre Solidarität und machten sich stark gegen Polizeibrutalität und Strafverfolgung von Betroffenen. Das starke Interesse der Öffentlichkeit an diesem Prozess sprengte die Kapazitäten des Verhandlungssaales.
Die Lirabelle hat die Soli-Gruppe zum Interview geladen und fragt nach politischen Einschätzungen und Zusammenhängen.
Warum kam es erst ein reichliches Jahr nach den Vorfällen selbst zur Gründung der Soli-Gruppe?
Die Soli-Gruppe wurde tatsächlich erst vor kurzem gegründet, allerdings gab es auch vorher schon einen festen Kern an Leuten, die sich immer wieder mit den Betroffenen der Polizeiübergriffe in dieser Nacht im April getroffen haben. Dass nun offiziell eine Soli-Gruppe gegründet wurde, hängt zum einen mit dem Wunsch der Betroffenen zusammen, den Kreis zu erweitern und mehr Leute in die regelmäßige Arbeit einzubinden, zum anderen mit dem nahenden Prozesstermin wegen Widerstandes gegen eine der betroffenen Personen.
Die Zeit bis dahin haben wir aber auch alle gebraucht, um uns kennen zu lernen, Vertrauen zueinander aufzubauen und gemeinsam die Kraft zu finden, an die Öffentlichkeit zu gehen. Es ist eben nicht leicht mit Gewalt- und Ohnmachtserfahrungen dieser Art kämpferisch umzugehen, dafür brauchen die Betroffenen viel Mut.
Weimar im Dezember“ – „Weimar im April“. Der Name eurer Soli-Gruppe ruft Erinnerungen an andere länger zurückliegende Geschehnisse in Weimar hervor, die ebenfalls von einer Soli-Gruppe begleitet wurden. Ist diese Assoziation beabsichtigt und wenn ja, welchen Zusammenhang gibt es zwischen den Ereignissen 2009 und 2012?
Polizeigewalt gegen Punks ist nichts Neues. Die Assoziation ist beabsichtigt, weil auch damals Weimarer Polizei auf politisch motivierten Verdacht hin Menschen kontrolliert, verhört, durchsucht und in U-Haft genommen hat. Minderjährige Schüler_innen wurden aus dem Unterricht geholt und ohne Beisein ihrer Eltern verhört. Es gab Wohnungsdurchsuchungen und gegen mutmaßliche Verdächtige wurde in der Lokalpresse gehetzt. Es gibt da also eine gewisse Kontinuität, weil sich die Weimarer Polizist_innen sicher fühlen können, dass sie nicht belangt werden. Es ist davon auszugehen, dass die gleichen Beamt_innen wie damals auch in diesen Fall verstrickt sind, so groß ist Weimar ja nicht.
Für den 30.08.2013 habt ihr für die Teilnahme an einer Kundgebung vor dem Amtsgericht Weimar geworben. An dem Tag fand eine Verhandlung gegen eine der Betroffenen statt. Wie kommt es dazu, dass Betroffene zu Beschuldigten werden und wie reagiert ihr nun darauf?
In den allermeisten Fällen, in denen Betroffene von Polizeigewalt sich trauen, eine Anzeige zu erstatten, ist bereits eine Anzeige wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§113 StGB) von Seiten der Polizei erstattet worden. Das ist üblich, um als Polizist_in nicht als Täter_in, sondern als Opfer vor Gericht zu gelten. Nach dem Motto „Ich musste mich ja wehren, die Maßnahme durchsetzen usw.. Mein Handeln war also gerechtfertigt“. Außerdem macht es die Opfer von Polizeibrutalität unglaubwürdig, weil „sie sich ja nicht hätten widersetzen müssen, dann wäre auch nichts passiert“.
Wenn eine solche Anzeige noch nicht erstattet worden ist, folgt auf die Anzeige wegen ‚Körperverletzung im Amt‘ meist eine Gegenanzeige wegen „Vortäuschen einer Straftat“ oder „falscher Verdächtigung“. Da die Betroffenen und die Soligruppe das wussten, hat das niemanden besonders überrascht. Mit dieser Gegenwehr muss man rechnen, wenn man gegen Polizeibrutalität vorgehen will. Wir gehen einfach Schritt für Schritt vor und sehen, was in der jeweiligen Situation das Beste für alle Beteiligten ist.
Welche Sachverhalte, die in der Verhandlung dargelegt und diskutiert wurden, schätzt ihr als wesentlich ein? Was blieb ggf. unberücksichtigt?
Das kann man gar nicht so genau beantworten. Es ging ja wirklich nur um eine Widerstandshandlung, die eine der Betroffenen während der Festnahme getätigt haben soll, das hat der Richter auch nochmal ganz deutlich gesagt. Das Davor und vor allem das Danach hat hier überhaupt keine Rolle gespielt.
Es war insgesamt einfach absurd. Angefangen bei dem Metalldetektor, den die Beobachter_innen passieren mussten, die als Unterstützer_innen der Angeklagten eingeordnet wurden; über die Justizbeamte, die geflissentlich unsichtbare Grenzen auf dem Flur vor dem Gerichtssaal verteidigt haben, die aus unklaren Gründen von den Beobachter_innen nicht übertreten werden durften; bis zur kurzfristigen Verlegung der Verhandlung aus dem großen Schöffengerichtssaal des Amtsgerichtes in einen winzigen Raum mit nicht mal zwanzig Sitzplätzen. Und so ging das in der Verhandlung dann weiter. Ziemlicher Unsinn.
