Noch einmal zu Ermächtigung – als Praktiken zur partiellen Emanzipation

Mit so etwas wie… nun ja, Erleichterung, las Mona Alona den Artikel von Emily Page in der letzten Ausgabe der Lirabelle. Emily schrieb einen „persönlichen Text“, was einerseits an sich gut bzw. auflockernd befunden wird, andererseits auch ein angemessenes Gegengewicht zum Text von Simon Rubaschow (Lirabelle #12) darstellt, den sie kritisiert. Die folgenden Überlegungen setzen sich damit auseinander, worauf aufbauend ein eigenes Verständnis von Ermächtigung skizziert wird.

Wenn auch inzwischen vor fast einem Jahr veröffentlicht, will ich die Kritik an Rubaschow hiermit nochmals bekräftigen und untermauern. Emily widerspricht ihm dankenswerter Weise, tut dies aber derart, eine andere Perspektive aufzuzeigen. Dennoch finde ich ihre Begründungen, warum „Empowerment“ wichtig sei, nicht ausreichend. Oder anders gesagt, richtet sich ihre Darstellung an Menschen, die sich in ihrem politischen und persönlichen Handeln ermächtigen und einen gemeinsamen Begriff davon haben. Wenn sie* zu Beginn schreibt: „Ein Hoch auf Empowerment – egal in welcher Art und Weise“ (#14, S. 35) oder abschließend: „Und deshalb, genau deshalb ist Empowerment genau das Richtige. Und super wichtig“ (#14, S. 37), spricht das auf empowernde Weise jene an, die diese Erfahrungen teilen, führt aber nicht zu einer gemeinsamen Auseinandersetzung darum, was unter Empowerment jeweils verstanden wird. Wir gelangen zu einer – möglicherweise notwendigen – schützenden Selbstbestätigung, nicht aber zu „eine[m] Ort der solidarischen, wechselseitigen Kritik auch der Bedürfnisse“ (#12, S. 38), auf den Rubaschow in seinem Text die Hoffnung nicht aufgeben will.

Ironischerweise eröffnet dieser mit der Art seiner Darstellung und der darin durchscheinenden Perspektive eben jene Räume solidarischer Kritik und des gemeinsamen Hinterfragens nicht, sondern definiert einseitig, von oben herab und mittels exklusiver verwissenschaftlichter Sprache, was unter Empowerment zu verstehen sei und warum derartige Konzepte mindestens zu problematisieren oder ihre Hintergrundannahmen auch abzulehnen seien. Dies steigert sich meiner Ansicht nach bis ins Absurde, wenn er erst von Schutzräumen schreibt, die Szenen bieten könnten, was nicht zu kritisieren wäre, dann aber mit dem widersinnigen Satz fortfährt: „Diese wechselseitige Solidarität zum Empowerment zu nutzen, also der wechselseitigen Selbstbestätigung und Ausbildung einer gemeinsamen Identität, bedeutet jedoch, letztlich vor den Verhältnissen zu kapitulieren.“ (#14, S. 37f.) Jenen Verhältnissen die seiner Ansicht nach darin bestünden, dass wir alle „objektiv“ ohnmächtig wären und „Ohnmacht als gesellschaftliche Verhältnis verleugnen“ würden, wenn wir es individualisiert betrachten würden. Ausbeutung, Unterdrückung, Entmündigung sind Folgen gesellschaftlicher Verhältnisse wie des Staates, des Kapitalismus‘ oder des Patriarchats. Ohnmacht bzw. Ohnmächtig-machen (vielleicht auch: zum-Schweigen-bringen) ist in vielerlei Hinsicht sicherlich ein Bestandteil spezifischer Herrschaftsformationen, keineswegs aber ein „Verhältnis“. In welchem Rubaschow – logisch weitergedacht – ja zu verharren empfiehlt, anstatt in konkreten Versuchen der Ermächtigung Erfahrungen der Solidarität und Möglichkeiten des partiellen Freier-werdens innerhalb der und gegen die herrschenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu sammeln.

Seine Grundannahmen bestehen offensichtlich in einem vulgären marxistischen Verständnis gesellschaftlicher Totalität und Revolution, die dann vielleicht irgendwann eintritt, wenn der Messias vom Himmel kommt oder die objektiven Bedingungen dafür gereift sind. Alle Möglichkeiten von Empowerment oder dem gelegentlichen Abbau von Entfremdung können ihm höchstens als Verweis auf das mystisch verklärte völlig Andere gelten, womit er gerade das Leiden derjenigen missachtet, die besonders und auf mehrere Weisen in der Ohnmacht verharren sollen. Dementsprechend ist auch mein Text in der Lirabelle #11 zu linken Großevents nicht als ein Versuch des „Hinterfragens statt des Empowerments“ zu lesen, wie er – mich (absichtlich?) falsch interpretierend, in einer Fußnote – behauptet, sondern als eine stilistisch bewusst so gewählte Irritation, zur Anregung von Reflexion, damit aber zugleich auch als Ausdruck dieser. Schließlich spricht Rubaschow durch seine arrogante Schreibweise1 jenen Menschen, die sich auf Empowerment beziehen und diesen Begriff für sich positiv besetzen, ab, über die Arten, Weisen, Folgen und problematischen Aspekte ihres Handelns, ihrer Wahrnehmung, auch ihrer Bedürfnisse und so weiter dauerhaft oder tiefgehend genug zu reflektieren. Würde er das nicht tun, bestünde auch kein Grund, einen Text in diesem Stil zu schreiben, dessen Absicht sich mir nebenbei bemerkt auch immer noch nicht erschließt, außer, dass er am Ende Anarchist_innen und Querfeminist_innen empfiehlt Marx und de Beauvoir zu lesen, um einen Begriff von Gesellschaft und ihrer Produktionsweise zu haben. Warum auch immer. Aber danke für diesen Hinweis.
Dennoch gibt es einen – meinem Verständnis nach – entscheidenden Kritikpunkt am sogenannten Empowerment, den ich aufgreifen und ihm weiter nachgehen möchte. Und nein, es handelt sich nicht um jene Feststellung, dass der neoliberale Kapitalismus jede Form von Widerständigkeit aufzugreifen und sich einzuverleiben versucht – wobei es auch einfach nicht stimmt, dass jegliches Handeln direkt kapitalistischen Verhältnissen unterworfen, von diesen bestimmt ist und sie stützt. Mir geht es um den Punkt der „Individualisierung von Ohnmacht“ und dem Umkehrschluss der Sinnhaftigkeit von Praktiken „individuellen Empowerments“. Dies wird auch von Emily Page so wiederholt, wenn sie schreibt, beim Konzept von Empowerment sollten Bedürfnisse ernst genommen werden, damit „überlegt wird_werden kann, wie mensch damit umgeht, wenn sie*er in eine solche Situation [der Erfahrung von Sexismus, MA] kommt oder wie es bereits in solchen Situationen war und wie passend für eine*n selbst der Umgang damit war.“ (#14, S. 36) Daran möchte ich nichts grundsätzlich aussetzen, fände es aber problematisch, wenn bei diesen Überlegungen schon angenommen werden würde, hier Gesellschaft insgesamt zu verändern. Doch diese Denkweise begegnet mir immer wieder und nimmt teilweise solche skurrilen Züge an, ein wöchentliches Treffen vieler Menschen zur Reflexion über ihre von Macht geprägte Sozialisation schon als „Plenum“ zu bezeichnen oder es als wichtigste politische Aufgabe zu begreifen, den eigenen Leuten, egal worum es geht, immer wieder vorzuhalten, dass sie in eine bestimmte Geschlechterrolle sozialisiert wurden.