Es ist noch bemerkenswert, dass der Angeklagten ihre Aussageverweigerung vom Gericht quasi übel genommen wurde. Der Richter hat es auch nicht versäumt, das in seiner Urteilsbegründung nochmal zu erwähnen. Das erlebt man in Thüringer Amtsgerichten ziemlich häufig.
Die Rechtsanwältin der Betroffenen kritisierte in ihrem abschließenden Plädoyer das Vorgehen der Weimarer Polizeibeamt_innen in der Tatnacht 2012 und deren Aussagen vor Gericht. Sie legte nahe, dass dies typisch sei – was meint sie damit und stimmt ihr dieser Einschätzung zu?
Wenn man mal guckt, was für Zahlen es zu Verfahren wegen ‚Körperverletzung im Amt‘ gibt, dann kann man auf jeden Fall, ein typisches Verhalten ableiten. Es gab 2011 insgesamt in Deutschland 1963 Ermittlungsverfahren (Tobias Singelnstein, ein Professor für Strafrecht an der FU Berlin, geht davon aus, dass nur einer von vier Fällen angezeigt wird), davon sind nur 73 vor Gericht gelandet, die anderen wurden vorher eingestellt. Und von dieser kleinen Zahl, gibt es dann nur noch 17 Verurteilungen. Dabei sind die Strafen meistens niedrig gehalten, damit sie die Beamtenlaufbahn der Täter_innen nicht gefährden.
Weiter kommt dazu, dass Polizist_innen oft vor Gericht gehört werden, das bedeutet auf der einen Seite, dass sie diese Situation gewohnt sind und sich besser darauf vorbereiten können, auf der anderen Seite, ist das Gericht auf die Zusammenarbeit mit ihnen und auf ihre Glaubwürdigkeit anwiesen. Selbst wenn man also davon ausgeht, dass die Polizist_innen, obwohl sie jeden Tag zusammen arbeiten und Zugriff auf ihre Akten haben, keine vorbereitende Absprache untereinander treffen und sich vor Gericht widersprechen, wird das Gericht in den meisten Fällen ihre Glaubwürdigkeit nicht anzweifeln. So war es auch bei der Verhandlung am 30.08. in Weimar.
Die Nacht im April 2012 ist da natürlich nochmal eine ganz andere Sache, auch hier kann man ein typisches Verhalten erkennen, das sich am einfachsten unter dem Begriff „Cop Culture“ zusammenfassen lässt: Mit der Zeit entwickelt sich ein System ungeschriebener Gesetze und Handlungsmuster, die organisieren, wie man als Polizist_in bestimmten Situationen und mit bestimmten Menschen umgeht. Männlichkeitsrituale, Gerechtigkeitsvorstellungen und Gruppendynamiken spielen dabei die entscheidenden Rollen. Für Weimar bedeutet das offensichtlich, dass man der Polizei besser nicht in die Hände geraten sollte, wenn man zu einer bestimmten Szene gehört oder dahin zugeordnet wird.
In diesem Zusammenhang würden wir uns sehr freuen, wenn Menschen, die auch Opfer von Polizeibrutalität geworden sind, sich bei uns melden würden, egal ob in Weimar oder anderswo. Das kann anonym sein, wir können uns aber auch gern mal treffen. Schreibt uns einfach eine Mail an weimar-im-april@ riseup.net Oder verschlüsselt über unser Kontaktformular http://wia.blogsport.de/kontakt/ Wir würden gern dokumentieren, was so passiert.
Ist das Gericht zu einer „gerechtfertigten“ Entscheidung gekommen? Wie geht es den Betroffenen und den Unterstützer_innen damit?
Von „gerechtfertigt“ können wir natürlich nicht reden. Wir waren wohl alle überrascht, dass der Richter in seinem Urteil über die im Strafbefehl festgelegte Summe hinausging, aber wirklich von den Socken gehauen hat uns das auch nicht. Die Urteilsbegründung war allerdings ein schlechter Witz, aber auch das war für keine_n der Beteiligten eine Überraschung.
In Widerstandsverfahren wird ständig zum Nachteil der Angeklagten geurteilt, anders als in Prozessen wegen Körperverletzung im Amt…
Natürlich wäre ein Freispruch schön gewesen, aber das Urteil wird uns nicht daran hindern, weiter zu machen – im Gegenteil. Es war auf jeden Fall für alle Beteiligten sehr motivierend, die ganzen Leute auf der Kundgebung vor dem Gericht zu sehen, vielen Dank an alle, die da waren!
Erwartet ihr weitere Strafverfahren gegen die Betroffenen? Werdet ihr auch diese begleiten?
Die Staatsanwaltschaft hat die Strafanzeigen gegen die Polizist_innen ja eingestellt. Im Gegenzug wird nun, wie bereits erwähnt, gegen die Betroffenen wegen Falschaussage bzw. Vortäuschung einer Straftat ermittelt. Auch in diesen Verfahren werden wir die Betroffenen natürlich begleiten und unterstützen. Wir sammeln auch weiterhin Spenden (Rote Hilfe Ortsgruppe Jena, Konto: 4007 238 309 BLZ: 430 609 67 GLS-Bank, Verwendungszweck: Weimar 04/12), um die anfallenden Kosten zu decken und freuen uns auch über andere Formen der Unterstützung, wie z.B. Hilfe in der Soligruppe. Außerdem bieten wir eine Infoveranstaltung an, die sich um Polizeibrutalität dreht. Wenn ihr die gern mal sehen würdet oder eine Frage habt oder einfach mal was schreiben wollt, wendet euch einfach an weimar-im-april@riseup.net.
Vielen Dank für das Interview und eure wichtige Arbeit! Weiterhin viel Kraft und einen langen Atem bei dem Kampf gegen Repression!