Zunächst spreche ich deswegen nicht weiter von Empowerment, sondern beziehe mich auf den Begriff der (Selbst-)Ermächtigung. Diese finde ich dann problematisch, wenn sie vorrangig von Einzelnen her gedacht wird, als müsste es vor allem darum gehen, sie individuell gegen die ohnmächtig machenden gesellschaftlichen Verhältnisse zu stärken. Um dann tatsächlich dabei stehen zu bleiben und diese Verhältnisse nicht mehr angreifen zu müssen. Andererseits vollzieht sich Ermächtigung immer durch konkrete Menschen und verändert diese. Das bedeutet an Einzelnen lässt sich durchaus erkennen, dass es sehr verschiedene Weisen gibt, mit Ohnmachtserfahrungen und -gefühlen umzugehen. Insofern geschehen ernstzunehmende Veränderungen, wenn beispielsweise irgendwo eine FLTI*-Kampfsportgruppe aufgemacht wird, um dem Sexismus, welcher nicht-männliche Personen in eine Position der Schwäche und Schüchternheit zwingt, etwas entgegen zu setzten. Ziel dabei darf aber nicht allein diese Ermächtigungserfahrung für sich sein. Damit sie emanzipatorisch wirksam wird, muss sie in größere Zusammenhang gestellt werden. Sonst verbleibt die Ermächtigung lediglich bei einer Personengruppe, die auf bestimmte Weise wiederum privilegiert ist und sich damit möglicherweise zu einem gewissen Grad aus einer zugewiesenen Position der Unterlegenheit erhebt. Um hierbei von gesamtgesellschaftlicher Emanzipation sprechen zu können und diese voranzutreiben, wäre es jedoch erforderlich, das gesteigerte Selbstbewusstsein, die erworbenen Fähigkeiten und möglicherweise sogar gewonnene materielle Ressourcen in politische Aktivitäten münden zu lassen, die über die individuellen Handlungsmöglichkeiten hinausgehen. Michael Wilk versteht Emanzipation in diesem Sinne als „Aneignungsvorgang von gesellschaftlicher Macht. […] Dabei strebt sie eine Form der Mündigkeit und Selbstständigkeit an, die immer wieder aufs Neue die gesetzten Grenzen anzweifelt, die letztlich in der Auseinandersetzung, Überprüfung, und auch in der Überschreitung des ‚Gegebenen‘ ihre eigenen Maßstäbe zu entwickeln vermag. Sie beschreibt in diesem Sinne einen dynamischen Prozess des Lernens, des Entwickelns eigener Stärke und Widerstände, der nicht in der banal selbstaufgewertenden Position endet, sondern der in der Lage ist, auch gerade diesen Prozess der Aufwertung (der unter Umständen andere entwertet) in Frage zu stellen.“ (Michael Wilk, Macht, Herrschaft, Emanzipation. Aspekte anarchistischer Staatskritik, Grafenau 1999: 35)

Daran anknüpfende Fragen können lauten: Wer, das heißt wer aus welcher gesellschaftlichen Position heraus, ermächtigt sich? Welche Wege dienen ihnen zur Ermächtigung? Wozu ermächtigen sie sich? Und: Wie lassen sich diese Ermächtigungserfahrungen auf andere Gruppen übertragen, damit sich andere von jeweils ihren Positionen heraus partiell emanzipieren können? Partielle und gesamtgesellschaftliche Emanzipation sind miteinander vermittelt und zusammen zu denken, wie Marx es in seinem Artikel „Über die Judenfrage“ plausibel darstellt. (vgl. Marx-Engels-Werke, Band 1, Berlin 1990, S. 347-376) Ermächtigung im hier verstandenen Sinne ist im Grunde genommen nichts anderes als partielle Emanzipation einer bestimmten Gruppe. Und das diese immer erst einmal von einigen Menschen darin propagiert, praktiziert und vorangetrieben wird, versteht sich insofern von selbst, als das jede Form politischer Praxis und jede Perspektive von ihre jeweiligen Verfechter_innen und Vertreter_innen hat, die sie setzen. Dabei besteht ein himmelweiter Unterschied darin, ob Sozialarbeiter_innen die von ihnen betreute Klientel gesellschaftstauglich und arbeitsmarktkonform zurichten und empowern, oder ob politisch engagierte Menschen Ermächtigung entgegen gesellschaftlicher Normen und Machtverhältnisse vorleben und empfehlen. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, fortan keine Ohnmachtserfahrungen mehr zu erleiden oder gar an diesen selbst Schuld zu sein. Hier kommt die Solidarität und die gemeinsame Entwicklung zum Tragen, weswegen ich von emanzipierender Ermächtigung erst spreche, wenn sie als kollektiver Prozess geschieht, wofür es jene Räume solidarischer Kritik und des Hinterfragen braucht, die sich Simon Rubaschow erhofft. Weniger hoffen müsste er, wenn er sich mit dem Wunsch zu verstehen, direkt und auf Augenhöhe mit den Menschen auseinandersetzen würde, welche die von ihm kritisierten Konzepte praktizieren und darüber immer auch – auf ihre Weisen – reflektieren.

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